Die Ukraine haucht dem zweifelnden Europa neues Leben ein

7. Oktober 2016 Autor: Richard Herzinger

In der EU schwindet der Glaube an die gemeinsame europäische Zukunft. Umso erstaunlicher, dass die Begeisterung für Europas Freiheitswerte in der Ukraine ungebrochen ist. Sie stößt aber auf alte und neue Beharrungskräfte. Von besonderer Bedeutung für die demokratische Erneuerung der Ukraine ist ihr veränderter Umgang mit der eigenen Vergangenheit.

 

Petro Poroschenko klang geradezu beschwörend. „Wir sprechen nicht von der Verteidigung der Ukraine, wir sprechen von der Verteidigung unseres gemeinsamen Europa“, rief er aus.

Der ukrainische Präsident sprach kürzlich in Kiew zu über 300 Teilnehmern der 13. Jahrestagung von „Yalta European Strategy“ (YES). Zum Kern dieser von dem ukrainischen Geschäftsmann (mancher nennt ihn einen Oligarchen) und Kulturmäzen Wiktor Pintschuk gegründeten internationalen Expertenrunde zur Unterstützung der Demokratie in der Ukraine und anderen osteuropäischen Ländern zählen Elder Statesmen wie der frühere polnische Präsident Aleksander Kwaszniewski und der ehemalige Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Doch auch aktive ukrainische und internationale Spitzenpolitiker zeigen sich gerne auf diesem Forum. Hillary Clinton etwa war schon zweimal dabei.

 

Die Furcht, vom Westen im Stich gelassen zu werden

 

Das diesjährige YES-Treffen stand im Zeichen der Befürchtung, angesichts der Vielzahl schwerer, die internationale Ordnung erschütternden Krisen könnte die Beistand des Westens für die Ukraine in ihrem Kampf gegen die russische Aggression und für ihre Integration in das demokratische Europa nachlassen. Glauben doch immer mehr westliche Politiker, Russland sei als globaler „Stabilitätspartner“ unverzichtbar und müsse hofiert werden.

So wächst in der Ukraine die Furcht, in der EU könnten jene Kräfte die Oberhand gewinnen, die der Lockerung oder gar Aufhebúng der Sanktionen gegen Moskau das Wort reden. Zudem zeigt die EU im Ganzen bedrohliche Auflösungserscheinungen. Und Donald Trumps putinfreundliche Bekenntnisse lassen die Nervosität im Blick auf die US-Präsidentenwahl steigen.

Poroschenko übertönte die Angst, vom Westen im Stich gelassen zu werden, mit einem flammenden Appell an die Standfestigkeit der Europäer: „Was wir von Ihnen am meisten brauchen, ist nicht Geld, sind keine Waffen und keine Berater- Es ist Ihre Einheit, Ihre Solidarität.“ Schließlich bedrohe Putins imperialer Autoritarismus nicht nur die Ukraine, sondern die Freiheit aller Europäer.

 

Das Misstrauen gegen die politische Elite sitzt tief

 

Zwar ist die Zustimmung für Poroschenko im Sommer auf 11 Prozent abgestürzt, seine euphorische Identifikation mit der EU und ihren Grundwerten aber wird in der ukrainischen Gesellschaft weitgehend geteilt. Das drückt sich in großem bürgerschaftlichen Engagement aus, das außerparlamentarisch von unzähligen NGOs, Bürgerinitiativen und Think Tanks getragen und im ukrainischen Parlament vor allem von der interfraktionellen Strömung der „Euro-Optimisten“ repräsentiert wird. Während in den EU-Staaten der Verdruss an dem europäischen Projekt wächst, glaubt man in der Ukraine mit umso größerer Hingabe daran – und hofft, ihm mit dem eigenen demokratischen Aufbruchsgeist neues Leben einhauchen zu können.

