Politik

Bilkay Öney

18.08.16

"Man kann Gott mit einer Burka nicht hinters Licht führen"

Ex-Integrationsministerin Bilkay Öney lehnt ein Burka-Verbot ab – wünscht sich von Muslimen aber auch eine Emanzipation von der Burka. Ihr missfällt die Gesinnung und sie argumentiert religiös.

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Von Thorsten Mumme

Die Welt: Frau Öney, vermissen Sie Baden-Württemberg?

Bilkay Öney: Das ist eine Fangfrage (lacht). Zunächst war es hart, mich dort als Berlinerin durchzusetzen. Aber im Zuge der Flüchtlingskrise habe ich es geschafft und mich auch wirklich wohlgefühlt. Jetzt stelle ich fest: Integrationspolitisch hört man seit der Wahl überhaupt nichts mehr aus Baden-Württemberg, trotz vieler Themen.

Die Welt: Dafür sind jetzt einige Innenminister der Union mit Vorschlägen zur Integration vorgeprescht. Was halten Sie denn von einem Burka-Verbot?

Öney: In Frankreich gibt es ja schon seit längerer Zeit ein Burka-Verbot. Dieses Verbot konnte aber offenbar keinen terroristischen Anschlag verhindern. Aber mir gefällt die Gesinnung, die hinter der Burka steckt, auch nicht. Sie ist ein Kleidungsstück, das keiner emanzipierten Frau gefallen kann.

Die Welt: Wie wollen Sie Burkas denn ohne Verbot aus dem Straßenbild verbannen?

Öney: Es muss gelingen, die Menschen dazu zu bewegen, es selber nicht mehr zu wollen. Wir müssen dafür sorgen, dass sich Muslime und Migranten davon emanzipieren. Aber das braucht Zeit.

Die Welt: Muss eine liberale Gesellschaft Burkas nicht aushalten können?

Öney: Eine liberale Gesellschaft hält viel aus, aber wie liberal sind wir? Und wie liberal sind die Burka-Trägerinnen? Auch in einer liberalen Gesellschaft existiert eine gewisse Konformität; und die Burka passt dazu nicht. Schon jetzt gibt es ein Vermummungsverbot nach dem Versammlungsgesetz und Regelungsmöglichkeiten durch Hausordnungen.

Die Burka ist ja eine neuzeitliche Erfindung des Mannes. Sie sollte die Beduinen gegen Wüstenstürme schützen. Da wir hier in Breitengraden leben, in denen es keine Wüstenstürme gibt, frage auch ich mich: Wozu die Burka?

Die Welt: Viele begründen die Burka mit ihrem Glauben.

Öney: Koranexperten sagen, dass nur an drei Stellen im Koran von der Verhüllung der Frau gesprochen wird, nie aber von der Burka. Es erschließt sich mir nicht, wie die Burka mit der Religion zusammenhängt. Häufig argumentieren Menschen mit der Religionsfreiheit; das ist quasi ein Totschlagargument. Da kann man häufig nichts mehr sagen.

Die Welt: Ihnen fällt bestimmt etwas ein.

Öney: Okay, ich versuche jetzt mal, religiös zu argumentieren, da die Kopftuchträgerinnen das ja auch machen. Die Muslime rufen "Allahu akbar". Das bedeutet: Allah ist groß. Wenn der liebe Gott so allmächtig ist, dann glaube ich, dass er nicht an Kleidervorschriften festhält, sondern darüber hinwegsehen kann. Ich glaube, dass Gott alles sieht und nur auf eines achtet – wie rein dein Herz ist. Und wenn man kein reines Herz hat, dann kann die Burka das auch nicht verbergen. Man kann Gott mit einer Burka nicht hinters Licht führen.

Die Welt: Der CDU-Politiker Jens Spahn sagt, er sei "burkaphob" – ist es wirklich die Burka, vor der er Angst hat?

Öney: Nicht nur Jens Spahn, sondern auch viele andere verspüren schon beim Kopftuch ein gewisses Unbehagen. Da ist natürlich die Angst, dass man nicht weiß, wer oder was dahintersteckt. Zudem grenzt die Trägerin sich damit ab, das erschwert die Kommunikation. Für viele ist es unheimlich, weil man mit der Burka mittelalterliche Wertvorstellungen verbindet. Nach unseren westlichen Idealen des Humanismus und der Aufklärung ist es eben schwer nachzuvollziehen, warum man überhaupt Burka trägt.

Die Welt: Ein weiterer Punkt, der derzeit diskutiert wird, ist die doppelte Staatsbürgerschaft. Warum wird diese Debatte gerade jetzt losgetreten?

