Home
Foto nordische Landschaft

30. Januar 2015

Eine Frau zwischen den Welten: Karoline Hausted

Karoline Hausted ist eine Frau zwischen den Welten. Zwischen hier und dort. Vor drei Jahren ist die Sängerin von Kopenhagen nach Kalifornien gezogen. Und denkt fern des Vertrauten darüber nach, was der Begriff »Zuhause« eigentlich bedeutet. Was Heimat ist, physisch und psychisch. Aus dem Nachdenken über die inneren und äußeren Veränderungen sind längere schriftliche Reflektionen und natürlich Songs entstanden. Karoline Hausted hat Ende vergangenen Jahres beschlossen, ihre Erfahrungen in der Fremde in einem auf zwölf Monate angelegten Projekt zu verarbeiten. One And Apart heißt es. Seit dem vergangenen Oktober veröffentlicht die Sängerin und Pianistin pro Monat einen längeren Essay und einen Song. Bis zum Herbst 2015 will sie von ihren Erfahrungen berichten. Das Projekt ist als »Work in Progress« konzipiert. In Stein gemeißelt ist hier gar nichts, Kommentare und Gedanken sind erwünscht. Im Januar schreibt die Dänin vor allem über Heimweh. Und über das Gefühl, immer noch in der Luft zu hängen. Sie wartet auf ihre Arbeitserlaubnis. »Ich habe keine Arbeit und keine exakte Vorstellung davon, was ich überhaupt tun darf«, schreibt sie. Karoline Hausted hat Zeit, viel Zeit. Ein Luxus, vordergründig. Sie folgt ihrem Ehemann in dessen Netzwerke, schaut sich um, hört zu. Im Januar-Track geht es ums Dazugehören. Und um Identität. Wer bin ich? Diese Frau oder eine andere?

Hausted hat bislang drei Alben veröffentlicht. Die Dänin betätigt sich bevorzugt als Grenzgängerin zwischen reduzierten Singer-Songwriter-Tönen, gehobenem Indiepop, streift in Gedanken mitunter das Chanson, ist mit sanften elektronischen Tönen vertraut und lässt die Gedanken gerne weit schweifen. Luftig sind sie, diese Tracks, intelligent und leichtfüßig dazu. Und von einer sanften Traurigkeit. Lassen im Vorübergehen Assoziationen an die Heroinnen Suzanne Vega und Tori Amos aufkommen. Sind aber sehr anders. Im feinen »An Ocean In You« geht es ums Fallen ins Ungewisse. Man könnte fast zu der Überzeugung kommen, es handelte sich dabei um eine beglückende Erfahrung. Ach, und ein großes Dankeschön geht unbekannterweise an Karen in Zürich, über deren Empfehlung ich über Frau Hausted gestoßen bin!

25. Januar 2015

Árstíðir entdecken die Leichtigkeit

Das ist schon ein Kunststück: In einem vollbesetzten Café wagt es es kaum einer, den Kaffeelöffel im Heißgetränk auch nur umzudrehen. Aus Furcht, ein lautes Geräusch könnte die Musiker auf der improvisierten Bühne in einem Groninger Innenstadtcafé ablenken und diese fragilen und schwärmerischen Töne zerstören. So etwas bringen nur Árstíðir fertig. Die Isländer balancieren bei ihrem Off-Venue-Auftritt beim Eurosonic-Festival gekonnt auf der Bruchkante zwischen traditionellem Folk und gefühligem Pop, ohne dabei ins Süßliche abzudriften. Intonieren innige Vokalharmonien, einfühlsam unterstützt von Streichern. Die vier blind miteinander harmonierenden Sänger und Musiker erschaffen Töne von ruhiger, inniger Schönheit. Und klingen dabei keinesfalls betulich, sondern sehr lebendig und diesseitig. Von Abdriften in esoterische Walle-Welten kann bei diesem Quartett erfreulicherweise keine Rede sein! Später am Abend spielen Árstíðir dann in der ehrwürdigen A Kerk in Groningen – und nirgendwo anders gehören sie hin!