Tief sitzt jedoch das Misstrauen der vom Maidan-Aufstand initiierten zivilgesellschaftlichen Bewegung gegenüber der chronisch mit Oligarcheninteressen verquickten politischen Klasse. Zwar hat die ukrainische Regierung in Sachen Bekämpfung der Korruption zuletzt wichtige Weichen gestellt. So gibt es neuerdings ein elektronisches System, das alle Einkünfte und Ausgaben von Staatsbediensteten erfasst, und dessen Daten der Ende 2015 eingerichteten Anti-Korruptionsbehörde uneingeschränkt zugänglich ist.

Im Bereich der Polizei hat die Anti-Korruptionsoffensive bereits sichtbare Erfolge erzielt. Doch speziell im Justizwesen liegt noch so ziemlich alles im Argen. Die Auswechslung korrupter Richter und Staatsanwälte kommt nicht voran. Bisher ist kein einziger Verantwortlicher für die exzessive Korruption unter dem Anfang 2014 gestürzten Präsidenten Janukowitsch zur Rechenschaft gezogen worden. Die Ermordung von über 100 Demonstranten auf dem Maidan wurde ebenso wenig aufgeklärt wie fast alle der über 50 Morde an Journalisten seit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991.

 

Fortschritte und Hemmnisse im Kampf gegen Korruption

 

Der von Poroschenko eingesetzte Generalstaatsanwalt Juriy Lutsenko steht deshalb heftig in der Kritik. Bei der YES-Konferenz geriet er unter Beschuss der „euro-optimistischen“ Rada-Abgeordneten Serhij Leschtschenko und Mustafa Najem, der ihm vorwarf sich in Hinterzimmern mit mächtigen Oligarchen abzusprechen. Beide Kritiker sitzen für den „Block Poroschenko“ im Parlament. Dass sie gleichwohl enge Vertrauensleute des Präsidenten, ja sogar Poroschenko selbst, öffentlich finanzieller Unregelmäßigkeiten und nepotistischer Schiebereien bezichtigen können, gehört zu den Außergewöhnlichkeiten der ukrainischen Situation. Tasächlich konzedierte Leschtschenko bei aller ätzenden Kritik an den Zuständen in der Ukraine, dass „nirgendwo sonst täglich Enthüllungsberichte erscheinen, in denen Verantwortliche so offen beim Namen genannt werden.“

Staatsanwalt Lutsenko, der unter Janukowitsch inhaftiert war und zu den Maidan-Aktivisten gehörte, weist alle Vorwürfe zurück. Die Justizreform gehe durchaus voran, doch könne das nicht so schnell geschehen, wie es sich von revolutionärer Ungeduld getriebene Idealisten erträumten. Ministerpräsident Wolodymyr Groysman kommentierte das zögerliche Agieren der Justiz indes lakonisch: „Einen großen Fisch kann man nicht mit einer kleinen Rute fangen.“ Überhaupt kann der Kampf gegen Korruption kaum gewonnen werden, solange Rada-Abgeordnete gerade einmal umgerechnet 230 Dollar monatlich verdienen. Bei vielen Staatsbediensteten liegen die Gehälter noch niedriger.

 

Babi Jar und der neue Umgang der Ukraine mit der eigenen Geschichte

 

Doch nicht nur auf dem Gebiet politisch-gesellschaftlicher Reformen stößt die vom Maidan ausgelöste Veränderungsenergie auf alte und neue Beharrungskräfte. Von großer Bedeutung für die Zukunft der Ukraine ist auch der Umgang mit der eigenen Geschichte. Jüngst stand die ukrainische Hauptstadt ganz im Zeichen der Erinnerung an das Massaker von Babi Jar vor 75 Jahren. Der Ort, eine Schlucht bei Kiew, steht für eine der grauenvollsten Mordaktionen im Zuge der NS-Judenvernichtung. Hier wurden Ende September 1941 in nur zwei Tagen 33.771 Kiewer Juden von der SS, Einheiten der Wehrmacht sowie ukrainischen Kollaborateuren umgebracht.

