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Zamzeram. Oder: Roadtrip mit Hindernissen

Von ALBRECHT WILKE

„Dorel (Name geändert) kann die Spende leider nicht entgegennehmen – er sitzt im Gefängnis.“ – „Na ganz toll. Das fängt ja sehr gut an. Und wieso?“

Die Tiefe des Raumes (in diesem Fall: des Kofferraumes) unseres Fahrzeugs ist gewaltig.
Die Tiefe des Raumes (in diesem Fall: des Kofferraumes) unseres Fahrzeugs ist gewaltig.

Wir sind auf einem Hilfstransport in den Karpaten Rumäniens unterwegs – mittlerweile ein EU-Staat, aber teilweise noch immer rückständig wie ein Entwicklungsland. Allein die Straßen abseits der großen Transitstrecken und Autobahnen: Man braucht fast einen Geländewagen, um ohne Beschädigung von Fahrwerk und Unterboden voranzukommen. Deshalb fällt unsere Wahl auf einen Pickup, den Nissan NP300 Navarra: konstruktiv ein Geländewagen, aber mit der Schnelligkeit eines PKW und der Transportkapazität eines Leicht-LKW.

Entfernte Verwandte: Nissan und Dacia arbeiten beide mit Renault zusammen.
Entfernte Verwandte: Nissan und Dacia arbeiten beide mit Renault zusammen.

„Dorel hat auf seiner Arbeitsstelle ein paar Geräte mitgehen lassen. Zamzeram.“

Nicht nur während der Fahrt ein praktisches Detail: die Heckklappe des Pickups.
Nicht nur während der Fahrt ein praktisches Detail: die Heckklappe des Pickups.

Unser Hilfstransport ist von einer Kirchgemeinde in Deutschland an deren Partnergemeinde in Siebenbürgen bestimmt. Vorwiegend Kleidersäcke, aber auch ein Fahrrad und ein Tischkicker gehören zum Lieferumfang. Die Spenden stammen von Privatpersonen hierzulande und sind primär an die Minderheit der Ungarn, aber partiell auch an die Bevölkerungsgruppe der Sinti und Roma in Rumänien gerichtet. Letztere bereiten der Regierung dauerhaft Kopfzerbrechen, da sich ein erheblicher Teil von ihnen bis heute nicht in das Standardkonzept eines festen Wohnsitzes und einer regelmäßigen Beschäftigung eingliedern lässt. Die Ghettos mit den baufälligen Hütten, in denen etliche dieser Menschen leben, lassen sich kaum von den Slums der Entwicklungsländer unterscheiden – nur, dass sie in den Karpaten auch zeitweilig großer Kälte ausgesetzt sind. Die einzige Verbesserung gegenüber früheren Jahren liegt darin, dass sich ein Hilfstransport seit dem Beitritt Rumäniens in die Europäische Union leichter ins Land bringen lässt. Unvergessen bleibt eine Szene vor über 10 Jahren, als ein Kollege bei der Einreise mitten unter einem Anti-Korruptions-Plakat der EU ein Bestechungsgeld an einen Beamten übergeben musste, um die Spenden an die Bevölkerung ausliefern zu dürfen.

Nicht gerade gut ausgebaut: die Staatsstraße 7D.
Nicht gerade gut ausgebaut: die Staatsstraße 7D.

„Ich dachte, dass Dorel nie wieder in den Strafvollzug gehen wollte. Warum fing er dann doch wieder zu stehlen an?“ – „Er war in einer Gruppe unterwegs. Es ist eine Art Ehrensache unter Zigeunern, bei Aktionen der eigenen Familie mitzumachen.“

Irgendwo im Nirgendwo: eine Dorfstraße in Rumänien.
Irgendwo im Nirgendwo: eine Dorfstraße in Rumänien.

