Stunde der Sieger

Vom 15.10.2016

Der diesjährige Gewinner des BILANZ-Gründerwettbewerbs ist Artiminds. Das junge Unternehmen bringt Industrie-Robotern das selbständige Arbeiten bei.

Die Köpfe hinter Artiminds (v.l.): Simon Fischer, Gerhard Dirschl, Rainer Jäkel, Sven Schmidt-Rohr. (Foto: Evelyn Dragan)

Die Köpfe hinter Artiminds (v.l.): Simon Fischer, Gerhard Dirschl, Rainer Jäkel, Sven Schmidt-Rohr. (Foto: Evelyn Dragan)

 

Hier im sogenannten Technologiepark in Karlsruhe ist die Kleiderordnung wie überall an solchen Orten, nämlich grundsätzlich zwanglos und gegen-, um nicht zu sagen anti-hierarchisch: Im Sommer trägt die Tech-Elite gern mal kurze Hosen, immer aber Steve-Jobs-Gedächtnis-T-Shirts und Sneakers. Man schleicht, man schlurft, man gibt sich lässig und leger, und zwar betont.

Der bunte Hund in dieser uniformen Szene ist Sven Schmidt-Rohr (34). Er trägt ein ordentlich gebügeltes Oberhemd zur schwarzen Stoffhose. „Wir sind kein überdrehtes Berliner Start-up”, stellt er sachlich klar: „Wir sind Karlsruher Ingenieure! Und die sind ein bisschen hölzern.”

Etwas hölzern öffnet er die Tür zu seiner Firma, steuert forschen Schritts und in strammer Haltung auf zwei abgedunkelte Räume zu, in denen junge Männer vor ihren Rechnern sitzen, ebenfalls in weißen Hemden, mit Firmenzeichen auf Kragen und Brusttasche: „Unsere Roboter-Labore”.

Schmidt-Rohr geht weiter. Ein ernster junger Mann. Der Sitzungsraum ist schlicht, ein Ort der Schnörkellosigkeit und Strenge. Schmidt-Rohr, der ernste junge Mann und bunte Hund des Technologieparks, wird noch ernster. Ein Informatiker bis auf die Knochen.

Die Artiminds Robotics GmbH

Gründer: Simon Fischer, Gerhard Dirschl, Rainer Jäkel, Sven Schmidt-Rohr

Firmensitz: Karlsruhe

Produkt: „Robot Programming Suite”, eine Anwendung für Industrie-Roboter

Mitarbeiter: 15

Kunden und Partner: Kuka, Universal Robots, Denso, Aritex Cading

Aber einer aus der allerersten Garnitur seiner Zunft: Gemeinsam mit drei Studienkollegen hat er 2013 die Artiminds Robotics GmbH gegründet, die eine Software entwickelt hat, mit der sich Roboter auf kinderleichte Weise und deshalb schneller und preiswerter programmieren lassen.

Fünf der zehn größten deutschen Industrieunternehmen nutzen bereits die Programme aus Karlsruhe, die den Umgang mit Robotern nicht nur erheblich erleichtern, sondern zudem in einem Markt zu Geltung und Anwendung kommen, der zu den wachstumsstärksten der Welt gehört.

Überzeugt von Produkt und Geschäftsmodell ist auch die Jury des BILANZ-Gründerwettbewerbs „Start me up!”: Sie hat Artiminds zum Sieger dieses höchstdotierten Wettstreits seiner Art in Deutschland erklärt. „Das hier ist mein Kindheitstraum”, sagt Sven Schmidt-Rohr.

Im Verein mit Rainer Jäkel (33), Gerhard Dirschl (38) und Simon Fischer (35) hat er die sogenannte „Robot Programming Suite” entwickelt, die in der Szene mit großem Beifall aufgenommen wurde.

2013 nahm Artiminds den „Georges Giralt PhD Award” für Robotik entgegen, 2015 kürten Experten aus dem Silicon Valley die Karlsruher Gründung zum besten Start-up Europas, in diesem Jahr erhielt das Quartett den „Focus Digital Star Award”.

Die Grundidee für ihre Entwicklung haben die Studienfreunde sich von computergestützten Animationen in Filmen abgeschaut: Um im Trickfilm möglichst wirklichkeitsnahe Bewegungen zeigen zu können, zeichnet Hollywood zuvor die Bewegungsmuster echter Schauspieler auf. Auch Robotern kann auf diese Weise Leben eingehaucht werden.

Überzeugt hat die „Start me up!”- Jury vor allem, dass die Artiminds-Software auch mit unerwarteten Zwischenfällen fertig wird. „Ein zentrales Thema für die Industrie”, sagt der Jury-Vorsitzende, Andreas von Bechtolsheim.

