Der türkische Selbstermächtiger

Nicht immer sind die guten von den schlechten Nachrichten klar zu scheiden. Es kommt vor, dass die schlechte Nachricht die Kehrseite der guten ist. Ja, es stimmt vermutlich, dass in der Türkei die Zeit der Militärputsche vorbei ist. Wenn es sich denn am vergangenen Freitag um einen Putsch gehandelt hat, dann war er offensichtlich sehr schlecht vorbereitet: ein Versuch, kein Zugriff. Vor allem aber ist er gescheitert, weil sich ihm offenbar große Teile der Bevölkerung furchtlos entgegengestellt haben. Die Menschen, die auf die Straßen gingen, taten das sicher nicht zuletzt deswegen, weil sie der Staatspräsident dazu aufgerufen hatte. Sie brachten den Mut dazu aber vermutlich noch aus einem anderen Grund auf: Das Modell Putsch funktioniert nicht mehr in einer vergleichsweise modernen Gesellschaft wie der türkischen. Es hat seine unmittelbare Einschüchterungskraft, seinen Schrecken verloren. Es genügt heute nicht mehr, Panzer auffahren, Jagdbomber aufsteigen zu lassen und Fernseh- und Zeitungsredaktionen zu besetzen, um die Macht zu erobern. Twitter hat die Panzer lächerlich aussehen lassen. Die klassische Putsch-Choreografie scheitert an der Komplexität moderner Gesellschaften. Auch in der Türkei scheint die Zeit der Obristen-Regimes vorbei zu sein. Das ist die gute Nachricht. Der die schlechte auf dem Fuße folgt.

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Recep Tayyip Erdogan

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Die stille Freude der Portugiesen

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Auch das ist Europa. So still feierten die Portugiesen ihren Sieg bei der Fußball-Europameisterschaft. Nicht lauter Triumph, sondern vergnügte Genugtuung: Das signalisierte gestern das Titelblatt des in Lissabon erscheinenden Tabloids „i“, das einen siegreichen, ernsten, jedenfalls nicht jubelnden Kleinen zeigte. So war auch auf den Straßen und Plätzen, den Cafés und Restaurants der Hauptstadt vor allem dies zu beobachten: eine nach innen gerichtete Freude, fast ein wenig gehemmt. Auf Glückwünsche  reagierten die meisten Lissaboner mit einer Art zurückhaltendem Stolz.

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Der englische Patient. Großbritannien und Europa nach dem Referendum

Am Tag nach dem Nein pulsiert London wie immer, als sei gar nichts geschehen. Kein Schock, keine Betäubung. Dabei ist Großbritannien in zwei Hälften gespalten. Und doch geht vom Ergebnis des Referendums eine überaus klare und eindeutige Botschaft aus. Erstmals hat sich ein großer Mitgliedstaat der europäischen Gemeinschaft getraut, alle Warnungen in den Wind zu schlagen und der Welt mitzuteilen: EU – no thanks! Die Europäische Union als Schicksalsgemeinschaft, welche die ihr angehörenden Staaten auf immer unauflöslich zusammenschweißt: Von dieser besonders in Brüssel gepflegten und gehegten Illusion haben sich die Briten soeben souverän verabschiedet. Sie haben ihrem tiefen Groll gegen die EU freien Lauf gelassen.

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Mehr Großbritannien wagen!

Genau eine Woche vor dem britischen Referendum über den Verbleib des Landes in der Europäischen Union hat Großbritannien sein hässlichstes Gesicht gezeigt. Mitten in der Endphase des Wahlkampfs um Brexit oder Bremain wurde die engagierte und tapfere Labour-Abgeordnete Jo Cox, die mit Leidenschaft für den Verbleib in der EU kämpfte, auf offener Straße erschossen und erstochen. Auch wenn es zynisch klingen mag, die Tat selbst sagt wenig bis nichts über Großbritannien aus. Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble, Henriette Reker, um nur einige zu nennen: Überall gibt es immer wieder Einzelne, die aus Gründen, die politisch allenfalls drapiert sind, Politikern ans Leben wollen. Doch das Attentat auf Jo Cox steht wie ein grelles, gespenstisches Licht über einem politischen Kampf, in dem beide Seiten in ihrem Bemühen, das Thema zu einer Existenzfrage der Nation zu stilisieren, oft genug jedes Maß verloren haben.

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Es ist gut so. Joachim Gauck verzichtet auf eine zweite Amtszeit

Was auch immer die wirklichen Gründe dafür waren, dass Joachim Gauck auf die – sichere – Wiederwahl ins Amt des Bundespräsidenten verzichtete: Es war eine richtige Entscheidung. Nicht des Alters und der Bürde wegen. Sondern weil eine zweite Amtszeit die erste nicht hätte übertreffen können, mehr noch: Sie hätte Schatten auch auf die erste werfen können. Gewiss, es wird viele geben, die gerne weitere fünf Jahren die wohlklingenden Reden Gaucks gehört hätten, die sich an seinem fröhlichen Gemüt und seinen frohen Botschaften erfreut hätten und die gespannt darauf gewesen wären, wann er wohl einmal mehr für einen Moment die Rolle des Staatsrepräsentanten verlässt und bei heiklen Themen ein wenig deutlicher wird. Doch der Mann aus Rostock hat seine Sujets ausgereizt, er hat – vielfach – gesagt, was er zu sagen hat. Weitere fünf Jahre hätten in eine Endlosschleife münden können.