Im Gespräch mit Gitarrist Ragnar auf dem schicken Empfang zu Ehren des isländischen Schwerpunkts auf dem Eurosonic (es haben sich übrigens 19 Bands von der Atlantikinsel auf ins Niederländische gemacht!) ist von Feierlichkeit nichts zu spüren. Ragnar amüsiert sich bestens über sich selbst: Denn anstatt sich in seinem besten Ausgeh-Outfit unters Volk zu mischen, steht er in Labber-Pulli und Uralt-Bequemhosen da. Da sein Gepäck irgendwo unterwegs verschollen ist, muss die bequeme Kleidung fürs Flugzeug in den kommenden Tagen für alle Gelegenheiten herhalten. Ragnar nimmt es gelassen und lacht herzhaft über das modische Bein, das das Schicksal ihm hier stellte. Und erzählt lieber vom neuen, vom dritten Album »HVEL«, das Anfang März erscheint. Das für Árstíðir Aufbruch und Abenteuer geichermaßen war und ist. Denn während man auf den Vorgängeralben einen vorrangig akustischen Ansatz pflegte und die Stimmen größtenteils unter Live-Bedinungen aufnahm, haben die Isländer dieses Mal auf aufwändige Aufnahme-, Mixing- und Mastering-Technik gesetzt und die Feinheiten einzeln eingespielt. Man nahm sich reichlich Zeit. Und fand mit dem Toppstöðin einen neuen Aufnahme-und Rehearsal-Raum in einem stillgelegten Kraftwerk vor den Toren Reykjavíks. Einem verwunschenen Ort voller merkwürdiger Geräusche und einer Vielzahl von Mäusen. Und man finanzierte das neue Album via Kickstarter-Kampagne, statt das Haus eines Bandmitglieds wie beim letzten Mal bis zur Schmerzgrenze zu beleihen. Die Band war vom Erfolg der eigenen Crowdfunding-Initiative vollkommen überwältigt, wie Ragnar begeistert erzählt. Innerhalb der gesetzten Frist kamen die benötigten 70.000 Dollar zusammen. Fast 1.600 großzügige Klein-Finanziers unterstützten das Projekt. Ohne pekuniären Druck im Nacken konnten Árstíðir befreit aufspielen und neue Dinge ausprobieren. »Wir haben die Leichtigkeit entdeckt, und das hört man den Songs auch an«, sagt Ragnar. Einen unerwartet positiven Nebeneffekt hatte die Kickstarter-Kampagne noch zudem: Da diese Plattform vor allen in den Vereinigten Staaten populär ist, sprach sich das Projekt der Isländer via Empfehlungskultur von West- bis Ostküste herum, traf auf offene Ohren und eifrige Spendenfreude. Und es wurde der dringliche Wunsch geäußert, dass die Musiker von der Atlantikinsel doch einmal live vorbeischauen sollten! Und so kommt es, dass Árstíðir demnächst ihre ersten Konzerte in den USA spielen werden. »Daran hatten wir noch nie zuvor gedacht, und jetzt bereiten wir unsere erste US-Tour vor!«, berichtet Ragnar begeistert enthusiastisch und nimmt noch einen großen Schluck schäumendes holländisches Begrüßungsbier. Auf das alte dunkeblaue Sweatshirt kann er bedenkenlos kleckern! Mit »Things You Said« geben die Isländer einen ersten Vorgeschmack aufs neu Album. Und mit der neuen Leichtigkeit hat er durchaus recht!

(Foto: Florian Trykowski)

