Wissen

Pferde getötet

07.06.16

Die Legende vom tödlichen Zitteraal ist endlich geklärt

Jahrhundertelang rätselte die Wissenschaft über einen Tagebuch-Eintrag von Alexander von Humboldt. Nun konnte geklärt werden, ob Zitteraale wirklich vermeintliche Angreifer anspringen und schocken.

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Von Mario Lips

Bei den Einheimischen im tropischen Regenwald im Amazonasbecken genießen sie gehörigen Respekt: Kaum ein Tier sorgt bei seiner Sichtung in den Flussläufen für mehr Schrecken als ein Zitteraal. Als Verteidigung und zur Beutejagd nutzt der Fisch Stromstöße mit einer Spannung von mehreren Hundert Volt. Wie realistisch die Gefahr eines Stromschlags bei einer zufälligen Begegnung mit dem Tier ist, haben Forscher der Vanderbilt University im US-Bundesstaat Tennessee jetzt herausgefunden.

Zwar war bisher bekannt, dass die Stromstöße der Fische eine beachtliche Energie freisetzen: Eine Leistung von mehr als 700 Watt errechneten die Wissenschaftler. Doch von tatsächlichen Begegnungen mit dem Fisch, die einen schmerzhaften Verlauf hatten, gibt es kaum verlässliche Berichte. Vor allem war es in jüngerer Zeit nie beobachtet worden, dass Zitteraale aktiv andere Tiere oder Menschen angreifen.

Legendär sind aber die Schilderungen des Naturforschers Alexander von Humboldt aus dem 19. Jahrhundert, als dieser sich auf die Suche nach Zitteraalen gemacht hatte: "Ehe fünf Minuten vergingen, waren zwei Pferde ertrunken. Der 1,6 Meter lange Aal drängt sich dem Pferde an den Bauch und gibt ihm einen Schlag." Am Wahrheitsgehalt dieses Tagebucheintrags zweifelten allerdings viele Biologen.

Fischen mit Pferden

Von Humboldt wollte die damals weitestgehend unbekannten Fische erforschen und versuchte mithilfe der Methode der Eingeborenen, die Tiere zu fangen. "Die Strategie bestand darin, Pferde in ein Wasserbecken mit Zitteraalen zu treiben. Das provozierte die Fische zu einen Angriff gegen die Pferde, indem sie sich an deren Körper pressten und dabei elektrisch entluden. Wenn dann die Aale erschöpft waren, konnten sie sicher eingesammelt werden", schreibt der Naturforscher.

Mit Tausenden kleinen stromerzeugenden Zellen im elektrischen Organ der Fische, die ähnlich einer großen Zahl winziger Batterien in Reihe geschaltet sind, lassen sich mehr als 800 Volt erzeugen. Diese Zellen entladen sich aber auch sehr schnell, haben also keineswegs die Ausdauer einer echten Batterie.

Der Biologe Kenneth Catania konnte sich vor seinen Versuchen kaum vorstellen, dass Zitteraale ein derart bizarres Verhalten zeigten und statt einer Flucht den Angriff auf ein großes Tier wagten. In einem großen Tank hielt er die Fische und stellte verschiedene Verhaltensexperimente an. Ein auftauchendes metallüberzogenes Netz interpretiert der Zitteraal als gefährlichen Jäger und springt in zur Abwehr an. Catania war von dieser Verteidigungsstrategie im wahrsten Sinne des Wortes geschockt.

In einer Reihe weiterer Versuche simulierte der Forscher einzelne Angriffsszenarien, die die "Schocksprünge" der Fische provozierten. Dabei stellte er fest, dass lediglich elektrisch leitende Objekte das Verhalten auslösten. Besonders effektiv waren bei den Attacken weit aus dem Wasser reichende Ziele, bei denen der Strom aus dem Kiefer des Fisches über den gesamten Körper des Angreifers zurück ins Wasser und in den Schwanz des Zitteraals floss. Ein im Wasser stehendes Säugetier bekommt so einen Stromschlag mit größtmöglicher Wucht zu spüren.

Mit Strom auch auf Beutejagd

In früheren Experimenten zeigte der Biologe, wie der Fisch mithilfe seiner Entladungen Beute macht: Strompulse mit einer Dauer von Millisekunden versetzen dem Beutetier keinen tödlichen Stromschlag, sondern lösen eine lähmende Kontraktion der Muskeln aus. Somit kann ein kleinerer Fisch leicht verspeist werden. Der Körper der Zitteraale ist gut isoliert, so dass sie selbst vor den Auswirkungen des Stroms geschützt sind.

Die erstaunlichen Verhaltensstudien überraschten viele Zoologen, zumal sie die ins Reich der Legenden verbannten Berichte Alexander von Humboldts bestätigen. Mehr als 200 Jahre hat es gebraucht, um die im März 1800 gemachten Beobachtungen mit einer wissenschaftlichen Untersuchung anzuerkennen.

Hier gibt es weiteres Filmmaterial zu den Experimenten.