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Protestantismus – zu Besuch bei Luthers müden Erben (1/2)


CoverdeutschlanddeinegötterFür das Buch „Deutschland, deine Götter“ bin ich ein Jahr quer durch Deutschland gereist und habe Kirchen, Moscheen, Synagogen, Schreine und heilige Bäume besucht. An dieser Stelle nun das Kapitel zum Protestantismus, der sich vor fast 500 Jahren auf die Weltbühne hämmerte:

Protestantismus

Knapp 500 Jahre nach Beginn der Reformation laufe ich durch Worms. Heute handelt es sich dabei um eine Stadt, die es sich in der Hängematte der Bedeutungslosigkeit bequem gemacht hat. Es geht hier gemütlich zu, auf halbem Wege zwischen Mannheim und Mainz. Nichts unterscheidet sie von anderen mausgrauen Kreisstädten in der Republik, wenn da nicht mitten in der Innenstadt plötzlich dieser Dom stehen würde. Er wirkt wie die steinerne Erinnerung an eine ganz andere Zeit. Er hat die gleiche Wirkung wie das gerahmte Bild eines mit Goldmedaillen behängten jungen Mannes über dem Bett des Großvaters, das die Enkel daran erinnert, dass auch Opa andere Zeiten erlebt hat. Worms auch.

Im Mittelalter hatte Worms Einfluss und in seinen besten Momenten wurde hier Weltgeschichte geschrieben. Einmal hatte die auch mit Martin Luther zu tun, der hier 1521 vor Kaiser Karl V. widerrufen sollte, sich weigerte und stattdessen die legendären Worte sprach: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders«. (Wobei mittlerweile vermutet wird, dass ihm diese Worte nachträglich in bester Absicht in den Mund gelegt wurden, offenbar sagte er schlicht: »Hier stehe ich. Gott helfe mir !«)

Dass es die evangelische Kirche überhaupt gibt, ist das Ergebnis einer beachtlichen Zahl von Fehleinschätzungen, die sich der Vatikan geleistet hat. Wobei insgesamt die Zeiten gut dazu geeignet waren, falsche Entscheidungen zu fällen. Als Luther wirkte, rang die katholische Kirche um ihre Vormacht, war ständig pleite, lieh sich dauernd Geld, wurde von mächtigen Königen bedrängt, erlebte den Aufstieg der Kaufleute, sorgte sich vor Invasionen der Türken und hatte ein massives Glaubwürdigkeitsproblem bei der einfachen Bevölkerung. Außerdem hatten in der Schweiz und in Böhmen Reformatoren schon damit begonnen, die Autorität Roms in Frage zu stellen. Wäre die katholische Kirche ein normales Unternehmen, die Liste der Managementfehler hätte eine beachtliche Länge ergeben.

Der Preis dafür kam dann in Form Martin Luthers, der zur Symbolfigur der Unzufriedenheit mit dem Katholizismus im 16. Jahrhundert wurde. Auch an ihm demonstrierten die katholischen Verantwortlichen noch einmal ihre Begabung, ein kleines Feuer nicht etwa auszutreten, sondern es mit großem Erfolg zu einem Flächenbrand werden zu lassen. Sie drängten Luther in die Position eines Ketzers, der den Tod verdient hat, und ließen diesem frommen Katholiken somit keine Möglichkeit, Frieden mit seiner Kirche zu schließen, die irgendwann dann auch nicht mehr seine Kirche war. Luther wurde exkommuniziert und er nannte den Papst im Gegenzug den »Antichristen«. Fertig, Tischtuch zerschnitten. Start frei für die ökumenischen Kirchentage ein paar Jahrhunderte (und Religionskriege) später.

Ich bin auf dem Weg zur Wormser Luthergemeinde von Anne Tennekes, die als geschiedene Pastorin für das steht, was die katholische Kirche immer verhindern wollte. Während man sich im Vatikan noch an das Machtwort des Paulus hält, der da wütete, »die Frau soll in der Messe schweigen«, ist die evangelische Kirche da einen anderen Weg gegangen.
»Das hat mit Luther aber gar nicht so viel zu tun«, erklärt mir Tennekes, die dem Bild einer engagierten und einfühlsamen Pastorin, die immer ein offenes Ohr für die Sorgen ihrer Gemeinde hat, beinahe irritierend exakt entspricht, »das Pastorenamt für Frauen gibt es erst seit 1973.«

Tennekes steht einer Gemeinde von über 3000 Mitgliedern vor, »unsere Kirche ist im Darmstädter Stil erbaut, davon gibt es in Rheinhessen mehrere«, meint sie mit Blick auf ein Gebäude, das sehr massiv und kantig wirkt. Es hätte mich vielleicht mehr beeindruckt, wenn ich nicht direkt davor beim Dom gewesen wäre. Wir betreten das Pfarrhaus, das sich direkt hinter der Kirche befindet. Tennekes’ Büro ist aufgeräumt und bietet viel Platz, weil es außer einem Schreibtisch und dem Bücherregal nur einen kleinen Tisch in der Ecke und zwei Stühle gibt. Hier unterhält sie sich regelmäßig mit Mitgliedern oder anderen Gästen. Wir setzen uns und ich sehe, dass sie Plätzchen und Kaffee vorbereitet hat. Weil sie es mir aber noch nicht anbietet, warte ich mit dem Zugreifen.

