Geschichte

Deutsches Reich

14.05.16

Wie Kaiser Karl IV. bei der Pest die Juden verriet

Ein Frömmler, zugleich aber auch ein kluger Pragmatiker: Karl IV. wies im 14. Jahrhundert dem römisch-deutschen Kaisertum neue Wege. Als größter Feind erwies sich eine mörderische Seuche.

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Von Florian Stark

Kaiser Karl IV. (1316-1378) auf dem Votivbild des Prager Erzbischofs Johann Očko von Wlaschim (um 1370). Den Bart trug er möglicherweise, um eine Kampfverletzung zu verdecken.

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So stellte man sich den Herrscher im 19. Jahrhundert vor. Mit einer Regierungszeit von 31 Jahren zählt Karl IV. aus dem Hause Luxemburg zu den maßgeblichen Herrschern des Mittelalters.

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Karl beim Empfang von Pariser Gelehrten ...

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In Tangermünde, wo Karl in seinen späten Jahren zeitweilig zu Gast war, steht heute dieses Denkmal.

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So etwas hatten die Großen des Reiches noch nie in der Weihnachtsmesse gesehen. Karl IV., König von Böhmen und seit 1346 auch gewählter römischer König, zog zum Fest von Christi Geburt anno 1347 das Schwert, hielt es hoch über sich und las laut die biblische Geschichte von der Geburt Jesu: "Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging ..." Deutlicher hatte kein mittelalterlicher Herrscher vor ihm "das römische Kaisertum als Voraussetzung für die Fleischwerdung des Herrn und für die Entstehung der Kirche" herausgestellt, deutet der Heidelberger Mediävist Bernd Schneidmüller die Szene.

Karl IV. (1316-1378), der 1355 auch die Krone des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation erwarb, steht an einer Zeitenwende. Obwohl seine lange Regierungszeit von 31 Jahren noch ganz dem Mittelalter zugerechnet wird, hatte sich bei seinem Tod vieles grundlegend verändert. Der Kaiser hatte sich von einer Universalmacht, die über Jahrhunderte mit dem Papst um den Primat im Okzident gerungen hatte, zu einem Titel gewandelt, der eine eigene regional umgrenzte Herrschaft umfasste. Das Heilige Römische Reich hatte mit der Goldenen Bulle ein Grundgesetz erhalten, das bis zu seinem Ende 1806 Geltung besaß. Und mit der Pest war ein Unglück über Europa gekommen, das seine sozialen, politischen und intellektuellen Bahnen völlig neu ausrichtete.

Wenn anlässlich des 700. Jubiläums von Karls Geburtstag am 14. Mai 1316 zahlreiche Ausstellungen und andere Veranstaltungen den Kaiser feiern, geht es nicht nur um einen erfolgreichen Politiker, sondern auch um diesen weltgeschichtlichen Umbruch, der auch in Mitteleuropa tiefe Spuren hinterlassen hat. In seiner Geburtsstadt Prag wird die erste tschechisch-bayerische Landesausstellung "Karl IV. 1316-1378" eröffnet, ab Oktober ist sie im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg zu sehen. Auf der kaiserlichen Burg Karlstein bei Prag werden die Reliquien des "Karlstein-Schatzes" gezeigt. Und mit einem großen Fest feiert ganz Tschechien den Mann, der als größter Sohn des Landes überhaupt gilt.

Dabei war Wenzel, wie er bis zu seiner Firmung hieß, alles andere als ein Einheimischer. Sein Vater Johann (der Blinde) stammte aus der Familie der Luxemburger, die im Westen des Reiches begütert waren und enge Beziehungen zum französischen Hof unterhielten. Johann war ein Sohn von Kaiser Heinrich VII. Erst durch die Hochzeit mit der Premyslidenprinzessin Elisabeth wurde Prag zum Sitz seines Hauses. Wegen seiner fortschreitenden Erblindung bezog er Karl frühzeitig in die Regierungsgeschäfte ein. Im Kreis seiner Garde fiel der blinde König 1346 in dem Massaker, das die englischen Bogenschützen bei Crécy unter der französischen Ritterschaft anrichteten.

Karl, der in Paris erzogen worden war, steckte zu diesem Zeitpunkt mitten im Kampf um die Macht im Reich. Denn Kaiser Ludwig der Bayer hatte sich mit dem Papst und vielen Fürsten überworfen. Einer der mächtigsten Politiker des Reiches zu jener Zeit war ein Großonkel Karls: der Erzbischof von Trier, Balduin von Luxemburg. Er hatte entscheidenden Anteil daran, dass sein Großneffe im Juli 1346 in Rhens zum Gegenkönig gewählt wurde.

Alles lief auf einen Krieg zwischen Gegenkönig und Kaiser hinaus. Doch 1347 starb Ludwig vermutlich an einem Herzinfarkt. Karl war nun der unumstrittene Herrscher – in einer Zeit, die die Menschen als Vorhof der Apokalypse verstanden. Die sogenannte Kleine Eiszeit begann mit großen Niederschlägen, Sturmflutkatastrophen, Kälteperioden, Erdbeben. Hunger grassierte allenthalben. Und der Hundertjährige Krieg zwischen England und Frankreich ruinierte weite Teile Europas.

Die Apokalypse der Kleinen Eiszeit

Hunger, Krieg, Seuchen, Tod: Die biblische Vorstellung von den vier "apokalyptischen Reitern" fand im Spätmittelalter viele Inkarnationen – Gemälde von Viktor M. Wasnezow (1887).

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Endloser Regen zerstörte Ernten und raubte den Menschen ihre Lebensgrundlage: Illustration von Dantes "Göttlicher Komödie" von Gustave Doré.

