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Foto nordische Landschaft

28. April 2007

(Tyr), Swallow The Sun und Moonsorrow in der Rofa Ludwigsburg

(Tyr)

Wer sich wundert weshalb Tyr in Klammern steht: Laut Rofa-Website sollte das Konzert um 20 Uhr beginnen – hat es aber nicht. Da Tyr nur fünf Stücke spielten stand bereits die Lokalband auf der Bühne, als wir (zugegeben nach 20 Uhr) ankamen. Verdammt. Dafür fungierten Tyr als ihre eigenen Merchandiser, denn »we should have had a guy for merchandising, but he didn’t show up«. Mastermind Heri Joensen erklärte mir, dass sie hier spontan spielen: Sie haben gerade ihre Headliner-Tour durch Deutschland, Österreich, Polen beendet und ihre Fähre zurück geht erst am Samstag.

Swallow The Sun

Swallow The Sun

Die Finnen stehen erst mal so statisch auf der Bühne, wie es sonst nur finnisches Publikum kann. Mikko Kotamäki grunzt finsteren Düstermetal ins Mikro.

Swallow The Sun

Doch plötzlich mosht das Sextett los. Die Fans sind sich noch nicht ganz im Klaren, ob sie einfach erstarren oder es ihren Idolen auf der Bühne gleichtun sollen.

Moonsorrow

Moonsorrow

Zu »Tyven«, dem Intro von »VOIMASTA JA KUNNIASTA« betreten Moonsorrow um den Sänger Ville Sorvali bedächtig die Bühne. Kaum oben feuern sie sie blitzartig ihre vikingmetallischen Geschosse in die Menge, die dankbar bangt – bis zur Genickstarre.  Aber was macht der Bub am Mischpult? Der Bass ist viel zu laut, der Gesang viel zu leise. Selbst in der ersten Reihe versteht man Sorvali kaum.

Moonsorrow

Egal, die Fans feiern alte Stücke wie »Sankarihauta« oder »Taistelu Pohjolasta« genauso wie »Tuleen Ajettu Maa«vom aktuellen Album »VIIDES LUKU – HÄVITETTY«. Dank den für Moonsorrow typischen Zehnminütern besteht das gesamte Set gerade mal aus mageren sieben Stücken, mal derbe gegrunzt, mal choral bereichert, mal folkig angehaucht. Ohne Zugabe verschwindet die Truppe. Kein Aprilscherz.

27. April 2007

Und jetzt etwas ganz anderes: Kunst (Teil 3)

Aller vier Jahre wird die Ars Baltica Triennale der Photographie ausgetragen. Dabei hat sie sich längst von einer reinen Bilderschau hin zu einer Übersicht von Videoprojekten und visuellen Installationen entwickelt. Vertreten sind dabei Künstler und Künstlerinnen aus dem Ostseeraum, somit vom Baltikum hinüber nach Finnland, Schweden und Norwegen. Und weiter geht es über Russland, Polen, dann durch die norddeutschen Bundesländer und natürlich Dänemark nicht zu vergessen.

Diesmal gibt es schöne Arbeiten des Norwegers Talleiv Taro Manum, der in der Tradition der Cheap Photos die letztjährigen Kunst-und Musikfestivals in seinem Wohndorf Ringnes südlich von Oslo dokumentiert. Petra Bauer aus Stockholm widmet sich dagegen dem Fall eines 13jährigen muslimischen Mädchens, das nach islamischer Tradition einen 18jährigen Mann heiratet. Als das Paar ein Kind bekommt, wird der Mann verbotener sexueller Handlungen angeklagt, was eine nicht geringere öffentliche Debatte um die Grenzen und Regeln schwedische Integrationspolitik auslöste – ohne dass je das Mädchen von der Presse oder der Anklage zu ihrer Sicht der Dinge befragt wurde.