Öney: Das letzte Mal diskutierten wir darüber, als "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo sich als Doppelwähler geoutet hatte. Diesmal, weil nach dem Putschversuch in der Türkei Tausende Türken in Deutschland auf die Straße gegangen sind und für Erdogan demonstriert haben. Wir können über alles diskutieren. Das aber zum Anlass zu nehmen, generelle rechtliche Gegebenheiten infrage zu stellen, halte ich für falsch.

Die Welt: Die Optionspflicht, der Zwang für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern, sich spätestens mit 23 zwischen der deutschen Staatsangehörigkeit oder der ihrer Eltern zu entscheiden, sollte also abgeschafft bleiben?

Öney: Ja. In Deutschland wird Mehrstaatigkeit ohnehin nur in besonderen Fällen hingenommen. EU-Bürger können zwei Pässe haben. Kinder in binationalen Ehen können mehrere Pässe haben. Seit einiger Zeit auch hier geborene Drittstaatsangehörige.

Die Welt: Hilft die Debatte in der aktuellen Situation?

Öney: Sehen Sie, wir können ja auch nicht verhindern, dass jemand, der nur einen deutschen Pass hat, für Erdogan auf die Straße geht. Der Doppelpass muss keinen Loyalitätskonflikt mit sich bringen. Und genauso bringt der einfache Pass auch nicht zwangsläufig Klarheit in der Loyalitätsfrage. Das sieht man schon daran, dass auch einige Menschen, die hier aufgewachsen sind, unsere Werte ablehnen. Der Pass ist nicht das Problem, sondern die Gesinnung.

Die Welt: Die ist aber sehr viel schwieriger zu verändern als eine Staatszugehörigkeit.

Öney: Richtig, es muss uns gelingen, die Menschen in ihrer individuellen Entwicklung so stark zu befördern, dass sie sich aus dieser "Vaterlandsgewalt" befreien und die Fesseln der Tradition ablegen. Das betrifft übrigens nicht nur Muslime, sondern beispielsweise auch Russlanddeutsche, die Putin verehren.

Die Welt: Was müsste denn ganz praktisch passieren?

Öney: Wir müssen Integration weiter denken. Hauptsächlich geht es um Emanzipation. Dazu müssen wir die entsprechenden Möglichkeiten an den Kitas und Schulen schaffen. Ich weiß, dass die Schulen schon jetzt viele gesellschaftliche Fehlentwicklungen auffangen müssen, aber es ist letztlich der einzige Ort, an dem wir alle erreichen.

Die Welt: Das hilft uns im Moment aber noch nicht. Gibt es keine kurzfristigen Maßnahmen?

Öney: Kaum, diese Prozesse brauchen Zeit. Die Traditionen sind über Jahrhunderte gewachsen. Das kann man nicht mit ein paar Integrationsmaßnahmen ausgleichen.

Die Welt: Mit dieser Antwort wird es schwer, Wähler zurückgewinnen, die sich über die Verhältnisse heute ärgern und jetzt AfD wählen ...

Öney: Vielleicht ist der Vorstoß der CDU-Innenminister so zu erklären. Es gibt aber keinen kurzfristigen Weg. Mein Eindruck ist, dass viele Menschen nicht nur politikverdrossen sind, sondern einiger Politiker überdrüssig. Mir schreiben viele ehemalige CDU-Wähler. Sie sagen, sie wollen die Union nicht mehr wählen, solange Angela Merkel Kanzlerin ist. An ihrem "Wir schaffen das"-Mantra stören sich offenbar immer noch viele, und die Flüchtlingskrise wird ihr angelastet.

Die Welt: Betrifft das Ihre Partei nicht genauso?

Öney: Doch, für meine Partei gelten dieselben Dinge. Nach dem, was ich an Rückmeldungen auf Twitter bekomme, sogar noch viel mehr als die CDU. Die Follower schreiben mir offen: "Die CDU wähle ich nicht mehr, aber die SPD erst recht nicht."

Die Welt: Warum ist das so?

Öney: Manchmal wehren wir reflexartig Dinge ab, wenn uns etwas nicht passt. Aber man muss Wähler ernst nehmen und ihnen wirklich zuhören. Wenn jemand sagt, er mag die Burka oder das Kopftuch nicht, dann ist das zunächst eine Feststellung. Die Person muss nicht gleich ausländerfeindlich sein. Es gibt ja auch Muslime, die Burka oder Kopftuch nicht gutheißen. Es wäre gut, wenn es in den Volksparteien genug Raum für solche Diskussionen gäbe, und auch Politiker, die diese Stimmen auffangen.