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Fotokunst Die sehr intimen Bilder der 60er- und 70er-Jahre

In den 60er- und 70er-Jahren ließen sich viele Prominente ohne Scheu in sehr privaten Posen ablichten. Bilder, die auch heute nichts von ihrer Faszination verloren haben
Von Barbara Reitter-Welter | Stand: 01.10.2016 | Lesedauer: 5 Minuten
Ausstellung im Muenchner Stadtmusem Ausstellung im Muenchner Stadtmusem

Die neue Diskothek in New York hat ein Trampolin. Zur Eröffnung kommen jede Menge Stars und Sternchen - und Fotografen, die das wilde Partyleben festhalten. Die Fotografen sind in ...

Die neue Diskothek in New York hat ein Trampolin. Zur Eröffnung kommen jede Menge Stars und Sternchen - und Fotografen, die das wilde Partyleben festhalten. Die Fotografen sind in in den 60er und 70er Jahren fast so populär wie diejenigen, die sie ablichten

Die neue Diskothek in New York hat ein Trampolin. Zur Eröffnung kommen jede Menge Stars und Sternchen - und Fotografen, die das wilde Partyleben festhalten. Die Fotografen sind in in den 60er und 70er Jahren fast so populär wie diejenigen, die sie ablichten

Quelle: Ron Galella, Ltd

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Auch wenn es heute leicht verstaubt klingen mag, „Sex, Drugs and Rock’n’Roll“ war die Lebensphilosophie der beiden Dekaden zwischen 1960 und 1980. In den Swinging Sixties und den glamourösen Seventies waren Aufbruch und Experimentierfreude das Gebot der Stunde. Zumindest in Metropolen wie New York, London und Paris. Dort brodelte es in allen Bereichen des kreativen und gesellschaftlichen Lebens. Ob Film oder Malerei, Mode oder Musik – alles vermischte sich in einem chaotischen Crossover einer permanenten Party.

Einen animierenden Abglanz dieser wilden Zeiten serviert jetzt das Münchner Stadtmuseum in der Schau „Shoot! Shoot! Shoot“. Anhand von rund 200 Schwarz-Weiß-Aufnahmen der privaten Schweizer Nicola Erni Collection wird eine Epoche lebendig, die auch in Deutschland Veränderung brachte, aber längst nicht so spektakulär ablief, weil die exaltierten Protagonisten fehlten.

Ulrich Pohlmann, Leiter der Fotosammlung des Hauses, hatte Glück mit der Sammlerin, denn sie ließ ihm freie Hand bei der Auswahl aus insgesamt 2000 Objekten. Sie selbst bleibt gern im Hintergrund. Ko-Kuratorin Ira Stehmann: „Nicola Erni will nicht ins Rampenlicht, nur so viel: Sie sammelt seit 18 Jahren, wohnt im schweizerischen Zug, hat ihre Sammlungsbestände in ihrem Haus und bewundert die Zeit der Jugendrevolution.“

Ausstellung im Muenchner Stadtmusem

Bad Boy im Schafspelz: Mick Jagger, fotografiert 1964 von David Bailey

Bad Boy im Schafspelz: Mick Jagger, fotografiert 1964 von David Bailey

Quelle: David Bailey

Die gesellschaftspolitische Realität jener Aufbruchsepoche bleibt jedoch außen vor: Bilder vom Protest gegen den Vietnamkrieg, der Bürgerrechtsbewegung der Schwarzen oder Frauenemanzipation wurden nicht explizit gesammelt, schleichen sich jedoch immer wieder ein. So im Kapitel „Performance“, in dem der fotografische Fokus auf feministischen Aktionen wie dem Cellospiel der nackten Charlotte Moorman oder den „all over dots“ der japanischen Performerin Yayoi Kusama liegt. Immerhin gibt es ein Bild des US-amerikanischen Hoffnungsträgers John F. Kennedy – mit einem „Heiligenschein“.

Die Sammlerin war mehr interessiert am Leben von High Society und Geldadel, von It-Girls und echten Celebrities, Kunstmachern und Kunstkäufern, also den reizvollen Widersprüchen im sozialen Miteinander jener Jahre, für welche Andy Warhol den ironischen Begriff des „social disease“ geprägt hatte. Das funktionierte perfekt, war doch das Private in diesen Jahrzehnten noch weitgehend öffentlich.

Der Pakt der Stars mit den Fotografen

Stars und Starlets paktierten mit den Fotografen, ja waren in gegenseitigem Einverständnis nach gemeinsamen Spielregeln fast parasitär verbunden. Die Fotografen waren Teil des wilden Partylebens. Sie waren selbst Teil der Szene und meist genauso populär wie die von ihnen Abgelichteten. Sie lieferten die Ikonen und kreierten den Nimbus, um die Leser illustrierter Magazine mit Infos über den Jetset und seine prominenten Vertreter zu beliefern.

