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Tachomanipulation: Wie ein Milliardenbetrug wirksam bekämpft werden könnte

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Kampf gegen Tachobetrug kommt nicht voran | Video verfügbar bis 14.09.2017

Fahren Sie einen Gebrauchtwagen? Ja? Sind Sie sicher, dass der Tachostand stimmt? Vielleicht ist Ihr Auto ja tausende Kilometer gefahren, von denen Sie gar nichts wissen, weil jemand vor dem Verkauf den Tacho manipuliert hat. Das ist keineswegs eine Ausnahme, sondern wird bei jedem dritten Wagen gemacht. Tachomanipulation ist kinderleicht und verursacht einen wirtschaftlichen Schaden von ca. sechs Milliarden Euro jährlich. Denn mit zurückgedrehtem Kilometerstand lassen sich die Fahrzeuge deutlich teurer verkaufen als sie wert sind.

Für 150 Euro Kilometerstand halbiert

Ein unkenntlich gemachter Mann sitzt mit einem elektronischen Gerät, dass er an ein Auto angeschlossen hat, auf dem Fahrersitz.
Innerhalb von 30 Minuten wird der Kilometerstand halbiert und jeder Hinweis auf die Manipulation aus der Fahrzeugelektronik gelöscht.

Wie leicht sich der Tachostand heruntersetzen lässt, haben wir mit einem Mercedes C220 CDI ausprobiert. Mit dem vier Jahre alten Fahrzeug sind wir in eine Werkstatt in den Niederlanden gefahren. Dort wollten wir den Stand von rund 130.000 Kilometer auf 62.500 Kilometer halbieren lassen. 150 Euro kostete uns die Manipulation, bei der der Tachojustierer auf eigenen Vorschlag auch noch andere in den Steuergeräten gespeicherte Pkw-Daten verschwinden ließ, um keine Spuren zu hinterlassen: "Jetzt sind aber die ganzen Servicedaten hier gespeichert. Ich würde die dann jetzt hier löschen."

Keine Spuren

Zurück in Leipzig lassen wir das Auto von Dominik Eichstädt überprüfen. Der Kfz-Elektronik-Experte kann die Manipulation nicht mehr feststellen. "Jetzt bekomme ich hier auf meinem Diagnosesystem die aktuellen Kilometerstände angezeigt. Intern gespeicherter Kilometerstand im Steuergerät: 63.490. Auf der Instrumentierung auch: 63.490." Auch in den anderen Steuergeräten lässt sich nichts mehr vom alten Kilometerstand erkennen.

Fazit: Der Mercedes C220 CDI war mit rund 130.000 Kilometern etwa 14.500 Euro wert. Mit 63.490 Kilometern sind es jetzt 19.000 Euro, also 4.500 Euro mehr. Es wäre ein perfekter Betrug, käme es zum Verkauf.*

Datenschutz verhindert Käuferschutz

Ein Tacho zeigt einen Kilometerstand von 62496 an.
Eigentlich müsste der Tachostand bei 130.000 Kilometern liegen.

Servicehefte bringen selten Aufschluss, weil auch sie häufig gefälscht werden. Wir fahren darum zu Mercedes. Schließlich speichern die Vertragswerkstätten die Kilometerstände bei Inspektionen und Reparaturen zentral ab. Wir behaupten, wir hätten das Auto erst kürzlich gekauft. Ein Blick in die Werkstatt-Daten müsste die Manipulation also auffliegen lassen. Doch das geht nicht. Stattdessen bekommen wir zu hören: "Da brauchen Sie aber die Zustimmung vom Vorbesitzer. Wegen Datenschutz."

Aber warum sollte der Vorbesitzer die Zustimmung geben, wenn er möglicherweise selbst hinter der Manipulation steckt?