Denn bislang verschrauben, schweißen, lackieren Industrie-Roboter Autos, setzen Computer zusammen, sie verpacken, verladen, kontrollieren – aber nur, solange die Abläufe millimetergenau eingehalten werden. Bei der geringsten Ungenauigkeit stehen alle Greifarme still.

Die Artiminds-Programme sensibilisieren die Sensoren an den Robotern für Abweichungen, etwa wenn ein Bauteil verrutscht ist oder wenn ein Mensch dem Roboter ins Gehege kommt. Weil die Roboter automatisch ausweichen oder anhalten, können Mensch und Maschine gemeinsam an den gleichen Werkstücken arbeiten.

Bilanz_Artiminds_Low-6_Evelyn Dragan

Der Industrie-Roboter setzt mithilfe der Software von Artiminds einen Rechner zusammen. (Foto: Evelyn Dragan)
Der Industrie-Roboter (oben in der näheren Ansicht) setzt mithilfe der Software von Artiminds einen Rechner zusammen. (Fotos: Evelyn Dragan)

Was früher nicht ganz ungefährlich war: Roboter wurden deshalb meist von Menschen isoliert oder sogar in Käfigen eingesetzt, damit nichts passiert. Am 13. August 2013 ließ Schmidt-Rohr die Artiminds Robotics GmbH ins Handelsregister eintragen. 15 Mitarbeiter beschäftigt die Firma heute, die Gründer eingeschlossen – Informatiker, Maschinenbauer, Wirtschaftsingenieure.

Der Name „Artiminds”? „Die Idee ist, den Roboter mit künstlichem Hirn auszustatten. Daher kommt der Name”, sagt Schmidt-Rohr. Künstlicher Geist also. Schmidt-Rohr ist sozusagen Sprecher der Geschäftsführung, Simon Fischer leitet den Vertrieb, und Rainer Jäkel und Gerhard Dirschl steuern die Technik.

„Die wichtigen Entscheidungen werden aber gemeinsam gefällt”, sagt Schmidt-Rohr. Dass er die Führungsrolle innehat, habe „sich so ergeben”. Die Kollegen seien nicht so extrovertiert wie er, ähem. Schon als Kind hat Schmidt-Rohr Roboter gebaut, aus Legosteinen.

Es folgte die Nerd-Karriere: Programmierung von Computerspielen und Studium. Am Karlsruher Institut für Technologie, am Lehrstuhl für Robotik und Anthropomatik, jener Wissenschaft, die menschgerechte Systeme mit Mitteln der Informatik erforscht und entwickelt.

An der Uni lernte er seine späteren Kompagnons kennen. Gemeinsam  schrieben sie Programme, mit deren Hilfe Roboter einfache Bewegungen ausführen konnten: Kaffeekanne bringen, Tasse greifen, Kaffee einschenken. „Das hat riesigen Spaß gemacht.”

Bald träumten sie davon, eine eigene Firma zu haben, deren Produkte den Umgang mit Robotern erleichtern sollten. Das war vor zehn Jahren. Schmidt-Rohr geht nach nebenan, ins Labor. Dort sitzt Mitgründer Rainer Jäkel an einem Rechner.

Jäkel war es, der 2013 beim Verfassen seiner Doktorarbeit auf die Software-Idee gekommen war. Ihr Clou: Statt mühsam und zeitaufwendig ein Programm zu schreiben, kann derjenige, der einen Roboter einrichten will, dies dadurch tun, indem er die Greifarme einer Maschine einfach selbst in die Hand nimmt und mit ihnen jene Bewegungen vollführt, die sie später alleine nachvollziehen soll.

Fühler registrieren dabei jede Lageveränderung und rechnen sie in Arbeitsbefehle um; ein Kraft-Momenten-Sensor misst den Druck, den der Roboterarm zum Greifen benötigt, eine 3-D-Kamera nimmt die Bewegungen auf. Das Artiminds-Programm speicherte alle Informationen. Mit Jäkels Software bringen es Roboter zu menschlicher Geschicklichkeit.

Jäkel zeigt auf einen Industrie-Roboter, den er soeben mit Daten aus seiner Anwendung gefüttert hat: Der Roboterarm greift sich einen Gummistopfen, wie sie in der Autoindustrie zur Verbindung von Karosserieteilen benutzt werden. Der Arm schnellt in Richtung einer Metallplatte mit mehreren Löchern.

Der Roboter weiß, in welches Loch der Stopfen gehört. Aber was ist, wenn die Platte ein Stück verrutscht? Kommt leider vor.  Aber Jäkels Maschine weiß weiter, die Softwär wechselt die Taktik. Der Automat geht zu kreisenden Bewegungen über. Er sucht, tastet um sich, ein Sensor macht die Öffnung ausfindig: „Das ist die Intelligenz, die wir wollen.”

