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Beratungsstelle Warum mehr Frauen auf der Wiesn Hilfe suchen

Vom geklauten Handy bis zur Vergewaltigung: Die Aktion „Sichere Wiesn“ steht Frauen bei, die in Not geraten. In diesem Jahr haben die Beraterinnen der Anlaufstelle so viel zu tun wie nie zuvor.
Von Beatrice Oßberger | Stand: 27.09.2016 | Lesedauer: 5 Minuten
183. Münchner Oktoberfest 183. Münchner Oktoberfest

Der Eingang zum Münchner Oktoberfest: Frauen, die in eine Notlage geraten, können sich an eine Beratungsstelle direkt auf der Wiesn wenden. Männner haben dort keinen Zutritt

Der Eingang zum Münchner Oktoberfest: Frauen, die in eine Notlage geraten, können sich an eine Beratungsstelle direkt auf der Wiesn wenden. Männner haben dort keinen Zutritt

Quelle: dpa

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Welt: Die wichtigste Frage zuerst: Wo finden Mädchen und Frauen die Beratungsstelle „Sichere Wiesn“ auf dem Oktoberfest und wann ist diese besetzt?

Anja Bawidamann: Wir sind im Servicezentrum hinter dem Schottenhamel-Zelt, direkt am Eingang „Erste Hilfe“. Geöffnet haben wir unter der Woche von 18 bis circa ein Uhr, an den Samstagen bereits ab 15 Uhr bis circa ein Uhr.

Welt: Seit 2003 gibt es die Aktion Sichere Wiesn. Jetzt haben Sie für dieses Jahr das Personal aufgestockt. Warum?

Bawidamann: Wir haben in den vergangenen Jahren die Erfahrung gemacht, dass wir auch unter der Woche mit teils komplexeren Krisenfällen konfrontiert wurden. Deshalb haben wir die Entscheidung getroffen, dass nicht nur an den Wochenenden, sondern jetzt auch unter der Woche immer zwei Fachfrauen vor Ort sind, die die Mädchen und Frauen beraten können.

Welt: Sie haben bisher 116 Frauen beigestanden, das sind 13 mehr als im Vorjahr. Die Polizei hat in diesem Jahr bisher doppelt so viele Sexualdelikte gezählt wie im vergangenen Jahr. Passiert schlichtweg einfach mehr?

Bawidamann: Tatsächlich haben wir so eine hohe Halbzeitbilanz wie noch nie. Aber das bedeutet nicht, dass auch tatsächlich mehr passiert. Die Menschen sind gerade für das Thema sexuelle Gewalt sensibilisiert. Einer Frau an den Busen zu grapschen ist ein sexueller Übergriff, der jetzt auch als solcher wahrgenommen wird. Auch auf dem Oktoberfest. Dazu kommt, dass wir als Anlaufstelle immer bekannter werden. Die Mädchen und Frauen wissen, dass es uns gibt. So erklären wir uns die seit Jahren stetige Zunahme unserer Beratungstätigkeit. Es passiert vermutlich nicht mehr, aber wir erfahren mehr.

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Die Beratungstelle für Mädchen und Frauen ist jeden Abend besetzt. Bis ein Uhr nachts sind die Beraterinnen vor Ort, um zu helfen

Die Beratungstelle für Mädchen und Frauen ist jeden Abend besetzt. Bis ein Uhr nachts sind die Beraterinnen vor Ort, um zu helfen

Quelle: AP

Welt: Die 116 Fälle, die Sie bisher hatten – was waren das für welche?

Bawidamann: Die große Mehrheit, mehr als 60 Prozent, sind sogenannte Verlustfälle. Frauen, die ihr Handy verloren haben, ihre Handtasche, ihre Freunde, ihre Reisegruppe. Gerade wenn die Frauen nicht aus München kommen, sich also nicht auskennen und sie unsere Sprache nicht sprechen, können sie schnell in für sie gefährliche Situationen geraten. Wir helfen den Frauen, indem wir versuchen, von unserer Stelle aus die Freunde zu kontaktieren, entweder mobil oder über Facebook, was auch häufig klappt. Wenn das nicht funktioniert, sorgen wir dafür, dass die Mädchen und Frauen sicher nach Hause oder ins Hotel kommen. Wir können sie mit Taxischeinen ausstatten oder wir fahren sie selbst. Wir haben dafür extra ein Auto gemietet.

