Motor

Mittelklasse

06.09.16

Renault Talisman – ein Schönling mit Schwächen

Mit dem Talisman erreicht Renault den Höhepunkt seiner Designoffensive. Die Technik der Limousine wird die Konkurrenz aber nicht nervös machen. Vor allem der Abstandsregeltempomat gibt Rätsel auf.

Der Renault Talisman ist 4,85 Meter lang und bietet gute Knie- und Kopffreiheit
Foto: Stefan Anker Der Renault Talisman ist 4,85 Meter lang und bietet gute Knie- und Kopffreiheit

Trolle gibt es nicht nur im Internet, sie sind reale Menschen, denen man tatsächlich begegnen kann. Mein Troll rief mir Folgendes zu: "Ick würd hier ja nich so ne Show machen mit dit Auto. Renault is doch peinlich."

Nun sagt man den Berlinern und teilweise auch den Brandenburgern nach, sie hätten Herz mit Schnauze. Dieses Vorurteil habe ich schon immer kritisch gesehen, aber immerhin: Schnauze stimmt. Mein Troll jedenfalls kommentierte meine Bemühungen, ein ansehnliches Foto vom neuen Renault Talisman zu machen, wozu ich mir den Parkplatz von "Pflanzen Kölle" ausgesucht hatte, der war am Sonntag leer.

Bis auf den Troll, der mit seinem etwa zehnjährigen Sohn auf einem Kantstein saß und Pommes aß. Hätte ich ihn meinerseits auf sein sonderbares Verhalten am Sonntagnachmittag aufmerksam machen müssen?

So unangenehm dieser kurze menschliche Kontakt auch war, er zeigte mir immerhin, dass Menschen auf Autos der Marke Renault wieder reagieren. Weil sie sie leicht erkennen. Der Designchef Laurens van den Acker, ein Niederländer, der zuvor in Diensten von Mazda stand, hat sein Heil in der Flucht nach vorn gesucht, was ich richtig finde.

Autos müssen wiedererkennbar und auffällig sein

Ohne Wiedererkennungswert bist du nichts im 21. Jahrhundert, und wer nicht auf BMW-Doppelniere, Mercedesstern oder den wuchtigen Singleframe von Audi zurückgreifen kann, der tut gut daran, sein Auto auf andere Weise auffällig zu gestalten.

So tragen mittlerweile alle Renault-Modelle den Rhombus, also das Markenlogo, sehr, sehr groß auf dem Kühlergrill. So groß ist der Rhombus, dass man eine Aussparung in die Motorhaube konstruieren muss, damit er passt. Wie der Renault Mégane trägt der Talisman zudem sehr auffällige LED-Tagfahrlichter, die wie Bumerangs wirken, während die Heckleuchten an eine Designerbrille erinnern.

Renault also. Man erkennt die Marke sofort, und das ist gut so, denn was man nicht erkennt, kann man ja auch nicht mögen. Die Frage ist: Was passiert nach dem Erstkontakt? Wenn man sich, von Trollen unbeeindruckt, mit dem Renault bekannt gemacht hat, die Tür öffnet und einsteigt, um ihm eine Chance zu geben.

Auch wenn Gestaltung des Interieurs wichtig ist, befindet man sich nun diesseits des Designs. Die Technik des Autos übernimmt die führende Rolle, und es kommt der Moment der Entscheidung: Was kann der Renault?

Der Talisman verfügt ordentlich über Leistung

Die Antwort ist: Er kann alles, was die anderen auch können. Er holt mit Turbo-Hilfe 200 PS aus einem nur 1,6 Liter großen Vierzylinder. Er bringt – auch daran ist der Turbolader schuld – ein vernünftiges Drehmoment von 260 Newtonmetern bei nur 2500 Umdrehungen zustande.

Er beansprucht einen Normverbrauch von 5,8 Liter Super für sich (in unserem Alltagstest waren es 8,2 Liter), und er bietet stattliche Fahrleistungen: 237 km/h Spitze, nur 7,6 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h.