 Höhepunkt der Ausstellung aber, die wie die Jahre zuvor in der Stadtgalerie Kiel startet, bevor sie dann durch den Ostseeraum tourt, ist zweifellos eine vierteilige Videoprojektion des Projektes der Beschwerdechöre des Künstlerpaares Oliver Kochta-Kalleinen und Tellervo Kalleinen. Sie haben in Birmingham, St. Peterburg, dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg und natürlich in Helsinki Bürger für Chöre gewinnen können, bei denen sich die Beteiligten ihre alltäglichen Sorgen mit Macht von der Seele singen.

 Egal, ob man sich beklagt, dass die Rolling Stones nie vorbeikommen, der Tag generell zu kurz ist, der monatliche Lohn zu gering ausfällt oder auf der Toilette stets das Toilettenpapier fehlt, alles wird mit der selben Inbrunst vorgetragen. Wobei die gesanglichen Unterschiede zwischen dem Chor aus Helsinki und etwa dem aus Hamburg-Wilhelmsburg enorm sind. Da merkt man mal wieder, wie uns Deutschen eine selbstverständliche und national unbelastete Volksmusikkultur fehlt.

26. April 2007

Softic in meiner Stadt

Vermutlich bin ich ein netter Mensch, deshalb darf das Kind morgens auf der Fahrt zur Schule im Auto N-Joy-Radio hören. Dies ist ein so genannter Jugendsender, bei dem grauenhaft gutgelaunte Moderatorendoubles öffentlich grauenhaft gutgelaunte Popsongs abspulen, sie mit grauenhaft gutgelaunten Witzen vorher und nachher garnieren und zehn Minuten reichen schon und dem halbwegs akustisch gebildetem Zeitgenossen dringt die Popseife in alle Körperöffnungen und der Tag ist augenblicklich versaut.

 Zum Glück gibt es in meiner Stadt den in der Blinzelbar beheimateten „H7-Club für improvisierte Musik“, wesentlich getragen von dem wirklichen Musiker Heiner Metzger, der diesmal das Quartett Softíc zu Gast hatte. Vier agile Burschen aus Kopenhagen, als da wären der Ex-Luxemburger Marc Lohr am Schlagzeug, Claus Hojensgard an der Trompete und der elektrisch verzerrten Gitarre sowie Anders Hjort Straarup an allerlei elektrisch angeschlossenen Tasteninstrumenten plus Kevin Christensen am Laptop und am Bildmischer. Entsprechend ging die Reise in die Tiefen des Impro-Jazz, mit deutlichen Anleihen beim Ambient-Sound, die immer aber dann, wenn die Loops zu gefällig werden drohten, durch allerlei Antiharmonischem abgelöst wurden. Eindrücklich waren besonders jene Passagen, in denen sich plötzlich handgemachter und geradezu traditioneller Jazz und zuweilen auch Rock kurzzeitig seinen Platz eroberte, bis sie sich unter dem Ansturm von ungestümen und asynchronen Klangfolgen wieder von dannen schlichen.

Wichtig für das Spiel der Band und für den Hörer beeindruckend, ist zugleich die visuelle Umsetzung und Kommentierung des Gehörten beziehungsweise die sogleich folgenden musikalischen Reaktionen auf das zuvor Gesehene. Damit mischten sich beständig auflösende und sich zitierende Farbflächen und grafische Muster auf der Leinwand und diesmal auf einem zur Straße hin führenden Fenster und es blieb eben nicht bei dem üblichen Video-Geblubber und Geflirre, das so manche Band im Schminkkoffer führt. Somit geht es bei Softic entschieden mehr um im ganz wörtlichen Sinne bildende Kunst und nicht um nachträgliche und bald standardisierte Bebilderung ihrer Stücke.

Und also wurde es ein intensives, nachhörenswertes und sehenswertes und dabei auch nicht unanstrengendes Konzert, das für wieder freie und gereinigte Ohren sorgte, was will man auch mehr.

