Wo bleiben die bayerlympischen Spiele?

Auch diese Olympischen Spiele werden wieder von Dopingskandalen überschattet. Ich habe eine Idee, wie sich dieses Problem lösen lässt. Und diese Idee ist kurz und knapp und heißt: Bayerlympics.

Warum wird aus der Not keine Tugend gemacht? Doping gab es schon immer und Doping wird es immer geben. Man kann es nicht aus der Welt schaffen, das ist unmöglich. Aber man könnte es in legale Bahnen lenken. Warum wird nicht ganz offiziell eine weitere olympische Bühne eröffnet, auf der Dopingmittel selbstverständlicher Teil der Wettkämpfe sind?

Es wäre doch spannend zu sehen, was die Pharmaindustrie für Wundermitteln im Angebot hat und wie sehr das die Grenzen dessen verschiebt, was Menschen unter „normalen“ Bedingungen leisten können. Die 100-Meter unter neun Sekunden? Weitsprünge von 10 Metern und mehr? Marathonläufer, die nach neunzig Minuten duschen gehen? Es wäre ziemlich spannend zu sehen, was diese Frankensteinspiele für Ergebnisse erzielen würden.

Die Gefahr, dass das legale Dopen eine Gefahr für die Sportler darstellt, gibt es zwar, aber Gefahren für die Gesundheit gibt es im Leistungssport ohnehin immer. Leistungssport ist nun einmal Extremsport. Gleichzeitig kann kein Pharmaunternehmen ein Interesse daran haben, Sportler zu Tode zu dopen, was schon eine Skrupelbremse aus wirtschaftlichen Gründen garantiert.

Von daher dürfte die Gefahr, dass die Athleten wie Versuchskaninchen mit neusten Tabletten und Pillen gemästet werden, unbegründet sein. Das Gegenteil wird eintreten: gerade weil Doping dadurch legal wird, wird es weniger Fälle geben, bei denen Sportler durch Dopingmittel gesundheitlich ruiniert werden oder sogar sterben. Denn erst die Illegalität sorgt dafür, dass viele (heute noch) unerlaubte Mittel nicht perfekt auf den jeweiligen Sportler abgestimmt werden können. Da würde es eine ganz andere Art der Professionalisierung geben, wenn Doping nicht mehr als ultimativer Sündenfall gesehen würde, sondern ein normaler Teil der pharmazeutisch-sportlichen Vorbereitungen wäre.

Auf diese Weise würde es also künftig die traditionellen Spiele geben (bei denen Dopingfälle ab dann drakonisch bestraft gehören) und eben die Bayerlympics, bei denen die Pharmaindustrie zeigen darf, was ihre Labore so alles zu bieten haben.

Von Gideon Böss erschien zuletzt das Sachbuch „Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Tempeln, Kirchen, Hexenhäusern“

Killerspiele, Killeräste und Thomas de Maizière

Thomas de Maizière wärmt nach dem Amoklauf von München die Debatte über Killerspiele wieder auf. Anlass ist die Tatsache, dass der Täter solche Spiele auf seinem PC hatte. Dass die praktisch jeder Mensch besitzt, der noch nicht auf der Welt war, als Neil Armstrong den Mond betrat, bringt den Innenminister dabei nicht aus der Ruhe. Wenn sie jeder hat, haben sie schließlich auch alle(!) Täter. Da sprechen doch die Zahlen für sich.

Immerhin werden in Killerspielen Menschen getötet, deswegen heißen sie ja auch so. (Gut, genau genommen heißen sie nicht Killerspiele, sondern werde von Politikern so genannt, die in diesem Fall mal keinen Wert auf sensible Sprache legen.) Dass die Jugend durch solche Spiele eine besondere Begeisterung für Waffen, Krieg und Gewalt entwickeln, sieht man ja eindeutig daran, dass die Bundeswehr den Ansturm junger Freiwilliger kaum bewältigen kann. Es sind einfach zu viele, die unbedingt eine Waffe in der Hand halten wollen. So wie Deutschlands Jugend überhaupt total verroht ist, was auch die Shell-Jugendstudie bestätigt, laut der jungen Leuten Familie und Freunde am Wichtigsten sind. („Und Killerspiele – um so das Töten zu erlernen“, hat de Maizière in seiner Ausgabe der Shell-Jugendstudie noch handschriftlich hinzugefügt.)

Überhaupt wäre die Menschheitsgeschichte längst nicht so blutig verlaufen, wenn Killerspiele und ihre primitiven Vorläufer nicht gewesen wären. Kinder und Jugendliche spielten über Jahrtausende mit „Killerästen“, die sie im Wald fanden. Mit denen tobten sie herum und bildeten sich ein, dass sie tapfere Krieger wären. Die Folgen sind bekannt: von Alexander dem Großen über Julius Caesar bis zu Napoleon, Hitler und Mao haben sie alle mit Killerästen gespielt. Die Sache ist eindeutig! Man hätte schon viel früher über ein Verbot von Wäldern diskutieren müssen.

Nur eine Sache scheint keine Auswirkungen auf Killer zu haben: religiöse Bücher – und da ganz speziell die, auf die sie sich selbst berufen. Als zwei Islamisten 2015 in Paris eine komplette Zeitungsredaktion hinrichtete, stellte Killerismus-Experte de Maizière sofort fest: „Terroristische Anschläge habe nichts mit dem Islam zu tun.“ Klare Ansage, da können die Terroristen sich noch so oft auf ihr heiliges Buch beziehen, vor de Maizière kommen sie damit nicht durch. Hätten sie sich hingegen auf das Spiel Counterstrike berufen, gäbe es ein Tatmotiv. So einfach ist es manchmal.