»Was unterscheidet eigentlich den Protestantismus vom Katholizismus?«, möchte ich als Erstes wissen.
»Ich denke, der wichtigste Unterschied ist wohl, dass die katholische Kirche sehr hierarchisch aufgebaut ist, mit einer höchsten theologischen Instanz in Form des Papstes. So was lehnen wir ab. Wir haben die Priesterschaft aller Gläubigen, nach der jeder Mensch den gleichen Zugang zu Gott hat, unabhängig von seiner Position in der Welt oder der Kirche. Deswegen ist in unseren Gemeinden auch viel mehr Diskussion und Widerspruch möglich, bei den Katholiken hingegen ist der Pfarrer erst einmal die große Autorität.«
»Und sonst ?«
»Die Eucharistie, also das Abendmahl, feiern wir auch verschieden. Für Katholiken sind nur Katholiken dazu eingeladen, während wir jeden daran teilhaben lassen.«
»Wie wird das denn jeweils begründet?«
»Die Katholiken sehen sich als die Kirche Jesu und zelebrieren das Letzte Abendmahl nur mit Menschen, die laut ihrer Definition dieser Kirche angehören.«
»Und ihr gehört der Kirche von Jesus nicht an?«
»Nein, da wir uns abgespaltet haben, sind wir aus Sicht der katholischen Kirche dazu nicht mehr berechtigt. Wir deuten das Letzte Abendmahl aber so, dass es eine Einladung an die Menschheit ist, Jesus als Erlöser anzunehmen, deswegen feiern wir es offen.«

Martin Luther selbst hätte sich wohl etwas derber ausgedrückt, über die Zustände im Vatikan äußerte er sich so: »Die römische Kirche, die vorzeitig die allerheiligste war, ist nun geworden eine Mordgrube über allen Mordgruben, ein Hurenhaus über allen Hurenhäusern, ein Haupt und Reich aller Sünde, des Todes und der Verdammnis, so dass man sich nicht gut denken kann, wie die Bosheit hier noch weiter zunehmen könnte.«

Insgesamt sind sich die beiden Großkirchen inhaltlich sehr nahe. Sie teilen sich die gleiche Bibel, sie teilen sich den gleichen Gott, sie teilen die gleiche Hoffnung, die sie mit diesem Gott verbinden. Und doch gibt es ein paar gravierende Unterschiede. Es geht auf der optischen Ebene los, die Katholiken haben es gerne bunt und visuell. Deswegen gibt es Heiligenbilder sowie eine stark ausgeprägte Verehrung dieser Heiligen. Auch Maria, die Mutter Gottes, hat im Katholizismus eine herausragende Rolle. Der Protestantismus wirkt da etwas spröde. Heiligenbilder gibt es keine, eine Verehrung schon gar nicht. Eigentlich soll möglichst wenig ablenken vom Wichtigsten: dem Wort Gottes, also der Bibel. Deswegen sind auch die Gottesdienste schlichter gehalten als die zum Teil prächtigen Messen der Katholiken, wo Ministranten (bei den Protestanten gestrichen), Vorsänger (bei den Protestanten gestrichen) und der Priester (bei den Protestanten um Frauen erweitert, siehe Frau Tennekes) ihre Rollen haben und der Weihrauch den Altar wie früher Morgennebel umweht. Protestantische Gottesdienste erinnern mehr an Frontalunterricht, wo zugehört wird und keine Ablenkung vorgesehen ist.

Katholiken sind da im Vergleich geradezu lebendig, sie stehen immer wieder auf, sie setzen sich wieder und manchmal knien sie sogar. Inhaltlich gehen die beiden Großkirchen speziell bei den Sakramenten getrennte Wege. Die Protestanten haben sich auf die reduziert, die explizit aus der Bibel ableitbar sind, wobei es sich um die Taufe und das Abendmahl handelt, außerdem lehnen sie die Vorstellung eines Fegefeuers ab. Die Katholiken sind da großzügiger und kennen noch die zusätzlichen Sakramente Beichte, Eheschließung, Firmung, Krankensalbung und Priesterweihe. Daneben gibt es noch vier Grundsätze, die bei den Protestanten dann doch dogmatische Bedeutung haben, auch wenn sie das Wort »Dogma« gerne vermeiden.

Laut diesen ist nur die Bibel Richtschnur für Christen (sola scriptura), kann nur Gott selbst den Glauben im Menschen erwecken, wodurch es für Menschen unmöglich ist, aktiv Gottes Nähe zu suchen (sola gratia), ist Christus die einzige Autorität, die für den Gläubigen relevant ist, keine Heiligen und auch nicht Maria (solus Christus), und ist der unbedingte Glaube an Gott die einzige Möglichkeit, seine Gnade zu erfahren (sola fi de). Der entscheidende Gedanke, den Luther zum Fundament seines Glaubens machte, war, dass man das Seelenheil nicht durch gute Taten oder Spenden erreichen kann, nicht einmal durch Buße oder ein besonders frommes Leben. Das Seelenheil ist ein Zustand, der ganz von alleine kommt, wenn man sich Gottes Willen unterwirft und fest an die Erlösung glaubt. Dieses Konzept entzog auch dem Ablasshandel den Boden, denn dieser versprach die Erlassung von Sünden und damit die Rettung vor dem Fegefeuer, wenn nur genug gespendet wird. Dieses Konzept spätmittelalterlicher Jenseitsversicherungen wurde von keinem so erfolgreich vermarktet wie von Johann Tetzel, der sich den Slogan ausdachte: »Wenn das Geld in der Tasche klingelt, die Seele aus dem Fegefeuer springet.« Heute würde er wohl erfolgreich Gebrauchtwagen verkaufen, damals tat er das mit der Seelendienstleistung Ablasshandel.