24. April 2007

Malene Mortensen in meiner Stadt

In der Hamburger FABRIK hält man es mit den skandinavischen Ladies. Marie Boine ist seit langem Stammgästin, Marilyn Mazur war schon des Öfteren da, auch Kari Bremnes kommt regelmäßig vorbei. Der Wandel der Rebekka Bakken von der ernsten Jazzsängerin hin zur eher gefälligen Popmamsell konnte hier ebenso verfolgt werden, wie das Auftauchen der schnell sagenumwobenen Hanne Hukkelberg. Nun schaute Malene Mortensen vorbei, an einem Montagabend und das bei dem Wetter, publikumsmäßig wahrlich keine leichte Sache.

Doch weder sie noch ihre kleine und dreiköpfige Band ließen sich davon die Spielfreude verderben und ungewohnt pünktlich stand sie auf der Bühne, ihre Kerle an den Drums, am Bass und am Klavier mit jeweils geschorenem Kopfe. Ausdruck der Zugehörigkeit einer hier noch unbekannten Jazzsekte?

Malene Mortensen aber schüttelte ausgiebig ihr blondes Haar und sang sich ergötzlich durch ihr Repertoire aus mittlerweile drei CDs. Dabei pflegte sie auch live ihre leicht konservative Lesart des eher abgesicherten Jazz, wobei dieser glücklicherweise auf der Bühne nach etwas Zeit und dank anhaltender Publikumsberührung dann wesentlich kantiger und schroffer und auch interessanter daherkommt, denn daheim aus der Stereoanlage. Selbst ein nun wirklich erloschener Standardsong wie »Take Five« bekam so ein klein wenig Schmackes, wenn auch ihre Eigenkompositionen erheblich besser gefallen müssen und es ist zu wünschen, dass sie sich davon noch ein paar mehr zulegt.

Stimmlich ist sie einfach eine Könnerin, dazu tänzelte sie ergeben über die Bühne, während ihre Füße in zwei wirklich seltsam hochhackigen Ungetümen steckten, weshalb es kein Wunder war, dass sie während der zwei abgeforderten und mit offensichtlicher Freude gegebenen Zugaben barfuss sang, sah auch entschieden besser und vor allem entspannter aus.

16. April 2007

120 Days und zehn tanzende Kölner

Das Leben wäre langweilig und grau, würde man sich nicht hin und wieder bewusst dafür entscheiden, etwas völlig Unvernünftiges zu tun. Wie zum Beispiel am frühen Sonntag abend 200 Kilometer nach Köln zu fahren, wohl wissend, dass es am gleichen Abend noch zurückgeht und Montag früh der Wecker unbarmherzig die neue Lohnarbeitswoche einläutet.

120 Days aus Norwegen haben für mich mit ihrem gleichnamigen Album eines der besten Debüts des Jahres 2006 vorgelegt und landeten auf meinen Jahres-Charts ganz vorne. Die Synthierocker mit Krautrock-Wurzeln sind jetzt zum ersten Mal in Deutschland unterwegs – mit genau drei Konzerten. Der geografisch nächstgelegene Veranstaltungsort lag leider in Köln. »Die muss ich einfach sehen«, sagte die eigensinnige Stimme der Unvernunft. »Du bist völlig gaga«, gab sich die Vernunft geradezu herablassend erwachsen. »Ist mir doch egal«, sagte die Unvernunft anarchisch, grinste von einem Ohr zum anderen und streckte der Vernunft die Zunge heraus.

Allein schon der grandiose Sonnenuntergang über dem Rhein, mit der Silhouette des Kölner Doms im Hintergrund und einem famos lichterblinkenden Riesenrad am Ufer im Vordergrund war schon die halbe Reise wert. Und mitten in das quirlige Leben in der Kölner Südstadt einzutauchen und noch ein Eis zu essen – wunderbar. Es gab dann nur einen kleine Überraschung: Die Kölner Konzertgänger interessierten sich überhaupt nicht für die norwegischen Postrocker.  Gerade mal 15 Besucher tauchten im Prime Club auf. Und von denen hatten gerade mal zehn Konzertgänger Lust zu tanzen. Ob dieser sehr bescheidene Zuspruch in kausalem Zusammenhang mit der katastrophalen Niederlage stand, die der 1. FC Köln just an diesem Sonntag durch die fantastischen Kicker meiner Heimatstadt Freiburg erlitten hatte, war nicht zu ergründen.