In diesem Punkt sieht Pohlmann auch den entscheidenden Unterschied zu heute. „Fotos waren der Transmissionsriemen zwischen dem Promi und seinem Gegenüber. Im Vergleich zu heute gab es sehr intime, private Aufnahmen.“ Und das lange vor der inflationären Bilderflut in den sozialen Medien, in denen Künstler oder Schauspieler extrem Kontrolle ausüben, was veröffentlicht werden darf.

Ausstellung im Muenchner Stadtmusem

Kunstwerk: Der Modedesigner Yves Saint Laurent posiert als Nacktmodel 1971 in Paris für seine Parfüm-Kampagne

Kunstwerk: Der Modedesigner Yves Saint Laurent posiert als Nacktmodel 1971 in Paris für seine Parfüm-Kampagne

Quelle: The Estate of Jeanloup Sieff

Deshalb ist der Titel Programm, steht das dreifache „Shoot“ mit Ausrufezeichen für den spontanen Zugriff auf die Motive. Beim Durchstreifen der Ausstellung relativiert sich jedoch diese Interpretation, denn die motivische und formale Bandbreite der Fotografien überrascht. Neben fast unbeholfen wirkenden Schnappschüssen und veritablen Paparazzi-Fotos von einer Intimität, die wir heute durchs Internet gewohnt sind, die aber vor 50 Jahren absolut unüblich war, gibt es auch Street-Photography sowie aufwendig inszenierte, durchkomponierte Studiobilder.

Die fotografischen Originale wurden in acht thematische Kapitel eingebettet. Diese korrespondieren sogar farblich; so ist der erste Raum im Silber der „Silver Factory“ von Andy Warhol gehalten, jenem „Labor“, in dem gearbeitet, gefeiert und geliebt wurde, während für die erfolgreiche Musikszene ein üppiger Goldton gewählt wurde. Um Warhol sammelte sich die Avantgarde der Pop-Art wie David Hockney, Roy Lichtenstein oder Robert Rauschenberg, auch das Ehepaar Christo oder Salvador Dalí findet man bei den „Faces“.

Die Ausstellung versammelt das Who is Who der Fotokunst

Das absolute Alleinstellungsmerkmal dieser Ausstellung sind jedoch die hochkarätigen Fotografen. Ein Who’s who der Fotokunst, deren Großkaliber man noch heute kennt, denn die meisten wurden weltberühmt: Ron Galella, Urvater aller Paparazzi, Diane Arbus, Annie Leibovitz und Eve Arnold, Richard Avedon, Helmut Newton, Robert Mapplethorpe und Irving Penn, aber auch Garry Winogrand.

Letzterer lichtete Frauen ohne zu fragen auf der Straße ab und verewigte sie im Bildband „Women are beautiful“. So wird man in der Ausstellung jenseits des optisch-voyeuristischen Vergnügens hinaus auch immer wieder zur Reflexion über den Umgang mit Bildern generell animiert. Was Ulrich Pohlmann sicherlich auch im Subtext intendiert hat.

Ausstellung im Muenchner Stadtmusem

Marlon Brando, hier 1974 in New York, hatte im Streit dem Fotografen Ron Galella die Zähne eingeschlagen. Dieser trug deshalb, wann immer er Brando ablichten wollte, einen Football ...

Marlon Brando, hier 1974 in New York, hatte im Streit dem Fotografen Ron Galella die Zähne eingeschlagen. Dieser trug deshalb, wann immer er Brando ablichten wollte, einen Football-Helm

Marlon Brando, hier 1974 in New York, hatte im Streit dem Fotografen Ron Galella die Zähne eingeschlagen. Dieser trug deshalb, wann immer er Brando ablichten wollte, einen Football-Helm

Quelle: Ron Galella, Ltd

Das Entscheidende aber ist, dass sich neben echten Trouvaillen auch Ikonen der Fotografie finden: die Beatles bei der Kissenschlacht, Mick Jagger mit Fellkapuze, seine Frau Bianca beim Rasieren der Achselhaare, John Lennon embryonal an Yoko Ono geschmiegt, Uschi Obermaier in sexy Posen, Yves Saint Laurent als Akt.

Man sieht auch Impressionen aus der Musikszene; damals noch weiß und männlich dominiert, mit Ausnahmen wie Tina Turner, Diana Ross oder der wie ein Unschuldsengel abgelichteten Marianne Faithfull. Der harte Sound der Beatles und Rolling Stones lässt sich mühelos assoziieren, man kann eintauchen in die malerischen Exzesse eines Francis Bacon oder die zahllosen Performances, die den weiblichen Körper emanzipiert zur Schau stellten.

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Kurz, man kann sich zurückversetzen in eine Glamourzeit, als Truman Capote im Hotel „The Plaza“ zum Schwarz-Weiß-Kostümball lud, Marlon Brando einem Fotografen fünf Zähne ausschlug und Brigitte Bardot noch keine Seehunde rettete.

„Shoot! Shoot! Shoot!“ Fotografien der 60er- und 70er-Jahre aus der Nicola Erni Collection, Münchner Stadtmuseum, bis 15. Januar

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