Und auch in der Bibel finden sich ja Aufrufe zu gottgewollten ethnischen Säuberungen und Völkermorden, ohne dass das den Innenminister beunruhigt. In einem Buch, das in vielen deutschen Wohnungen liegt, das Kindern schon in der Schule nahegebracht und von Millionen Erwachsenen sehr ernst genommen wird. Trotzdem spricht de Maizière nicht von einem „Killerbuch“. So wie er es auch nicht beim Koran macht. Denn er weiß, dass die Terroristen eigentlich nicht religiös verblendet sind, sondern einfach nur zu viele LAN-Partys hinter sich haben. Da drehste einfach irgendwann durch. Ist so. Weiß der Innenminister selbst am besten, versackt ja oft genug auf solchen Events.

Gut jedenfalls, dass er zu unterscheiden weiß zwischen gefährlichen Computerspielen einerseits und ungefährlichem religiösen Wahn andererseits. Wirklich explosiv wird es immer erst, wenn Killerspiele hinzukommen. Wenn man die verbieten könnte, wäre die Welt endlich wieder ein friedlicher Ort. So wie früher, als es noch keine Killerspiele gab. Und keine Depressionen. Und generell keine psychischen Erkrankungen.

Gideon Böss veröffentlichte zuletzt das Buch „Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Tempeln, Kirchen, Hexenhäusern“

Die EU ist eine gute Idee. Eigentlich.

Dass Großbritannien die Europäische Union verlassen wird, ist schade. Und es ist gefährlich, vor allem für die EU, denn dieser Schritt bedroht sie viel mehr als das Vereinigte Königreich. Ich hatte gehofft, dass der Brexit scheitert, weil ich die Idee hinter der EU großartig finde. Schließlich ist es eine tolle Geschichte, wenn ein Kontinent, der sich bis dahin in regelmäßigen Abständen mit Terror, Krieg und Völkermord zugrunde richtete, zusammenwächst, Wohlstand erwirtschaftet und seinen Bürgern das grenzenlose Reisen durch das gesamte EU-Gebiet ermöglicht.

Dass die europäischen Staaten heute auch ohne die EU keine Kriege gegeneinander mehr führen würden, stimmt zwar, macht aber die Verdienste der EU um die Entwicklung des Kontinents nach dem Zweiten Weltkrieg nicht weniger groß. (Die andere Institution, die sich ebenfalls große Verdienste um den Frieden in Europa erworben hat, ist übrigens die NATO -also die USA-, da sie der EU das Überleben sicherte und immer noch sichert.)

Und trotzdem zeigt der Brexit auch, was alles schief läuft in der EU. Die Briten haben sich in freien Wahlen für den Austritt entschieden. Das ist schade, aber eben auch ein urdemokratischer Vorgang. Die EU hätte dieser Entscheidung mit dem Respekt begegnen müssen, der sich in so einem Fall gehört. Da verlässt jemand freiwillig einen Club, dem er davor freiwillig beigetreten ist. Dass stattdessen nach dem Votum plötzlich in Brüssel ein aktionistischer Druck auf London ausgeübt wurde, nun aber auch bitteschön innerhalb weniger Tagen alles in die Wege zu leiten, war peinlich und nicht angemessen. Zumal die EU auch sonst immer ein eher gemächliches Tempo einschlägt. Da ist es nicht zu verstehen, warum ausgerechnet in einer so komplexen Angelegenheit plötzlich so sehr gedrängt wurde. Der Grund dürfte vor allem mit der Kränkung zu tun haben, dass sich da jemand gegen die EU entschieden hat, die es bislang nur gewohnt war, umworben zu sein. Der erste Korb tut halt immer am meisten weh.

Genau dieses Selbstbild ist ein Problem der EU. Sie muss begreifen, dass sie kein Selbstzweck sein kann, sondern davon abhängig ist, ob sie die Länder und Bürger immer wieder von der Idee EU überzeugen kann. Denn es gibt Alternativen, spätestens jetzt muss das auch dem größten Ignoranten klar sein. Leider machen aber die Reaktion aus Brüssel nicht den Eindruck, als ob der Brexit einen Prozess der Selbstkritik ausgelöst hat. Wenn eines der wichtigsten Länder freiwillig die EU verlässt, sollte das vielleicht auch das eine oder andere EU-Alphatier darüber nachdenken lassen, ob und was womöglich falsch läuft. Und durchaus darf man in so einer Situation auch die eigene politische Zukunft kritisch überdenken. Aber Rücktritte von Juncker und Schulz sind ausgeblieben, so wie sich generell niemand veranlasst sah, Platz zu machen.

Und wenn dann doch jemand konsequent ist, wird das mit einem Geifern kommentiert, als ob es sich für demokratische Politiker nicht gehört, auch nur einen Tag weniger als irgend möglich an ihren Posten zu kleben. Dass David Cameron direkt nach dem Brexit seine politische Laufbahn für beendet erklärte, wurde in der EU als feige Aktion angesehen. Dabei wäre alles andere inkonsequent gewesen. Cameron war entschieden gegen den Brexit, das Volk dafür. Also ist Cameron nicht der richtige Mann für diese Aufgabe. Auch Boris Johnson und Nigel Farage zogen sich zurück, zwei wichtige Befürworter für den EU-Austritt. Johnson, weil er im parteiinternen Kampf um die Cameron-Nachfolge schlicht verlor und Farage, weil er sein politisches Lebenswerk erfüllt sieht. Er machte Politik, um Großbritannien aus der EU zu lösen und Großbritannien hat sich nun genau dafür entschieden. Warum soll er weitermachen müssen? Wer findet, Farage solle jetzt gefälligst auch „ausbaden“, was er „angerichtet“ hat, zieht ohnehin einen falschen Schluss aus dem Referendum. Wenn überhaupt, hat der Wähler etwas „angerichtet“, denn er hat entschieden, und eben nicht Farage oder Johnson. Nun ist die Politik am Zuge, den Willen des Wählers (bzw. des Volkes) umzusetzen. Dafür sind Politiker da, die müssen aber nicht zwingend Farage heißen, was ja einer der sympathischen Unterschiede zwischen einer Demokratie und einer Diktatur ist.