Unknown

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Spell my name

Mancher, dem Aufklärung heilig, meint, er bringe Licht in die Welt und warne das ahnungslose Publikum vor lauernden Gefahren. Tatsächlich aber trägt er dazu bei, das zu nähren und größer zu machen, gegen das er doch immunisieren will. Und man kann nicht wirklich glauben, diese Verdrehung der Auf- in Verklärung entgehe ihm. Die Rede ist vom Umgang mit der AfD.

Ein ganzes Wochenende lang ist es Alexander Gauland gelungen, mit einer Äußerung, die er später „so“ nicht gemacht haben wollte, dann aber doch noch einmal bestätigte, die deutschen Schlagzeilen zu beherrschen. Sonntagabend: erste Meldung der „Tagesschau“, noch vor Merkels und Hollandes Besuch in der Verdun-Gedenkstätte bei Douamont. Die Sonntagszeitung aus Frankfurt bringt den Fall breit auf Seite eins. Und die Tageszeitung aus Frankfurt macht ihn zwei Tage später zum Aufmacher, in der Schlagzeile mit den Namen Merkel und Seehofer zusätzlich aufgewertet. Ein hingeworfener Satz über einen deutschen Fußballspieler mit schwarzer Hautfarbe – und schon erste Meldung sowie Anlass einer anschwellenden Empörungsanstrengung. Das ist viel zu viel der Ehre. Das AfD-spezifische Spiel von Provokation und halber Rücknahme derselben endet immer damit, dass etwas zugleich gesagt und nicht gesagt ist. Immer bleibt etwas hängen. Eine Binsenwahrheit: Medien verhelfen zu mehr Aufmerksamkeit. Warum kann man eine solche Äußerung nicht einfach ignorieren?

Weil wir aufklären, weil wir warnen müssen, tönt es aus den Reihen derer, die Gauland medial zur Riesengröße verhelfen. Zeitungen, Talk-Shows auf allen Programmen, Hauptsache empörend. Doch die Gutmeinenden klären allenfalls die ohnehin schon Aufgeklärten auf, die nichts Neues erfahren – aber einen Schauer oft mehr genießen als erleiden. Ansonsten betreiben sie im Grunde das Geschäft der AfD. Sie verschaffen ihr einen Resonanzraum, den sie – ginge es mit rechten Dingen zu – aus eigener Kraft niemals hätte füllen können. Die mediale Lust, immer und immer wieder die AfD mit Abscheu zum Thema zu machen, hat etwas Dunkles. Einige prominente Politiker der AfD besitzen ein feines Gespür dafür, dass man mit geistigen Grenzüberschreitungen stärker werden und eine beträchtliche Anhängerschaft sammeln kann: jene, die so gerne sagen: „Das muss doch noch gesagt werden können.“ Das ist, wie es aussieht, kühl und mit beträchtlicher Verächtlichkeit kalkuliert. Die Grenzüberschreitungen lassen sich gewiss noch steigern – mit den Medien als Lautverstärker. Nach diesem Wochenende kennt den AfD-Vize jeder beim Namen.

Es klingt zwar nach altbekannter Medien- und Kulturkritik, trifft aber doch zu: Das frei vagierende, sich derzeit an der AfD abarbeitende Empörungsgewerbe ist von dem Trüben, das es entlarven will, auch fasziniert, auch affiziert. Skandalisierung, oft als wirksames Instrument kritischer Öffentlichkeit verteidigt, kann auch eine Spirale nach tief unten eröffnen: in die Kloake.

Unknown

Mae West: Auch sie kannte schon den Wert des richtigen Name Dropping

Gewiss, Medien die schweigen, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Das sollte sie aber nicht daran hindern zu erkennen, dass sie Wirklichkeit nicht nur abbilden, sondern auch schaffen. Eines ist sicher: Seit dem vergangenen Wochenende steht die Behauptung, „die Leute“ würden nicht gerne in der Nachbarschaft eines Farbigen leben, im öffentlichen Raum. Sie ist – negativ – diskursfähig geworden. Soll man denn nicht sagen dürfen, was „die Leute“ meinen? Sätze wie dieser werden diskursfähig, negativ zwar, aber eben doch. Das ist ein Tabubruch. Sie nisten sich ein. I don’t care what you say about me as long as you spell my name right.  Medien machen es möglich.