Auf unserem Weg passieren wir Tschechien, die Slowakei und Ungarn. In Rumänien angekommen, geht die Fahrt vor allem über Landstraßen, die immer wieder Städte und Dörfer durchqueren. Nachdem wir die Staatsstraße A1, welche sich quer durch das ganze Land schlängelt, hinter uns gelassen haben, kämpfen wir uns mühsam entlang der Transalpina südwärts und anschließend entlang der Transfagarasan nordwärts durch die Südkarpaten. Unsere Reise durch Transsilvanien führt durch alt-ehrwürdige Städte wie die antike Römerstadt Alba Iulia (Karlsburg), die europäische Kulturhauptstadt Sibiu (Hermannstadt) und die erste Hauptstadt der Walachei, Curtea de Arges (Argisch). In Rumänien sollte man auf jeder Strecke, die nicht als einstellige Staatsstraße ausgeschildert ist, zumindest abschnittweise mit einer unbefestigten Schotterpiste rechnen. Und so ruckeln wir langsam über Feld- und Waldwege, die wir ursprünglich für normale Straßen hielten. Insbesondere im Gebirge bilden sich in den Wegen immer wieder tiefe Pfützen und Rinnsale, weil das Wasser den Boden ausspült und die Löcher nur alle Schaltjahre einmal ausgebessert werden. Aber zum Glück verfügt unser Wagen über das volle Programm an Gelände-Fahrhilfen: Allrad, Untersetzung und Sperren sind selbstverständlich beim Nissan NP300 Navarra. Damit klettern wir die immer unwegsamer werdenden Bergpässe hinauf, bis das Fahrzeug Gefahr läuft, in eine vom Wasser gezogene Furche abzurutschen und mit dem Unterboden aufzusetzen. Und tatsächlich passiert es trotz aller Vorsicht einmal: Der durchnässte Boden gibt unter einem Rad nach und lässt unseren Wagen auf dieser Seite in einen Graben absacken und mit vernehmlichem Krachen aufschlagen. Doch glücklicherweise besitzt jeder Pickup einen Leiterrahmen, der solche Übungen locker wegsteckt. Trotzdem schauen wir besorgt nach Beschädigungen unter dem Fahrzeug – es ist ja nicht unser eigenes. Die vorbeifahrenden Rumänen lachen sich über so viel deutsche Spießigkeit tot und peitschen ihre schrottreifen Geländewagen mit Vollgas weiter. Die meisten dieser alten Jeeps befördern mehr Insassen, als sie über Sitzplätze verfügen. Die übrigen Insassen nehmen eben stehend auf der Heckstoßstange Platz und feuern den Fahrer mit lautem Johlen auf, schneller zu fahren. Es ist für uns in höchstem Maße erstaunlich, welche Kletterleistungen die Rumänen auch ihren gewöhnlichen PKW abverlangen: Immer wieder treffen wir mitten im Gebirge normale Autos an, die eigentlich nur mit dem Hubschrauber dort abgesetzt worden sein können – sie hätten wirklich Grund zur Sorge um Beschädigungen unter dem Fahrzeug.

Romantische Kulisse: Freies Campen im ganzen Land.
Romantische Kulisse: Freies Campen im ganzen Land.

„Eine Art Ehrensache? Vorbildliche Einstellung. Und wer wurde alles erwischt?“ – „Na nur Dorel – wie sonst auch.“

Romantische Route: Freies Offroadfahren auf fast jeder Schotterpiste.
Romantische Route: Freies Offroadfahren auf fast jeder Schotterpiste.

Eine Eigenschaft, die nicht nur den Rumänen, sondern auch den Ungarn sowie den Sinti und Roma des Landes im Blut zu liegen scheint, ist ihre ungeheure Gastfreundschaft. Keine Übernachtung ohne eine Feier mit viel Essen und noch mehr Trinken. Das bisschen, was sie an Köstlichkeiten im Haus haben, teilen sie mit ihren Gästen. Und selbstverständlich schlafen wir nicht irgendwo im Haus, sondern im Schlafzimmer der Gastgeber (ob wir wollen oder nicht). Alles andere wäre eine glatte Beleidigung. Da haben wir in Deutschland wohl noch viel Aufholbedarf, bis der Gegenbesuch zu uns kommen kann. Die Spenden werden wir letztendlich alle an der vorhergesehenen Stelle los – bis auf das Fahrrad für Dorel – das muss noch zwei Jahre auf seinen neuen Besitzer warten.

Der höchste Punkt der Transfagarasan: Der Gebirgstunnel beim Lacul Balea.
Der höchste Punkt der Transfagarasan: Der Gebirgstunnel beim Lacul Balea.