»Gibt es auch Dinge, um die Sie die Katholiken beneiden?«, möchte ich von Tennekes wissen.
»Unsere Auffassung von Religiosität hat sicherlich auch organisatorische Nachteile«, meint sie, »es ist praktisch unmöglich, dass wir alle die gleichen Positionen vertreten. Hinzu kommt, dass wir ja auch nicht alle aus dem lutherischen Protestantismus kommen, ich zum Beispiel komme aus dem reformierten Protestantismus«, womit die Reformation in der schärferen schweizerischen Tradition gemeint ist, die grundsätzlich dem lutherischen Protestantismus nahesteht, aber doch in einigen Punkten davon abweicht. So setzt er noch entschiedener das Bilderverbot im Gotteshaus um, weil nur das Wort im Mittelpunkt stehen soll, auch Brot und Wein beim Abendmahl sind für sie nur Symbole und nicht tatsächlich der Leib und das Blut Christi.

Um sich den Unterschied klarzumachen, hilft womöglich ein kleines Gedankenspiel. Wenn Konfetti im Christentum die Bedeutung hätte, die in Wirklichkeit Brot und Wein zukommt, würden die Katholiken die bunten Papierschnipsel mit Begeisterung in die Luft werfen und sie zum Blut und dem Leib Christi erklären. Auch lutherische Protestanten würden (etwas anders begründet) darin das Blut und den Leib Christi sehen, das Konfetti aber zuerst einmal einheitlich grau anmalen, bevor sie es etwas lustlos in die Luft werfen. Die reformierten Protestanten hingegen stellen ganz nüchtern fest, dass das graue Konfetti nur symbolisch für das Blut und den Leib Christi steht, und werfen es erst gar nicht herum, weil es danach ja doch nur wieder jemand zusammenkehren muss.

»Mich erstaunt etwas, dass die Protestanten einerseits so sehr das Wort der Bibel betonen, aber andererseits dann trotzdem die Texte der Bibel oft nur als interpretierbare Geschichten lesen«, meine ich zu Tennekes. Sie nickt kurz.
»Wir glauben, dass die Bibel ein viel klügerer Lebensratgeber ist, wenn sie nicht so eindimensional verstanden wird. Viele Geschehnisse sind so etwas wie Modelle, an denen wir uns orientieren können, weil der zugrundeliegende Konflikt uns heute auch noch betrifft. Wenn Sarah, also die Frau von Abraham, nicht glauben kann, in ihrem hohen Alter noch Kinder zu bekommen, ist das doch mehr als nur die Geschichte von einer älteren Frau, die eigentlich zu alt für eine Schwangerschaft ist. Es ist eine Geschichte von Zweifeln und Hoffnung, von Zukunft und auch von weiteren Chancen. Es gibt viele Deutungsmöglichkeiten.«
»Besteht da aber nicht schnell die Gefahr, dass der Glaube beliebig wird, wenn die Bibel fast nur symbolisch gesehen wird?«
Bevor sie antwortet, holt sie endlich das Angebot nach, dass ich mich an den Keksen bedienen kann, sie füllt mir außerdem das Glas mit Wasser.
»Ich muss noch einmal daran erinnern, dass das nicht vorgeschrieben ist, es gibt auch protestantische Gemeinden, die sich stärker am geschriebenen Wort orientieren, als ich es zum Beispiel tue.«
»Es gibt aber bestimmt auch Dinge in der Bibel, die eben nicht nur symbolisch gemeint sind, sondern geglaubt werden müssen. Zum Beispiel wird die Kreuzigung Jesu nur schwer als etwas anderes durchgehen als die tatsächliche Kreuzigung Jesu, oder?«
»Es gibt Theologen, die das in Frage stellen. Für meinen Glauben wäre das auch nicht unbedingt so wichtig, ob er gestorben ist oder vielleicht wirklich mit großen Ängsten die Nacht durchlitt. Was nämlich vor allem zählt, ist die Folge dar aus, dass Jesus unser Erlöser ist.«
»Das überrascht mich etwas.«