Während in Großbritannien also gerade nach dieser epochalen Wahlentscheidung die Demokratie zeigt, was sie ausmacht, passiert in Brüssel leider nichts in diese Richtung. Stattdessen ist da eine erstaunliche Selbstzufriedenheit inmitten der schwersten Krise der eigenen Geschichte zu bestaunen. Dabei ist die EU nur so viel wert, wie die Idee hinter einem geeinten Europa. Wenn diese an Strahlkraft verliert, verliert auch Brüssel an Legitimität. Also muss sich auch diese Idee immer wieder bewehren und die Auseinandersetzung mit konkurrierenden Ideen suchen. Dazu gehört auch, diese anderen Ideen ernst zu nehmen. Die EU hat die Brexit-Kampagne bis zum Ende nicht wirklich ernst genommen und gedacht, dass sie natürlich scheitern wird. Es kam anders und erst dann wurde Brüssel aktiv und zwar auf die unsouveräne Art, wie sie schlechten Verlierern eigen ist.

Wenn die EU nicht bald in den Ring steigt, und die eigene Idee offensiv bewirbt, wird sie schneller zerfallen als man es sich heute vorstellen kann. Ob die Funktionäre, die aktuell in Brüssel am Ruder sind, eine solche Überzeugungsarbeit leisten können, muss stark bezweifelt werden. Dass sie demnächst abtreten, aber auch. Leider.

Von Gideon Böss erschien zuletzt: „Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern“

Der (fehlende) Handschlag Gottes

An einer Berliner Schule eskalierte gerade der Streit zwischen den Eltern eines Schülers und seiner Lehrerin. Dabei gab es nicht einmal inhaltliche Auseinandersetzungen, denn bis zu denen kam es beim Treffen gar nicht erst. Genaugenommen kam es nicht mal wirklich zum Treffen, denn nach dem Versuch einer Begrüßung war schon Schluss. Die Lehrerin reichte dem Vater des Schülers die Hand, die dieser – ein Imam – aus religiösen Gründen nicht schütteln wollte. Die Frau bestand aber aus Gründen des Respekts und der Gleichberechtigung auf diese Begrüßung. Der Imam verweigerte sie weiterhin. Und so gingen beide Seiten wieder ungeschüttelt ihrer Wege. Die Lehrerin wirft dem Vater nun Frauenfeindlichkeit vor und der Vater der Lehrerin umgekehrt „Verletzung der Religionswürde“ und fremdenfeindliche Diskriminierung. Einmal von den Details dieses Falles abgesehen (was ist zum Beispiel Religionswürde?), zeigt er doch ziemlich gut, wie schwer sich Religionen in ihrer orthodoxen Auslegung damit tun, die Errungenschaften der Aufklärung zu akzeptieren.

Dass ein strenggläubiger Moslem einer fremden Frau die Hand nicht reichen will, geht auf den Propheten Mohammed zurück, der diesen Brauch einführte. Mohammed lebte allerdings vor 1400 Jahren. Damals gab es so ziemlich nichts von dem, was unsere Welt heute prägt. Was kein Problem wäre, wenn sein Leben nicht als goldenes Vorbild dafür dienen würde, wie ein gläubiger Moslem sich zu verhalten hat. Speziell dafür gibt es neben dem Koran noch die Hadithen, eine Sammlung von Anweisungen, wie man sich in welcher Lebenssituation zu verhalten hat – vom Beruhigen eines Kinders bis hin zur Behandlung von Gefangenen. Im Grunde sind sie ein Knigge für Gottesfürchtige.

Nun hat der Erfolg dem Islam einerseits recht gegeben, immerhin schaffte er es auf Platz zwei der größten Religionen der Welt. Und dennoch kann niemand behaupten, dass diese Religion aktuell in ihrer Blüte steht. Im Gegenteil, islamische Länder belegen die letzten Plätze in Sachen Bildung, Frauenrechte und Minderheitenschutz. Millionen Moslems immigrieren oder flüchten (in Merkeldeutschland Synonyme für ein- und dasselbe) aus muslimischen Staaten in den Westen und folgen damit den ethnischen und religiösen Minderheiten, für die es schon zuvor keine Zukunft mehr in diesen Ländern gab. Auch der Imam aus Berlin war übrigens Opfer dieser Intoleranz, da er als türkischer Schiit einer muslimischen Richtung angehört, die in der sunnitischen Türkei heftigen Repressalien ausgesetzt ist. (Dass er selbst wenig von liberalen Werten hält, darf nicht nur wegen dem verweigerten Handschlag angenommen werden, schließlich fand seine theologische Ausbildung im Iran statt, wo mit Verweis auf den Koran Homosexuelle hingerichtet werden.)