19. Januar 2015

Isländische Eruptionen auf dem Eurosonic 2015: Dj. Flugvél

Steht uns der Sinn nach Eruptionen, wenn die Dinge auf der Welt sowieso in ziemlicher Unordnung sind? Nein, eigentlich eher nicht! Und auch wenn Island bei der 2015er-Ausgabe des Eurosonic Festivals im niederländischen Groningen das Fokusland ist und das Motto reißerisch Iceland Erupts heißt, so müssen doch auch die ruhigen Töne sein. Mancher Beobachter mochte vermuten, dass sich angesichts der massiven isländischen Präsenz auf dem Festival die Hälfte der Inselbevölkerung in die niederländische Studentenstadt aufgemacht hatte, aber das stimmte wohl nicht ganz. Welche Bedeutung die isländische Politik inzwischen dem kreativen Sektor und insbesondere dem Iceland Airwaves Festival im Spätherbst beimisst, bewies die Präsenz des Reykjavíker Bürgermeisters und der Tourismusministerin. Stolz konnte man auf dem Eurosonic vermelden, dass sich im vergangenen Jahr erstmals mehr als eine Million Besucher auf die Atlantikinsel aufgemacht haben. Touristen bringen Devisen und Touristen lieben die superlebendige Musikszene auf Island. Die inzwischen somit ein wichtiger Standortfaktor ist! Dass die Innenstadt Reykjavíks sehr überschaubar ist und sich inzwischen ein Hotel neben das andere reiht, fällt bei der Präsentation der offiziellen Delegation aus Reykjavík doch etwas unter den Tisch. Bleibt zu hoffen, dass die eigene Popularität den Isländern nicht mittelfristig doch mehr schadet als nutzt. Eine »Prenzlauer-Berg-Entwicklung« in Downtown Reykjavík? Lieber nicht! Aber der Stolz auf die heimische Musikszene ist selbst der Tourismusministerin anzumerken, die sich wie all die anderen offiziellen Vertreter ihres Landes freut, dass mit dem wunderbaren Jóhann Jóhannson in diesem Jahr zum allerersten Mal ein isländischer Komponist für den Oscar nominiert ist!

Und man denkt sich seinen Teil und hofft, dass die isländische Musikzene auch noch in Zukunft möglichst viele kreative Querköpfe hervorbringt. Viele geniale Dilettanten. Viele Erzähler merkwürdiger Geschichten. Wie die sehr minderjährig aussehende Nachwuchskünstlerin Dj. Flugvél og Geimskip, die bei ihrem improvisierten Auftritt in einem Groninger Café schräge Töne erprobt, die man guten Gewissens nur als Prinzessinnen-Geisterbahnpop beschreiben kann. Der sperrige Name (übersetzt heißt er übrigens Dj. Flugzeug und Raumschiff!) dürfte einer Weltkarriere im Weg stehen, aber das wird die quicklebendige und experimentierfreudige Chanteuse kaum stören. Die ihren eigene Musik unter der schönen Kategorie »electronic-horror-space-music« einordnet und mit großem Selbstbewusstein die krudesten urbanen Schauermärchen erzählt. Etwa die Mär von den bösartigen Katzen, die nachts ihr Unwesen treiben. Die Jung-Anarchistin hantiert wie ein weibliches Rumpelstilzchen an ihren elektronischen Gerätschaften herum, die sie mit Kindergeburtstags-Kinkerlitzchen geschmückt hat. Und singt dabei keineswegs düstere Songs über das Wehgeschrei von Sklaven, die ihr Leben lang unter üblen Umständen schuften müssen. Und macht dabei unmissverständlich klar, dass die Revolution nur mit Spaß gelingen wird. Man wundert sich sehr, man lächelt und man freut sich über diese naiv-aufmüpfigen Töne. Bitte weiter so!

11. Januar 2015

Machinery Of Joy entdecken düstere Dinge vorm Einschlafen

Richtig hell werden will es in der Welt von Machinery Of Joy nicht. Was nicht wirklich stört. Denn die Dinge, die sich in der knappen Spanne zwischen Tag und Traum abspielen, die sind doch so viel interessanter als die ach so altbekannten Alltagsdinge, die alle ihren festen Platz haben. Um die Erkundung dieser Grenzzustände geht es den Vieren aus Kopenhagen, die sich in bester Fin-De-Siècle-Tradition an morbiden Sehnsüchten berauschen und die Poesie in Untergangsszenarien entdecken. Todesnähe und Lebensüberdruss bringen doch die delikatesten Empfindungen hervor! »You wanna die«, intoniert Sängerin Laura Noszczyk in endlosen Wiederholungen im dunkelschwarz eingefärbten Track »Comatose Puppet«.

