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Foto nordische Landschaft

28. Mai 2012

Eine Hymne auf den Schornsteinfeger: Minttu & Olli

»Hach, da geht die Sonne unter, Rot mit Gold, so muss das sein«, seufzte Nina Hagen schon vor Jahrzehnten. Abends um halb zehn zwitschern die Vögel noch und fliegen die Schwalben tief. Eine Tageszeit also, zu der man fast schon zwingend sanfte und enstpannte Töne hören muss, tweepoppige und folkige vielleicht. Wie schön, dass der Blogkollege Eduardo Alonso alias Glue aus Helsinki just heute das angenehm verschwurbelte Duo Minttu & Olli vorstellt, deren sehr handgemachter, durchaus charmanter und unbedingt augenzwinkernder Folkpop zum leisen Mitswingen verführt. Viel an Songmaterial vorzuweisen haben das Girl und der Boy nicht, aber die Stücke, die die zwei aus der finnischen Hauptstadt auf Soundcloud eingestellt haben, kommen beschwingt daher. Da schmeckt die Maibowle doch gleich noch grüner!

Zuckerwatte und Softeis sind unbedingt die Süßspeisen der Wahl, zu denen man zum zweistimmigen Schöngesang dieses Liebespärchens draußen in der Sonne lauschen sollte. Aber keine Angst, kritiklos pastellfarben ist die Welt von Minttu & Olli nicht. Eine ganz leise Melancholie schwingt als Unterströmung mit. Und außerdem haben die beiden großen Spaß an unerwarteten Tempowechseln und absolut nicht rosaroten Titeln für ihre Songs: Wie käme man sonst auf die Idee, einen Song über Schornsteinfeger und schmutzige Jeans zu schreiben: Und so kommt das wunderbar krause »Chimney Sweeper« durchaus doppelbödig auch als Stückchen über die Gefahren des Fallens daher.

18. Mai 2012

Ein Tag für Absurditäten: Barry Andrewsin Disko

Was für ein absurder Tag: Behörden zwingen ihre Mitarbeiter zum Zwangsbrückentag, aus lauter Angst vor den weltreisenden Blockupy-Aktivisten in der Bankenstadt Frankfurt. Die Luxusgeschäfte an der Goethestraße verrammmeln ihre Läden, ziehen die Zugbrücken hoch. Luxushotels in der City wappnen sich. Am Ende des Tages nehmen 5.000 Polizisten vorübergehend 400 friedfertige Demonstranten fest. Hysterie, jetzt oder nie! Zu den schönsten Ironien dieses schwarzen Freitags gehört es, dass Banken ihre Mitarbeiter anweisen, in Freizeitkleidung zur Lohnarbeit zu erscheinen. Ergo: Wer in Bermudashorts und Badelatschen gen Bankentürme strebt, läuft weniger Gefahr, von gefährlichen Chaoten verhauen zu werden. Hallo?

Als Gegengift an diesem Tag, der mit strömendem, ekelig nasskaltem Regen über dem Odenwald endet, wirken die widerborstigen und widerständigen Töne eines jungen Musikers aus der finnischen Hafenstadt Turku mit dem unscheinbaren Namen Jukka Herva. Die auftregendsten Töne sind immer die, sich am wenigsten verorten und einordnen lassen. Was dieser Nerd aus der Provinz anstellt, bleibt unklar, denn die Gewissheiten verabschieden sich wie eindimesionale Freund-Feind-Klischees. Herr Herva, der unter dem sperrigen Künstlernamen Barry Andrewsin Disko unterwegs ist, schlägt Haken zwischen launigem Geschichenerzählen, beunruhigenden elektronischen Schöngeräuschen und einer unbestimmen Sehnsucht nach irgendetwas Unbekanntem, das man direkt spürt, aber nicht benennen kann. Und jodelt. Und hält die pastellfarbene Flagge der Disco-Sounds hoch, überkandidelt. Kontrastriert sie mit Anarchie und Beunruhigung. Wo sonst als bei einem der widerständigsten und empfindsamsten Labels der Welt, nämlich Fonal, soll das Debüt erscheinen? Hoffentlich bald!

13. Mai 2012

Das Feuerwerk ist schuld: Satellite Stories

Einfach übermütig sein, loslegen und Spaß haben: Um nichts anderes geht es den Power-Indiepoppern Satellite Stories, die bei ihrem ersten Frankfurter Auftritt im schlunzigen Ponyhof daherkommen wie ein kleines Rudel unruhiger Jagdhunde, kurz bevor sie von der Leine gelassen werden. Alltagsabenteuer wollen sie erzählen, mit einem Glitzern in den Augen und dezidiert britischen, bissigen Gitarren. Eleanor hat hier ihre Stiefelchen schon angezogen und jammt nach Herzenslust. Dass die großen Brüder The Wombats, Franz Ferdinand und Arctic Monkeys hier nie allzu ferne sind, tut nichts zur Sache, denn diese vier Jungs aus der nordfinnischen Provinzstadt Oulu machen das Einsatz und Begeisterungsfähigkeit mehr als wett. Es geht hier ureigentlich ums Jungsein. Und ums Lebendigsein.

Auch wenn die noch nicht ganz ausgewachsenen wirkenden Vier bisweilen ungelenk daherkommen, so wirkt das unausgesprochen charmant. Die Sache mit den Zwischenansagen müssen sie unbedingt noch üben. Oder dass man den hübschen Mädchen in der ersten Reihe auch mal zulächeln kann. Aber diese Jungs können bereits jetzt schon schön garstig sein, sich über die Schicki-Micki-Kunstszene in Helsinki lustig machen, oder über ungeahnte Gefahren, die auf Kids in der U-Bahn lauern. Das kommt alles frisch daher, gar nicht verkopft, sondern sehr präzise auf den Punkt gegart, und hey! man kann so schön mitsingen, wenn diese vier Jungs, die nicht ganz vorne standen, als der liebe Gott die männliche Schönheit verteilte, einfach so nach Mexiko ausbüxen wollen. Oder eben alles auf das Feuerwerk schieben wollen, wenn die Chose gegen die Wand fährt. Ach, dann holen wir uns eben eine kalte Dusche und schütteln uns so heftig wie Jagdhunde, dass die Tropfen nur so spritzen. Und flitzen weiter, nach Hundeart grinsend.

