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Foto nordische Landschaft

29. April 2012

Just Another Snake Cult: Herr Schwarzenegger und Herr Bogason

Icelandic Music Export ist weiterhin fleißig um die Verbreitung isländischen Liedguts weltweit bemüht, und beglückt uns in diesen Tagen mit der fünften Auflage von »MADE IN ICELAND«, einer aktuellen Bestandsaufnahme von Populärmusik von der Atlantikinsel. 18 Künstler und Bands also. Einigen schon Bekannteren wie FM Belfast, Sóley oder Retro Stefson. Einigen aufstrebenden Newcomern wie Árstíðir oder Lockerbie. Und einigen hierzulande noch weitgehend unbeschriebenen Blättern wie Just Another Snake Cult oder Samaris. Wer neugierig geworden ist, kann der Compilation auf Soundcloud in Gänze lauschen. Und sich wie immer darüber wundern, wie kreativ die Musiker dieses Landes mit seinen knapp 300.000 Einwohnern sind. Wohlgemerkt: Das entspricht ungefähr der Bevölkerung von Städten wie Mannheim, Bonn oder Münster.

Gefallen unter den Unbekannten hat hier vor allem Just Another Snake Cult, das sich live auf Großgruppengröße aufspreizende Solo-Projekt des Reykjaviker Musikers von Þórir Bogason. Der eben nicht die Elfen-Klischees bedient oder die sphärischen Klänge anschmachtet, sondern sich mit Schmackes der verrückteren Seite des psychedelischen Wundertüten-Pops widmet. Bisweilen herrlich verschwurbelt und verdreht daherkommt. Das klingt bisweilen so, als wollten Mott The Hoople, das Electric Light Orchestra, Cockney Rebel und Brian Wilson gemeinsam kiffen gehen, mit weitem Blick auf die rollenden Wogen des Pazifik. Der Bandname ist stark vom jungen Herrn Schwarzenegger inspiriert und ein wörtliches Zitat aus einem der frühen Conan-Filme. Sagt Herr Bogason. Der sein Soloalbum mit dem schönen Namen »THE DIONYSIAN SEASON« (gefällt!) natürlich, wie es sich gehört, in seinem Wohnzimmer in der isländischen Hauptstadt aufgenommen hat. Seinen Sinn für Skurriles lebt der junge Meister etwa in einer beseelten instrumentalen Ballade namens »Your Orgasms Will Deteriorate« aus. Großes schräges Kino. Chopin klingt weichgespült dagegen!

Auf dem letzten Iceland-Airwaves-Festivak kamen Just Another Snake Cult in Großbesetzung daher und lebten lustvolles Hippietum aus. Neugierig, hingebungsvoll, voller schräger Energie. So wie in ihrem Video zu »I Know She Does«. So soll es sein: Lass uns hotten gehn, Baby!

18. April 2012

Little Talks, plötzlich ganz groß: Of Monsters And Men

Manchmal gibt es sie noch, die Aschenbrödel-Geschichten im strauchelnden Musikgeschäft, und eine davon geht so: Vor anderthalb Jahren stolpert die Polarbloggerin per Zufall beim Iceland Airwaves Festival in Reykjavik in eine Kneipe, weil ein anderer Konzertbeginn sich kurzfristig verschoben hat. Außerdem regnet es. Wie eigentlich dauernd. In einer Ecke eben dieser Kneipe spielt eine putzmuntere Folkpoptruppe vor gerade mal 20 Leuten auf, mit lauter unwiderstehlichen gute-Laune-Stückchen und einigen innigen Americana-Preziosen im Programm. Mit einer Sängerin von ruhiger äußerer und stimmlicher Schönheit und einem Sänger, der aussieht wie ein Metzgergeselle. Of Monsters And Men spielen mit Hingabe, Verve und, hm, großen Gefühlen. Foppen sich ständig gegenseitig und lassen das Publikum an ihrer spielerischen Leichtigkeit teilhaben. Irgendwie wird es einem hier unvermutet ganz warm ums Herz, und man ertappt sich bei einem breiten Lächeln. Schön, unverhofft auf diese Nachwuchsband gestoßen zu sein!

