In freien Gesellschaften gibt es mehrere Grundwerte, die für den Erhalt des Systems unabdingbar sind. Die Religionsfreiheit, die eben auch die Kritik an Religionen beinhaltet, ist einer davon und vielleicht sogar der wichtigste. Immerhin ist sie die Antwort darauf, dass das Christentum in Europa das freie und kritische Denken sowie die Originalität und die Neugierde, zu der Menschen fähig sind, über Jahrhunderte hinweg massiv einschränkte. Wer die engen Grenzen des Weltbildes sprengte, das die Kirchen gerade noch aushalten konnten, landete schnell im Kerker oder bezahlte mit dem Leben. Davon kann heute längst keine Rede mehr sein. Im Gegenteil: Wer heute keine Witze über Papst, Pfarrer oder Gott macht, muss sich eher rechtfertigen als jene, die sich dadurch in ihren religiösen Gefühlen verletzt fühlen. Und das ist gut so, denn es gibt keinen Grund, warum ausgerechnet Religionen mit Samthandschuhen angefasst werden sollten. Im Grunde gilt auch für diese Institutionen: wer austeilt, muss auch einstecken können. Und die christlichen Kirchen haben gelernt, einzustecken.
Doch Religionskritik ist eben nicht gleich Religionskritik. Beim Thema Islam kann das alles schnell anders aussehen. Mir ist das zuletzt wieder im Rahmen eines Interviews aufgefallen, in dem es um mein Buch „Deutschland, deine Götter“ ging. Die Journalistin hatte eigentlich kein Problem mit dem eher lockeren Schreibstil, machte jedoch eine erhebliche Ausnahme. Sie fand, erzählte sie mir nach dem Gespräch, die Art und Weise, wie ich über den Islam schreibe, vollkommen daneben. Vor allen ein Absatz hatte sie ganz besonders erzürnt, weil dieser verletzend sei und auf eine Art herabwürdigend, die Moslems so langsam nicht mehr ertragen können. Was hatte ich geschrieben, was alle Moslems nicht mehr hören können? Dass sie alle Terroristen sind, dass sie im Mittelalter hängengeblieben sind oder dümmer als andere Menschen? Nein, es war das hier:
„Allah offenbarte Mohammed den Koran Wort für Wort. Es dauerte schließlich 23 Jahre, bis die 114 Suren abgeschlossen waren. Wenn man die Standardeinstellungen eines gewöhnlichen PC-Schreibprogramms wie Microsoft Word verwendet, umfasst der Koran zirka 600 Seiten. Damit hat das Autorenduo Allah/Mohammed im Schnitt zwei Wochen pro Seite gebraucht, was sie zu den vermutlich langsamsten Schriftstellern aller Zeiten macht. Gleichzeitig aber mit zu den erfolgreichsten, denn nach der Bibel ist der Koran das am weitesten verbreitete Buch der Welt.“
Diese Passage ist weit davon entfernt, als Herabwürdigung durchzugehen (gut, „Autorenduo“ ist vielleicht etwas mutig, weil Mohammed die Offenbarungen nur mündlich weitergab. Jedoch ist für mich auch jemand Autor, der seine Texte diktieren lässt – aber das ist ein anderes Thema und war auch nicht der Grund für den Journalistinnen-Zorn). Und trotzdem wurde genau diese Passage attackiert. Nicht von einer Muslima, sondern von einer Journalistin, die selbst nicht religiös ist, sich aber dennoch ungefragt zur Anwältin der muslimischen Sache macht. Sie weiß, was man Moslems zumuten kann, nämlich praktisch gar nichts. Was sie hingegen nicht wissen will, ist, dass sie eine waschechte Rassistin ist. Rassisten sind heute ja fast immer in der Defensive, sie müssen sich verteidigen und ihnen ist klar, dass ihre Haltung sie gesellschaftlich schnell isolieren kann.
