Opel-Werk Rüsselsheim 1958 - Eine historische TV-Reportage (2/5)
Originaltitel: "Wagen 755 auf
Band" - Stahlarbeit
Die Automobilindustrie wurde sehr schnell zum Motor des deutschen Wirtschaftswunders. Hier der 2. Teil eines Berichts aus dem
Jahr 1958 über das Opel-Werk in
Rüsselsheim.
In wenigen Sekunden wird das Herzstück eines Motors, die Kurbelwelle des Wagens, aus einem Stück Stahl geschmiedet. Aber 1,5 Jahre braucht ein erfahrener Schmied, bis er es gelernt hat, mit dem 8-Tonnen schweren
Hammer umzugehen. 8 Atmosphären
Druck sitzen hinter dem Hammer, der den glühenden Stahlknüppel in die Embryonalform einer Kurbelwelle staucht, presst, schlägt. 2 Dutzend
Wellen wird der Hammerführer schmieden, dann kommt die Ablösung, dann wird er 24 Kurbelwellen lang
Pause machen.
Nicht nur
Kraft und Geschicklichkeit gehört zu dieser Arbeit sondern auch ein ungewöhnlich sicheres Augenmaß und trotz der Wucht des 8-Tonnen Hammers muss der Schmied ein feines Fingerspitzengefühl besitzen.
Noch ist das Herzstück des Motors, noch ist die Kurbelwelle ein
Rohling. Wenn wir sie wiedersehen, dann gleicht sie einem geschliffenem Schmuckstück.
Von anderen Rohlingen, von gusseisernen Zylinderblöcken, muss jetzt berichtet werden. In 45 Sekunden-Abständen werden die Motorengehäuse auf die lange Transferstraße geschickt. Der Zylinderblock ist das größte und vermutlich auch komplizierteste Stück in der Motorenfabrikation. Zu seiner Bearbeitung gehören weit über
100 maschinelle Operationen, die fast ausschließlich von Robotern und
Automaten durchgeführt werden, denn diese Maschinen sind dem Menschen an technischer Perfektion weit überlegen. Die Zylinderblöcke werden nicht nur automatisch gekippt, verkantet und gestoßen.
Nein, Roboter können mehr als nur Muskelkraft zu ersetzen. Roboter scheinen
Sinne und Nerven zu besitzen. Ein paar Arbeiter und
Meister genügen, um das ganze Maschinenkombinat zu bedienen, um rechtzeitig die Werkzeuge Hobel, Messer und Bohrer auszuwechseln und um die Automaten in den Werkspausen abzustellen.
Jeden Tag werden in 17 Stunden
300.
000 Gewindeöffnungsdurchlässe gebohrt, werden 1.000 Zylinderköpfe gekühlt, gewaschen und kontrolliert. Zu den hochgezüchtetsten Werkzeugmaschinen gehören die vollautomatischen Kurbelwellendrehbänke. So wie die Kurbelwelle aus der Schmiede kam, braucht sie noch etwa 80 Arbeitsoperationen. Kurbelwellenautomaten werden von elektrischen Impulsspeichern gesteuert und können daher in einem Arbeitsgang eine schwere Stahlwelle auf den Milligramm genau dynamisch auswuchten und nachbohren.
Viel, sehr viel wäre noch über die Produktion von 1.000 Teilen zu berichten, die sich gleich einem unerschöpflichen
Strom über die Montagebänder ergießt. Die Kurbelwelle wird zu Bett gebracht. Mit ein paar Handgriffen wird sie in den Zylinderblock gelagert. Der Zusammenbau des Motors geht mit einer fast artistischen Fertigkeit vor sich, die den ganzen Vorgang als mühelos erscheinen lässt, obwohl es sich doch um eine hochqualifizierte Montagearbeit handelt.
Der Motor bekommt seine Kolben, die bereits mit ihren Pleuelstangen vormontiert wurden. Das Baukastenprinzip wurde für die Serienproduktion so weit entwickelt, dass jeder Arbeiter mit etwas Geschick, die schwierigsten Vorgänge gleichsam im Vorübergehen am Fließband erledigen kann.
Wie von selbst scheinen sich alle Einbauteile an ihren Platz zu fügen. Die Elektrowerkzeuge ziehen 4-6-12 Schrauben gleichzeitig an, Ventile und Ventilstäbe werden eingesetzt, komplizierte Elektroeinrichtungen im Handumdrehen montiert.
Aus 753 Einzelteilen wird ein Vierzylinder-Motor gebaut. 1.
005 Teile benötigt man für die schwere 2,5 Liter Maschine.
So, der Motor ist fertig, er wird den Prüfstand passieren und schließlich in der Fertigmontage landen. Aber es gibt auch noch andere Stationen, genauso wichtige Etappen in der Produktion des Wagens 755. Das ist eine Maschinenstrasse im Presswerk und das Presswerk ist die
Mutter des Karosseriebaus. 8 bis
12 Meter sind die Riesenpressen hoch und 6
Meter tief sind die Stahlbetonfundamente. Das Ziehen, Pressen, das Formen und Biegen des Stahls zu Wagendächern, zu Türen, Kotflügeln und Bodenplatten ist eine hochentwickelte technische
Kunst. Wie Ton in der
Hand eines Töpfers, so verwandeln sich unter dem Druck der 1.000 Tonnen Pressen die nur Millimeter starken Stahlbleche in die
4 Wände eines Wagens. Auf kaltem
Wege wird das
Material verformt, Millionen Moleküle verschieben sich im Inneren des Stahls.
Mit unwiderstehlicher Kraft wird die Stahlplatte im Gesenk verformt, winzige Luftlöcher sind in das Werkzeug gebohrt, damit die Luft entweichen kann, damit im Stahl keine Luftblasen entstehen, wenn der riesige Stempel mit der Wucht einer
Lokomotive in das Gesenk niederfährt.
Es ist eine Wissenschaft für sich, die Gefahren beim Tiefziehen eines Stahlstücks zu vermeiden. An keiner
Stelle darf der Unterbau des Wagens beim Pressen zu stark beansprucht werden. Er darf sich nicht drehen oder gar reißen
. [...]