Nachgefragt bei Birgit Gebhardt, ehemalige Geschäftsführerin des Trendbüros, Trendexpertin und Beraterin

Fluch oder Segen? Einsatz von Robotern in der Pflege

21.06.2016

Ferne Zukunft? – Heute aber schon Wirklichkeit: Pflegeroboter sollen den Arbeitsalltag des Pflegepersonals erleichtern. Schon heute werden diese Helfer vor allem in Japan eingesetzt. Sie heben Menschen mit Pflegebedarf aus dem Bett, spielen mit ihnen Karten oder kuscheln mit Demenzerkrankten.

Foto: Birgit Gebhardt

Birgit Gebhardt; © Stephanie Brinkkoetter

REHACARE.de hat bei Trendexpertin Birgit Gebhardt nachgefragt, ob sich Menschen mit Pflegebedarf überhaupt von Maschinen pflegen lassen wollen und ob es in Zukunft denkbar wäre, dass diese das Personal komplett ersetzen.

Frau Gebhardt, was ist heutzutage bereits mit dem Einsatz von Robotern in der Pflege möglich?

Birgit Gebhardt: Es gibt bereits Roboter im Krankenhaus als Lieferanten, die zum Beispiel Medikamente oder Utensilien zum Pflegepersonal auf die Stationen bringen. Für die Pflege hinsichtlich einer direkten menschlichen Berührung ist die Technologie noch nicht ausgereift, aber es gibt vielversprechende Ansätze: Man trainiert Roboter, Personen zu heben, wie es in Japan schon einem bärig anmutenden Helferroboter mit Puppen gelingt. Problematisch ist der Umgang mit sensiblen Körperteilen, wie sanftes Anfassen, das Vermeiden von Kneifen oder Hautziehen und die Unterscheidung von Haut- und Bettfalten. Es gibt bereits elastische Roboter, die aktuell aber noch ihre Elastizität, Rückkoppelung, Balance und Kraftausübung an Schlagbohrern testen.

Auch arbeiten Unternehmen an künstlichen Muskeln, die menschliche Körperfunktionen in ihrer Erscheinung, Funktion und Haptik nachahmen. Die Wissenschaftler schauen, was sie aus der Natur und vom Menschen lernen können und übersetzen dies in spezialisierte Tätigkeiten. Vom Exoskelett, das unsere Körperfunktionen wie eine zweite statische Haut unterstützen soll, bis zum Atlas Roboter, der sogar auf Eis sicher laufen kann, finden wir derzeit viele Spezialroboter in der Entwicklung.

Foto: Seniorin hält Robbe "Paro"

Die Robbe "Paro" wurde in Japan entwickelt. Sie lässt sich streicheln und schmiegt sich an den Menschen; © Messe Düsseldorf

Wollen sich Menschen mit Pflegebedarf denn überhaupt von Robotern pflegen lassen?

Gebhardt: Laut einer aktuellen Forsa Umfrage können sich das schon 60 Prozent der Deutschen vorstellen. Dieses Ergebnis hat mich überrascht und verweist auf eine recht pragmatische Betrachtung: Wir werden uns den heutigen Pflegestandard nicht für die in Zukunft auftretende Menge an pflegebedürftigen Personen leisten können. Das heißt: Viele Menschen werden darüber gar nicht nach einem emotionalen Wollen entscheiden können, sondern werden das durchrechnen. Der Vorteil beim Pflegeroboter liegt in seinem Versprechen, den Pflegebedürftigen unabhängiger von Anderen zu machen, weil er ihn auf seine Bedürfnisse hin trainieren kann und sich der Roboter seinem Lebensrhythmus anpasst. Auch ermöglicht er seinem Besitzer einen längeren Aufenthalt in der vertrauten Umgebung. 

Solche Fragen müssen auch die zukünftige Wirklichkeit betrachten. Wir werden selbstfahrende Autos haben, die uns auch im hohen Alter die Mobilität sichern. Unser Alltag und unsere individuellen Vorlieben werden durch intelligente Umgebungen bereitet, weil unsere Datenprofile im Internet der Dinge permanent mit unserem individuellen Kontext kommunizieren. Wir werden uns nicht mehr vor Kameras gruseln, weil dahinter kein Mensch mehr sitzt und uns beobachtet, sondern ein Algorithmus erkennt, wann unser Plan oder Rhythmus aus dem Ruder läuft, und dann zu kommunizieren beginnt.

Foto: Arzt bedient einen Roboter, Patientin liegt im Bett

Der "Care-O-bot" soll Ärzte sowie Patienten im Alltag unterstützen; © Phoenix Design

Denken Sie, in Zukunft können Roboter Pflegende als Person komplett ersetzen?

Gebhardt: Viel interessanter finde ich die Arbeitsteilung, die menschliche und maschinelle Pflegende dann leisten. Wir lernen jetzt in den kommenden zehn Jahren, wie diese Interaktion zwischen Mensch und Maschine, Sensor und Software ineinandergreifen wird. Angeblich werden durch Automatisierung und Roboterisierung 50 Prozent der Jobs wegfallen – dafür aber auch neue entstehen. In den Studien von der Oxford University oder der Ing DiBa, die das prognostizieren, wird der direkte Umgang mit Menschen, der auf die Psyche oder Pflege/Berührung eingeht, als Roboter-Betätigungsfeld meist ausgeklammert. Ich wäre da aber nicht so sicher. Selbst wenn Heben, Waschen und Bettenmachen derzeit noch schwierig sind und aktuell im Aufmerksamkeitsfokus liegen: Ich finde die Idee von unterhaltsamen kleinen Maschinenfreunden, wie zum Beispiel die Robbe "Paro" oder die bayerische Adaption "just a cat" schon sehr wirkungsvoll Solche Helfer zeigen mehr Berührung, Gefühl, Empathie und auch kognitive Beschäftigung mit Pflegebedürftigen. In meinem Buch "2037 – Unser Alltag in der Zukunft" habe ich mal versucht so ein "Care-O-bot"-Szenario zu beschreiben.

Was bedeutet für Sie Inklusion?

Gebhardt: In den Kontext könnte es auch bedeuten, Roboter nicht aufgrund von Vorurteilen abzulehnen oder auszugrenzen. Das Fraunhofer Institut geht davon aus, dass bereits im Jahre 2029 die künstliche Intelligenz die menschliche überholt haben wird. Es wäre wirklich dumm, wenn wir bis dahin nicht Wege gefunden haben, wie alle Beteiligten von dieser Errungenschaft profitieren können und wir unsere Versorgung für die Zukunft wieder gewährleisten und bezahlen können.

Foto: Lorraine Dindas; Copyright: B. Frommann

© B. Frommann


Lorraine Dindas
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