Kultur

Schauspielhaus-Wiederaufbau

03.08.16

Wie Frankfurt zu alter Pracht zurückfinden könnte

Frankfurts Theater muss saniert werden. Das ist eine einmalige Chance: Man könnte nun den im Krieg zerstörten prächtigen Vorgängerbau neu erstehen lassen. Aber hat die Stadt Mut zu so viel Schönheit?

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Von Dankwart Guratzsch

Bisher wagte es kein Frankfurter ernsthaft zu denken. Aber nun ist die Büchse der Pandora geöffnet. Kann das prachtvolle alte Schauspielhaus aus Frankfurts Glanzzeit unter den Oberbürgermeistern Miquel und Adickes wirklich wiederaufgebaut werden?

Wenn der gerade im Umbruch begriffene Frankfurter Magistrat Mut hat, nutzt er die Gunst der Stunde und verwirklicht den spektakulärsten Theaterbau dieses Jahrzehnts. Ein Riesenprojekt mit einer Rochade aller Frankfurter Spielstätten. Und zugleich ein großer Schritt zurück zur alten kulturpolitischen Bedeutung dieser Stadt, deren Rang als Finanzmetropole ihre große Bedeutung als Kulturstadt oft zu Unrecht vergessen macht.

"Praktisch nicht zu retten"

Jürgen E. Aha, Werbemann und Designer, steht vor der Frankfurter "Theaterdoppelanlage", einem Glas-Beton-Kasten aus den Sechzigerjahren, aus dem die beiden Bühnentürme des Theaters und der Oper als graue Stümpfe ragen. "Alles marode. Von den Heizungsrohren bis zum Dach. Und praktisch nicht zu retten." Und dann rückt der agile Mann mit seinem Vorschlag heraus. Eine Tafel wird enthüllt. Großformatig, farbig, fast pompös. Man sieht einen grandiosen Jugendstilpalast, Portaltürme, Giebel und darüber thronend die voluminöse Kuppel. "Das müssen wir jetzt wieder aufbauen."

Vielen hat es die Sprache verschlagen. Nicht jedoch dem gegenwärtigen Intendanten dieses Hauses, Oliver Reese, der darauf verweist, dass einstweilen hier nur "Dinge wie Klimaanlagen und Wasserleitungen" marode seien.

Ein Palast mit einem triumphbogenartigen Portal, mit Vorfahrt und Terrasse, mit Fassadenmalerei, Pantherquadriga und eigenem Garten: Kann sich die Mainmetropole so etwas leisten? Wenn nicht sie, wer dann? Ein Banker wirft ein: "Das muss sich Frankfurt leisten, gerade jetzt, nach dem Brexit. Da müssen wir Flagge zeigen, damit die Arbeitsplätze hierher und nicht woanders hinwandern. Wir müssen Prestige aufbauen, auch und gerade in der Kultur."

Für "ein Stück Alt-Frankfurt"

Genau darum war es schon 1899 gegangen, als – natürlich an Goethes Geburtstag – der Grundstein gelegt wurde: "Der mächtige Aufschwung des Handels und Wandels in Frankfurt am Main und der dadurch gewachsene Wohlstand der Einwohnerschaft der alten Reichsstadt" seien Grund genug, "ein neues, allen Anforderungen unserer Zeit entsprechendes Schauspielhaus" zu errichten, fand das "Centralblatt der Bauverwaltung". Als Architekten hatte man sich Heinrich Christian Seeling ausgesucht, einen bekannten Spezialisten des Theaterbaus. Auch wenn er vom Historismus kam, öffnete er sich in Frankfurt dem Jugendstil.

Kann Frankfurt mit einem solchen Bau auch heute punkten? Da muss man an all die Wiederaufbauprojekte denken, die in dieser Stadt realisiert wurden. Am aktuellsten: die Altstadt rund um den Krönungsweg, eine der berühmtesten Meilen deutscher und europäischer Geschichte. Mit dieser Ansammlung eng gestellter Giebelhäuser, durch die sich die Kaiser des Heiligen Römischen Reiches zwängten, erhält die Stadt gerade ein Ensemble zurück, das in solcher Form, mit Fachwerkhäusern in handwerklich höchster Qualität, noch an keinem zweiten Ort neu erstanden ist.