Mit dieser Überraschung lässt mich Tennekes schließlich alleine. Sie hat noch einen Termin. Im Pfarrhaus ist eine afghanische Flüchtlingsfamilie untergebracht und sie ist nun mit dem Vater verabredet, um bei der Bank ein Konto zu eröffnen. Ich spaziere noch etwas durch die Stadt, die für Historiker einen Reiz hat, der normalen Besuchern erst einmal verborgen bleibt. Ich denke noch etwas über Luther nach. Vor allem über das Interview mit einem evangelischen Geistlichen, das ich auf dem Weg hierher gelesen habe. Für ihn war Luther so etwas wie der Übergang vom Mittelalter in die Neuzeit. Ich bin mir nicht so sicher, ob Luther da wirklich das beste Beispiel ist, vorausgesetzt, dieser Übergang soll auch in moralischen Fragen ein neues Denken beinhalten. In Bezug auf Juden blieb Luther jedenfalls ein Kind seiner Zeit, forderte die Zerstörung der Synagogen und überhaupt ein Verbot jüdischer Gottesdienste, also faktisch des Judentums insgesamt. Am Ende seines Lebens steigerte sich sein Antijudaismus endgültig in eine Paranoia, weswegen er davon überzeugt war, dass die Juden ihn vergiften wollten.

Teil 2 finden Sie hier.

aus: „Deutschland, deine Götter – eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäuser

Berg Sinai vs. Berg Olymp

Heute soll es hier einmal um den Vergleich zwischen den Bergen Sinai und Olymp gehen. Der eine Gott gegen die vielen Götter. Interessant ist nämlich, dass dem biblischen Gott gerne als zivilisatorischer Sprung zugesprochen wird, dass er dialogbereit war. Dass die Menschen mit ihm handeln, streiten und diskutieren konnten. Was nun aber in der Bibel steht, spricht nicht unbedingt für eine ausgeprägte Debattenkultur, die da etabliert wurde. Gott diktiert die Zehn Gebote, er diktiert seine Regeln und er droht mit Strafen, wenn man sich gegen ihn stellt.

Er scheint viel zu unsicher zu sein, als dass er wirklich Lust auf Diskussionen haben könnte. Er hat ja ständig Angst, dass ihn dieses eine Volk, auf das er ein besonderes Auge geworfen hat, verlässt, vergisst und verhöhnt. Man kann kein Interesse an wilden Diskussionen haben, wenn man eine so unsichere Gottheit ist. Auch autoritäre Eltern verhindern jede Streitkultur. Widerworte durch die Kinder sind da schon ein heroischer Akt, das gilt auch für die Protagonisten der Bibel.

Ganz anders wiederum ging es in der griechischen Sagenwelt zu. Da gab es regelrechte Konferenzen zwischen Menschen und Göttern, auf denen verhandelt wurde. Die Menschen hatten dabei etwas anzubieten (z.B. die Bereitschaft, diesen oder jenen Gott zu verehren) und die Götter hatten etwas, was sie wollten (z.B. diese Verehrung). Das kommt einem Verhältnis auf Augenhöhe, die ja Voraussetzung für jedwede Streitkultur ist, schon näher als ein strenger Gott, der einem erklärt, dass er einen geschaffen hat und man ihm dafür gefälligst ewig dankbar zu sein habe.

Insgesamt ist also eine starke Abnahme der Diskussionsbereitschaft zu erkennen, seitdem der Bibel-Gott das Ruder übernommen hat. Die wenigen dürren Beispiele, in denen tatsächlich ein Handeln mit ihm möglich war, etwa wenn Abraham mit schlotternden Knien um das Leben der Einwohner von Sodom feilscht, belegen nur, wie sehr das vom normalen Umgang der Menschen mit Gott abwich.

Bei den griechischen Helden gehörte es hingegen zum guten Ton, mit den Göttern zu handeln, feilschen, streiten und vor allem, sie auszutricksen. Dafür wurden Bündnisse mit anderen Göttern geschlossen, um einem gemeinsamen Feind aus dem Olymp eins auszuwischen – auch wenn sich diese Konfrontationen auf lange Sicht fast nie als besonders gesund für den jeweiligen Sterblichen herausstellten. Das zeugt von einem ganz anderen Selbstbewusstsein, als bei dem verängstigten Personal der Bibel. Was bis zu einem gewissen Punkt aber auch verständlich ist.

Schließlich bestand bei den Griechen durch die große Zahl an Göttern, die sich auch als Rivalen gegenüberstanden, ein Gleichgewicht des Schreckens, während man es beim Bibel-Gott mit einem Alleinherrscher zu tun hat. Wer ihn gegen sich hat, hat verloren. Es gibt niemanden, der ihm irgendwie Paroli bieten könnte, keine Koalitionen können geschmiedet, kein Schutz erwartet werden. Unter diesen Bedingungen wäre Prometheus vielleicht auch weniger forsch aufgetreten, das kann gut sein. Man erlaubt sich als Einzelner in liberalen Demokratien ja auch mehr als in  autoritären Staaten.

Fest steht aber eindeutig, dass die Griechen die besseren Autoren hatten. Ihre Geschichten sprudeln über von Liebe, Hass, Intrigen, Seitensprüngen und persönlichen Dramen. Das Schicksal wirft die Figuren hin und her. Bündnisse werden geschmiedet und gebrochen, Götter, Menschen, Halbgötter, Titanen und Ungeheuer ringen miteinander. Im Vergleich zur komplexen Sagenwelt der Griechen wirkt sogar die Welt von Game of Thrones fad und eindimensional. Die Bibel hingegen hat durch die Einschränkung, dass ein unbesiegbarer Gott im Mittelpunkt zu stehen hat und alle anderen Protagonisten vor allem in ihrem Verhältnis zu ihm porträtiert werden, einen dramaturgischen Klumpfuß.