Eine Woche lang wurde in zahlreichen Veranstaltungen – Podiumsdiskussionen, Konzerten, Ausstellungen – dieses entsetzlichen Ereignisses gedacht. Höhepunkt war die offizielle staatliche Gedenkzeremonie am Ort des Grauens, auf der neben dem ukrainischen Präsidenten auch Bundespräsident Joachim Gauck sprach (siehe meinen Bericht hier). In dem Park, der auf der inzwischen zugeschütteten Schlucht liegt, erinnern neuerdings Gedenktafeln an die ermordeten Juden, aber auch an alle anderen Opfer, die hier in den Jahren unter deutscher Besatzung hingerichtet wurden: sowjetische Partisanen wie ukrainische Nationalisten, Roma wie geistig Behinderte.

In der Sowjetunion war das Gedenken an die NS- Judenvernichtung tabu. Es verschwand unter einem heroisch generalisierenden „Antifaschismus“, während der Antisemitismus in der Sowjetideologie weiter wucherte. Sie zielte zwar nicht auf die physische Vernichtung der Juden, wohl aber auf die Auslöschung jüdischer Identität.

 

Annäherung an das jüdische Erbe

 

Sich dem Erbe des ukrainischen Judentums zuzuwenden und die Erinnerung daran zum Bestandteil des nationalen Gedächtnisses zu machen, ist somit ein wichtiges Element im Bestreben der neuen Ukraine, endgültig mit der sowjetischen Vergangenheit zu brechen. In diesem Sinne ist ein neues Mahnmal für Babi Jar und ein Holocaust-Museum in Kiew geplant. Die ukrainische Regierung wie die zivilgesellschaftliche Initiativen suchen dazu die Zusammenarbeit nicht nur mit Israel und den wieder auflühenden jüdischen Gemeinden im Land, sondern auch mit internationalen jüdischen Organisationen. Mit Groysman hat die Ukraine derzeit übrigens einen jüdischen Ministerpräsidenten – als Chef einer Regierung, die von der russischen Propaganda als „faschistische Junta“ diffamiert wird.

Neben dem World Jewish Congress und dem American Jewish Committee ist in der Ukraine besonders das im kanadischen Toronto beheimatete Ukrainian Jewish Encounter (UJE) mit Aktivitäten auf wissenschaftlichem und kulturellem Gebiet aktiv. Zum diesjährigen Babi-Jar-Gedenken organisierte das UJE unter anderem Vorträge internationaler Holocaust-Forscher, aber auch ein eindrucksvolles Gedenkkonzert der Hamburger Symphoniker in der Kiewer Oper.

Kanada hat die größte ukrainische Diaspora der westlichen Welt. Entsprechend intensiv wird der demokratischen Neuaufbau in der Ukraine von dort unterstützt. Das UJE will bei allem schmerzhaften Gedenken an die historischen Schrecken auch positives Erinnern an „über 1000 Jahre gemeinsamer Geschichte von Juden und Ukrainern auf dem Gebiet der heutigen Ukraine“ fördern, wie UJE-Koordinator Peter Zalmayev sagt. So pflegt das UJE zum Beispiel das Andenken an Andrej Sheptytzkyj, der als Metropolit der ukrainischen griechisch-katholischen Kirche 150 Juden das Leben rettete.

 

Streit um das Ausmaß ukrainischer Kollaboration

 

Der jüdisch-ukrainische Annäherungsprozess verläuft jedoch nicht ohne Reibung. An der Frage nach dem Ausmaß ukrainischer Kollaboration unter deutscher Besatzung scheiden sich oft die Geister. Als Israels Staatspräsident Reuven Rivlin vergangene Woche im ukrainische Parlament sprach, löste er bei manchen Politikern und Historikern des Landes Verärgerung aus. Unter den ukrainischen NS-Kollaborateuren, sagte Rivlin, hätten sich „besonders die Kämpfer der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) hervorgetan, die sich an Juden vergingen, sie umbrachten und in vielen Fällen an die Deutschen auslieferten.“

Israels Präsident habe „den sowjetischen Mythos der Beteiligung der OUN am Holocaust wiederholt“, kritisierte daraufhin Wolodimir Wjatrowitsch, Direktor des Instituts für Nationales Gedächtnis. Andere ukrainische Historiker gehen dagegen sehr wohl davon aus, dass zumindest punktuell OUN-Angehörige am deutschen Judenmord mitwirkten. Weil aber die OUN andererseits von der NS-Besatzung verfolgt wurde – wie selbstredend von den Sowjets -, wird sie in der Ukraine vielfach glorifiziert. Ihr Status als Unabhängigkeitskämpfer ist gar gesetzlich festgeschrieben.