Dass man das Debütalbum »ON THE VERGE OF SLEEP« betitelt hat, passt gut in diese nachdenklichen Nachtmahrwelten, durch die eisige Winde pfeifen. Es sind verhalten experimentelle Töne, die wie verirrte Nebelschwaden durch diese schwarzromantische Szenerie wabern. Die feine, helle Stimme Noszczys ist hier die einzig zuverlässige Konstante, an der man sich festhalten kann. Versteht sich von selbst, dass diese Nachtschwärmer die delikatesten Gefühle erkunden und im endlos ausufernden Track »Solar Storm« die feine Kunst der Seelenerkundung gegen emotionale Wallungen eintauschen! Nur um in der reduzierten Ballade »Lamia« wieder zur bewussten Beschränkung zurückzukehren und das gehobene Nachdenken in Ehren zu halten. Zu diesen Tönen mag man die Schultern fröstelnd hochziehen und den Jackenkragen höher schlagen. Und in düsterer Schönheit schwelgen! Zu lächeln gibt es im Universum von Machinery Of Joy wenig. Man mag nur leise schmunzeln darüber, wie die Band den eigenen Stil auf ihrer Bandcamp-Seite beschreibt: »dark, psychedelic, drone, experimental, industrial, noise-kraut, rock, melodic«. Bloß kein wichtiges Attribut vergessen! Auf Bandcamp kann man dem Album zur Gänze lauschen. Und im Februar kommen die Dänen auf Deutschland-Tour: Wärs´s in meiner Nähe, täte ich wohl hingehen. Ist es leider nicht. Vielleicht ein andermal, in einer grauen, nassen Nacht.

07. Januar 2015

Das letzte Konzert 2014: Amorphis auf Jubiläums-Tour

Tatort: Die neue Welt
Tatverdächtige: Kleiner Mann mit Dreads samt Band
Tatzeit: Kapitalistischer/katholischer Hochfeiertag
Tatzeugen: Sehr ruhige Gesellen

Als wir hörten, dass Amorphis am 26. Dezember 2014 in Berlin spielen, genauer gesagt in Huxley’s neuer Welt, war uns klar: da gehen wir hin. Vor allem, da wir zu dem Zeitpunkt sowieso in Berlin sind.

Also auf zu »Varietébühne, Sportpalast, Rollschuhbahn und Ausflugsziel am Rande des Volksparks Hasenheide«. Vorband ist an diesem Abend die erst 2013 gegründete Doom Metal-Band Avatarium, mit Jennie-Ann Smith als Fronterin und (Ex-)Tiamat-Schlagzeuger Lars Sköld. Die Schweden geben ihr Bestes, versuchen die geschätzt 700 bis 800 Zuhörer anzuheizen und zum Mitmachen zu bewegen. Leider ohne großen Erfolg. Das konzertverwöhnte Berliner Publikum scheint sich nicht angesprochen zu fühlen und steht nur regungslos in der Halle herum. Vielleicht lenkt die Zuschauer auch nur das skurrile Bühnenoutfit der Sängerin zu sehr ab. Nach einer guten halben Stunde gehen Avatarium von der Bühne und machen Platz für Amorphis.

Die Finnen feiern mit einer Jubiläums-Tour den 20. Geburtstag ihres zweiten Albums  »TALES FROM THE THOUSAND LAKES«. Erstmals spielen sie die Scheibe komplett live, vom ersten bis zum letzten Song.*
Von der Originalbesetzung sind Schlagzeuger Jan Rechberger (wieder) dabei, Gitarrist Esa Holopainen (immer noch) sowie Gitarrist (zu Gründungszeiten Sänger) Tomi Koivusaari, ergänzt durch Keyboarder Santeri Kallio (seit 1999), Basser Niclas Etelävuori (seit 2000) und Fronter Tomi Joutsen (seit 2005).

Anfangs ist auch bei ihnen das Publikum sehr verhalten, doch mit zunehmender Dauer des Konzerts wachen einzelne Personen auf und bangen sogar.

Kompletten Beitrag lesen …

 
Seite 1 von 212