Alles hier trägt Jäkels persönliche Handschrift. Jäkel steckt in der Maschine, es sind seine Bewegungen, die sie nachahmt. Die Kunden wie der Roboterhersteller Kuka können aus einer gewaltigen Bibliothek von Roboter-Bewegungen ihr eigenes Programm zusammenstellen – ohne die Arbeitsschritte erst eingeben zu müssen. Das Programmieren würde dadurch „bis zu 100-mal schneller”, sagt Sven Schmidt-Rohr.

Und günstiger auch: Eine komplette Roboteranlage verschlingt heute inklusive Programmierung schnell 100.000 Euro. Mit der Artiminds-Technik kann der finanzielle Aufwand um 80 Prozent gesenkt werden. Die Anschaffung lohnt sich: Das Programm der Karlsruher kostet 4.000 Euro, wobei der Preis allerdings steigen kann mit dem Umfang der Aufgaben, die der Roboter erfüllt.

Der Chef bittet mit ernster Miene zurück ins Besprechungszimmer. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Geldbeschaffung – keine einfache Sache, das. „Viele denken,  ein junges Start-up bekommt das Geld hinterhergeworfen. Aber es stimmt nicht.”

Er tingelte durchs Land, präsentierte die Geschäftsidee und stieß allenthalben auf Interesse, aber nicht überall auf Geldquellen. Immerhin, das Bundeswirtschaftsministerium unterstützte Artiminds mit einem Gründerstipendium im Wert von 100.000 Euro.

Die Mittelständische Beteiligungsgesellschaft Baden-Württemberg und die Karlsruher Gesellschaft für Beratungen und Beteiligungen – beide Anstalten vermitteln Risikokapital mit staatlicher Hilfe – stiegen sogar mit einer stillen Beteiligung bei Artiminds ein. Rechnet man ihre eigenen Ersparnisse hinzu, hatten die Firmengründer schließlich fast eine Million Euro zusammen.

Roboter-Hersteller wie Kuka, Universal Robots und Denso haben den Gründern Roboter zur Verfügung gestellt und ihre eigenen Spezialisten nach Karlsruhe geschickt, um sich mit den Artiminds-Leuten auszutauschen. Im Gegenzug entwickelte Artiminds maßgeschneiderte Programme für die Roboter der Hersteller.

Damit hatten die Gründer ihre ersten Kunden. Weitere folgten, als sie auf Messen fuhren und dort Roboter greifen, klipsen und schrauben ließen. Aritex Cading etwa, Hersteller von Fertigungsstraßen und Produktionsanlagen für EADS, Airbus, Bombardier, VW oder Mercedes-Benz. Inzwischen liefere man schon in andere europäische Länder und sogar nach China, sagt Schmidt-Rohr.

Noch sind die Erlöse bescheiden, aber die Wachstumsraten groß. Hatten die Karlsruher im vergangenen Jahr nur 150.000 Euro umgesetzt, sollen sich die Einnahmen heuer mindestens verfünffachen. Für 2017 peilen sie
2,5 Millionen, für 2018 sieben Millionen Euro an. Man wolle mit der wachsenden Nachfrage demnächst noch ein paar Vertriebsleute einstellen, damit der Auftrieb nicht an Schwung verliert, sondern gewinnt.

Schmidt-Rohr sagt streng und bedeutsam, er habe mal die Erfolgsquote von Start-ups recherchiert und „die Wahrheit” sei „erschreckend”! Nur jede zwanzigste Unternehmensgründung sei erfolgreich. Und er will zu diesen fünf Prozent gehören.

Er ist zu allem entschlossen. Jetzt lodert sogar ein Feuer in ihm: „Wenn man gleich mit Plan B agiert, dann hat man nicht den Willen, bis zum Äußersten zu gehen! Als Unternehmer muss man es volle Pulle machen.”
Schmidt-Rohr beruhigt sich. Die Zukunft bringt, was sie bringt: Verkauf, Teil-Verkauf, Börsengang – er will gar nichts ausschließen.

Um Geld, wohlgemerkt, gehe es ihm nicht. „Auf dem freien Markt” könne er ein Vielfaches dessen verdienen, was er in seinem eigenen Betrieb erhält. Nein, ihm, Schmidt-Rohr, geht es um Roboter-Technik, um Forschung, ums Mitmischen.

Es reiche, um in die Rentenversicherung einzuzahlen und ab und zu mal zum Schneeschuh-Wandern in den Schwarzwald zu gehen. „Ich bin bereit, auf gewisse Dinge zu verzichten”, sagt er mit bedrohlichem Ausdruck. „Denn ich folge ja meinem Traum.”

 

Dieser Artikel erschien in der Juli-Ausgabe von BILANZ.