Von HENRYK M. BRODER
Normalerweise träume ich nicht von Autos. Wenn ich träume, dann meistens vom Essen. Ich sitze in einem Café, vor mir liegt eine 100 Seiten dicke Speisekarte. Ich blättere ewig hin und her, schließlich bestelle ich einen Strammen Max oder einen Tomaten-Mozzarella-Salat. Oder ich bestelle nichts, weil ich mich nicht entscheiden kann. Ich vermute, der Traum symbolisiert die Mühen des Lebens in der Überflussgesellschaft.
Neulich aber nahm der Traum eine ganz andere Richtung. Ich saß in einem ICE nach Frankfurt/M. auf dem Weg zur IAA, um dort an einer Diskussion über die Frage „Sind weniger Autos wirklich besser als mehr Autos oder ist es umgekehrt?“ teilzunehmen. Ich döste entspannt vor mich hin, bis mich jemand fragte: „Entschuldigen Sie bitte, ist der Platz neben Ihnen noch frei?“
Ein gut gekleideter Herr mittleren Alters mit einem mächtigen Schnauzbart und einer sehr hohen, glänzenden Stirn. Und bevor ich noch „Ja, bitte“ sagen konnte, hatte er sich schon hingesetzt. Ich traute meinen Augen nicht. Neben mir saß Dieter Zetsche, der Chef von Daimler! In meiner Verlegenheit fiel mir nichts ein als die blödeste aller Floskeln. „Fahren Sie auch zur IAA?“ – „Ja“, sagte Zetsche und bot mir das Du an. „Ich heiße Dieter.“ Ich stammelte: „Und was gibt es so Neues in Deiner Firma?“
„Vieles“, sagte Dieter. „Wir arbeiten zur Zeit an einem Auto, das sich Deine Gewohnheiten merken kann. Deinen Arbeitsweg, Deinen Fahrstil, Deine Termine und Deinen Musikgeschmack.“ „Ist ja irre“, sagte ich, „heißt das, wenn ich in das Auto steige, spielt das Radio automatisch den Radetzkymarsch?“ – „Nicht das Radio, der Bordcomputer. Er erkennt, in welcher Stimmung Du bist. Und dann spielt er den ‚Radetzky-Marsch’ oder was anderes, ‚Am Ufer der Moldau’ zum Beispiel. Oder ‚I Am The Walrus’ von den Beatles.“
„Aber woher weiß der Computer das?“ – „Das bleibt unser Geheimnis“, sagte Dieter, „wir hüten es wie Coca-Cola sein Rezept“. Ich musste nachfragen. „Und kann sich der Computer auch meine Lieblingsraststätte an der A9 merken, wo es die besten Croissants gibt?“ – „So etwas überlassen wir Toyota“, sagte Dieter, „wir sind schon weiter. Der Bordcomputer misst Deinen Blutdruck und Pulsschlag und stellt außer der passenden Musik auch das Licht, die Temperatur und den Duft im Wageninneren entsprechend ein“.
Toll. Als Hypochonder, der dreimal täglich seine Temperatur misst, habe ich mir schon immer ein Auto mit einem eingebauten Fieberthermometer gewünscht.
Da ging ein Ruck durch den Zug und aus dem Lautsprecher kam die Durchsage, es gebe einen „außerplanmäßigen Halt“ von wenigen Minuten Ich wachte aus dem Halbschlaf auf. Der Platz neben mir war leer. Da lag nur eine „FAZ“ mit einem Vorbericht zur IAA. „Daimler-Chef will Autogeschäft mit weitreichendem Zugriff auf persönliche Daten der Nutzer ausbauen.“