Die Ukraine steht nicht nur unter Dauerbeschuss russischer Artillerie, sondern auch der Kreml-Propaganda, die ukrainisches Unabhängigkeitsstreben und dessen Geschichte in toto als „faschistisch“ diffamiert. Als Überreaktion darauf werden in der Ukraine zuweilen auch dunkle Wahrheiten der eigenen Historie bestritten, die tatsächlich belegt sind. Doch nur eine Gesellschaft, die sich allen Aspekten ihrer Vergangenheit stellt, ist wirklich frei – und beweist, dass sie autoritären, die Historie manipulierenden Regimen überlegen ist.

Die Reise des Autors wurde unterstützt durch „Yalta European Strategy“ und „Ukrainian Jewish Encounter“

Nur staatlich geeint kann Europa dem Terror standhalten

28. März 2016 Autor: Richard Herzinger

Angesichts der Kriegserklärung durch den islamistischen Terrorismus kann Europa nicht länger so weiter machen wie bisher. Die EU muss sich zu einem wehrhaften Bundesstaat konstituieren.

Wie oft lässt sich dieses Ritual wiederholen, bevor die Abstumpfung überhandnimmt? Nach jedem neuen verheerenden Terroranschlag der dschihadistischen Horrormiliz IS in Europa werden Entsetzen, Abscheu und Betroffenheit zelebriert, wird die Solidarität der Europäer und der ganzen freien Welt beschworen und trotzig skandiert, wir ließen uns von den Terroristen nicht einschüchtern und in unserer freiheitlichen Lebensführung einschränken. Den ganzen Beitrag lesen »

Hisbollah droht Israel vernichtende Schläge an

20. Februar 2016 Autor: Richard Herzinger

Die proiranische libanesische Hisbollah ist akut die größte Bedrohung für Israel – größer noch als der IS und al-Qaida. Als wichtiger Bestandteil der Kriegsachse Moskau-Teheran-Damaskus im Syrienkrieg steigert die schiitisch-islamistische Terrormiliz ihre Macht und militärische Schlagkraft – die sie gegen den jüdischen Staat in Stellung bringt. Aufgerüstet wird sie nicht nur vom Iran, sondern offenbar zunehmend auch von Russland.

Der Führer der libanesischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, hat Israel für den Fall einer kommenden militärischen Konfrontation mit Vernichtungsschlägen gedroht, deren Zerstörungskraft der eines nuklearen Angriffs ähnelt. Das berichtet die Internetseite „The Israel Project“. Die Hisbollah verfüge nämlich über Raketen, mit denen sie die Speichertankanlagen für Ammoniakgas in Haifa treffen und in die Luft jagen könne. Den ganzen Beitrag lesen »

Moskaus Drohung mit dem Weltkrieg und die Augenwischerei um eine „Feuerpause“ in Syrien

12. Februar 2016 Autor: Richard Herzinger

Putins Sprechpuppe Dimitri Medwedew, offiziell der Ministerpräsident der Russischen Föderation, „warnt vor einem dritten Weltkrieg wegen Syrien“ – so wird es heute landauf -landab in den deutschen Medien verbreitet. Das ist ein exemplarisches Beispiel dafür, wie man in einer scheinbar objektiven Nachricht eine Beschönigung der Absichten des Kreml, um nicht zu sagen: die Manipulationen der Putin-Propaganda unterbringen kann. Denn in Wirklichkeit handelt es sich bei Medwedews Äußerung natürlich um eine ungeheuerliche Drohung, mit der er den Westen belegt, sollte dieser auf den Gedanken kommen, Bodentruppen nach Syrien zu schicken. Den ganzen Beitrag lesen »