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Misslungenes Gedenken bei Verdun

Gedenken ist schwer. Es wird von der Routine, von der allzu guten und allzu deutlich zur Schau gestellten guten Absicht gefährdet. Daher darf man jene nicht beneiden, die Gedenkfeiern wie der an das große Töten bei Verdun vor hundert Jahren eine angemessene Form geben müssen. Wer an Gräuel und Grauen erinnern will, die wir zwar aus Berichten und Dokumentationen kennen, steht immer vor dem Dilemma, dass er Schrecken vergegenwärtigen will, wie das seltsame Wort lautet. Dass er die Heutigen auf etwas stoßen will, das sie zwar vielleicht bewerten und einordnen können, das ihnen aber – den Kindern des Friedens – gänzlich unvorstellbar ist in seiner brutalen Logik. Das kann schiefgehen. Weiterlesen

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Auszug aus dem Volksheim. Österreich im Aufbruch?

Es heißt: The winner takes it all. Das wird Alexander Van der Bellen, der designierte Bundespräsident Österreichs, gegenüber dem unterlegenen Kandidaten und dessen Partei FPÖ hoffentlich anders halten. Denn er hat ja nur um Haaresbreite gewonnen. Sein Sieg ist ein Sieg der Spaltung. Nicht nur, dass es leicht auch anders hätte kommen können. Es bleibt der Befund: Die Hälfte der Österreicher, die ihre Stimme abgegeben haben, votierten kraftvoll gegen das großkoalitionäre Regiment, das sich – mit einer kurzen Unterbrechung – seit Jahrzehnten lähmend über das Land gelegt hatte. Diese entsprach jedoch einem spezifischen österreichischen Geist, der tiefe Wurzeln in der Geschichte der Republik hat. Nach dem Ende der Donaumonarchie, die zu Teilen ja auch schon ein Staatengebilde des permanenten Ausgleichs war, wurde die geschrumpfte Republik als eine große Konsensmaschine angelegt. Weiterlesen

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Ein bescheidener Herr. Zum Tode des Schriftstellers Imre Kertész

Nach dem Ende von Krieg und Verfolgung blieb er mit seinem Werk jahrzehntelang nahezu unbeachtet. Abgeschlossen und von der sozialistischen Gesellschaft abgekehrt lebte Imre Kertész in seiner kleinen Wohnung in Budapest und schrieb: allein für sich, wie er später oft gesagt hat. Er und seine (erste) Frau führten ein ärmliches Leben. Spät, er war da schon fast 60 Jahre alt, kam dann doch der Erfolg, weniger in Ungarn als im Westen, vor allem in Deutschland. Kertész, der Auschwitz überlebt hatte, tat etwas, was viele nicht verstanden: Zwar behielt er seine Wohnung in Budapest, verlegte seinen Lebensmittelpunkt aber nach Berlin, in die Stadt der Wannsee-Konferenz, in die Stadt, in der Adolf Eichmann – keine drei Kilometer von Kertész’ späterer Wohnung in der Meinekestraße entfernt – die Logistik des Mords an den Juden Europas organisiert hatte. Nachdem er 2002 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden war, war er plötzlich wohlhabend. Man konnte ihn sehen, wie er – sorgfältig und auf fast altertümliche Weise edel gekleidet – mit seiner Frau auf dem Kurfürstendamm promenierte, man sah ihn in Cafés, in Konzerten, in den großen grünen Parks Berlins. Er schien dieses Leben zu genießen. Weiterlesen

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Adieu, Guido Westerwelle!

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Guido Westerwelle (1961-2016)

Viele der Tränen, die ihm jetzt nachgeweint werden, sind das, was man Krokodilstränen nennt. Das hat Guido Westerwelle nicht verdient. Er war ein Kämpfer, doch er hatte im politischen Kosmos erst Bonns und später Berlins – von Teilen seiner eigenen Partei abgesehen – nur sehr wenige Freunde. Mehr noch: Er war eine Abstoßungs-, oft auch eine Hassfigur gewesen. Jeder fühlte sich befugt, ihn aggressiv anzugreifen, ihn zu verspotten, sich über ihn lustig zu machen, ihn einen gefühllosen Toren, einen asozialen Rüpel zu schelten usw. Der eine, ein CSU-Mann, schmähte ihn als „Leichtmatrose“ – darauf anspielend, dass Westerwelle einmal in der ihm zeitweise eigenen Aufdringlichkeit ausgerufen hatte: „Auf jedem Schiff, das dampft und segelt, gibt es einen, der die Sache regelt. Und das bin ich!“ Der andere, ein grüner Leitwolf, fand es witzig, ihn wiederholt im Bundestag dröhnend als „Doktor Kiwi“ zu titulieren – weil Westerwelle die liberale Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik von Neuseeland besser fand als den rheinischen Protektionskapitalismus der Bonner Republik. Ganz zu schweigen von den Kabarettisten und comedians, die sich fast ohne Ausnahme für außerordentlich nonkonform hielten, die aber fast ohne Ausnahme regelmäßig, ganz konform und nahezu begründungslos auf ihn eingewitzelt und eingeschlagen haben.

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