Ein Problem, das in vielen Religionen vorkommt, und im Moment vor allem beim orthodoxen Islam auffällt, ist eine reaktionäre Einstellung. Wären solche Religionen Menschen, so wären sie die sturen Großeltern, die sich trotzig „Das haben wir schon immer so gemacht“ auf das welke Fleisch tätowiert haben. Eine Haltung übrigens, die so gar nicht in unsere Zeit passt. Innovative Unternehmen verbessern und erleichtern uns den Alltag mit immer neuen Produkten und investieren alles in den Versuch, ihre Produkte immer perfekter zu machen und Fehler zu korrigieren. Der Anspruch dabei ist es, das eigene Produkt immer noch besser zu machen. Deswegen haben zum Beispiel heutige Computer kaum noch etwas mit dem C64 gemein.

Es würde den Religionen gut tun, sich etwas von dieser Startup-Mentalität unserer Zeit abzuschauen und das eigene Produkt intensiver zu überprüfen. Womöglich finden sich ja Elemente, die nicht mehr zeitgemäß sind. Eine Religion sollte ja nicht wie ein Kartenhaus zusammenfallen, wenn an dieser oder jener Stelle dann doch eine Anpassung an völlig andere Zeiten vorgenommen wird.

Und wenn nicht, können die Gläubigen ja immer noch selbst entscheiden, was für Regeln sie befolgen wollen und welche sie nicht mehr passend finden. Das gehört bei den Christen in Deutschland längst dazu. Und bei vielen Moslems auch. Auch wenn ihnen das sowohl orthodoxe Imame als auch Islamgegner nicht durchgehen lassen wollen.

Gideon Böss schrieb das Buch: Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern

Die Nationalmannschaft und die Nationalhymne

Zu den ödesten Debatten rund um WM- und EM-Turniere, gehört die Frage, ob die Spieler die Nationalhymne mitsingen sollen oder nicht. Wer sich verweigert, hat nichts im Vorzeigeteam verloren, heißt es von denen, die einen Singzwang fordern. Sie schauen ganz genau hin, wenn vor dem Spiel die Hymne läuft, und die Kamera an den Gesichtern der Elf vorbeizieht. Wer singt richtig, wer bewegt nur etwas die Lippen und bei wem tut sich gar nichts im Gesicht?

Aus der Frage, ob jemand singt oder nicht, wird dabei so eine Art Instant-Patriotismustest vom heimischen Fernsehsofa aus. Und da unter den Verweigerern wiederum mehrere Spieler mit Migrationshintergrund sind, wächst sich das Ganze noch zu einer Integrationsdebatte aus.

Diese ganze Debatte ist überflüssig. Ob jemand die Hymne singt oder nicht, soll jeder für sich entscheiden. Wer dabei nichts spürt, soll es bleiben lassen. Daraus kann man erst einmal gar nichts über die Gefühle des „Stummen“ ableiten. So wie es ohnehin eine heikle Disziplin ist, messen zu wollen, wie stark nun die Gefühle eines Menschen zu seinem Land sind? Wie will man das herausfinden, was sind da die objektiven Maßstäbe? Und warum ist das wichtig – speziell, wenn es um Fußball geht?

Wenn Fußballer ihrer Gesundheit riskieren, weil sie für Deutschland spielen, haben sie damit schon ein Bekenntnis abgelegt. Und der DFB muss die Spieler auch nicht gewaltsam dazu bringen, aufzulaufen. Von daher könnte man sich doch als Faustregel merken, dass jene, die das Adler-Trikot tragen, vermutlich ganz gerne für Deutschland gegen den Ball treten.

Alles andere wäre auch ein wenig ungeschickt, denn es gibt nicht viele andere Funktionen, in denen man Deutschland prominenter vertritt, als wenn man Spieler der deutschen Nationalmannschaft ist. Bundeskanzlerin oder Bundespräsident gibt es danach vielleicht noch. Andererseits ist Özil weltweit bekannter als Gauck.

Es ist egal, ob jemand die Nationalhymne mitsingt oder nicht. Wer aber aus einer solchen persönlichen Entscheidung eines Fußballers mehr macht, als dessen persönliche Entscheidung, sollte vielleicht besser erst zum Anpfiff einschaltet, das ist besser für den Blutdruck, außerdem werden die anderen Zuschauer dann auch nicht mit verqueren politischen Theorien genervt, wenn sie einfach nur Fußball gucken wollen.

Von Gideon Böss erschien gerade das Buch „Deutschland, deine Götter- Zu Besuch in Tempeln, Kirchen, Hexenhäusern“

Netflix einfach mal in Ruhe lassen, EU

Wirklich nervig ist es, dass Politiker und Behörden die Tendenz haben, sich überall einzumischen. Speziell auch in Bereiche, die ganz wunderbar ohne sie funktionieren. Aktuell beweist die EU einmal mehr diese Aufdringlichkeit. Es geht um Streamingdienste, also um den Markt, auf dem vor allem Netflix große Erfolge feiert und beinahe im Wochentakt neue großartige Serien veröffentlicht.

Doch statt froh zu sein, dass die Konsumenten durch Netflix (und andere) genau die hochwertigen Serien geliefert bekommen, an denen die milliardenteuren Rundfunkgebührensender chronisch scheitern, werden diese Anbieter nun aus Brüssel bedrängt. Die Forderung ist, dass eine Quote kommen soll. Mindestens 20 Prozent der Produktionen sollen künftig aus der EU stammen.