Das macht die Geschichten ein wenig langweilig, zumal dieser eine Gott nun auch nicht so vielschichtig daherkommt. Unfehlbare Charaktere sind eigentlich immer langweilig und gegen einen allwissenden Gott lassen sich nur schwer Intrigen spinnen. Was der Bibel auch nicht gut tut, ist der moralische Zeigefinger. Ständig wird gedroht, gestraft und verurteilt, wenn nicht auf Gott gehört wird. Gehorsam hingegen wird als höchste Tugend angesehen. Auf die Spitze getrieben wird das, als Gott von Abraham verlangt, seinen Sohn Isaak zu opfern. Im letzten Moment, als an der fanatischen Loyalität Abrahams kein Zweifel mehr bestehen kann, verzichtete Gott schließlich auf die tatsächliche Durchführung. Er hatte schon bekommen, was er wollte, alles andere wäre nur noch eine mechanische Armbewegung gewesen, auf die kam es ihm aber nicht an.

In der griechischen Version dieser Geschichte hätte Abraham das Messer entweder direkt gegen diesen Gott erhoben oder er hätte ihm danach in Koalition mit anderen Olymp-Bewohnern eine Falle gestellt oder sich sonst wie gerächt. (Vermutlich wäre es darauf hinausgelaufen, dass dieser „töte Isaak“-Gott irgendwann ohne es zu ahnen seine eigenen Kinder verspeist hätte. Der griechische Klassiker halt.) Aber gerächt hätte er sich auf jeden Fall. Man muss sich ja nicht alles gefallen lassen.

Fazit: Die griechischen Helden zeigen mehr Zivilcourage, sind aber auch leichtsinniger und fangen oft ohne Not Streit an, der schnell zu Weltenkriegen (Himmel, Erde, Unterwelt) eskaliert. Am Ende werden sie dann mit grausamen Strafen belegt, die aber die anderen Helden nicht davon abhalten, wieder für eine kurze Liebesaffäre mächtige Götter zu reizen. Es sind mutige Abenteurer, die nicht auf die Idee kommen, sich einem Gott aus der langweiligen Tatsache heraus unterzuordnen, dass er ein Gott ist. Nicht selten ist sogar eben diese Tatsache genau der Grund, der sie motiviert, einen Streit anzufangen. Sie legen sich lieber mit Stärkeren an, als mit Schwächeren.

Das biblische Personal hingegen lebt in ständiger Angst vor diesem einen Gott, was seine Abenteuerlust erheblich reduziert. Zumal dieser Gott kein Freund von Alleingängen ist. Wenn er zu frustriert ist, kann er auch in seiner Wut die ganze Welt vernichten. Leider gibt es niemanden, der ihn aufhalten könnte. Das sind keine guten Voraussetzungen, um wahre Heldenfiguren hervorzubringen, die einem Gott kühn die Stirn bieten.

Von daher schlagen die alten Griechen die alten Israeliten haushoch, was den Unterhaltungsfaktor ihrer Götterwelt betrifft.

(PS: Das Neue Testament wurde ausgelassen, weil es die entgrenzte Perspektive größtenteils verloren hat und mehr wie ein früher Regionalroman daherkommt. Das macht es schwer vergleichbar mit den anderen Geschichten.)

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Mit Google auf dem Weg in den 1984-Staat?

Neben der Bibel und Kampf der Kulturen gehört 1984 auf das Siegerpodest der Werke, die zwar sehr wenige wirklich gelesen haben, aber sehr viele als Argument in Debatten einbringen. Immer wenn es um das Datensammeln geht, dauert es nicht lange, bis vor Zuständen wie in 1984 gewarnt wird. Es wäre vermutlich anders, wenn das Buch nicht nur zitiert, sondern auch gelesen werden würde.

Schließlich warnt Orwell vor einer Ideologie, die das Individuum in seinem Kern zerstört, weil sie Privatleben und soziale Bindungen abschafft. Liebe zwischen Menschen ist darum eine Gefahr, die Intimität eines Familienlebens ebenso. Kinder werden vom Staat zu Denunzianten erzogen, vor denen sich die Eltern fürchten müssen, die wiederum eine reine Zweckgemeinschaft eingehen und keine Loyalität füreinander haben sollen. (Übrigens ist der Großteil der Gesellschaft in 1984 überhaupt nicht von Überwachung betroffen, weil er dem Regime völlig egal ist.)

Es ist auch nicht so, dass die Horrorvision einer 1984-Gesellschaft noch vor der Menschheit liegt. Nein, 1984 gab es schon und gibt es noch. Die Sowjetunion war ein solches System. Und Nordkorea ist praktisch der Staat zum Buch.

Wer Angst vor einem Überwachungsstaat im Sinne von 1984 hat, muss also nicht davor zittern, dass Google die Maske fallen lässt und alle Nutzer in die Sklaverei führt. 1984 ist nicht auf Nutzerdaten in Händen eines erfolgreichen Unternehmens angewiesen. Nein, Sadismus und Fanatismus der Menschen reichten schon immer völlig aus, um die Welt in eine Hölle zu verwandeln.

