Man mag vom vom heute Abend mal wieder verliehen Echo Klassik was auch immer halten, aber einen Preis für die beste Solointerpretation vokal, der an die Sopranistin Christiane Karg geht (für ihre CD „Scene!), ist immer ein guter Preis. „Ich habe meine Solo-CDs alle selbst verantwortet, produziert, geschnitten und das Cover bestimmt. Und das war auch gut so.“ Natürlich klingt das ein wenig kokett. Aber wenn man das sängerische Niveau von Christiane Karg erreicht hat, dann darf das auch so sein.
Staatsballett Berlin: Gepöbel und Duatos dürftiger „Nussknacker“
Das letzte Mal dürfte in einer Ballettpremiere vor dem Ende vermutlich Anno 1913 vor herumgepöbelt worden sein – bei der als inszenierte Saalschlacht legendär chaotischen Uraufführung von Strawinskys „Le Sacre du Printemps“ in Paris. Jetzt wiederholte es sich in Berlin, und der dortige, nicht gerade durch sein Kunstwollen aufgefallene Staatsballettchef Nacho Duato, darf sich durchaus als der Auslöser verstehen. War er es doch, der noch bevor sich der Vorhang über seinem aus St. Petersburg und Mailand importierten „Nussknacker“ hob, an die Rampe trat, um scheinheilig den Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, zu begrüßen. Wohl wissend, was sich daraufhin für ein Pfeif- und Buhkonzert im Saal erheben würde gegen den, der angeblich das Staatsballett zerstörten will – durch die Personalie Sasha Waltz als neuer Co-Direktorin ab 2019. Gegen ihre Berufung haben bei einer Internetpetition inzwischen 18.000 Personen unterschrieben.
Elena Bashkirovas wunderfeines Jerusalem Chamber Music Festival im 19. Jahr
Kann ein Festival ein Baby sein? Bei Elena Bashkirova muss man eigentlich keine Angst vor psychologisch zweifelhaften Übersprunghaltungen haben. Die russische Pianistin hat zwei wohlgeratene Söhne (Michael und David Barenboim), nicht unbedingt zu erwarten, bei deren Übervater. Eben ist sie auch zum zweiten Mal Großmutter geworden; was man dieser so reserviert, doch schnell fröhlich blühenden Person mit keiner Zelle ansieht. Und irgendwie abgedreht ist sie trotz strengem Klavierprofessorvater und ständigem Kontakt mit den Klassikgrößen der Welt so gar nicht geworden. Davor schützte sie wohl schon ihre eigene, auf feine Art funkelnden Pianistinnenbegabung.
CD: Bei Franco Fagioli müssen Rossini-Mezzos aufpassen
Ihm macht gegenwärtig in Fragen der Technik wie der Höhe kaum eine(r) was vor: Franco Fagioli, Argentinier mit italienischen wie spanischen Wurzeln, gehört zu den gefragtesten Countertenören überhaupt. Zunächst studierte er Klavier. Nach einem ruhig angelaufenen Karrierebeginn hat er sich über Basel, Zürich, Karlsruhe, Wien, Nancy an die allerersten Bühnen vorgearbeitet. Er singt am Royal Opera House ebenso wie an der Opéra de Paris und beim Festival von Aix-en-Provence. Nach diversen CDs steht er gegenwärtig bei der Deutschen Grammophon unter Vertrag, wo nach Glucks „Orfeo ed Euridice“ eben seine erste Solo-Scheibe mit Rossini-Arien erschienen ist.
Der Phasenverschieber: Steve Reich wird 80
Klein und doch groß, das ist Steve Reich, der heute achtzig Jahre alt wird. Klein nur stilistisch: Er war der erste nicht unter den Minimalisten, der einzigen zeitgenössischen Komponistengruppe aus Amerika, die nach dem zweiten Weltkrieg der schnell sehr selbstgefällig gewordenen, sich elitär, mitunter auch engstirnig abschottenden europäischen Tonsetzer-Avantgarde unbequem auf den doktrinären Pelz zu rücken vermochte. Das waren Terry Riley und La Monte Young. Aber Steve Reich ist ihr besonders raffinierter, cooler, eleganter, ja sogar hipper Vertreter geblieben. Einer, der es in die Welt des Pop wie der Neuen Musik, den beiden sich nach wie vor hierzulande eher naserümpfend beschnüffelnden Lagern, geschafft hat. Eine lässige Ikone mit Basecap und durchaus auch politischer Aussage, aber nie ein Purist, sondern einer der es immer vermochte, seine Musik echtes Leben einzuhauchen.