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Millionen sollen durch die Hungerkrisen der Kleinen Eiszeit ihr Leben verloren haben.

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Die Konkurrenz um die schwindenden Ressourcen provozierte Kriege. In der Schlacht bei Morgarten 1315 gelang es Schweizer Fußsoldaten, ein überlegenes Ritterheer der Habsburger zu vernichten.

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1349, als sich Karl zur Bekräftigung seiner Herrschaft in Aachen krönen ließ, kroch eine noch größere Gefahr über den Kontinent. Ein genuesisches Schiff hatte zwei Jahre zuvor von der Krim die Pest nach Italien gebracht. Von dort breitete sie sich sprunghaft aus. Bis zum Ende des Jahrhunderts, so schätzt man, fiel jeder dritte Europäer dieser unbegreiflichen Seuche zum Opfer.

Sündenböcke dafür waren schnell gefunden. Vor allem die Juden wurden als vermeintliche Brunnenvergifter ausgemacht. Vielerorts kam es zu Pogromen, auch in Nürnberg, neben Prag Karls bevorzugte Residenz. In diesem Fall erwies sich der König als fanatischer Frömmler. Er genehmigte die Errichtung des neuen Hauptmarkts auf dem Gelände des Judenviertels. Dessen 500 Einwohner wurden ermordet.

"Karls Profile chargierten, zwischen ekstatischer Frömmigkeit und skrupelloser Nutzung aller fiskalischer Ressourcen", schreibt der Historiker Bernd Schneidmüller. "Sie gipfelte in der gezielten Auslieferung der ihm zum Schutz befohlenen Judengemeinden an ihre bürgerlichen Mörder. Über den Trümmern der Synagoge entstand in Nürnberg wie andernorts auch eine Marienkirche."

Auf der anderen Seite steht eine grundlegende Ordnungsleistung für die Zukunft des Reiches und seines Hauses. In Prag entstand nach Pariser Vorbild die erste Universität des Reiches. Und mit der Goldenen Bulle von 1356 erhielt das Reich ein stabiles Grundgesetz. Von da an wurde der König von den sieben Kurfürsten – den Erzbischöfen von Trier, Köln, Mainz, dem König von Böhmen, dem Pfalzgrafen bei Rhein, dem Herzog von Sachsen und dem Markgrafen von Brandenburg – durch Mehrheitsentscheidung gewählt. Das goldene Metallsiegel des Kaisers gab dem Dokument seinen Namen.

Auch in seiner Italienpolitik erwies sich Karl IV. als zukunftsweisender Herrscher. Als er 1355 über die Alpen zog, um sich in Mailand mit der lombardischen Krone und in Rom von Papst Innozenz VI. zum Kaiser krönen zu lassen, verzichtete er auf eine Machtdemonstration und die faktische Restitution überkommener Herrschaftsrechte. Stattdessen blieb er nur wenige Tage in der Ewigen Stadt, zog auf dem Weg Steuern ein, wenn man sie ihm freiwillig gab, und rückte anschließend wieder über die Alpen ab. Der Dichter Petrarca, der sich viel von einer Wiederherstellung kaiserlicher Macht in Italien versprochen hatte, höhnte: "Du trägst die eiserne Krone nach Hause und die goldene mit dem leeren Namen des Kaisertums. Man wird dich Kaiser der Römer nennen, und du bleibst doch nur ein König Böhmens."

Obwohl er 1365 auch noch die Krone von Burgund erwarb, war es gerade die Konzentration auf Böhmen, mit der Karl in die Zukunft wies. Indem er das Land, das zu den bevölkerungsreichsten und wohlhabendsten Europas zählte, zu seiner Hausmacht ausbaute, konnte er seinen Vorrang gegenüber den übrigen Fürstengeschlechtern im Reich durch Fakten untermauern. In diesem Sinn machte er Prag zu einer glänzenden Metropole, Karlsbrücke, Hradschin und der Veitsdom sind noch heute ihre Wahrzeichen. Die Habsburger sind Karl später auf diesem Weg gefolgt. Böhmen war ein Zentrum ihrer Macht. Und mit dessen Krone gewannen sie eine mächtige Stimme im Kurfürstenkollegium.

Als Anthropologen vor einigen Jahren das Skelett Karls IV. in Prag untersuchten, zeigte sich ihnen ein Mann, der sehr viel Zeit im Sattel verbracht hatte. Ursprünglich wohl 1,73 Meter groß und von athletischer Gestalt, bot der Herrscher später als Folge von Turnier oder Kampf ein Bild des Schreckens: Die Halswirbelsäule war verkrümmt, der Kiefer einmal eingeschlagen, und von einer Augenbraue zog sich quer übers Gesicht eine tiefe Schnittwunde, die eine hässliche Narbe hinterlassen haben muss. Vielleicht ließ er sich deswegen einen Bart wachsen. Ein Pragmatiker im Persönlichen wie in der großen Politik.

Während das Papsttum im Großen Schisma versank, zeigte Karl IV., wie das Kaisertum die Zukunft gewinnen könnte. Durch Beschränkung auf das Mögliche, Ausbau der dynastischen Machtmittel des Herrschers und Verzicht auf imperiale Ansprüche. Als er 1377/78 gemeinsam mit seinem Sohn Wenzel noch einmal Paris besuchte, achtete Karl peinlich genau darauf, dass er sich mit seinem Gastgeber auf der gleichen Stufe präsentierte. Als Karl im November 1378 in Prag starb, wurde auch die Idee kaiserlicher Weltherrschaft endgültig zu Grabe getragen.

Tschechisch-bayerische Landesausstellung "Karl IV. 1316-1378", bis 25. September in der Waldstein-Reithalle in Prag, anschließend vom 20. Oktober bis 5. März 2017 im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg

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