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Foto nordische Landschaft

29. Januar 2014

Die besten Geschichten sind die ohne Worte: Andre Bratten

Worte behindern die Phantasie nur. Denn die Bilder, die im eigenen Kopf entstehen, wenn man nur den Tönen lauscht, sind vielleicht die aufregendsten. So kommt es nämlich, dass auf dem Eurosonic Festival in Groningen ein Klischee-Nerd (blass, bebrillt, unscheinbar) namens Andre Bratten die Konzertgänger zu sehr später Stunde im Simplon auf eigenwillige, schrullige, aber ungemein tanzbare Abenteuerreisen mitnimmt. Die Nachwuchskraft aus Oslo tischt uns keine schlichten Bum-Bum-Beats auf, sondern entführt uns in unberechenbare Gegenwelten: Eine Mischung aus Geisterbahn, Jules-Verne-Roman, Huckleberry-Finn-Flussfahrt, verrücktem Versuchs-Laboratorium, Slapstick-Comic und romantischer, kosmischer Sinnsuche. Uff! könnte man jetzt denken und sich entsetzt von dannen wenden, aber das luftige »Aegis« ist ein Klangabenteuer in Kleinformat. Eigentlich wollte man nur zehn Minuten bleiben und dann in eine andere Location weiterziehen, um alternativen Verlockungen nachzugeben. Unmöglich! Man bleibt, ein leises Lächeln schleicht sich ins Gesicht und man ertappt sich dabei, die Umstehenden freundlichst anzugrinsen. Und das alles, ohne dass auch nur ein einziges Wort gesprochen wird!
Das Bratten-Debütalbum »BE A MAN YOU ANT« ist im vergangenen Jahr beim Full Pupp herausgekommen, dem Label von Prins Thomas. Sollte man wohl mal genauer reinhören.

Und bleiben wir doch gleich bei den Elektronikpopstern: Postiljonen aus Schweden sind elegante Luftikusse, die hörbar weniger experimentell daherkommen als der norwegische Kollege und auf Worte nicht verzichten wollen. Das Trio präsentiert sich in der Minerva Art Academy (was es in Groningen nicht so alles gibt!) als luftige Traumtänzer, die demonstrieren, das ein Quäntchen Übermut nie schaden kann. Sängerin Mia Bøe hat sich reichlich Glitzer-Makeup unter die Augen gemalt, wie um schon optisch zu beweisen, dass das Trio knietief in 80er-Synthiewelten watet. Es dauert eine ganze Weile, bis man begreift, dass diese Drei keineswegs hochglänzende Schönmenschen sind, sondern Musiker, denen das intelligente Sich-Treiben-Lassen , das sanfte Versponnensein und das repektvolle Zitieren am Herzen liegen: So haben sie an diesem Abend ausgerechnet ein Whitney-Houston-Cover im Gepäck! Und es dauert vielleicht noch drei Minuten länger, bis man bei Tracks wie dem unterkühlt vergnügten »We We Raise Our Hearts« versteht, dass sich hinter der vordergründigen Fröhlichkeit eine sanfte Melancholie verbirgt. Und eine wache Popsensibiltät sowieso! Und dann steigen die Synthiefanfaren wie ein Feuerwerk am Nachthimmel auf und entladen sich, nochmal uff, in fein zurückgenommener Zärtlichkeit. Klingt kitschig, ist aber so! Das Debüt »SKYER« ist im vergangenen Jahr erschienen und die Blogkollegen von Allscandinavian haben es gar zu ihrem Album des Jahres gekürt. Via Soundcloud kann man dem Werk zur Gänze lauschen.

We Raise Our Hearts from Postiljonen on Vimeo.

(Foto: Tonje Thiesen).