Welt: Und die anderen 40 Prozent?

Bawidamann: Wir hatten zwei Fälle von körperlicher Gewalt durch Fremde, zwei Fälle körperlicher Gewalt durch den Partner und sechs Fälle von sexueller Gewalt. Aus Datenschutzgründen darf ich diese Fälle nicht näher erläutern.

Welt: Aus Ihrer Beratungstätigkeit heraus: Bemerken Sie, ob bestimmte Delikte zunehmen, andere hingegen abnehmen?

Bawidamann: Hier sind die Zahlen relativ stabil. Die prozentuale Verteilung der Beratungsgründe, also Verlustsachen, körperliche Gewalt und sexuelle Gewalt, ist über die Jahre gleich geblieben, zumindest war bei uns keine Veränderung zu bemerken. Was wir aber bemerken, und deshalb eben auch die Personalaufstockung, ist, dass wir auch vermehrt unter der Woche gefragt sind. Hier hatten wir schon öfter schwere Krisenfälle, in denen unbedingt Fachpersonal vonnöten war.

Welt: Was sind das für Fälle?

Bawidamann: Das sind Fälle beispielsweise von Retraumatisierungen. Wir haben es schon öfter erlebt, dass wir amerikanischen Soldatinnen beistehen mussten, bei denen durch den Lärm, durch die Musik, durch das Chaos, das teilweise auf der Wiesn herrscht, Kriegstraumata aufgebrochen sind. Oder wir haben Frauen unterstützt, die durch irgendein Erlebnis auf dem Oktoberfest an kindlichen Missbrauch, an Gewalterfahrung erinnert wurden. Diese Beratungen sind zeitaufwendig und verlangen in jedem Fall eine Fachkraft.

Münchner Polizeisprecher erklärt Sicherheitskonzept

Sicherheit und Terrorangst sind die beherrschenden Themen des Oktoberfestes. Die Stadt hat nach dem Amoklauf in München ihr Sicherheitskonzept verschärft. Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins erklärt es.

Quelle: Die Welt

Welt: Auf Ihrer Internetseite informieren Sie ausführlich über K.-o.-Tropfen. Wie groß ist denn die Gefahr tatsächlich?

Bawidamann: Das ist schwer einzuschätzen, weil auch der Nachweis von K.-o.-Tropfen sehr schwierig ist. Wir hatten in diesem Jahr bisher nur einen Verdachtsfall, aber keinen, bei dem sich der Verdacht erhärtet hat. Wir raten hier generell dazu, Vorsicht walten zu lassen.

Welt: Kommen die Mädchen und Frauen eigentlich von alleine zu Ihnen oder werden sie Ihnen von der Polizei geschickt?

Bawidamann: Das ist ganz unterschiedlich. Die Mehrheit kommt über die Polizei und das Bayerische Rote Kreuz. Aber wir haben auch immer wieder Fälle, in denen die Mädchen und Frauen von anderen Besuchern gebracht werden oder von Schaustellern oder Kellnern. Dass Frauen, die Gewalterfahrungen gemacht haben, sich danach noch daran erinnern, dass es da einen Security Point gibt, wo sie hingehen können, das wäre auch etwas viel verlangt.

Welt: Was machen Sie, wenn der wütende, gewaltbereite Ex-Freund gleich mit an Ihrer Beratungsstelle erscheint?

Bawidamann: Unsere Anlaufstelle ist geschützt, wir haben Sicherheitsleute vor der Tür. Die kommen nicht rein.

Welt: Dürfen Männer denn zu Ihnen in die Beratungsstelle?

Bawidamann: Nein, hier gibt es ein klares Verbot. Wir verstehen uns als Schutzraum für Mädchen und Frauen. Hier haben Männer keinen Zutritt.

Welt: Aber auch Männer werde Opfer von sexueller Gewalt. Wo sollen die sich hinwenden?

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Bawidamann: Ich würde befürworten, auch für Männer eine Anlaufstelle einzurichten. Ich weiß gerade von keinem Fall, in dem uns Männer um Hilfe gebeten haben. Aber wenn dem so wäre, würde ich sie an das Rote Kreuz weiterverweisen. Dort gibt es kompetente Ansprechpartner.

Die Aktion „Sichere Wiesn für Mädchen und Frauen“ wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Getragen wird sie von den Organisationen Amyna, Imma und dem Frauennotruf München

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