Aber ach, hinter all dieser unbekümmerten Nonchalance verbirgt sich dann doch wieder die infame finnische männliche Schüchternheit. Die Mädchen in der ersten und auch die in der zweiten und dritten Reihe fordern eine Zugabe. Laut und lange. Die Herren Satellite Stories aber verkriechen sich wie die Kaninchen im Bau und tauchten an diesem Abend auch nicht wieder auf. Schade!

06. Mai 2012

Kings Of Black Metal 2012: Endlich neue Bands auf der Bühne

Tatort: … zu idyllisch für True Black Metal?
Tatverdächtige: True Black Metaller
Tatzeit: Tagesfüllend
Tat-Zeugen: 99,9 % Black (Metaller)

Zum zweiten Mal findet das Kings Of Black Metal-Festival am 21. April 2012 im (zu) beschaulichen oberhessischen Alsfeld statt – man munkelt Watain (genauer: die Reinigungskosten nach deren letzten Auftritt) seien schuld daran, dass die Halle in Gießen fürs KOBM nicht länger zur Verfügung steht.

Wie der gut gefüllte Parkplatz und die Nebenstraßen beweisen, reis(t)en Fans aus Frankreich, Italien (Freunde/Fans von Forgotten Tomb?), sogar aus Wien oder von Sylt an, um die Kings Of Black Metal zu sehen –  nicht nur für mich ein Festival, auf dem ich einige Bands zum ERSTEN MAL live sehe.

Sehr klischeehaft ist das zu 99,9% komplett schwarz angezogene Publikum; ich zähle hier exakt zwei rote T-Shirts und zwei grau-weiß-schwarze Armeehosen.

Die Essener (Mor Dagor) habe ich verpasst, Glorior Belli aus Frankreich sind solala – und dann muss ich dringend was essen. Von den Italienern (Forgotten Tomb) sehe ich nur noch das letzte Lied, klingt ganz ordentlich.

Die dänischen Angantyr finde ich ziemlich gut (noch nie live gesehen), die norwegischen Bömbers (Immortals Abbath kopiert Motörheads Lemmy) sind eine echte Spaßkapelle, ihre Landsleute Tsjuder gut, die finnischen Impaled Nazarene gewohnt brachial, Dark Funeral sind okay – ich stecke nicht tief genug drin, um beim Live-Auftritt einen großen Unterschied zum ehemaligen Line-Up zu erkennen … ich Banause.

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01. Mai 2012

Herr Heine und Frau Hansdóttir

Eigentlich sollten viel mehr Konzerte nachmittags stattfinden. Denkt man sich, Kirschstreuselkuchen mampfend und an einem Glas Weißweinschorle nippend. Und reckt das Gesicht in die Frühlingssonne. »Open Air Bühne am Hafenbecken« nennt sich die Location großartig, dabei sind es die nur acht Quadratmeter auf der Außentreppe des Hafen2 in Offenbach, wo sich sonst immer die Raucher tummeln. Guðrið Hansdóttir macht sich in diesen letzten Apriltagen nichts aus Äußerlichkeiten. Einfühlsam unterstützt von ihrem Gitarristen, wagt sich die Sängerin von den Faröer Inseln daran, ihre warmen, wolkenverhangenen Gegenwelten zu entwerfen, in denen sich Folk, Pop und harsche Windstöße die Hände reichen. Bewusst zurückgenommen, mit souveräner Ruhe erzählt die Sängerin kleine Geschichten, in denen der Himmel immer grau ist, aber die Dinge alles andere als melancholisch oder hoffnungslos sind. Da ist Feuer untern Eis!

Überkandidelte, hektische Alternativgören in teuren Einzelstück-Eso-Klamöttchen rennen vor der Bühne um die Wette, stolz verfolgt von ihren spätgebärenden Müttern und schwitzenden Vätern. Ältere Paare aus dem Viertel halten bei ihrem Nachmittags-Spaziergang überrascht inne und bleiben ein, zwei Songs lang stehen. Klingt doch ganz gut, was es hier umonst und draußen gibt! Selbst die verbissenen Zwangsradler mit ihrem Overkill an teuren Bike-Outfits auf ihrer 200-Kilometer-Tour entlang des Mains legen einen Stopp ein und hören zu. Irgendwann verändert sich ihre Gesichtsfarbe von Purpurrot zu Altrosa.

Frau Hansdóttir lässt sich ihrerseits inspirieren. Vom deutschen Poeten Heinrich Heine, dessen Gedichte sie gleich mehrfach als Grundlage eigener Songs verwendet hat. Aufmüpfig, empfindsam und klug. Da steht sie nun, in ihrem kurzen Blumenkleidchen, und singt Songs vom Ertrinken faröischer Fischer, und im Hintergrund plätschert harmlos der Main und recken sich die neuen und alten Frankfurter Bankentürme in den Himmel. Frau Hánsdottir erzählt die einfachen Geschichten, die alles andere als harmlos sind, von Schatten, von Nebel, von Ungewissheiten. Sie covert The Cure und es geht natürlich um immerwährende Liebe, ironisch natürlich, aber hier klingt es echt. Und fast wünscht man sich, die Sonne möge endlich hinter Wolken verschwinden.