Vor einem halben Jahr freut sich die Polarbloggerin beim Airwaves-Festival darauf, Of Monsters And Men nochmals im kleinen Rahmen zu erleben. Und wundert sich: All die Off-Venue-Konzerte der Band in der Jugendherberge oder im Café sind so knallevoll, dass an ein Hereinkommen nicht zu denken ist. »Was ist denn hier passiert?«, denkt man sich erstaunt. Und findet heraus, dass die Band inzwischen den wichtigsten Nachwuchswettbewerb der Atlantik-Insel gewonnen hat und das scheinbar ein ganzes Land die Großgruppe mit den karierten Hemden ins Herz geschlossen hat. Auf dem Konzert am Abend, im zweitgrößten Saal des neuen Konzerthauses Harpa am Hafen, ist es ebenfalls knallevoll. Punks und Tussen gleichermaßen singen den größten Teil de Songs strahlend und textgenau mit. »Holla!«, denkt man.

Gestern ist die Polarbloggerin auf der schönen deutschen Autobahn unterwegs und zu faul, nach dem Verkehrsfunk gleich eine der zahlreichen CDs einzulegen. Und das ist gut so. Denn nach dem Verkehrsfunk kommt im staatlichen Dudelsender, der hier den Namen SWR3 trägt, folgende professionell muntere Ansage: »Als nächstes hören Sie den aktuellen Hit von Of Monsters And Men, nämlich Little Talks«. Hallo? Was ist denn hier passiert? Denkt man sich mit heruntergeklappter Kinnlade. Die kleinen Isländer zur besten Sendezeit, gleich nach den Stau auf der A5? Und freut sich sehr und singt die nächsten vier Minuten lauthals mit, ebenso wie die Reykjaviker im vergangenen Oktober. Der Song ist tatsächlich ein unverschämt unwiderstehliches Stückchen Folkpop. Und das schicke neue Video zum Song sieht so aus, als sei Aschenbrödel mittlerweile im Ballkleid unterwegs.

13. April 2012

Ach, wenn ich bloß ein Brite wär: The Wha´s

Denke ich an England, denke ich zuerst an die Unfähigkeit der albion´schen Fußbationalmannschaft, beim Elfmeterschießen ins Tor zu treffen. Ich denke an Baked Beans On Toast zum Frühstück. Ich denke an hochtoupierte Tussen, die selbst bei schlimmen Minusgraden strumpflos in ausgelatschten Stöckelschuhen in den Pub zu trippeln. Ich denke aber auch an Jane Austen, Sherlock Holmes, Königin Victoria und Winston Churchill. An Charlotte Bronte und an Virginia Woolf, George Eliot, Charles Dickens und an Scones mit Erdbeeren und Sahne. Und an Mr. Darcy, natürlich!

The Wha´s aus Finnland denken an England und denken: The Clash, The Libertines und The Wombats. Das Quintett aus Helsinki kultiviert den schwitzigen, ehrlichen Workingclasshero-Indierock ohne große intellektuelle Schnörkel, aber mit reichlich Körpereinsatz. Mit einer Prise Sozialkritik am bösen Klassensystem und an der Idiotie des Rassismus, so wie sich das für authentische Gutmenschen gehört. Aber sie tun das mit Verve und Hingabe, mit einem Augenzwinkern und mit hohem Spaßfaktor. Nein, wir müssen das Rad nicht jeden Tag neu erfinden, Hauptsache heftig und mit Herzblut agiert und die alten Tugenden und den aufrechen Gang gepflegt. Sie tragen T-Shirts und Jeans, sind rotzig und trotzig, und wie glaubhaft versichert wird, machen sie bei Konzerten keine Gefangenen. Nein, manchmal braucht man kein hauchzart geschnittens Sandwich, das mit Gurken belegt ist. Man braucht Rühreier mit Speck und ein schäumendes Lagerbier dazu.