Die Aufhebung der Sanktionen gegen Iran – ein verhängnisvoller Irrweg

18. Januar 2016 Autor: Richard Herzinger

Weil der lran laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) seine Verpflichtungen aus dem im Juli 2015 geschlossenen Abkommen über die Rückführung seines Nuklearprogramms erfüllt habe, hebt der Westen die Sanktionen gegen die Islamische Republik auf. Bei westlichen Politikern und Wirtschaftsführern herrscht darüber Euphorie. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel spricht von dem „Beginn eines neuen Kapitels“ in den Wirtschaftsbeziehungen mit Teheran, und Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht darin „einen historischen Erfolg der Diplomatie.“ Den ganzen Beitrag lesen »

Die Forderung nach einer neuen „Realpolitik“ blendet die Wirklichkeit aus

6. Januar 2016 Autor: Richard Herzinger

Der Aufstieg des IS hat realpolitischen Forderungen Auftrieb gegeben, zusammen mit Baschar al-Assad gegen die Terrormiliz vorzugehen. Ein Plan, der allenfalls geeignet ist, noch verheerendere Konflikte zu schaffen. Und: Die Geschichte lehrt, dass Demokratien nur bestehen, wenn sie den Anspruch nicht aufgeben, ihre Werte weltweit zu verankern. Mein Essay über die ganz und gar nicht realitätstüchtigen Enthusiasten einer neuen „Realpolitik“, der soeben in der Zeitschrift „Internationale Politik“ erschienen ist.

Als im Spätsommer und Frühherbst 2015 die Flüchtlingswelle aus Syrien den Zusammenhalt der Europäischen Union erschütterte und die militärische Intervention Russlands auf Seiten des massenmörderischen Assad-Regimes das Gemetzel in Syrien auf eine neue weltpolitische Eskalationsstufe hob, erlebte hierzulande ein – lange Zeit gar nicht sehr beliebter – Begriff inflationäre Hochkonjunktur: die „Realpolitik“. Den ganzen Beitrag lesen »

Die saudisch-iranische Eskalation: Folge der verheerenden Desorientierung des Westens

4. Januar 2016 Autor: Richard Herzinger

Die dramatische Zuspitzung des Konflikts zwischen Saudi-Arabien und der Islamischen Republik Iran ist die absehbare Konsequenz des Einknickens des Westens vor dem Assad-Regime  in Syrien und seinen Schutzherren in Moskau und Teheran. Der westliche Schwenk zugunsten des Hinrichtungsstaats Iran ist kein Weg zur Befriedung des Nahen Ostens, sondern treibt die Region in einen großen Krieg

Die weltweite Empörung ist enorm: Saudi-Arabien hat 47 Todesurteile auf einen Schlag vollstreckt. Eine Hinrichtung traf den schiitischen Prediger Scheich Nimr Baker al-Nimr. Dass Saudi-Arabien mit dieser Terrorjustiz den bösartigen, Menschenrechte zynisch missachtenden Charakter seines autokratischen Herrschaftssystems unterstrichen hat, steht außer Frage. Die Proteste dagegen wären freilich glaubwürdiger, riefen die Zustände in der Islamischen Republik Iran, dessen Regime jetzt am lautesten gegen die Saudis wettert, bei uns auch nur annähernd ähnlich heftige Reaktionen hervor. Den ganzen Beitrag lesen »

Putin ist nicht genial. Der Westen leidet vielmehr unter Amnesie

30. Oktober 2015 Autor: Richard Herzinger

Der Westen darf nicht abwarten, bis Putin mit seiner globalstrategischen Offensive von selbst gegen die Wand fährt. Doch entschiedene Gegenmaßnahmen sind nicht zu erwarten – nicht von den USA, und noch viel weniger von den Europäern. Statt dessen wird nun auch der Iran zum potenziellen strategischen Friedenspartner nobilitiert. Als plumpester Vorturner des Appeasements profiliert sich indessen SPD-Chef Sigmar Gabriel.

