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Psychologie

Persönlichkeit Was es verrät, wenn Kinder rot werden

Von Fanny Jiménez | Stand: 12:44 Uhr | Lesedauer: 4 Minuten
Die roten Wangen kann man kaum verhindern: Erröten ist ein Zeichen innerer Anspannung Die roten Wangen kann man kaum verhindern: Erröten ist ein Zeichen innerer Anspannung

Die roten Wangen kann man kaum verhindern: Erröten ist ein Zeichen innerer Anspannung

Die roten Wangen kann man kaum verhindern: Erröten ist ein Zeichen innerer Anspannung

Quelle: Nat'l Geographic/Getty Images

Kinder, die schnell erröten, gelten als schüchtern. Doch es gibt zwei Typen, zeigt eine neue Studie. Bei einem ist das Erröten harmlos – beim anderen Warnzeichen für eine spätere soziale Phobie.
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Nur ein Arm blieb unten. Alle anderen schnellten in die Höhe, als Borwin Bandelow vor wenigen Tagen in der ersten Vorlesung des Semesters fragte: „Wer von Ihnen glaubt denn, dass er schüchtern ist?“

Bandelow arbeitet in der Klinik für Psychiatrie an der Universitätsmedizin Göttingen, und er stellt diese Frage öfter in seiner Vorlesung über die Grundlagen von Angststörungen. Regelmäßig gehen dann die Arme in die Höhe. So gut wie alle halten sich für schüchtern.

Schüchtern sein, das heißt, zaghaft und scheu zu agieren in sozialen Situationen. Sich zurückzunehmen und gehemmt zu fühlen. Aus der Sorge heraus, man sei uninteressant, peinlich, langweilig, und andere Menschen könnten einen deswegen ablehnen.

Aber nicht alle Menschen sind gleich schüchtern. Wer schnell rot wird, wird von anderen eher als sehr schüchtern eingeschätzt als andere. Mit dem Erröten zeigt der Körper ebenso wie mit Herzklopfen, dass er sich gerade unwohl fühlt.

Schmaler Grat zwischen Schüchternheit und Angststörung

Das sind Symptome, die auch bei krankhafter Schüchternheit, der sozialen Phobie, vorkommen. Bei Menschen, die sich im Hobbykeller verkriechen oder auf der Straße niemanden anschauen aus Angst. Der Grat zwischen Schüchternheit und Angststörung ist schmal. Aber lässt sich vielleicht messen, wer nur schüchtern ist und wer sozial phobisch – daran, wie rot er wird?

Wie Frauen und Männer auf Konkurrenzdruck reagieren

Frauen und Männer reagieren unterschiedlich, wenn sie gleichzeitig Stress und Konkurrenzdruck ausgesetzt sind: Das soll eine Studie belegen. Demnach tue Wettbewerb Männern gut - Frauen würden gehemmt.

Quelle: Die Welt

Niederländische Wissenschaftler haben sich genau diese Frage gestellt. Die Forscher um Milika Nikolic holten sich mehr als einhundert Kinder im Alter von vier Jahren in ihr Labor – das ist das Alter, in dem sich Schüchternheit erstmals zeigt.

Die Kleinen sollten sich auf eine kleine Bühne stellen, die im Labor aufgebaut war, und dort in ein Mikrofon singen. Der Vater des Kindes war mit dabei, ebenso zwei Labormitarbeiter. Einer von diesen filmte zusätzlich den Auftritt des Kindes.

Während es sein Lied sang, maßen die Wissenschaftler, wie rot das Kind dabei wurde, und zwar mit einer speziellen Methode namens Photoplethysmography. Dabei wird über eine Kappe am Finger der Herzschlag gemessen und die Änderung im Blutvolumen mit jedem Herzschlag – also wie sehr dabei Blut zum Beispiel in das Gesicht gepumpt wird.

Wer beim Erröten lächelt, ist nicht schüchtern

Der Vater sollte außerdem einen Fragebogen dazu ausfüllen, als wie sozial ängstlich er sein Kind grundsätzlich im Alltag wahrnahm. Über das Video werteten die Forscher anschließend ganz bestimmte Anzeichen von Schüchternheit aus. Aus der Forschung an Erwachsenen wussten sie, dass es zwei Typen von Schüchternen gibt, die sich im nonverbalen Verhalten, in den Gesten und der Mimik, leicht unterscheiden.

Die einen halten Blicken nicht stand, wenden sich bei der Begegnung etwas vom Gegenüber ab und berühren sich oft selbst am Körper oder im Gesicht, weil das beruhigt. Die anderen zeigen alle diese nonverbalen Verhaltensweisen zwar genauso, haben dabei aber ein zaghaftes Lächeln auf den Lippen.

Das mag wie ein unscheinbares Detail wirken – für das Team um Milika Nikolic war es ein ganz entscheidendes. Als sie die Kinder ihrem Verhalten nach den beiden Typen zuteilten, stellte sich heraus: Jene mit dem zaghaften Lächeln mochten auch erröten, sie waren aber nicht besonders ängstlich.

Erröten ohne Lächeln ist ein Zeichen für eine Sozialphobie

Bei den schüchternen Kindern aber, die nicht lächelten, zeigte der Grad des Errötens ihre soziale Ängstlichkeit an. Je röter sie wurden, desto ängstlicher waren diese Kinder also tatsächlich auch. Bei ihnen scheint das Erröten ein Warnsignal für eine soziale Phobie zu sein.

Warum das Lächeln so einen großen Unterschied macht, erklären sich die Wissenschaftler folgendermaßen: Wer nicht lächle, schreiben sie im Fachjournal „Emotion“, der fühle sich in der Situation so unwohl, dass er nur fliehen möchte.

Wer es hingegen schaffe zu lächeln, kämpfe mit einer Ambivalenz. Zwar sorge er sich um sein Ansehen, sei aber neugierig auf Menschen und habe den Wunsch, dabei zu sein. Bei den lächelnden Kindern sei das Erröten also kein negatives Signal.

Gut 60 Prozent der Bevölkerung hält sich für schüchtern

Borwin Bandelow, der Wissenschaftler aus Göttingen, hat sowohl über Schüchternheit als auch über Angststörungen schon Bücher geschrieben. Er glaubt, dass es sinnvoll wäre, die Kinder über mehrere Jahre zu begleiten. Dann könnte man sehen, ob aus den nicht lächelnden Schüchternen später tatsächlich Angst-Patienten werden.

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Etwa fünf Prozent der Bevölkerung entwickeln eine solche soziale Phobie im Laufe ihres Lebens, sagt er. Für schüchtern aber hält sich nicht nur die große Mehrheit seiner Studenten. Gut 60 Prozent geben in Umfragen an, sich selbst als schüchtern zu empfinden.

Warum ist das so? „Das hat die Natur so gewollt“, sagt Bandelow, „Schüchternheit ist eine Überlebensstrategie.“ Wenn die Menschen keine Angst vor sozialer Ablehnung und Ächtung hätten, dann würden wie sich wohl ständig gegenseitig die Köpfe einschlagen, im schlimmsten Fall. Oder anders gesagt: Bestünden Gruppen nur aus Häuptlingen und nicht auch aus Fußvolk, dann gäbe es sie wohl bald nicht mehr.