Interessante Situation. An diesem Abend gab es somit zwei große Fragen zu beantworten.  Erstens: Funktioniert die stark synthie- und elektroniklastige Musik von 120 Days auch live? Und zweitens: Wie reagiert die junge Band, die in ihrer Heimat zu den großen Namen gehört und eben von einer ausgedehnten Tournee durch die USA zurrückkommt, auf 15 zahlende Besucher bei ihrem historisch ersten Konzert in Deutschland? Arrogant und lustlos oder souverän und spielfreudig?

Große Überraschung, große Freude: Es funktioniert! Obwohl die Musiker zu Beginn des Konzerts fast hinter ihren Synthies verschwinden, entsteht bei den ausufernden, treibenden, raffiniert aufgebauten Songs rasch eine Sogwirkung. Sänger Adne Meisfjord taucht bald hinter den Synthieburgen auf. Schreit, als hinge sein Leben davon ab und fordert die 15 Kölner energisch zum Näherkommen auf. Zehn folgten der Aufforderung. Der Club ist leer und die Akustik ist nicht vom Feinsten aber, egal! Tanzen ist hier kein Wunsch, sondern ein Muss. 120 Days nehmen die 15 mit auf eine Reise in die dunkleren Landschaften des Postrock und heben gemeinsam mit ihnen ab. Den Pfad der konventionellen Rockmusik verlassen sie an keiner Stelle, aber dass Synthies so erdig-schweißtreibend sind, war vorher nicht zu erahnen. Ganz schnell wird klar, dass Basser Jonas Dahl hier eine Schlüsselrolle spielt und ein cooles Grundgerüst legt. Drum-Maschinenmeister Arne Kvalnik mischt ganz vorne mit und tänzelt grinsend um seine Regler. Ab und zu trommelt er auch mal.

Musikalische Einflüsse blitzen auf wie die Stroposkop-Lichter. Kraftwerk meets Donna Summer meets New Order meets Neu! Das ist aufregend und bräuchte einen kathedralengroßen Saal mit ebensolcher Akkustik, um sich in seiner ganzen Majestät zu entfalten. Aber eine ziemlich gute Ahnung bekommt man auch so.  Der Sänger gefällt sich zwischendurch in coolen Posen, aber dosiert ist das bei der Stimme erlaubt.

Was für die Band spricht: Sie spielen ein volles Set vor leerem Haus. Adne mischt sich zwischendurch unters Publikum und tanzt mit. Und als Zugabe gibt es ein ausgedehntes Spacemen-3-Cover und danach sind alle völlig durchgeschwitzt und strahlen. 120 Days und 15 Kölner.

In einem so kleinen Rahmen ergibt sich die Kommunikation zwischen Musikern und Publikum ganz von selbst. Die Band steht kurz nach dem Konzert vollzählig am Merch-Stand, tauscht sich mit den Leuten aus, plaudert entstpannt und sammelt dicke Sympathiepunkte. Sänger Adne sieht so lächerlich jung aus, dass man ihn am liebsten mit einer Tasse Kräutertee zum Einschlafen ins Kinderbett stecken würde. Schlagzeuger Arne erweist sich als ausgesprochen freundlicher und offener Mensch, der lächelnd erklärt, warum 120 Days an diesem Abend mein Lieblingsstück »C-Musik« nicht gespielt haben. »Wir hatten das richtige Equipment dafür nicht dabei!« Und dass 120 Days wahrscheinlich im Sommer bei Rock am Ring spielen werden. »Und dann spielen wir auch C-Musik. Nur für Dich!«

 
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