Parteitag der PSG

Die Krise der Europäischen Union und die Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa

Resolution 1

26. Juli 2012

Vom 22. bis zum 24. Juni fand in Berlin der Parteitag der Partei für Soziale Gleichheit (PSG) statt. Neben Delegierten aus ganz Deutschland nahmen daran auch Vertreter des Internationalen Komitees der Vierten Internationale aus anderen europäischen Ländern, den USA, Australien und Sri Lanka teil. Im Mittelpunkt der Parteitagsdebatte standen die Krise der Europäischen Union und die politischen Aufgaben, die sich daraus ergeben. Sie sind auch Gegenstand der einstimmig verabschiedeten Hauptresolution, die wir hier wiedergeben. Drei weitere Resolutionen des Parteitags wird die WSWS in den folgenden Tagen veröffentlichen.

1. Europa steckt in der tiefsten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Krise seit den 1930er Jahren. 67 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der europäische Kapitalismus keines seiner grundlegenden Probleme gelöst. Alle Widersprüche, die den Kontinent in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts in revolutionäre Klassenkämpfe, faschistische Diktaturen und zwei Weltkriege trieben, brechen wieder auf. Armut und Arbeitslosigkeit nehmen epidemische Formen an, demokratische Rechte erodieren, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zeigen ihre hässliche Fratze, der Militarismus ist auf dem Vormarsch, mehreren Ländern droht der Staatsbankrott, die gemeinsame Währung und die Europäische Union stehen vor dem Kollaps.

2. Ursache dieser Krise ist das globale Versagen des kapitalistischen Systems. Seit der Bankrott der US-Bank Lehman Brothers im September 2008 das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs trieb, vertieft sich die Wirtschaftskrise auf der ganzen Welt. Alle Bemühungen, sie zu überwinden und die drängenden sozialen Probleme anzupacken, scheitern am Privateigentum an den Produktionsmitteln, der Krise des Nationalstaatensystems, der Anarchie des kapitalistischen Marktes, den ökonomischen Erfordernissen des Profitsystems und nicht zuletzt an der unstillbaren Habgier der herrschenden Klasse.

3. Die Bourgeoisie hat keine Antwort auf die Krise, außer immer neuen Angriffen auf die Arbeiterklasse. Die EU und die Regierungen der einzelnen europäischen Länder schlittern mit geschlossenen Augen in die Katastrophe hinein. Alle Maßnahmen, die sie seit Ausbruch der internationalen Finanzkrise vor vier Jahren ergriffen haben –Milliardengeschenke für die Banken, Sparprogramme, Euro-Rettungsfonds, Fiskalpakt –, haben die Krise nicht gelöst, sondern verschärft. Die Arbeiterklasse muss eingreifen, sonst ist eine Katastrophe unvermeidlich. Nur sie kann die Probleme lösen. Ohne die politische Macht der Bourgeoisie zu brechen und ihr die Kontrolle über die Wirtschaft zu entreißen, kann es keinen Ausweg aus der Krise geben.

4. Im vergangenen Jahr sind in Griechenland, Spanien, Portugal und anderen europäischen Ländern Millionen gegen das Spardiktat der EU auf die Straße gegangen. Breite Schichten suchen eine Alternative zur politischen und wirtschaftlichen Diktatur der Finanzelite und wenden sich von den etablierten Parteien ab. Mit der Vertiefung der Krise wird sich auch der Klassenkampf verschärfen. Doch das löst nicht automatisch die Frage der politischen Perspektive. Dazu ist eine durchdachte, internationale sozialistische Strategie notwendig. Voraussetzung ist ein klares Verständnis der Rolle der Europäischen Union. Die EU ist das wichtigste Instrument für die Unterwerfung Europas unter das Diktat der Finanzmärkte. Sie ist ein Forum, auf dem die Bourgeoisie ihre Differenzen auf Kosten der Arbeiterklasse austrägt. Die Aufgabe besteht nicht darin, das EU-Projekt zu reformieren oder neu zu verhandeln, sondern die gesamte europäische Arbeiterklasse zum Sturz der kapitalistischen Regierungen zu mobilisieren und Vereinigte Sozialistische Staaten von Europa aufzubauen.