Doch daneben gibt es eben auch den guten Rassismus, der sich im Recht sieht und auch die öffentliche Meinung (oder zumindest die politische und mediale) hinter sich weiß, diese Form des Rassismus hat einen Eigennamen verdient: Guterrassist bzw. Guterrassismus. Er entmündigt seine Opfer, für deren Unterstützer er sich hält. Er nimmt das Objekt seiner rassistischen Begierde nicht als gleichberechtigt wahr und erwartet darum auch wenig von ihm. Darum ist es für diese Journalistin auch vollkommen klar, dass Moslems wegen einer solchen Formulierung schon aus der Fassung geraten müssen. Schließlich schwingt in den Zeilen ja eine gewisse Lockerheit im Umgang mit dem Islam mit, die ein Moslem ganz bestimmt nicht aushalten kann. Der Moslem will über seine Religion nur in spröden wissenschaftlichen Abhandlungen lesen, die ihm auf jeder Seite mindestens sieben Fußnoten garantiert und ihn auf staubtrockene Art nicht unterhält. Zumindest weiß der Guterassist, dass der Moslem das so will, ob der Moslem das auch weiß, ist egal. Der Guterassist weiß es ohnehin besser.
Guterassisten sind Teil des Problems, nicht der Lösung, denn sie verteidigen den Islam gegen jede Kritik, ganz so, als würde dadurch auch nur eine der Krisen gelöst werden können, die der Islam aktuell mit sich und anderen hat. So stellte „meine“ Guterassistin im weiteren Verlauf unseres Gesprächs klar, dass der islamistische Terror nichts mit dem Islam zu tun hat. Als ich meinte, was denn unter anderem mit IS, Boko Haram und Al Quaida ist, antwortete sie ungerührt, dass das alles keine Moslems sind, weil sie den Islam falsch verstanden haben. Das ist intellektuell auf dem Niveau eines Aluhutträgers, der vor Chemtrails warnt. Als ob es den Opfern – die meisten davon sind ja selbst Moslems – irgendwie hilft, wenn der Terror, der im Namen des Islam verübt wird, schlicht geleugnet wird. Als würde er verschwinden, wenn man nicht über ihn spricht.
Man kann natürlich versuchen, sich mit den Gründen für diesen Terror zu beschäftigen (dafür sollte auch dringend analysiert werden, warum sich so viele Konvertiten gleich soweit radikalisieren, dass sie zu Terroristen werden. Das ist deswegen relevant, weil Konvertiten generell dazu neigen, ihren neuen Glauben möglichst zu 100 Prozent zu leben. Warum endet das bei Neu-Christen oder Neu-Juden aber damit, dass sie nur ihren jeweiligen neuen Heimatgemeinden unglaublich auf die Nerven gehen, weil sie alle Regeln peinlich genau einhalten wollen, während Neu-Moslems sich stattdessen auffallend oft ein Ticket zum IS besorgen oder sonst wie ins extremistische Lager abdriften? Zieht der Islam also andere Gläubige an als das Christentum und das Judentum, und wenn ja, warum? In der Antwort auf diese Frage dürfte auch ein Gutteil der Lösung für das islamische Terrorproblem liegen.) Oder sich fragen, weswegen der Bildungsstand in der muslimischen Welt so katastrophal niedrig ist, warum Frauen so viel schlechter behandelt werden, warum in den letzten Jahrzehnten fast alle religiösen Minderheiten aus der arabisch-muslimischen Welt vertrieben wurden oder warum Satire, freie Presse und offene Gesellschaft aktuell in der muslimischen Welt undenkbar sind?
Wenn einen das Schicksal der Menschen in diesen Ländern etwas bedeutet (Stichwort universelle Menschenrechte), kann man all diese Fragen nicht einfach ignorieren. Oder eben doch, indem man sie eben als Lügen bezeichnet, dann ist man halt ein Verschwörungstheoretiker und/oder Guterrassist.
Natürlich ist es für die Entwicklung in der islamischen Welt unerheblich, was nun eine deutsche Journalistin dazu meint, aber erwähnenswert ist es allemal, entspricht das doch einer Grundhaltung gegenüber dem Islam, die diese Religion und ihre Mitglieder eben nicht ernstnimmt, sondern wie ungezogene Kinder betrachtet, denen man mit viel Rücksichtnahme begegnen muss, weil sie eben noch nicht so weit sind wie „wir“. Problematisch ist der Guterassismus aber vor allem, weil er gleichzeitig den autoritärsten und reaktionärsten Teil der islamischen Community bestimmen lässt, was „der Islam“ ist. Auf diese Weise wird den Hardlinern die Deutungshoheit übergeben. Aber das sieht ein Guterrassist nicht, dafür ist sein Gewissen zu rein. Leider.
Zuletzt erschien von Gideon Böss das Sachbuch: Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Tempeln, Kirchen, Hexenhäusern