Es gibt so viele gute Gründe gegen diesen Vorstoß und keinen einzigen dafür. Warum lässt die EU nicht die Finger von Dingen, die wunderbar funktionieren? Und warum findet sie, dass sie sich in die Programmgestaltung der Streaming-Dienste einmischen darf? Und meint die EU etwa, dass die Kunden von Netflix ungeduldig darauf warten, endlich all die europäische Ware gucken zu dürfen, wegen deren fehlenden Qualität sie ja so froh über Netflix sind? Und warum hat die EU so wenig Vertrauen in den Markt? Zumal Netflix längst Interesse daran hat, europäische Stoffe einzukaufen oder zu produzieren, auch wenn bislang die Ergebnisse nicht so erfolgreich waren.

Europäische Produktionen müssen sich an der starken US-Konkurrenz messen lasse, und da schneidet sie seit Jahrzehnten schlecht ab. Übrigens vergrößerte sich der Abstand in den letzten Jahren sogar noch einmal spürbar. Was der europäischen Filmszene fehlt, sind Innovationen und Mut. Solange es daran scheitert, wird sich am aktuell eher bescheidenen Niveau nichts ändern. Und dass ausgerechnet die EU-Bürokratie, als Inbegriff spröder Fantasielosigkeit, nun meint, als Retter auftrumpfen zu müssen, macht die Sache noch schlimmer.

Zumal eine solche Quote auch deswegen nutzlos ist, weil Anbieter wie Netflix am Ende eben ein paar Alibi-Serie ins Programm aufnehmen werden, um diese Auflage zu erfüllen. Die schaut dann keiner, weil es ja einen Grund gibt, warum sie nur über EU-Druck ins Programm kamen. Aber die EU wäre zufrieden, denn die Vorgaben wurden erfüllt.

Die EU macht genug Fehler und hat reichlich Probleme, die sie lösen muss (da gibt es zum Beispiel so eine winzige Flüchtlingskrise), da muss sie nicht noch Schaden in Bereich anrichten, die richtig gut funktionieren.

Hier geht es zum aktuellen Buch von Gideon Böss: Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Kirchen, Tempel, Hexenhäuser

Götter tun sich generell schwer mit dem Grundgesetz

Jan Fleischhauer hat sich in seiner aktuellen Kolumne mit der AfD und ihrer Haltung zum Islam beschäftigt. Speziell was die Vereinbarung von Islam und Grundgesetz angeht, sieht die Ex-Lucke-Partei erhebliche Probleme. Fleischhauer erwähnt in dem Zusammenhang auch mein Buch „Deutschland, deine Götter“ und ich denke, dass mich das eine Jahr der Reisen zu den verschiedensten Glaubensgemeinschaften nun zwar nicht zum Religionsexperten gemacht hat, aber immerhin zu einem Religions-Touristen.

Darum will ich mich zu dem Thema auch zu Wort melden. Generell muss man sagen, dass die Götter keinen großen Wert auf menschgemachte Verfassungen legen. Es gibt niemanden da oben im Pantheon, dem es ein besonderes Anliegen ist, dass wir uns ans Grundgesetz halten (sonst hätte er es selbst verfasst und in Tontafeln unter das Volk gebracht). Dementsprechend würde auch keine Religion den Einbürgerungstest bestehen. Götter wären von ihrer autoritären und/oder totalitären Haltung her im Zweifel viel eher ein Fall für den Verfassungsschutz.

In der Bibel beispielsweise, die ja nun sowohl für Juden als auch Christen so etwas wie der Glaubens-Knigge ist, gibt es Passagen, in denen Gott sich in einen wahren Blutrausch hineinsteigert und Mord und Totschlag für alle möglichen Dinge verlangt, für die man bei uns höchstens in die Klatschspalten der Boulevardmedien kommt. Affären, Seitensprünge, Sex mit dem Nachbarn (oder mit Tieren). Er will sogar, dass getötet wird, wer „seinem Vater oder seiner Mutter flucht“. Was ja auch irgendwie gegen die im Grundgesetz garantierte Entfaltung der eigenen Persönlichkeit, gegen die Meinungsfreiheit und das Recht auf körperliche Unversehrtheit – und diverse andere Rechte – verstößt.

Und im Zentrum des Hinduismus befindet sich mit dem Kastensystem ein rassistisches Menschenbild, das dem Leid des Einzelnen nur mit Verachtung entgegentritt, weil es ja selbstverschuldet ist. Hätte man sich in früheren Leben keine üblen Verfehlungen erlaubt, wäre man nun auch kein sozial Ausgestoßener.

Mit Homosexualität tun sich eigentlich alle Religionen schwer. Was umso erstaunlicher ist, weil die Gläubigen umgekehrt akzeptieren können, dass höhere Mächte das Universum erschaffen haben und schon immer waren und immer sein werden. Aber die Vorstellung, dass sich zwei Männer oder zwei Frauen lieben könnten, bringt sie an die Grenzen ihrer Vorstellungskraft.

Dass die allermeisten Religiösen in Deutschland (und das bedeutet hier immer: die allermeisten Christen) nicht auf Schwule losgehen, die Gleichberechtigung der Geschlechter nicht zurückdrehen wollen und generell die Worte Gottes nicht mehr so wörtlich nehmen, liegt nicht an der Religion, sondern daran, dass sie diese relativiert haben.

Der Absolutheitsanspruch, den die meisten Glaubensgemeinschaften haben, ist natürlich nie vereinbar mit einer weltlichen Verfassung. Nicht ohne Grund lehnen zum Beispiel die Piusbrüder – diese in Bernstein eingeschlossene Form des Katholizismus aus der Zeit vor dem zweiten Vatikanischen Konzil – die Menschenrechte ab. Der Grund: diese garantieren die Religionsfreiheit. Es gibt aber keinen anderen echten Glauben neben dem Katholizismus, deswegen ist die Religionsfreiheit ein Komplott gegen den Glauben und letztlich gegen Gott.