Wie Mercedes, wo man uns mitteilt, man gebe "Kundendaten nicht ohne Rechtsgrundlage an Dritte weiter", oder Volkswagen, wo man ebenfalls "aus Datenschutzgründen keine Auskunft" zu den Kilometerständen geben will, verhalten sich auch andere Autohersteller. Ob ein Gebrauchtwagen vor dem Verkauf schon einmal einen höheren Kilometerstand hatte, darf der nächste Besitzer also nicht erfahren! Das bestätigt auch Andrea Voßhoff (CDU), die Bundesbeauftragte für Datenschutz und Information: " Es kann, und der Kilometerstand ist zum Beispiel so eine Information, ein personenbezogenes Datum sein. Und dann muss zum Beispiel die Werkstatt abwägen: Was ist das Interesse des Eigentümers, diese Daten zu erfahren? Und was ist das Interesse des Vorbesitzers? Und dann trifft sie auch sozusagen die Entscheidung, unter welchen Voraussetzungen Daten herausgegeben werden dürfen oder können."

Auf Nachfrage erklärt die Automobilindustrie, auch Kilometerstände, die in Werkstätten gespeichert sind, fielen unter den Datenschutz und verweist auf eine gemeinsame Erklärung mit den Datenschutzbehörden. Danach "fallen anlässlich der Kfz-Nutzung Daten an, die im Fahrzeug abgelegt werden. Diese Daten müssen geschützt werden …"

Warum Belgien das Problem kaum noch kennt

Aber es geht auch anders. In Belgien etwa existiert das Problem der Tachomanipulation kaum noch. Gebrauchtwagen dürfen hier nur noch mit einem Car-Pass verkauft werden. Er enthält alle Kilometerstände von Inspektionen und Reparaturen – trotz Datenschutz. In Deutschland wäre das derzeit undenkbar.

Schutz durch Chips

Eine andere Möglichkeit, den Betrug zu verhindern, setzt bei Sicherheitschips an. Diese Chips sind in den Steuergeräten zahlreicher Autos verbaut. Auf ihnen wird unter anderem auch der Kilometerstand abgespeichert. Für den ADAC-Technikexperten Arnulf Thiemel könnten die Chips für weniger als einen Euro pro Fahrzeug mit einem Schreibschutz versehen werden. Das würde die Manipulation von Kilometerständen deutlich erschweren: "Wenn ich einmal eine Information in diese Chips geschrieben habe, kann ich sie nachher nicht mehr überschreiben oder verändern. Somit wäre der Kilometerstand in diesen Chips sicher abgespeichert und könnte nicht mehr manipuliert werden."

eine Mercedes-Limousine von vorne
Unser Testfahrzeug: Sicherheitschips mit aktiviertem Schreibschutz hätten die Manipulation unmöglich machen können.

Aber leider werden die Chips immer noch nicht gegen Tachobetrug genutzt. Der Schreibschutz ist zwar vorhanden, aber nicht aktiviert. Stattdessen nutzt die Autoindustrie diese Chips nur, um zum Beispiel unerwünschtes Chiptuning zu erkennen. Hier sei die Motivation der Hersteller auch anders, erklärt der ADAC-Mann: "Immer wenn die Hersteller ein eigenes Interesse haben, dann werden sie recht schnell aktiv. Wenn sie nicht einen direkten finanziellen Schaden erleiden, was bei Tachobetrug ja nicht der Fall ist, dann ist das Thema für sie einfach nicht wichtig."

Hersteller zögern

Volkswagen sieht in dieser Frage noch Entwicklungsbedarf. Toyota zieht diese Sicherheitstechnologien für die nähere Zukunft immerhin in Erwägung. Opel meint hingegen, ein aktivierter Sicherheitschip helfe nicht zwingend und generell gegen Manipulationsversuche. Für Arnulf Thiemel ist das kein Argument: "Wenn ich einen zeitgemäßen Schutz einbaue, dann wird es für Hacker zu teuer, diesen Schutz zu knacken und es wird in der Praxis des Gebrauchtwagenverkaufs keine Rolle mehr spielen."

Übrigens: Eine EU-Richtlinie schreibt eigentlich einen Abgleich des aktuellen Kilometerstandes mit dem der letzten Hauptuntersuchung vor. Wann jedoch diese Richtlinie in Deutschland umgesetzt werden soll, ist derzeit noch unklar. Bis dahin bleibt Tachobetrug in Deutschland also weiterhin ein Kinderspiel.

* Natürlich haben wir das Auto nicht verkauft, sondern den Tacho später wieder auf den tatsächlichen Kilometerstand stellen lassen.

Autor: Andreas Wolter

Stand: 15.09.2016 11:24 Uhr