05. April 2012

Lieber Bart als Dinosaurier: Antero Lindgren

Die neuesten Untaten des Kapitalismus sprechen sich schnell herum: Ein finnischer Freund macht sich ernsthafte Sorgen um die Zukunft der Berliner Clublandschaft und mailt einen Artikel des britischen Guardian herum, in dem es darum geht, dass Berliner Clubs mittlerweile von der Landesregierung unter Artenschutz gestellt und mit Staatsgeldern unterstützt werden sollen, weil böse Immobilienhaie die Preise auf dem Wohnungsmarkt in vorher nicht gekannte Höhen treiben. Hilfe, die Reputation Berlins als »einer der europäischen Party-Hotspots« ist in Gefahr! Hinzu kommen quengelnde und vor Gericht klagende gentrifizierte Nachbarn, denen es in Szene-Bezirken wie Mitte oder Prenzlauer Berg wegen der vielen Nachtschwärmer zu laut ist. Nun muss man das steigende Preisniveau auf dem Berliner Immobilienmarkt nun nicht besonders toll finden und das Treiben der Heuschrecken dahinter ohnehin nicht. Aber abseits der Hauptstadt, in München, Frankfurt, Hamburg und anderwo, bewegen sich die Mietpreise seit vielen Jahren auf einem beachtlichen Niveau, und die Clubs überleben interessanterweise selbst in überteuerten Ballungsräumen. Größtenteils sogar ohne öffentliche Subventionen!

Denkt man sich nach einem Konzertbesuch im Frankfurter Sinkkasten, der jüngst pleite ging und nun unter neuem Management als Zoom wieder auferstanden ist. Und man hat dort das bislang schlechteste Konzert des Jahres besucht, nämlich einen jungen britischen Herrn, der sich Totally Enormous Extinct Dinosaurs nennt. Herr Nachwuchs-Dinosaurier bedient hektisch seine Regler, stülpt sich albernerweise Indianerkopfschmuck übers Haupthaar und lässt Go-Go-Girls mit Ponpons am Popo hüpfen. Die elektronische Tanzmusik, die dieses spätpubertierende Jüngelchen seinen auf der Bühne aufgestapelten Gerätschaften entlockt, ist überwältigend öde und erschreckend uninspiriert. Wenigstens tut ihm eine Zwölfklässlerin den Gefallen und muss ohnmächtig aus dem Saal getragen werden. Wir ergreifen noch vor der Zugabe die Flucht und setzen darauf, dass die Dinosaurier irgendwann ausgestorben sind.

Zuhause, es ist schon spät, aufatmend die Musik auflegen, die bestens zu aller Schwärze und dem sanft einsetzenden Regen passt. Das Debütalbum des finnischen Musikers Antero Lindgren mit dem schlichten Titel »MOTHER«, der auf eine wunderbar reduzierte Weise die kleinen, klassischen Geschichten vom Verlieren und Manchmal-Wiederfinden erzählt. Der bärtige Barde wandelt ganz bewusst auf den Schattenseiten des urbanen Lebens. Mit Gitarrre, Stimme, sparsamer Instrumentierung. Und von einer geradezu altmodischen Tiefe, abseits aller kurzfristigen Moden. Antero Lindgren ist bärtig und tätowiert, und, den Fotos nach zu urteilen, schon eine Weile unterwegs. Im ebenso reduzierten Video zu »Cigarette Stumps« lässt sich der finnische Seelenverwandte des frühen Bruce Springsteen in geradezu traumwandlerischer Weise durch ein nächtlich desillusioniertes Helsinki treiben. Und die Einsamen bei ihrem Weg nach Hause beobachten, die Schultern trotzig nach oben gezogen. Und letztendlich sind es die unbestreitbare Wärme und Tiefe, mit denen uns Herr Lindgren dann packt. Bei seinem Debüt ist Lindgren übrigens von Jungspunden unterstützt worden, die zumindest in Teilen der elektronischen Tanzmusik zuzuordnen sind, die aber offenkundig verstanden haben, dass ohne Herzblut gar nichts geht: Von Matti Ahopelto und Risto Joensuu (Zebra & Snake, Siinai, Joensuu 1685).

Antero Lindgren – Cigarette Stump from Antero Lindgren on Vimeo.