Jede Stimmabgabe für die Partei Die Linke ist jedenfalls ein größerer Schritt in Richtung 1984 als es ein E-Mail-Konto bei Google je sein könnte. Schließlich hat die frühere SED sehr viel Erfahrung darin, wie man das Privatleben von Menschen verstaatlicht. Google hingegen hat bislang nur damit gepunktet, das Privatleben der Menschen bequemer zu machen. Kann man natürlich auch verurteilen.

Vor 1984 warnt man nicht vor allem dort, wo die Missbrauchsgefahr am größten ist, nämlich beim Staat, sondern bei „global agierenden Unternehmen“, die ihr Geld mit den Daten ihrer Kunden machen. Übersehen wird dabei gerne, dass der Staat im Gegensatz zu diesen Unternehmen die Menschen nicht durch besonders attraktive Serviceleistungen dazu bringt, ihm seine Daten zu überlassen, sondern durch den Einsatz von Gewalt, wenn sie nicht freiwillig übergeben werden.

In 1984 wird der Terror nicht von einem an Coca Cola oder McDonald’s angelehnten Konzern ausgeübt und es spricht auch weiterhin wenig dafür, dass der Überwachungsstaat der Zukunft ein Überwachungsunternehmen sein wird.

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Solidarität mit Gotteskriegern und der Mafia

Was mich an der Einstellung der meisten Deutschen zum Nahostkonflikt immer wieder erstaunt, ist, dass sie beim Blick auf Israel und Palästina all die Werte über Bord werfen, die ihnen ansonsten so wichtig sind. Man ist, zu Recht, stolz auf die Toleranz und Offenheit, mit der mittlerweile zwischen Nord- und Bodensee die verschiedensten Lebensentwürfe akzeptiert werden. Es wird sehr empfindlich auf Diskriminierung von Frauen, religiösen Minderheiten und Schwulen reagiert. Wer sein Kind schlägt, ist sozial geächtet, wer die verlorenen Ostgebiete zurückfordert, auch. Streit und Unstimmigkeiten werden verbal gelöst. Der Einsatz körperlicher Gewalt ist verpönt und wer sich nicht als Mann oder Frau fühlt, kann auch gerne als Geschlecht X durchs Leben gehen. Alles kein  Problem in Deutschland, das ist mittlerweile Leitkultur, wer dahinter zurückfällt, fällt in die gesellschaftliche Bedeutungslosigkeit.

Und trotzdem können sich die gleichen Menschen, die das Wort „Neger“ aus Kinderbüchern streichen wollen, weil es diskriminierend ist, im Nahostkonflikt nicht zu den Werten bekennen, die ihnen normalerweise über alles gehen. In Israel garantiert der Staat die Rechte von Homosexuellen, weswegen Tel Aviv zu den beliebtesten Städten unter feierfreudigen Schwulen gehört. Auch die Religionsfreiheit wird verteidigt. Es gibt eine freie Presse und eine unabhängige Justiz, die beide ihren Anteil daran haben, dass diverse Spitzenpolitiker wegen Korruptionsaffären im Gefängnis sitzen. Darunter auch ein ehemaliger Präsident, der übrigens von einem arabischstämmigen Richter verurteilt wurde. Die Gewaltenteilung funktioniert, was eine wichtige Voraussetzung für eine offene Gesellschaft ist. Gleichzeitig ist Israel ein Multikulti-Wunderland, in dem Menschen aus allen Teilen der Erde leben. Der jüdische Staat ist auch das Land im Nahen Osten, in dem Araber mit Abstand am meisten Rechte genießen.

Wie sieht die Situation auf der palästinensischen Seite aus? Es gibt ja im Moment zwei Beta-Versionen eines künftigen palästinensischen Staates und in beiden ist es nicht weit her mit Toleranz und Offenheit. Frauen werden sowohl im Westjordanland der Fatah als auch im Gazastreifen der Hamas unterdrückt. Religionsfreiheit gibt es nicht und das Juden in einem palästinensischen Staat nicht leben  dürfen, hat Abbas selbst immer wieder klargestellt, ohne dass es jemanden stört. (Man kann sich nur schwer vorstellen, dass Netanjahu von einem moslemreinen Israel sprechen könnte, ohne dass es weltweite Empörung gebe und die UNO sich in Sondersitzungen mit dem Thema beschäftigen würde.) Unter der Hamas könnte es jüdische Mitbürger schon deswegen nicht geben, weil sich die Terrororganisation in ihren Statuten dazu bekennt, alle Juden töten zu wollen. In Deutschland kennt man solche Pläne unter dem Namen Endlösung. Homosexuelle werden von der Hamas verfolgt, gefoltert und ermordet. Es gibt keine Kunstfreiheit und wer sich Satiren auf die Herrschenden erlaubt, findet sich im Kerker wieder.