Putins vermeintliches strategisches Genie wird maßlos überschätzt, meint Michael A. McFaul in der „New York Times“. In der Tat, der Kremlherr wird sich wohl ebenso ungläubig staunend wie köstlich amüsiert auf die Schenkel schlagen ob der Erkenntnis, dass es ausreicht, einfach stur nach dem KGB-Regelbuch vorzugehen, um den Westen in heillose Konfusion und ratlose Ohnmacht zu stürzen. Während er bei seiner globalpolitischen Offensive exakt nach dem Schema verfährt, wie es die Sowjetunion im Kalten Krieg immer getan hat, scheint die andere Seite von Totalamnesie befallen zu sein und nicht nur die Regeln vergessen zu haben, denen dieses Machtspiel folgt, sondern nicht einmal mehr zu wissen scheint, um welches Spiel es sich hier überhaupt handelt. Den ganzen Beitrag lesen »

„Mit Assad reden“. Oder: Das Comeback der Diktatoren als Weltfriedens-Retter

24. September 2015 Autor: Richard Herzinger

Die Vorstellung, wir könnten und müssten uns „wohl oder übel mit Assad arrangieren“, um Syrien zu befrieden, nimmt in der deutschen öffentlichen Debatte geradezu zwanghafte Züge an. (Gesagt wird das meist mit dem, unter pseudobedenklichem Kopfwiegen und Stirnrunzeln vorgetragenen Zusatz: „Auch wenn uns das moralisch noch so schwer fällt“). Dahinter steckt die weiter reichende Sehnsucht, endlich wieder mit dem starken Peitschenmann im Kreml zusammenarbeiten zu dürfen – und bei dieser Gelegenheit möglichst auch gleich die aufmüpfigen ukrainischen Störenfriede auf ihren Platz als „finnlandisierte“ Sekundär-Russen zu verweisen. Den ganzen Beitrag lesen »

Die Freiheit Berlins und Jerusalems oder: Was Israel für Axel Springer bedeutete

23. September 2015 Autor: Richard Herzinger

In seinem Eintreten für den jüdischen Staat und die Juden in Deutschland bündelten sich alle wesentlichen Komponenten der Weltsicht des engagierten Verlegers: Seine Überzeugung, dass Deutschland nur durch das kompromisslose Bekenntnis zu seiner historischen Schuld als zivilisierte Nation wiedererstehen könne, seine leidenschaftliche Verteidigung der Freiheit gegen den kommunistischen Totalitarismus, seine Auffassung, dass in Berlin und Jerusalem das Schicksal des freien Westen entschieden werde, und sein von christlicher Gläubigkeit geprägtes Vertrauen auf Gott als letzter Instanz der Geschichte.  Diesen Aspekten spüre ich in diesem Beitrag  für einen Text-Bild-Band von Autoren der „Welt“-Gruppe nach, der zum 30. Todestag Axel Springers am 22.9.erschienen ist. Dabei verblüfft, wie aktuell und frisch viele von Springers Gedanken und Mahnungen heute wirken.

 

Die Parallelen zwischen der Lage Jerusalems und Berlins sprangen ins Auge. Als Axel Springer Mitte Juni 1966 zum ersten Mal Israel besuchte, müssen sie auf ihn überwältigend gewirkt haben. Infolge des Unabhängigkeitskriegs von 1948/49, in dem der junge jüdische Staat seine nackte Existenz gegen eine Phalanx arabischer Staaten verteidigt hatte, war Jerusalem geteilt und nur durch eine höchst unsichere Zufahrtsstraße mit dem israelischen Staatsgebiet verbunden. Den Ostteil der Stadt hielt Jordanien besetzt, und das von Israel gehaltene westliche Jerusalem war von einem teils durch Stacheldrahtverhau, teils durch Mauern, teils durch Minenfelder befestigten Grenzstreifen umschlossen. Den ganzen Beitrag lesen »

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