Es war wohl ein Zufallsfund. Am 5. November 2015, gegen acht Uhr, wurden bayerische Polizisten im Zuge der Schleierfahndung auf der Autobahn A8 in der Nähe von Rosenheim auf ein Fahrzeug aufmerksam. Es war ein weißer VW Golf III, ein Mietwagen mit dem montenegrinischem Kennzeichen PG-FA 764. Auf dem Parkplatz Im Moos bei Bad Feilnbach kontrollierten die Beamten den Wagen und den Fahrer.
Er sei auf dem Weg nach Paris, erklärte der Fahrer, Vlatko V., den deutschen Polizisten, er wolle dort Urlaub machen. Die Fahrzeugpapiere und der Ausweis des Montenegriners waren unverdächtig. Im Motorraum des Golfs entdeckten die Fahnder dann allerdings den Lauf einer Waffe. Umgehend wurden Beamte des Landeskriminalamts hinzugerufen.
Die genaue Untersuchung des Autos förderte schließlich ein ganzes Waffenarsenal zutage. Mit Drähten und Klebeband am Motorblock befestigt und in den Seitenwänden der Türen versteckt waren insgesamt acht Sturmgewehre der Marken Kalaschnikow und Zastava, dazu neun Magazine, zwei Pistolen, ein Revolver, 237 Schuss Munition unterschiedlichster Kaliber, zwei jugoslawische Handgranaten und 200 Gramm TNT-Sprengstoff samt Zündvorrichtung.
Am Freitag beginnt vor dem Münchner Landgericht I der Prozess gegen Vlatko V., den mutmaßlichen Waffenschmuggler von der bayerischen Autobahn: Laut Anklage soll der 51-jährige verschuldete Gelegenheitsarbeiter aus Konik, dem Armenviertel der montenegrinischen Hauptstadt Podgorica, nicht nur gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen haben. Ihm wird auch die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat vorgeworfen.
Waffenschmuggel im Bereich organisierter Kriminalität
Die Staatsanwaltschaft ist der Überzeugung, dass Vlatko V. mit seinem illegalen Waffentransport die IS-Terroristen bei ihren Anschlägen in Paris im vergangenen Jahr unterstützen sollte. Die Beweislage dafür gilt als eher dürftig – und beruht weitgehend auf einer Kausalität: Am 13. November 2015 ermordete ein islamistisches Terrorkommando in der französischen Hauptstadt in Restaurant, Cafés und dem Konzertsaal Bataclan 130 Menschen. Die Attentäter verwendeten dabei Sprengstoffgürtel und ähnliche Schnellfeuerwaffen, wie sie Vlatko V. eine Woche zuvor transportiert hatte.
Der Aufgriff auf der Autobahn bei Rosenheim war erst nach den Paris-Anschlägen bekannt geworden. Das Ermittlungsverfahren wurde zunächst auch ohne Terrorbezug geführt. Es handele sich um Waffenschmuggel im Bereich der organisierten Kriminalität, hieß es.
Inzwischen aber geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass es einen Bezug zu Terrornetzwerken gibt. Als gesichert gilt, dass Vlatko V., der in Montenegro als Saisonarbeiter in Weinbergen jobbte und Spielschulden haben soll, den weißen VW Golf am 2. November 2015 in seiner Heimat gemietet hatte. Eine Woche später wollte er den Wagen angeblich wieder abgeben. Vlatko V. besorgte sich einen neuen Reisepass und begann seine Fahrt von Montenegro über Kroatien, Slowenienund Österreich bis nach Bayern, wo ihn die bayerischen Fahnder stoppten.
