Für den Internetkonzern Google war es der vielleicht peinlichste Rückruf aller Zeiten: Der intelligente Rauchmelder „Protect“ der Google-Tochterfirma Nest wurde im April 2014 in aller Eile aus den Ladenregalen geholt. Die Kunden wurden dazu angehalten, unbedingt ein Softwareupdate auf bestehenden Geräten zu installieren.
Der Rauchmelder hatte ein entscheidendes Problem: Dank der „Nest Wave“ genannten Gestensteuerung lies er sich mit einer winkenden Bewegung abschalten. Wer immer diese Funktion implementiert hatte – er hatte augenscheinlich nicht über das Verhalten von Menschen im Brandfall nachgedacht, die gerade bei Rauch und Flammen auch mal wild um sich wedeln und damit dann ungewollt ausgerechnet ihren elektronischen Helfer deaktivieren.
Protect war ein Flop von Googles Smart-Home-Tochter „Nest“, die der Konzern erst drei Monate vor dem „Protect“-Rückruf für 3,2 Milliarden Dollar eingekauft hatte. Die Firma hatte zu diesem Zeitpunkt erfolgreich ein smartes Thermostat auf den Markt gebracht und entwickelte weitere Geräte in einem eigenen Netzwerk für Heimautomation.
Apple-Starentwickler abgeworben
Nach dem Protect-Flop machte Nest längst nicht so viel Umsatz wie von der Google-Holding Alphabet erhofft: 340 Millionen Euro Jahres-Umsatz reichten der Alphabet-Spitze nicht. Vor wenigen Wochen wurde Nest-Chef und Ex-Apple-Starentwickler Tony Fadell abberufen. Er soll nun Google-Gründer und Alphabet-Chef Larry Page direkt beraten. Sein Nachfolger ist der Ex-Motorola-Manager Marwan Fawaz, der Nest zur Hardwareschmiede des Konzerns weiterentwickeln soll.
Der Nest-Protect-Rückruf zeigt, wie komplex gutes Produkt-Design ist – und wie schwierig es für Google-Mutter Alphabet ist, neue Standbeine abseits der reinen Software-Welt des Internets zu entwickeln. Google selbst verdient aktuell mehr denn je, der Konzern stellte im vergangenen Jahr einen neuen Umsatzrekord auf und nimmt aktuell über 20 Milliarden Dollar pro Quartal ein – und macht mehr als 5 Milliarden Dollar Gewinn. Doch die übrigen Tochterfirmen der Google-Holding Alphabet mussten im vergangenen Quartal einen Verlust von 802 Millionen Dollar verkünden – Googles Werbegeschäft subventioniert also aktuell alle weiteren Unternehmungen der Holding.
Nicht mehr as eine Powerpoint-Präsentation
Nicht nur Nest ist in Schwierigkeiten. Auch einige weitere Alphabet-Tochterfirmen entwickeln sich aktuell nicht wie geplant, wie zum Beispiel die Biotech-Tochter Verily Lifesciences. Das Unternehmen ist aus einem Google-Projekt entstanden, das smarte Kontaktlinsen entwickeln sollte.
Die Verily-Linsen mit integrierten Mikro-Schaltkreisen sollten eigentlich den Blutzuckergehalt des Trägers aus dessen Tränenflüssigkeit ermitteln. Google hatte das Projekt Anfang 2014 vorgestellt – nun verriet ein Ex-Manager gegenüber dem Medizin-Technik-Magazin „Stat“, dass das Projekt bislang nicht über das Stadium einer Powerpoint-Präsentation hinausgekommen ist.
Das Problem: Laut von „Stat“ zitierten Studien eigne sich die Tränenflüssigkeit überhaupt nicht dazu, konsistente Zuckermessungen vorzunehmen, der Glucose-Gehalt der Tränenflüssigkeit variiere dazu zu stark. Auch der angekündigte Gesundheits-Scanner nach Star Trek-Vorbild sei weit von der Umsetzung entfernt – eine für das Projekt gestartete Gesundheitsstudie sei mit gerade einmal 10.000 Probanden viel zu klein angelegt.
Die Robotik-Tochterfirma Boston Dynamics wurde von Google 2013 eingekauft. Seitdem produziert sie vor allem spannende Youtube-Videos mit Robotern, die über Hindernisse laufen können, sich nicht durch Tritte aus dem Gleichgewicht bringen lassen oder schwere Lasten tragen können.
Doch keiner der Roboter-Prototypen ist bislang als konkretes Produkt vermarktbar. Selbst das US-Militär lehnt die Geräte als zu laut und fehleranfällig ab. Bis Boston Dynamics zum Umsatz und Gewinn von Alphabet beitragen kann, dürften noch Jahre vergehen – zu lange für die Alphabet-Manager um Larry Page, die die Robotik-Firma Anfang März kurzerhand zum Verkauf stellten.
Probleme zeugen von Führungsproblem
Die Probleme bei Alphabet zeugen von einem Führungs-Problem, das Google sich mit dem Umbau der Firmenstruktur selbst geschaffen haben könnte: Seit der Umfirmierung des Konzerns in die Holding-Gesellschaft Alphabet können die Tochterfirmen freier agieren – dafür haben Manager, die zuvor nur Projektleiter waren, nun auch unternehmerische Verantwortung, müssen Budgets, Zeitpläne und Personalfragen selbst verwalten. Ob jedoch Wissenschaftler wie Verily-Chef Andy Conrad oder der Produktdesigner und Ex-Nest-Chef Tony Fadell dieser Aufgabe gerecht werden können, ist angesichts der aktuellen Probleme zweifelhaft.
Alphabets Robotik-Sparte musste zudem Abgänge von Top-Managern verkraften: Der Android-Entwickler Andy Rubin, zuletzt Chef der Robotik-Sparte, verließ Google Ende 2014, um wieder in einem Startup zu arbeiten. Sein Nachfolger wurde Anfang des Jahres prompt von Toyota abgeworben, wo er nur Entwicklungsaufgaben hat.
Vielleicht muss Alphabet-Chef Larry Page einsehen, dass sein Team aus brillanten Erfindern und Programmierern mit den vielen unternehmerischen Freiheiten und Pflichten in der neuen Struktur nicht zurecht kommt.