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Meinung

Kunstwerk beschmiert Diese 91-Jährige hat alles richtig gemacht

Von Swantje Karich | Stand: 04.08.2016 | Lesedauer: 3 Minuten
Der Tatort: das Neue Museum in Nürnberg Der Tatort: das Neue Museum in Nürnberg

Der Tatort: das Neue Museum in Nürnberg

Der Tatort: das Neue Museum in Nürnberg

Quelle: dpa

Eine 91 Jahre alte Museumsbesucherin hat in Nürnberg ein Kunstwerk mit einem Stift bemalt, weil es die Inschrift trug: „Fügen Sie passende Wörter ein.“ Wer Kunst liebt, sollte der Dame gratulieren.
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Die Leute haben angeblich ein Problem mit der Unverständlichkeit zeitgenössischer Kunst. Das zumindest wird ständig suggeriert. Nicht erst seit Yasmina Rezas Welterfolg „Kunst“; in dem Theaterstück wird zwei Stunden lang gestritten, ob auf einem weißen Bild mit weißen Streifen wirklich etwas drauf ist. Das Satirespiel ist zum Synonym für die Absurdität der Kunst und ihrer Szenegespräche geworden.

Die lange Liste der wahren Kunstmissverständnisse scheint der schwierigen Beziehung von Mensch und Kunst Recht zu geben: Eine Putzfrau wischte einst eine Fettecke von Beuys weg – mediales Thema bis heute. Eine Dreckbadewanne vom „Kunst ist Leben“-Künstler wurde zum Abspülen verwendet – die Szene wurde für einen Werbespot verwendet.

Sylvester Stallone brüstete sich damit, dass er abfallendes Stroh von einem Anselm Kiefer selbst wieder anklebte. Immer und immer wieder, bis er das Bild verkaufte. 2007 küsste eine Museumsbesucherin ein weißes Bild des Künstlers Cy Twombly – mit Lippenstift. Sie begründete den Übereifer mit ihrer unbändigen Liebe zur Kunst. Künstler und Kunstbesitzer empörten sich heftig – das heizte die Schadenfreude nur an.

Welche Trigger wirken, dass Kunstzerstörung immer wirkt? Eine Rebellion gegen die Doktrin der Kunst? Die Bestätigung, dass man nicht allein ist mit der Ratlosigkeit vor Anselm Kiefers Strohkuh? Man kann die vielen Fälle der Zerstörung auch anders sehen: Die Besucher und Putzfrauen haben den allerbesten Riecher.

Collage mit Kreuzworträtsel animiert zum Ausfüllen

Das jüngste Beispiel: Eine 91 Jahre alte Dame zückte im Neuen Museum in Nürnberg vor einer Collage von Arthur Köpke den Kugelschreiber. „Reading-Word-Piece“ von 1965 zeigt ein Kreuzworträtsel, darüber steht der Hinweis „Insert words so it suits“ – „Fügen Sie die Wörter ein, sodass es passt“. Eine so freundliche Aufforderung ließ sie natürlich nicht aus und fragte ihre Begleitung nach dem Stift. Und machte damit alles richtig.

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Die Kunst des Fluxus, die Bewegung, zu der auch Arthur Köpke gehört, hatte nie im Sinn, ihre Kunst zu konservieren und für die Ewigkeit zu bewahren. Performance, Happening, ja Spektakel waren ihre Sache. Auch wenn die Künstler später schwach wurden, sich doch Unsterblichkeit wünschten, gründete George Macunias Fluxus ursprünglich mit dem Ziel, die Idee über das Werk zu stellen.

Die Fluxuskunst heute im Museum ist allerdings nicht mehr die „soziale Kunst“, wie sie auch Beuys forderte. Die Dame hat also alles richtig gemacht, genau verstanden, worum es geht – auch wenn ihr Anwalt sie jetzt vor Gericht mit den Worten verteidigte, es handele sich um einen „nicht vermeidbaren Verbotsirrtum“. Irrtum? Verbot? Das ist absurder als die verständlichste Dadakunst.

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