Konzertsatz für
Violine und Kammerorchester
Carolin Widmann (Violine),
Lucerne Festival Academy Orchestra, Leitung:
Pablo Heras-Casado
Der
Titel des Konzertsatzes unbalanced instability verweist einerseits auf die
Art und
Weise des Kompositionsvorgangs, andererseits auf die daraus resultierende vielschichtige Gestaltung des Formverlaufs. Das
Werk ist von einer hohen Dichte geprägt insofern, als es beinahe keine Variantbildungen, geschweige denn Wiederholungen von syntaktischen Abschnitten gibt. Vielmehr herrscht beinahe in jedem
Moment die einmalige
Exposition von immer neu sich generierendem musikalischen
Material vor, was zu einer starken Komprimierung verschiedenartiger Charakteristika auf engem Raum führt. Einer der (diesmal ungewohnterweise zahlreichen) Arbeitstitel, „conversation comprimée“, verweist auf dieses Phänomen. Ich habe viel
Zeit aufgewendet, um einer „intuitiven Logik“ nachzuspüren, einer Logik der Subjektivität, der Assoziation und des inneren Ohrs, die ihre eigenen Regeln zu jedem Zeitpunkt neu erstellen beziehungsweise verwerfen kann. Der dadurch entstehende, labyrinthartige dramaturgische Verlauf ist beweglich und aktiv bis ins
Detail und daher schwer voraushörbar.
Meine
Musik vereint eine grosse Vielfalt verschiedenartiger Texturen. Plakativ formuliert heisst dies, dass im Verlauf eines Stücks zu jedem Zeitpunkt alles passieren kann, dass nur der stete
Wandel in all seinen Gestalten, vom fliessenden Übergang bis zur Ruptur, die einzige Konstante ist. Die Musik befindet sich quasi in permanenter Kommunikation, zum einen nach aussen hin, gleichzeitig aber auch nach innen, indem sie sich selber befragt, bisweilen gar in Frage stellt.
Das sind zwei „Hauptthemen“ meines Komponierens: einerseits die (Er)Findung individueller Formen der Zeitgestaltung mittels
Klang, ohne aber auf eine Kommunikationsfähigkeit des Klangresultats zu verzichten. Bei unbalanced instability kam nun nebst den gattungsspezifischen Fragen als zusätzliche Herausforderung die Verwendung unterschiedlicher „Tonsysteme“ hinzu. Chromatik, Mikrotonalität (als
Diminution der temperierten Chromatik), frei gehandhabte Spektralharmonik und Zentraltönigkeit, ja selbst die Quintstimmung des Soloinstruments sollten nicht einfach nebeneinander koexistieren, sondern trotz ihrer Divergenzen in
Dialog zueinander treten, um letztendlich Teil einer klang- sprachlich dennoch homogenen Werkgestalt zu werden.
Das Verhältnis von
Solo und Tutti ist ähnlich mehrdeutig angelegt. So beginnt die Violine zwar allein, aber gänzlich ohne
Bogen und löst nach kurzer Zeit – formal konventionell – erste Resonanzen im Orchester aus. Dieses entwickelt jedoch bald seine eigenen Klangräume, welche derart überhand nehmen können, dass bei Aktionen des Soloinstruments bisweilen eher deren optischer
Aspekt in den Vordergrund rückt und gar zum Verstummen der Solostimme führt. Hier ist man versucht, von einem „Konzertsatz mit solistischer Violine“ zu sprechen.
Auch im weiteren Verlauf bleibt die
Relation von Individuum und Kollektiv unberechenbar, lebt jedoch immer von unterschiedlichsten Arten der gegenseitigen Durchdringung und prägnanten Perspektivenwechseln, was auch die Bildung von kurzfristigen Allianzen mit Einzelinstrumenten einschließt. Der energetische Vorwärtsdrang des Satzes soll zum
Ende hin aufgefangen werden, in einer Art Solokadenz.
Eine Konvention also – auch die Instabilität ist eben nicht durchgängig wirksam, sondern selber „unbalanced“.
- published: 18 Aug 2015
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