Diese Haltung haben sie nicht exklusiv, sie ist den meisten monotheistischen Strömungen eingebrannt. Und auch wenn heutzutage lieber die Gemeinsamkeiten betont werden, bleibt es dabei, dass letztlich speziell im missionierenden Monotheismus der alte Highlander-Slogan gilt: Es kann nur einen geben!

Religionen sind also eher nicht die Vorzeige-Demokraten. Dafür sind die Götter zu wenig interessiert an Gewaltenteilung, an freien und geheimen Wahlen und an politischen Kompromissen. Einen Gott, der ganze Städte niederbrennen lässt, will man jedenfalls nicht als Streitschlichter bei S21 oder anderen Großprojekten haben.

Solange Religionen sich an die Grenzen halten, die ihnen das Grundgesetz zieht, ist ihre freie Ausübung garantiert und geschützt. Wenn jemand aber meint, das Grundgesetz durch eine religiöse Gesetzgebung ersetzen zu müssen, macht sich so zum Feind dieser Verfassung, weswegen der Rechtsstaat ihn bekämpfen wird. Religionsfreiheit ist ja ein Individualrecht, schon alleine deswegen wäre das Verbot einer Religion nicht möglich – und weil es ein geschütztes Grundrecht ist. Wer dieses Grundrecht abschaffen will, bekämpft unseren Rechtsstaat. Das kann man machen, dann ist man aber eben ein Feind unserer Demokratie und nicht ihr Verteidiger.

Gideon Böss: Deutschland, deine Götter – Eine Reise zu Kirchen, Tempel, Hexenhäuser

Etwas Gutes über Heiko Maas: Er wäre ein toller Geheimagent

Ich kann mir Heiko Maas schon sehr gut als so etwas wie die deutsche Sparversion von James Bond vorstellen. Er macht ebenfalls eine gute Figur in Anzügen und ist dafür ja sogar ausgezeichnet worden. Und er behält auch in unangenehmen Situationen die Nerven. Zwar kommt es bei ihm nicht vor, dass muskelbepackte Globalschurken ihn töten wollen, während er an Tische oder Stühle gefesselt ist, aber immerhin wurde sein Pressesprecher von Anne Will mal in einer laufenden Sendung ermahnt, nun doch bitte mit diesem jubelperserhaften Applaus aufzuhören, kaum dass sein Chef einen Satz zu Ende gesprochen hat. Maas überlächelte die eigentlich furchtbar peinliche Situation ganz cool. Das hatte Stil.

James Bond rettet die Welt, das ist klar. Also wird Heiko Maas dafür nicht mehr gebraucht und wäre die Schrumpfversion dieses Helden, der sich eben eine Nummer kleiner erst um das Saarland und dann ganz Deutschland kümmert. Aber er ist eben nicht im Dienste ihre Majestät unterwegs, sondern vereidigter Justizminister unter Angela Merkel. Und den Job interpretiert er sehr eigen. Nach den islamistischen Anschlägen in Paris stellte er erst einmal – wie es jeder gute Jurist tun würde – fest, dass der Islam mit diesen Blutbädern schon mal nichts zu tun hat, bevor er dann, nach dieser Einschränkung, darum bat, die Ergebnisse der Untersuchungen abzuwarten. In der Zwischenzeit besuchte er aus Solidarität eine Moschee, obwohl die Anwesenheit in einer Synagoge irgendwie naheliegender gewesen wäre, schließlich galt einer der Terroranschläge gezielt einem jüdischen Lebensmittelladen.

Maas tat sich auch sehr dabei hervor, die zornigen Mauerverlierer von Pegida durch rhetorische Großattacken wichtiger zu machen als sie es sind. Auch die AfD griff er auf eine Art an, wie sie einem SPD-Generalsekretär zusteht, aber eigentlich nicht dem Justizminister. Wobei das alles entschuldigt ist, schließlich handelte es sich bei den zum Teil mehrmals wöchentlich abgefeuerten Salven in die Pegida-AfD-Richtung ja auch um Ersatzhandlungen. Denn eigentlich hätte er die ganze Zeit über guten Grund gehabt, auch mal ein kritisches Wort an seine Chefin zu richten, die in ihrem wilden Herbst 2015 nicht mehr so viel Wert auf Gesetze und Paragrafen legte, wenn diese ihr im Weg standen. Justizminister Maas gelang die erstaunliche Leistung, Merkels hütchenspielereihaftes Verhältnis zu Recht und Gesetz kein einziges Mal kritisch anzusprechen.

Und nun hat er ein neues Projekt und will, auch als Reaktion auf die sexuellen Übergriffe von Köln, sexistische Werbung verbieten lassen. Dieser Plan erinnert an die Vorstöße, „Killerspiele“ vom Markt zu nehmen, um damit auf Amokläufe an deutschen Schulen zu reagieren. Dabei waren „Killerspiele“ nie ein Puzzleteil dessen, was Schüler zu Killern machte. Das wusste man damals, das weiß man heute, aber es war halt so verlockend, die „Killerspiele“ zu dämonisieren. Das klang gut, das klang beruhigend.

Ein paar Jahre später nun sind die Killerspiele von sexualisierter Werbung abgelöst worden. Also Werbung, die versucht, mit lasziver Menschenhaut (fast immer weiblicher) Aufmerksamkeit zu erzeugen. Maas findet nun, dass Übergriffe wie in Köln offenbar etwas mit freizügigen Frauen in Bierwerbung zu tun haben. Dass also Frauen eher Opfer sexueller Übergriffe werden, umso mehr Oben-ohne-Werbung es gibt. Eigentlich spricht exakt alles gegen diese Annahme, aber das stört Maas nicht.