Niemand hätte vor zwanzig Jahren für möglich gehalten, dass so etwas in der Bankenmetropole mit ihren chrom- und glasblitzenden Bürotürmen gebaut werden könnte. Aber die Idee, lanciert von Aha und rührigen Bürgervereinen, bestand gegen zwei Architektenwettbewerbe. Am Ende, als sich herausgestellt hatte, dass besonders die jungen Frankfurter für "ein Stück Alt-Frankfurt" waren, gab sich der lange widerstrebende Magistrat geschlagen. Die Häuser wurden ausgeschrieben. Und siehe da: Die Nachfrage überstieg bei Weitem das Angebot.

Deckel zu, Patient tot.

Was speziell das alte Schauspielhaus betrifft, hat die Stadt hier zudem etwas gutzumachen. Der mächtige Steinkoloss hatte den Krieg mit Blessuren überstanden. Dann kamen die Wiederaufbauartisten mit ihrem Säuberungsfuror. Als Erstes fielen die Türme. Dann musste die Prunkfassade weg. Doch eine Totalbeseitigung wäre zu teuer gewesen. Deshalb steckte der Architekt Otto Apel die Reste in ein Neubaugehäuse aus Blech, Glas und Beton. Deckel zu, Patient tot.

Und nun der Vorschlag der kleinen beherzten Gruppe von Aha, der erst Sinn ergibt, wenn man hört, was derzeit alles diskutiert wird. Überschlägig geschätzt, sind 200 bis 300 Millionen Euro fällig, nur um die Vorortbahnhofswartehalle, in der Frankfurt heute Theater- und Opernkost verabreicht, für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre wieder herzurichten. Deshalb wird über Abriss nachgedacht. Aber in einen Neubau wollen die Frankfurter Altstadtaktivisten nach all den schlechten Erfahrungen nicht einen Euro investieren.

Auch in Frankfurter Politikerkreisen wird schon laut über Alternativen nachgedacht. Jemand hat das alte Polizeipräsidium ins Gespräch gebracht, einen Gründerzeitbau, aber ohne Bühnen- und Zuschauerraum. Andere plädieren dafür, Theater und Oper wieder zu trennen und der Oper ihren großartig wiederaufgebauten Lucae-Bau zurückzugeben.

Lieber die "große Lösung"

Für Jürgen Aha und seine Mitstreiter Motivation genug, auch für das Schauspielhaus doch lieber gleich die "große Lösung" vorzuschlagen. In Apels triste Theaterdoppelanlage sind über die Jahrzehnte schon derartig hohe Summen für Sanierung gepumpt worden, dass man dafür das Schauspielhaus längst prachtvoll hätte restaurieren können. Dazu müsste der Altbau nur sachkundig rekonstruiert werden, nach dem Motto: Was die Dresdner und Berliner machen, das können wir schon lange!

Vielleicht ist es die große Vergangenheit der einst Freien Reichsstadt, dass man solche Vorschläge hier sachlich diskutiert. Goethehaus, Alte Oper, Fachwerkzeile auf dem Römerberg, neue Altstadt: all diese Projekte mussten zunächst gegen tausend Widerstände verteidigt werden. Schon zu Zeiten Goethes! Dessen Mutter (aus bester alteingesessener Familie stammend) war sich nicht zu schade, sich für "ein Nationaltheater" in Frankfurt zu engagieren.

Heute geht es um nichts Geringeres, auch wenn immer hervorgehoben wird, dass die Frankfurter ihre Hochhäuser lieben. "Die gehören zu Frankfurt. Aber wir wollen auch etwas von unserer Geschichte zurückhaben", hört man oft. Die Balance zwischen Neu und Alt haben die alten Reichsstädter immer geschafft. So atemberaubend unwirklich der Vorschlag der Gruppe Aha erscheint: Gerade deshalb könnte er Erfolg haben.