Axel Honneth an der Humboldt-Universität: Ein Sozialismus, der keiner ist

An der Berliner Humboldt-Universität sprachen die Philosophieprofessoren Axel Honneth und Christoph Menke, die SPD-Politikerin Gesine Schwan und die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht über „Die Aktualität des Sozialismus“.

An der Berliner Humboldt-Universität fand am Dienstagabend eine Veranstaltung zum Thema „Die Aktualität des Sozialismus“ statt. Auf dem Podium saßen die Philosophieprofessoren Axel Honneth und Christoph Menke, die SPD-Politikerin Gesine Schwan und die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht.

Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Vorstellung des Buchs „Die Idee des Sozialismus“ von Axel Honneth, das 2015 erschien. Honneth (66) ist Direktor des Instituts für Sozialforschung in Frankfurt am Main und damit offizieller Erbverwalter der Frankfurter Schule und der Kritischen Theorie.

Das Audimax der Universität war bis zum letzten Platz gefüllt und einige Besucher mussten stehen. Es dürften wohl um die 800 gekommen sein. Doch wer einen Beitrag zum offiziellen Thema des Abends, der Aktualität des Sozialismus, erwartet hatte, sah sich bitter enttäuscht.

Die Beiträge bewegten sich derart fern jeder gesellschaftlichen Realität, dass sie teilweise komische Züge trugen. Ein Theaterautor, der sich bemüht, die Abgehobenheit, den Klassendünkel und die intellektuelle Arroganz eines deutschen Professors darzustellen, hätte sich keine treffendere Szene ausdenken können.

Sahra Wagenknecht und Axel Honneth
Sahra Wagenknecht und Axel Honneth

Honneth betonte gleich zu Beginn, dass es sich bei seinem Buch „um einen metapolitischen Essay“ handle. Er unternehme weder den Versuch, sich oder den Sozialismus in den Auseinandersetzungen der Gegenwart zu verorten, noch historisch die sozialistische Bewegung bis zum heutigen Punkt zu reproduzieren und dadurch Einsichten in eine mögliche Zukunft zu gewinnen.

Was folgte war eine Diskussion über „normative Ideen“, die jede Bezugnahme auf real existierende Ereignisse und Entwicklungen sorgfältig vermied. Das historische Ausmaß der sozialen Ungleichheit war ebenso wenig ein Thema, wie die globale Finanzkrise, das Auseinanderbrechen der Europäischen Union und die wachsende Kriegsgefahr. Ein unbedarfter Beobachter musste den Eindruck erhalten, der Sozialismus sei nicht das Ergebnis gesellschaftlicher Klassenkämpfe, sondern des Streits normativer Ideen in den Köpfen deutscher Professoren.

Schwan und Wagenknecht bot dies die Gelegenheit, die reaktionäre Politik ihrer Parteien in den rosigsten Farben zu malen. Denn auch als die SPD die Agenda 2010 beschloss und Die Linke im Berliner Senat den Öffentlichen Dienst dezimierte, hielten sie an der normativen Idee des „demokratischen Sozialismus“ fest. Gesine Schwan, selbst Philosophieprofessorin und Mitglied der Grundwertekommission der SPD, kennt sich in dieser Form der Doppelmoral bestens aus.

Gesine Schwan und Christoph Menke
Gesine Schwan und Christoph Menke

Der metaphysische und abstrakte Charakter der Diskussion war nicht einfach das Ergebnis akademischer Weltfremdheit. Honneth wurde immer dann konkret, wenn er den Marxismus angriff. Alles was mit Klassenkampf, der Arbeiterklasse und der Abschaffung des Kapitalismus zu tun hat, war ihm ein Gräuel.

Er nannte in seinem Beitrag – wie auch in seinem Buch – drei Elemente, von denen man den Sozialismus befreien müsse: Die Vorstellung des Proletariats als revolutionäres Subjekt, die Idee, dass Fortschritt etwas gesetzmäßig Daherkommendes sei, und der Gedanke, dass vor allem die Wirtschaft, also die Eigentumsverhältnisse, verändert werden müssten.

Schon Jürgen Habermas und Theodor Adorno hatten den Klassenkampf und die Arbeiterklasse abgelehnt. Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelten sie die Frankfurter Schule zur Ideologie des Korporatismus, der institutionalisierten Klassenzusammenarbeit gegen Kommunismus und Revolution. Die sozialen Verbesserungen und ansteigenden Löhne jener Zeit verliehen dieser Politik ein gewisses Maß an Plausibilität.

Als Jürgen Habermas dann zum führenden Vertreter der Frankfurter Schule aufstieg, war die Zeit der sozialen Reformen bereits vorbei. Habermas wurde zum Propagandisten des „Verfassungspatriotismus“ und der Vermittlung der gesellschaftlichen Gegensätze durch „kommunikatives Handeln“.

Doch nun zerbrechen auch die demokratischen Mechanismen, die Habermas idealisiert hatte, unter dem Druck der sozialen Widersprüche. Die Klassengegensätze prallen wieder offen aufeinander. Deshalb bekamen die Diskussionsteilnehmer in ihrem theoretischen Geschwurbel kein Bein mehr auf den Boden der gesellschaftlichen Realität. Sie mussten jeden Bezug zur realen Welt vermeiden, um ihre reaktionären Theorien ausbreiten zu können.

Die Hochschulgruppe der International Youth and Students for Social Equality, die mit vier Vertretern im Studierendenparlament der HU vertreten ist, erklärte ihren Standpunkt zu Honneths Buch in Form von vier Thesen, die sie als Flugblatt unter den Teilnehmern verteilte, wo sie auf großes Interesse stießen. Ein Student meinte anschließend, es sei „das einzig Interessante an diesem Abend“ gewesen. Der Text des Flugblatts findet sich hier.

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