Die heutigen westlichen Gesellschaften haben einen Grad an Gleichberechtigung erreicht, der beispiellos in der Geschichte ist. Und das nicht trotz, sondern auch wegen der Möglichkeit, solche Werbung zu schalten. Männer und Frauen können heute auf eine Weise offen und unverkrampft miteinander umgehen, wie es das noch nie gab. Und wenn man bedenkt, dass noch vor wenigen Jahrzehnten ein nackter Frauenfuß im Film für eine Empörung sorgte, die Böhmermann nicht einmal dann ausgelöst hätte, wenn er sein Gedicht direkt im türkischen Parlament vorgetragen hätte, wird klar, wie viel entspannter heute das Verhältnis zwischen Mann und Frau und zum Körper ist.

Dass die Gleichberechtigung hier so weit fortgeschritten ist (was nicht weniger wahr wird trotz der Hürden, die noch zu nehmen sind), liegt eben auch an einem hedonistisch-freiheitlichen Fundament, auf dem die westliche Lebensweise aufbaut. Wer nun so tut, als sei gerade diese Schuld an Übergriffen wie in Köln, versucht sich in alter Killerspiel-Logik an einem leichten Gegner abzuarbeiten. Sexualisierte Werbung ist ein leichter Gegner, weil es ja stimmt, dass uns nichts fehlen würde, wenn die Frauen (und Männer, sie werden sehr langsam mehr) in expliziter Werbung etwas weniger explizit zu sehen wären. Aber darum geht es gar nicht. Wir könnten auf sehr viele Dinge verzichten, ohne dass es uns deswegen schlechter gehen würde. Na und? Was ist das für eine willkürlich-absurde Entsagungslogik?

Wenn sexualisierte Werbung wirklich dafür sorgen würde, dass Männer gegenüber Frauen übergriffiger werden, müsste das im Umkehrschluss bedeuten, dass in besonders „sittsamen“ Ländern die Frauen das große Los gezogen haben. Das kann man jetzt beispielsweise für den Iran oder für Saudi-Arabien wirklich nur behaupten, wenn man Argumente für die eigene Entmündigung sammeln will.

Sexualisierte Werbung sorgt nicht für mehr Übergriffe. Man kann natürlich trotzdem gegen sie sein, so wie man gegen alles sein kann. Und man kann sich fragen, ob so eine Art von Werbung wirklich sein muss. Aber dieser Art Werbung eine Mitverantwortung für die Silvesterübergriffe zu geben, ist ganz offensichtlich falsch. Und wer diesen Bezug trotzdem herstellt, als Politiker oder Lobbygruppe, muss sich den Vorwurf gefallen lassen, die Opfer für seine eigene politische Agenda zu missbrauchen.

Ansonsten ist diese Tugendwächter-Kampagne auch deswegen abzulehnen, weil eine Gesellschaft von sich aus Lösungen entwickeln kann. Wenn ein Unternehmen auf plumpe Art mit nackter Haut wirbt, gibt es nämlich eine ganz wunderbare Möglichkeit für mündige Bürger, ihr Missfallen auszudrücken: anderswo einkaufen!

Schade, dass Heiko Maas als Politiker nicht so souverän auftritt, wie als Herzensbrecher auf dem Berliner Promiparkett. Seine Auftritte mit „der Neuen“ meistert er jedenfalls sehr lässig. Wie gesagt, er ist so ein wenig ein Mehrzweckhallen-James Bond. Aber das ist ja auch immer noch was. Mal sehen, was er nach seiner Politikerlaufbahn macht. Die Tür zur Filmwelt ist ja nun offen, dank der neuen Frau an seiner Seite.

Gideon Böss hat gerade sein Buch „Deutschland, deine Götter“ fertiggestellt. Wofür er ein Jahr lang zwischen Nordsee und Alpen unterwegs war, um Kirchen, Tempel und Hexenhäuser zu besuchen.

Paragraf 103 in die Türkei abschieben

Jan Böhmermann hat ein Problem mit dem Strafgesetzbuch. Genauer gesagt, mit dem §103, der da lautet: „Beleidigung von Organen und Vertreter ausländischer Staaten“. Bis zu fünf Jahre Gefängnis können dafür verhängt werden. Böhmermann hat sich dieses Problem durch ein Schmähgedicht auf den türkischen Nichtganz-Demokraten Erdogan eingehandelt.

Die Frage sollte dabei nicht sein, ob Böhmermann mit seinen Zeilen die Kriterien für den Tatbestand der Beleidigung erfüllt hat, sondern warum es diesen bizarren Paragrafen überhaupt gibt? Ein Paragraf, der nur das hässlichste am deutschen Beamtenwesen zum Vorschein bringt (das Auswärtige Amt wurde z.B. von sich aus aktiv und prüfte schon einmal, ob Böhmermann da belangt werden kann) und die widerlichsten Regime der Welt schützt. US-Amerikanische Präsidenten drehen eher selten durch, wenn eine Satiresendung sie angreift und beleidigt. Was übrigens das große Glück deutscher Satirearbeiter ist, denn sonst hätte es in der Ära Bush nur so Ermittlungsverfahren gehagelt. Das gesamte politische Kabarett der Republik wäre damals geschlossen in den Bau gewandert, wenn Bush von Freiheit so wenig halten würde wie Erdogan.