23. Januar 2014

Musiker und Geeks, das neue Traumteam: Eurosonic 2014

Angesichts verschwimmender Machtverhältnisse im Musikgeschäft entstehen mitunter die merkwürdigsten Allianzen. Auf dem Eurosonic-Festivals im niederländischen Groningen gibt es einen anregenden Konferenzteil, wo unter anderem neueste technischen Trends disktutiert werden. Und was wurde nicht über das »Internet der Dinge« schwadroniert: alle Geräte miteinander verbinden und warum das für mich gut ist, wenn mein Kühlschrank mit mir kommuniziert: Der körnige Frischkäse droht auszugehen, Katastrophe! »Hardware ist die neue Software«, aha. Aber viel mehr interessiert doch, dass Geeks und Musiker eine unerwartete Allianz eingehen. Da ist der putzmuntere Brite von Strange Thoughts, die Werber, Wissenschaftler und Musikbusiness zusammenbringen und etwas erschaffen wollen, was sie »partizipierende Robotertechnik« nennen. »Es gibt viele coole Ideen, um neueste Technologie und Kampagnen für die Musikbranche zusammenzubringen«, sprudelt Ober-Geek Seth Jackson. Der sich etwa vorstellen kann, dass man über kombinierte Gehirnströme von Fans eine Plattform in die Höhe bewegen kann, auf der sich etwa Lady Gaga befindet. Die fände das sicher hip, aber tun wir das auch? Oder da ist Hilke Ros von den belgischen Dreampopstern Amatorski, die für ihr interaktives Musikprojekt Deleting Borders mit den Genter Nerds von We Work We Play zusammengearbeitet haben, um die Grenzen zwischen Musikern und Fans verschwimmen zu lassen. Die Geeks entwickelten ein Online-Tool, mit dessen Hilfe die Fans einen Amatorski-Track nach eigenem Gusto umgestalten können, ihre eigenen Fotos verwenden und das Ganze auch noch weltweit teilen. Hört sich kompliziert an, ist es aber nicht: einfach ausprobieren und herumspielen! In einer Welt, in der Aufmerksamkeit die wichtigste Währung ist, sind solche Tech-Tools ein Mittel, um sich aus der Menge hervorzuheben.

Deleting Borders from We Work We Play on Vimeo.

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12. Januar 2014

Kites and Komets: Organischer Elektropop?!

Hat dieser bärtige dänische Herr zu lange über die Grenze in Richtung Deutschland geguckt oder sind die Vokabeln »organisch« oder »nachhaltig« bei unseren nördlichen Nachbarn ebenso Allgemeingut wie bei uns? Sei´s drum: Mikael Kærsgaard, normalerweise bei den Schlaupopstern Munich aktiv, beschreibt sein Soloprojekt Kites and Komets als »organischen Elektropop«. Darunter kann sich nun jeder etwas anderes vorstellen, aber dass es sich hier nicht um aggressive Hau-Drauf-Mucke handelt, versteht sich von selbst. Dabei hat es Herr Kærsgaard gar nicht nötig, sich hinter solch wolkigen Attributen zu verstecken. Denn der blasse Dandy zelebriert hier schön überkandidelte, hochromantische und melodieverliebte Sahnestückchen, die überaus discotauglich sind. Vor allem in den späteren Abendstunden, wenn man nach dem fünften Glas Schampus leicht gefühlsduselig wird! Ein dezidiert unnostalgischer Rückblick in die plüschigen Hochzeiten des Glitzerkugel-Zeitalters also, das im neumodischen Elektronika-Outfit daherkommt und die Kunst der Übertreibung nicht bis ins Gigantomanische steigert. Der Track »When Love Turns To Me« ist zwar schon ein bisschen älter, kommt aber immer noch schön dekadent daher. Der tragische Held trägt hier schwarz. Was sonst?

“When Love Turns To Me” – VEGA. from Kites and Komets on Vimeo.