Sollte morgen ein palästinensischer Staat gegründet werden, würde dieser Homosexualität mit dem Tod bestrafen, er würde die Religionsfreiheit nicht gewährleisten, er würde Frauen unterdrücken, er würde Juden nicht als Bürger akzeptieren, über keine unabhängige Presse oder Justiz verfügen und sich in wesentlichen Teilen auf die Scharia berufen. Wer in Deutschland kann sich mit solchen Werten identifizieren? Vermutlich nur eine kleine Minderheit. Aber warum hoffen dann so viele, dass es diesen Staat geben wird?

Wer den Palästinensern wünscht, so frei leben zu können, wie es für uns in Mitteleuropa selbstverständlich ist, sollte sich nicht mit denen solidarisieren, die all diese Werte bekämpfen. Wer heute „Freiheit für Palästina“ fordert, solidarisiert sich mit islamistischen Gotteskriegern und der Mafiaorganisation Fatah. Wer den Palästinensern ein Leben in Freiheit wünscht, muss ihnen andere politische Führer wünschen. Politiker, die sich nicht über den Mord an jüdischen Jugendlichen freuen, sondern die Täter suchen und bestrafen. Politiker, denen ein Heiliger Krieg nicht so wichtig ist wie eine funktionierende Müllabfuhr und Politiker, die nicht darüber grübeln, wie sie Homosexuelle am besten verfolgen können, sondern die den Christopher Street Day in Gaza eröffnen.

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Justin Bieber und Anne Frank

Justin Bieber hat für einen „Eklat“ gesorgt. Nicht wegen seines Affens, das Thema ist schon durch, sondern weil er im Amsterdamer Anne-Frank-Haus einen ungewöhnlichen Gästebucheintrag hinterließ: „Wirklich inspirierend, hierherkommen zu können. Anne war ein großartiges Mädchen. Hoffentlich wäre sie ein Belieber gewesen.“

Wobei Belieber die Selbstbeschreibung von Justin Bieber Fans ist. In Zeitungsartikeln, Internetforen, auf Twitter und Facebook meldeten sich zahllose Menschen zu Wort, die diesen Eintrag für unangemessen hielten. Wo ist denn aber das Problem? Wäre es denn angemessen gewesen, wenn der Sänger staatstragend zu Papier gebracht hätte: „Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft“? Wer hätte ihm das abgenommen? Nein, er ist kein Politiker und wenn ein Gästebuch nur dazu da ist, die immer gleichen Floskeln zu hinterlassen, würde es auch reichen, wenn nur die Unterschriftenzeile frei bleibt und der jeweilige Besucher dort unterschreibt.

Außerdem hat Bieber doch Recht. Eine Welt, in der man als Teenager ein Belieber sein kann, ist das genaue Gegenteil von der Hölle, in der Anne Frank sterben musste. Warum sollte er nicht überlegen, was ihr gefallen hätte und ob sie ein Fan seiner Musik gewesen wäre? Man kann es für erstaunlich selbstbezogen halten, dass Bieber beim Gang durch das Haus ausgerechnet solche Gedanken durch den Kopf gingen, aber weder macht er sich damit lustig über Anne Frank, noch verharmlost er die Nazi-Verbrechen.

Ein Weltstar im Teenageralter, der in seinem Größenwahn alle Ereignisse der Weltgeschichte nur auf sich selbst gespiegelt begreift, und den deswegen bei Anne Frank die Frage umtreibt, was sie wohl von ihm gehalten hätte, ist außerdem genau das, was so oft gefordert wird: Authentisch.

Sehr wohl problematisch sind dagegen Politiker, die zwar wissen, was für Betroffenheitslyrik in so ein Buch gehört, aber dann verhindern, dass die judenhassende Mörderbande Hisbollah auf die Liste der terroristischen Vereinigungen kommt. Oder den anwachsenden Antisemitismus in Europa übersehe bzw. nur in seiner rechtsradikalen (aber nicht linksextrem oder islamistischen) Ausformungen erkennen wollen.

Justin Bieber ist kein Diplomat und anscheinend stand ihm in diesem Moment auch kein PR-Berater zur Seite, also hat er diesen harmlosen Beweis seines grenzenlosen Egos zu Papier gebracht. Nicht schlimm. Es wäre tatsächlich toll, hätte Anne Frank die Möglichkeit gehabt, sich die Poster ihrer Idole an die Wand zu hängen, anstatt bei jedem Geräusch im Haus den Tod fürchten zu müssen.

Gideon Böss twittert unter twitter.com/GideonBoess

Jude sein gefährdet Ihre Gesundheit!

Dass es niemanden wirklich stört, wenn ein Mann ein Kind angreift, weil dieses eine jüdische Kopfbedeckung trägt, ist eines der Rätsel des „Nie wieder“-Landes. Vor einigen Tagen wurde ein Junge attackiert, weil er durch seine Kippa als Jude erkennbar war. Der Täter flüchtete, der Junge ging zur Polizei, der Vorfall wurde in zwei, drei Zeitungen kurz erwähnt, fertig.

