„Privatreisen nach dem
Ausland können ohne Vorliegen von Voraussetzungen [Reiseanlässe und Verwandtschaftsverhältnisse] beantragt werden. Die Genehmigungen werden kurzfristig erteilt. Die zuständigen Abteilungen Pass- und Meldewesen der VPKÄ – der Volkspolizeikreisämter – in der
DDR sind angewiesen,
Visa zur ständigen Ausreise unverzüglich zu erteilen, ohne dass dafür noch geltende Voraussetzungen für eine ständige Ausreise vorliegen müssen. Ständige Ausreisen können über alle Grenzübergangsstellen der DDR zur
BRD erfolgen […]“
Westdeutsche und West-Berliner Rundfunk- und Fernsehsender verbreiteten sogleich, die Mauer sei „offen“ (was zu diesem Zeitpunkt noch nicht in die
Praxis umgesetzt war). Mehrere
Tausend Ost-Berliner zogen zu den Grenzübergängen und verlangten die sofortige Öffnung. Zu diesem Zeitpunkt waren weder die Grenztruppen noch die für die eigentliche Abfertigung zuständigen Passkontrolleinheiten (
PKE) des Ministeriums für Staatssicherheit oder die sowjetische Armee in
Berlin darüber informiert, was eine gewisse Gefahr eines – möglicherweise bewaffneten – Eingreifens bedeutete.
Um den großen
Druck der Menschenmassen zu mindern, wurde am Grenzübergang Bornholmer Straße um 21:20 Uhr den ersten Ostdeutschen dort erlaubt, nach West-Berlin auszureisen. Dabei wurden die Ausreisenden kontrolliert und Personalausweise mancher als ungültig gestempelt, die Inhaber sollten damit ausgebürgert werden.
Um 21:15 Uhr passierten als erste die DDR-Bürgerinnen Annemarie Reffert und ihre 16-jährige Tochter mit ihrem Pkw und ihren Personalausweisen den Grenzübergang Helmstedt-Marienborn. Da die Grenzsoldaten nicht informiert waren, wurden sie unter mehrmaligem Hinweis auf Schabowskis Verkündigung von einer Kontrollstelle zur nächsten weitergereicht und konnten passieren.[40][41] Der
Deutschlandfunk berichtete davon unmittelbar danach in einer Kurzmeldung.
Es sammelten sich nach und nach dichte Menschenmassen an allen Übergängen, teilweise wurde die
Lage angespannt bzw. wirkte bedrohlich. Am Grenzübergang Bornholmer Straße befürchtete der diensthabende Leiter, dass Ausreisewillige auch an Waffen seiner Mitarbeiter kommen könnten, die diese bei sich trugen. Deshalb befahl Oberstleutnant
Harald Jäger gegen 23:30 Uhr eigenmächtig, die Grenzübergangsstelle zu öffnen und die Passkontrollen einzustellen. Unter dem Druck der Massen und angesichts der fehlenden Unterstützung durch seine Vorgesetzten sah Jäger nur diesen Ausweg. Jäger sagte dazu in der ARD-Dokumentation Schabowskis Zettel vom 2.
November 2009:
„Das alles zusammengenommen war dann das Motiv des Handelns, sodass ich gesagt habe, jetzt reicht mir’s. Jetzt entscheidst Du’s auf eigene
Faust […] Hab angewiesen, alle ausreisen zu lassen […] lass alle ausreisen […]“
Über diesen Grenzübergang gelangten zwischen 23:30 Uhr und 0:15 Uhr schätzungsweise 20.
000 Menschen nach West-Berlin.
Bis
Mitternacht waren alle Grenzübergänge im Berliner Stadtgebiet offen.
Auch die Grenzübergänge an der West-Berliner Außengrenze sowie an der innerdeutschen Grenze wurden in dieser Nacht geöffnet. Bereits am späten Abend verfolgten viele die Öffnung der Grenzübergänge im Fernsehen und machten sich teilweise dann noch auf den Weg. Der große Ansturm setzte am Vormittag des 10.
November 1989 ein, da die Grenzöffnung um Mitternacht vielfach „verschlafen“ wurde.
Die DDR-Bürger wurden von der Bevölkerung West-Berlins begeistert empfangen. Die meisten Kneipen in der Nähe der Mauer gaben spontan Freibier aus und auf dem
Kurfürstendamm gab es einen großen Volksauflauf mit hupendem Autokorso und wildfremden Menschen, die sich in den Armen lagen. In der Euphorie dieser Nacht wurde die Mauer auch von vielen West-Berlinern erklommen.
Noch in der Nacht ordnete der Regierende Bürgermeister
Walter Momper als Sofortmaßnahme die Schaffung zusätzlicher Aufnahmemöglichkeiten für Übersiedler sowie die Auszahlung des Begrüßungsgeldes über
100 DM auch durch die
Sparkasse West-Berlins an. Einige
Zeit nach Bekanntwerden der Nachricht von Schabowskis Pressekonferenz unterbrach der
Bundestag in Bonn am Abend seine laufende Sitzung. Nach einer
Pause gab Kanzleramtsminister
Rudolf Seiters eine Erklärung der
Bundesregierung ab, Vertreter aller Bundestagsfraktionen begrüßten in ihren Beiträgen die Ereignisse. Im Anschluss erhoben sich die anwesenden Abgeordneten spontan von ihren Sitzen und sangen die Nationalhymne.
- published: 09 Nov 2014
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