Kites and Komets werkelt derzeit eifrig an neuem Material. In Albumform hat Kærsgaard, so weit ich das überblicke, nur eine EP vorgelegt, aber das kann ja noch werden. Im Träumen spielt der gute Mann zumindest schon in der ersten Liga! Und dass er nicht immer nur bleich und verdüstert daherkommt, zeigt er in dem fröhlichen, frischverliebten Sommerstückchen »Summer In Your Eyes«, in dem die Sonne strahlend scheint und sogar glückliche Glockenspielklänge zu hören sind. Geht doch! Man muss sich doch nicht immer nur die Nächte auf der Tanzpiste verbringen und Leute anhimmeln, die sowieso nichts von uns wissen wollen!

10. Januar 2014

Rückblick 2013: »Deep shadows and brilliant highlights«


Meine persönlichen Tiefpunkte »Deep Shadows« und die Höhepunkte: »Brilliant Highlights« im Jahre 2013:

ALBEN

Höhepunkte:
siehe meine Charts 2013

Tiefpunkte:
Witchgrave – »WITCHGRAVE«
Screamer
– »PHOENIX«
NiteRain – »CROSSFIRE«
One Inch Giant – »THE GREAT WHITE BEYOND«
Aratic – »TO THE EARLY GRAVE«
Skirmish – »JET BLACK DAYS«
Amorphis – »CIRCLE«
Battle Beast – »BATTLE BEAST«

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08. Januar 2014

Línt, oder postrockige Filmmusik aus Bergen

Bergen, immer wieder Bergen! In der norwegischen Hafenstadt scheinen die musikalischen Talente fast so zu wuchern wie Löwenzahn im Frühlingsregen. Statt der fröhlichen Popster Kakkmaddfakka oder der Innerlichkeits-Heroen Kings Of Convenience sind es dieses Mal Postrocker mit Filmsoundtrack-Qualitäten. Línt heißen die fünf Jungspunde, die unerschrocken zu großer Geste ausholen. Das selbst betitelte Debütalbum ist im vergangenen Sommer beim renommierten Bergener Label Klangkollektivet erschienen. Línt nehmen sich in postrockiger Tradition alle Zeit der Welt, um klangmalerisch Stimmungen zu schaffen, die irgendwo zwischen Emo-Empfindsamkeit, romantischer Verträumtheit und handfestem Rock changieren. Gesungen wird auch, in Falsett-Tönen. Lautmalerisch, ohne Worte. Mit sich fein aufbauenden Spannungsbögen. Línt spielen den Soundtrack für ausuferndes, vielleicht sogar zielloses Unterwegssein ein. In dem sehr feinen Video zum Track »Perfect Motion Picture« (aha! Filmreferenz!) spielt die legendäre Bahnstrecke zwischen Bergen und Oslo, die Bergen Bahn, eine wichtige Rolle.

Línt – Perfect Motion Picture from Klangkollektivet on Vimeo.

Línt sind sogar in Norwegen selbst noch recht unbeschriebene Blätter, aber die junge Band hat zumindest so viel Aufmerksamkeit erregt, dass sie sich im Februar beim by:Larm-Festival in Oslo erstmals auch einm internationalen Publikum vorstellen darf. Von der Musik des Quartetts kann man sich zu späterer Abendstunde mittels lärmgitarriger Ausbrüche auf sehr raffinierte Weise in durchaus leidenschaftliche Gefühlswelten entführen lassen. Aber sorgsam so! Die Vocals erinnern mitunter an Sigur Rós, aber hey! das ist nicht die schlechteste Referenz. Die Fünf inszensieren sich zwischendurch als eigenwillige Künstler, die sich von Nebelschwaden ernähren. Denn dass in »I Eat Fog« Kinderspielzeug-Sounds mit Gitarrenklängen kombiniert werden, die mitunter fast wie Trompeten klingen, erzeugt eine sehr jenseitige Atmosphäre. Wobei von wolkenhafter Verhuschtheit keine Rede sein kann: Línt kommen hier kraftvoll selbstbewusst daher! Via Soundcloud kann man der Debüt-EP übrigens zur Gänze lauschen.

Foto: Kristoffer Øen

 
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