Kann es sein, dass die Politik kein Interesse daran hat, solche Fälle groß zu thematisieren? Vielleicht, weil man dann zugeben müsste, dass Davidsterne und Kippot ein Sicherheitsrisiko für den Träger sind? Im Grunde müsste es Plakate geben, die im Stile der Zigarettenwerbung warnen: Jude sein gefährdet Ihre Gesundheit! Wer das für übertrieben hält, kann ja zum Beispiel die Betreiber jüdischer Lebensmittelläden und Lokale fragen, die meist nicht lange durchhalten, weil die Fensterscheiben regelmäßig eingeschlagen und die Hauswände mit antisemitischen Parolen beschmiert werden. Jüdisches Gemeindeleben ist ohnehin nur unter Polizeischutz möglich und Michel Friedmann erhält nicht aus dem Grund Personenschutz, weil er ein anstrengender Schwätzer ist, sondern weil er ein anstrengender und jüdischer Schwätzer ist.

Das ist alles bekannt und trotzdem sind alle zufrieden, wenn darüber wenig oder überhaupt nicht gesprochen wird. Viel lieber redet man über das „neue Selbstbewusstsein“ des Judentums in Deutschland, über das Mahnmal, zu dem man gerne geht und um das uns manche Nationen „beneiden“ (welche eigentlich?). Denkmäler und Reden für bzw. auf Juden, die vor Jahrzehnten ermordet wurden, sind auch noch in Ordnung, aber dann hört es schon langsam auf. Mit Israel tun sich auch die eifrigsten Stolpersteinpaten schwer und mit den Bedrohungen, denen sich Menschen ausgesetzt sehen, die erkennbar als Juden zu identifizieren sind, ohnehin.

Deutschland ist ein wunderbares Land für tote Juden, denen geht es hier gut, sie werden geachtet und ihnen ist die Zivilcourage aller wachsamen Deutschen sicher. Im Gegenzug tun sie dem Land den Gefallen, nicht durch die Straßen zu spazieren, wo sie aufgrund ihrer bloßen Existenz den Zorn hebräerkritischer Mitmenschen auf sich ziehen könnten. Lebende Juden sind nicht so rücksichtsvoll. Endgültig ärgerlich wird es, wenn sie durch eindeutige Halsketten oder Kopfbedeckungen provozieren. Natürlich tragen sie dann eine Mitschuld, wenn es hin und wieder zu Übergriffen kommt. Deswegen ist es für die Politik, die sich ansonsten pathologisch in alle Lebensbereiche einmischen will, nicht interessant, sich zu solchen Ereignissen lautstark zu Wort zu melden  (zumal die 6 Millionen wichtigen Juden ohnehin nicht zu Wahlen zugelassen sind und die paar lebenden Juden als Wählerschaft bedeutungslos sind).

Dem Kind jedenfalls sollte mal jemand den Tipp geben, in der Öffentlichkeit nicht als Jude aufzufallen. Dann ist alles wieder gut.

Tal der Wölfe – Deutschland

Tal der Wölfe – Irak habe ich vor vier Jahren gesehen. Zusammen mit einem Freund. Wir waren wohl die einzigen im Kinosaal, die keinen Migrationshintergrund hatten. Der Film lief auf Türkisch für ein türkisches Publikum. Schon im ersten Teil kamen Juden vor, die den Irakern ihre Organe stehlen und verkaufen. Und jetzt kommt Teil II heraus (Tal der Wölfe – Palästina). Der dreht sich um das türkische Terrorschiff, welches im vergangenen Jahr abgelaufene Medikamente und anderen Schrott an die Hamas im Gazastreifen liefern wollte. Die israelische Marine stoppte das Schiff und es kam zu einem Kampf, dabei wurden neun heilige, türkische Krieger getötet. Die werden jetzt gerächt. Das ist auch schon die ganze Story von Tal der Wölfe – Palästina. Zusammengefasst: Antisemiten rächen sich an Juden dafür, dass die sich gegen Antisemiten wehren.

Ein abstoßender Film, keine Frage. Und es macht die Türkei nicht sympathischer, dass solche Machwerke große Publikumserfolg sind. Aber wie wird denn eigentlich in Deutschland auf diesen Film reagiert.  Sehr empfindlich, wegen dem Starttermin. Der fällt ausgerechnet auf den 27. Januar, den nationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus. Aus dem Chor der Synchronempörten soll hier Philipp Mißfelder zitiert werden, außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU:

„Einen solchen Film ausgerechnet an diesem wichtigen Gedenktag in Deutschland zu starten, ist an Geschmacklosigkeit kaum zu überbieten. Dies sei besonders rücksichtslos gegenüber den Gefühlen der Opfer.“

Falsch, das ist nicht rücksichtslos gegenüber den Opfern. Denen gegenüber war es rücksichtslos, sie zu deportieren und ihre Freunde und Verwandten zu ermorden. Dieser Starttermin für den Film ist höchstens gegenüber Deutschen rücksichtslos, die sich in ihrem Erinnern gestört fühlen. Die Opfer und ihre Nachkommen habe andere Sorgen. Zum Beispiel, dass man in Deutschland besser nicht als Juden auffallen sollte, dass jüdische Kindergärten, jüdische Gemeindeeinrichtungen und Synagogen rund um die Uhr von der Polizei bewacht werden müssen, dass prominente Juden täglich Drohbriefe erhalten und jüdische Kinder wegen ihrer (zumeist muslimischen) Mitschülern auf jüdische Schulen fliehen oder sogar das Land verlassen.

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