Ein öffentlicher Parkplatz als Zieladresse in Paris
Im Auto entdeckten die Polizisten ein GPS-Navigationsgerät. Darin eingespeichert war laut Anklageschrift eine Adresse in Paris. Darauf angesprochen gab Vlatko V. an, „den Eiffelturm in Paris besichtigen zu wollen“. Danach wolle er wieder die Heimreise antreten. Von den sichergestellten Waffen und Sprengmitteln habe er nichts gewusst. Die Pariser Zieladresse, die sich auch auf einem handschriftlichen Zettel im Mietwagen befand, lag allerdings weitab vom Eiffelturm: 7 Allée du Gros Chêne, Livry-Gargan. Dort, am nordöstlichen Stadtrand der französischen Hauptstadt, befindet sich keine Sehenswürdigkeit und auch kein Hotel. Es handelt sich um einen öffentlichen Parkplatz.
Ein solches Vorgehen ist nicht ungewöhnlich im illegalen Waffenhandel. Die Ware wird vom Verkäufer professionell in Autos verbaut und versteckt, dann von einem Fahrer an einen Bestimmungsort gebracht, wo sie schließlich vom Käufer in Empfang genommen wird.
Auch bei islamistischen Terroranschlägen sollen Attentäter bereits auf diese Weise mit Mordwaffen ausgestattet worden sein. Insbesondere ein Fall aus Frankreich weist erstaunliche Parallelen zum Fall Vlatko V. auf. Im April 2015 nahmen französische Polizisten den Algerier Sid Ahmed Ghlam fest. Er war mit einer Schussverletzung auf der Straße gefunden worden. Offenbar hatte sich der Islamist aus Versehen mit einer Kalaschnikow selbst in die Hüfte geschossen. Ghlam soll geplant haben, im Auftrag der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) ein Attentat in einer Kirche in Villejuif bei Paris zu verüben.
Im Verhör gab Ghlam zu Protokoll, dass er in Syrien vom Belgier Abdelhamid Abaaoud, dem Kopf des späteren Terrorkommandos von Paris, für seinen Anschlag instruiert worden sei. Der IS-Terrorist habe ihn mit Geld ausgestattet, so Ghlam, und habe ihm versichert, dass für die Logistik des geplanten Attentats gesorgt sei. Abaaoud habe ihm außerdem eine französische Adresse genannt, die er sich nicht notieren durfte, sondern stattdessen auswendig lernte: Es war die Adresse eines Parkplatzes in Paris.
Wusste Vlatko V., für wen er Waffen schmuggelte?
Dort fand Sid Ahmed Ghlam an einem verabredeten Tag einen Renault Mégane. Auf einem Reifen des Wagens lag der Autoschlüssel. Ghlam berichtete den Ermittlern, dass er im Kofferraum gleich mehrere Kalaschnikow-Sturmgewehre samt Munition und kugelsichere Westen fand. Offenbar hatte Abdelhamid Abaaoud die Waffenlieferung organisiert. War Vlatko V. also auch damit beauftragt worden, sein Auto auf einem Pariser Parkplatz abzustellen und so islamistische Terroristen mit Waffen zu versorgen? War er damit – vermutlich unwissentlich – Teil einer terroristischen Infrastruktur des IS?
Die deutschen Ermittler glauben, dass Vlatko V. als Kurier fungierte und wohl selbst nicht wusste, für wen oder für welchen Zweck die Waffen und der Sprengstoff gedacht waren. Die Hintermänner, sprich seine Auftraggeber, soll V. zumindest gekannt haben. Laut Anklage soll er mindestens 2000 Euro für seine Fahrdienste bekommen haben
Das Bundeskriminalamt hat die Waffen und den TNT-Sprengstoff begutachtet. Das Ergebnis: Das Material stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus Armee- und Polizeibeständen der Staaten des ehemaligen Jugoslawien. Und es war voll funktionsfähig. Vlatko V. wurde eine Woche vor den Paris-Anschlägen aufgegriffen. Falls die tödliche Lieferung in seinem Mietwagen tatsächlich für die Attentäter bestimmt gewesen war, dann hatten die Terroristen erstaunlich schnell für Ersatz gesorgt.
Für den Prozess gegen den mutmaßlichen Waffenschmuggler sind drei Verhandlungstage angesetzt.