Das ist auch der Lernprozess, der sich erst langsam durchsetzt: es gab diesen Paragrafen immer, aber weil die Schmähungen fast ausschließlich über den Atlantik gingen und die Amerikaner in Sachen Free Speech ziemlich entspannt sind, fiel das schlicht nie auf. Nun da die Türkei und die arabische Welt immer näher an Deutschland heranrücken, kommt eben auch ein anderes Verhältnis zu Satire, Kritik und Obrigkeit mit. Der autoritärste Teil der Welt rückt an den liberalsten der Welt heran. Da sind Probleme programmiert. Und der liberale Teil dieses ungleichen Paares lässt auch keinen Zweifel daran aufkommen, dass über die hier geltenden Freiheiten durchaus neu verhandelt werden kann. Sonst hätte Merkel sich nicht dazu genötigt gesehen, Böhmermanns Gedicht in die sarrazinische „nicht hilfreich““-Schublade einzuordnen.

Ein erster Schritt müsste sein, diesen elenden Paragrafen 103 abzuschaffen. Kein Staatschef sollte ein Recht darauf haben, nicht beleidigt zu werden. Gerade wer damit ein Problem hat, ist ganz zu Recht Ziel von Spott, Satire und Schmähung.

Gideon Böss hat gerade seine Reise zu den Göttern veröffentlicht: „Deutschland, deine Götter – Unterwegs zu Kirchen, Tempeln, Hexenhäusern“

Jetzt also Brüssel

Nach den Anschlägen von Brüssel geht alles seinen routinierten Gang. Es gibt die frechen Cartoons und Symbolbilder, mit denen „das Netz“ auf den Terror reagiert und die mittlerweile doch zunehmend auch mehr hilflos als souverän wirken. Es gibt die Statements aus der Politik, die einen Angriff auf „unsere Werte“ feststellen, die wir aber gerade deswegen umso entschiedener Verteidigen werden.

Und vor allem gibt es die immer gleichen Versuche, Schuldige zu suchen und Erklärungen für den Terror zu finden. Sehr beliebt ist dabei die Warnung davor, Moslems ins gesellschaftliche Abseits zu stellen, weil sie das radikalisieren könnte. Das ist gut gemeint, aber trotzdem auf gleich mehreren Ebenen falsch. Genauer: dieses Denken ist Teil des Problems, statt Teil der Lösung. Es geht damit los, dass gesellschaftlich abgehängten Moslems damit (entschuldigend) unterstellt wird, dass sie eben zu Terroristen werden, wenn sie von der Mehrheitsgesellschaft nicht offen aufgenommen werden. Warum passiert das anderen Abgehängten denn nicht? Ist das wirklich ein spezielles muslimisches Ding, gar nicht anders zu können, als zur Gewalt zu greifen, wenn der soziale Aufstieg nicht klappt?

In Wahrheit ist das eine rassistische Haltung gegenüber Moslem, denen man nicht zutraut, wie zivilisierte Menschen den minimalen Konsens einzuhalten, bitte keine Terroranschläge durchzuführen, wenn Lebensträume platzen. Zumal schon der 11.September von Moslems durchgeführt wurden, die alles andere als sozial abgehängt waren. Es handelte sich um gut ausgebildete Studenten, denen beruflich die Welt offen gestanden hätte. Wer trotzdem auf die Formel beharrt, dass soziale Ausgrenzung und Terror zusammenfallen, will vor allem die Schuld für den Terror beim „Westen“ sehen. Das ist natürlich bequem, denn wenn „die Gesellschaft“ schuld ist, kann man sich in das Vertiefen, worin es der Westen ohnehin zur Meisterschaft gebracht hat: Selbstanklage.

In Wahrheit ist die Sache relativ einfach. Nicht die (tatsächliche oder eingebildete) soziale Ausgrenzung ist Grundlage für Terror, sondern die erfolgreiche Verbreitung von theologisch begründetem Hass auf Nichtmoslems. Belgien hat auf unverantwortliche Weise dem radikalen Islam aus (unter anderem) Saudi-Arabien Tür und Tor geöffnet, saudische Hassprediger beeinflussen seit Jahrzehnten die muslimischen Milieus in diesem Land und auch ein Großteil der muslimischen Infrastruktur dort wird aus Riad finanziert und gesteuert. Saudi-Arabien sieht für jeden Verstoß gegen die Regeln des Islam drakonische Strafen vor, lässt Homosexuelle hängen, steinigt Frauen und köpft seine Kritiker. Saudi-Arabien ist eine Vorfeldorganisation der Hölle. Ihr zu erlauben, sich in Belgien auszubreiten, war an Blauäugigkeit und Ignoranz kaum zu überbieten. Belgiens Behörden und Regierungen gehören damit zu denen, die sich einer Mitverantwortung für das Entstehen einer blutdurstigen Islamistenszene nicht entziehen können. Man wird nicht aus Verzweiflung zum Gotteskrieger, sondern aus Überzeugung. Und hassvolle Imame und andere religiöse Autoritäten sorgen dafür, dass diese Überzeugungen reifen können.

Wenn Islamisten sich zu ihren Taten bekennen, reden sie schließlich nicht über kränkende Zurückweisungen durch die Mehrheitsgesellschaft, sondern sie sprechen umgekehrt voller Verachtung über den dekadenten Westen, dessen Werte sie zerschlagen wollen. Sie wollen gar nicht dazu gehören. Ihr Ziel ist es, unsere Werte durch ihre zu ersetzen. Das ist ein Krieg der Ideen, der von ihnen blutig ausgetragen wird. Das zu begreifen, ist notwendig, um diesen Krieg zu gewinnen.

Von Gideon Böss ist aktuell erschienen: Deutschland, Deine Götter – Eine Reise zu Tempeln, Kirchen, Hexenhäusern