Leise läuft der Talisman und flott, und man könnte also sagen: Dieser Renault ist alles, nur nicht peinlich. Zumal seine 4,85 Meter lange Karosserie noch Knie- und Kopffreiheit in hohem Maße bietet und einen Kofferraum, der 608 Liter Volumen mitbringt – bei umgeklappten Rücksitzlehnen sind es sogar 1022 Liter.

Und zumindest die Serienausstattung des von uns gefahrenen Modells Intens (33.950 Euro) kann sich sehen lassen: Verkehrszeichenerkennung, Licht- und Regensensor, Fernlichtautomatik, Einparkhilfe rundum, Sitzheizung, LED-Scheinwerfer, Navigationssystem, Massagesitz.

Auch das Infotainment ist auf dem neuesten Stand

Außerdem ist der Wagen in Sachen Infotainment auf dem neuesten Stand. Ein großer Zentralmonitor (8,7 Zoll Diagonale) thront senkrecht im Armaturenbrett wie bei Tesla oder Volvo, man kann ihn gut mit dem Finger bedienen, und die verschiedenen Fahrparameter sind wie bei Audi frei kombinierbar.

Wer will, verbindet eine sportlich-schwergängige Lenkung mit der Komfortdämpfung und lässt das serienmäßige Doppelkuppungsgetriebe im Eco-Modus durch die sieben Gänge schalten.

Jede gewöhnlichere Kombination ist in diesem 1700 Euro teuren System (inklusive 19-Zoll-Räder und Allradlenkung) ebenfalls möglich, aber alle zeigen sie auch die Schwächen des Talisman auf. Die Lenkung macht wenig Freude, was Rückmeldung und Genauigkeit angeht, ganz gleich in welchem Modus man sie fährt.

Die Fahrwerksabstimmung findet den Kompromiss aus Komfort und Handlichkeit nicht wirklich, und das Getriebe schaltet weniger zackig als etwa bei den Autos der Volkswagen-Marken. Manchmal fühlt es sich so an, als könne die Elektronik sich nicht recht entscheiden, welcher Gang jetzt der richtige ist.

Tempomat mit Schwächen

Richtig ärgerlich ist der Abstandsregeltempomat (ACC), der trotz eines Aufpreises von 850 Euro nicht nur nicht bis zum Stillstand herunterbremsen kann, sondern auch bei Geschwindigkeiten über 140 km/h den Dienst einstellt. Dabei ist er nicht kaputt, er arbeitet halt nur zwischen 40 und 140 km/h.

An all das kann man sich gewöhnen, und ACC muss man auch nicht kaufen. Aber einer Mittelklasselimousine, die so auffällig daherkommt, hätte man eine Technik gewünscht, die die etablierte Konkurrenz von Opel, Ford, Škoda und VW (von den Premiummarken nicht zu reden) ein wenig erschüttern kann.

Das ist leider nicht geschehen, obwohl doch harte Konkurrenz immer das Geschäft belebt. So ist der optisch gelungene Renault Talisman zwar kein peinliches Auto – aber er springt ein wenig zu kurz.

Leserkommentare 6 Kommentare
Leserkommentare sind ausgeblendet.
Kommentare einblenden
Datenschutz Die Technik der Kommentarfunktion "DISQUS" wird von einem externen Unternehmen, der Big Head Labs, Inc., San Francisco/USA., zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen, insbesondere darüber, ob und wie personenbezogene Daten erhoben und verarbeitet werden, finden Sie in unseren Datenschutzbestimmungen
Moderation Die Moderation der Kommentare liegt allein bei DIE WELT. Allgemein gilt: Kritische Kommentare und Diskussionen sind willkommen, Beschimpfungen / Beleidigungen hingegen werden entfernt. Wie wir moderieren, erklären wir in den Nutzungsbedingungen.
blog comments powered by Disqus