Schon wieder US-Orchesterkrise: die Musiker in Philadelphia und Pittsburgh streiken
Es geht wieder los. Nachdem das nicht so bedeutende Fort Worth Symphony Orchestra vor drei Wochen zu streiken begonnen hat, haben nur auch die Musiker von zwei der wichtigsten US-Orchester die Arbeit niedergelegt – die des Philadelphia Orchestra und die des Pittsburgh Symphony Orchestra. In Pittsburgh sogar hochsymbolisch am Tag der Eröffnungsgala, kurz vor dem Konzert, das normalerweise auch ein großes Spendensammelevent ist. So wurde freilich nicht nur die Öffentlichkeit brüskiert, sondern auch die Geldgeber, in Amerika besonders wichtig, da man sich mehrheitlich aus Kartenverkauf und privaten Zuwendungen finanziert. In Philadelphia fiel die Entscheidung so spät, dass die meisten Besucher schon aufgehübscht, zum Teil nach mehrstündiger Fahrt vor der Konzerthalle standen. Sie mussten unverrichteter Dinge wieder abziehen, nur die ganz großen Geldgeber durften ihr Galaessen abhalten, das allerdings ziemlich unfroh ausgefallen sein dürfte.
Berliner Philharmoniker: Petrenko unterschreibt, Andrea Zietzschmann wird Intendantin!
Hurra! Es tut sich nach fast einem Jahr des Stillschweigens und Konzert-Business-as-usual wieder was bei den Berliner Philharmonikern. Im Juni 2015 wurde Kirill Petrenko zum neuen Chefdirigenten gewählt, beruflich vor dem Orchester stand er seither (noch) nicht, das folgt – zum erst vierten Mal überhaupt! – ab dem 22. März mit Werken von Mozart, dem gegenwärtigen Composer-in-Residence John Adams und Tschaikowsky. Vorher wird er aber am 6. Oktober um halb drei Uhr nachmittags seinen Vertrag endlich unterschreiben. Das ist offiziell. Exklusiv zu lesen ist aber hier, dass wohl noch eine weitere Unterschrift geleistet werden wird: die der neue Intendantin. Es ist Andrea Zietzschmann.
Bamberger Symphoniker: Mit 70 einen Neuen
Sie sind ein großes deutsches Traditionsorchester, obwohl sie erst 70 Jahre alt sind. Der Geburtstag wurde kürzlich große sogar mit Bundespräsident Joachim Gauck zu Hause, in der Philharmonie an der Regnitz gefeiert. Denn eigentlich ist dieser wunderbare Klangkörper älter. Er ging 1946 aus in Oberfranken gestrandeten Mitglieder der Deutschen Philharmonie Prag hervor. Die ihren böhmischen Klang bewahren wollten. Am 20. März 1946 gaben die damals noch „Bamberger Tonkünstlerorchester“ genannten Bamberger Symphoniker ihr erstes Konzert. Die Folge: Die Entwicklung zum Weltklasse-Ensemble. Die Symphoniker gelten schnell als musikalische Botschafter Deutschlands – Auftritte waren oft verbunden mit Auslandsbesuchen von Bundespräsidenten. Man war und ist in Franken beheimatet und in der Welt zu Hause.
Musikfest Berlin 2016: Es leben die Vielfalt!
37.000 Besucher (nicht nur zahlende) können nicht irren. Das Musikfest Berlin war wieder ein voller Erfolg. Wie natürlich immer, glaubt man der bewährten Pressestellenprosa. Im elften Jahr von Winrich Hopp verantwortet, hatte es diesmal glücklicherweise kein Motto, sondern feierte nur nebulös die „Ausnahmewerke“ – was immer auch ein Opus als solches auszeichnet. Nur fünf große Gastorchester waren diesmal dabei, darunter gleich alle drei wichtigen Orchester aus München, Philharmoniker, Staatsorchester, BR-Sinfoniker im wohlfeilen Vergleich. In Sachen Mut punktete der Bayerische Rundfunk am stärksten, aber Kunststück, da konnte Hopp mit dem wild losschlagenden Ballettjugendwerk „Tutuguri“ von Wolfgang Rihm sich selbst einen Gefallen tun, denn dort programmiert er ja auch die Musica Viva-Reihe…und ein Rihm-freies Musikfest Berlin kann und darf selbstredend nicht sein.
Berliner Staatsballett: Die Krise brodelt weiter
Irgendwie sieht Krisenmanagement anders aus. Und wenn Sasha Waltz und Johannes Öhman, die designierten Leiter des Berliner Staatballetts ab 2019, so der Wille des wohlmöglich Nur-Noch-Kulturstaatssekretärs Tim Renner, jetzt schon so ins Schleudern geraten, wie wollen sie dann eigentlich die mit 90 Tänzern größte und an gleich drei verschiedenen Häusern beheimatete Klassikkompanie Deutschlands führen? Wir halten fest: Die Tänzer wurden vor bald zwei Wochen als letzte informiert, das neue Führungsduo hielt es offenbar auch nicht für nötig, persönlich bei der Kompanie vorbeizuschauen. Die Medien, vor allem die lokalen, zeigten sich geteilter vorwiegend abwartend positiver Meinung. So wie man mehrheitlich auch brav bei der Berufung von Nacho Duato vor vier Jahren stillgehalten hat. Auch deshalb, weil größtenteils die Kompetenz fehlt. Und weil hier anfangs alle gern kuscheln wollen. Man kommt selten heraus aus dem Berliner Mustopf, und interessiert sich vornehmlich für Zeitgenössisches. Klassisches Ballett ist für die meisten Berliner Kritikerinnen ungeliebtes, auch unbekanntes Terrain.