5. Die Verheißung, die Europäische Union werde den Kontinent vereinen und Frieden und sozialen Fortschritt bringen, war falsch. Die Vorstellung, Europa könne unter kapitalistischen Vorzeichen zu Einheit, Frieden und Wohlstand finden, war von Anfang an eine Illusion. Sie wurde ausgedacht von kleinbürgerlichen Intellektuellen und Politikern wie Jean Monet, die die beiden Weltkriege lediglich als Zusammenprall unterschiedlicher politischer Interessen, nicht aber als Ergebnis der unlösbaren Widersprüche des Weltkapitalismus betrachteten. Tatsächlich waren beide Kriege die Folge der Unvereinbarkeit der Weltwirtschaft mit dem Nationalstaat, auf dem der Kapitalismus beruht. Sie waren Konflikte zwischen imperialistischen Mächten um die Neuaufteilung der Welt. Deutschland trat im ersten und vor allem im zweiten Weltkrieg als Aggressor auf, weil die Widersprüche des internationalen Kapitalismus hier ihren schärfsten Ausdruck fanden. Der deutsche Kapitalismus war, wie Trotzki 1932 schrieb, „der fortgeschrittenste Kapitalismus unter den Bedingungen der europäischen Ausweglosigkeit“. Das europäische Staatensystem erdrosselte seine dynamischen Produktivkräfte, deshalb stellte ihn jede Konjunkturschwankung vor die Aufgabe, „Europa zu organisieren“. Die deutsche Bourgeoisie griff schließlich zu den extremsten Mitteln, um dieses Ziel zu erreichen. Sie berief Hitler zum Führer, zerschlug die Arbeiterbewegung und führte einen Eroberungskrieg an zwei Fronten.

6. Die Vorgänger der Europäischen Union, die Montanunion (1951) und die Europäische Wirtschaftgemeinschaft (1957), haben diese Widersprüche nur scheinbar überbrückt. Sie verdankten ihre Entstehung der Unterstützung der USA. Diese konnten sich aufgrund der weit verbreiteten revolutionären Stimmungen in der Arbeiterklasse und der Existenz der Sowjetunion, die trotz ihrer stalinistischen Degeneration das Erbe der Oktoberrevolution verkörperte, eine Selbstzerfleischung Europas nicht mehr leisten, wie sie nach dem Versailler Vertrag von 1919 stattgefunden hatte. Mit dem Marshallplan halfen die USA dem durch Faschismus und Kollaboration diskreditierten europäischen Kapitalismus wieder auf die Beine und bauten Westeuropa zum militärischen Vorposten der Nato im Kalten Krieg aus. Die Behauptung, die EWG sei ein humanitäres Heilmittel gegen das Gift des europäischen Nationalismus, war ein Mythos. Der Nachkriegsaufschwung, der Kalte Krieg und die dominierende Rolle der USA dämpften die Gegensätze zwischen den europäischen Mächten zwar vorübergehend, beseitigten sie aber nicht.

7. Das Ende der Sowjetunion im Dezember 1991 bedeutete dann eine Zeitenwende. Wie das Internationale Komitee der Vierten Internationale damals aufzeigte, kennzeichnete es nicht den Triumph des Kapitalismus über den „Sozialismus“. Das stalinistische Regime in Moskau, eine Agentur des Imperialismus auf dem Boden des Arbeiterstaats, war am selben Widerspruch zugrunde gegangen, an dem auch der internationale Kapitalismus krankte. Die Kette des Imperialismus war an ihrem schwächsten Glied gerissen. Die Globalisierung und beispiellose Integration der Produktion hatte dem Programm des „Sozialismus in einem Land“ den Boden entzogen, auf das sich die stalinistische Bürokratie stützte.

8. Dasselbe galt aber auch für den bürgerlichen Nationalstaat, in dem der Kapitalismus gefangen ist. Die Bedürfnisse der modernen Massengesellschaft, die sieben Milliarden Bewohner der Erde in einem komplexen Wirtschaftsprozess miteinander verbindet und voneinander abhängig macht, vertragen sich weder mit nationalen Grenzen noch mit dem kapitalistischen Privateigentum, das die Kontrolle über das gesamte Wirtschaftsleben einer kleinen Finanzaristokratie überlässt und der Maximierung ihrer Profite unterordnet. Die Globalisierung hatte dem Kampf der rivalisierenden imperialistischen Mächte um strategischen Einfluss, Rohstoffe und Absatzmärkte wieder eine unerreichte Schärfe verliehen. Seit dem Golfkrieg 1991 setzen die USA ihre militärische Übermacht ein, um ihren wirtschaftlichen Niedergang wettzumachen, die Ölzufuhr ihrer Rivalen zu kontrollieren und China einzukreisen. In Europa haben die deutsche Wiedervereinigung und der Fall des Eisernen Vorhangs das Problem der deutschen Vorherrschaft wieder aufgeworfen.

9. Die Gründung der Europäischen Union in den 1990er Jahren war eine Reaktion auf diese Probleme. Die EU sollte Europa durch die Schaffung des weltgrößten Binnenmarkts in die Lage versetzen, den USA, ihrem mächtigsten wirtschaftlichen Rivalen, entgegenzutreten und gleichzeitig Deutschland einbinden, um zu verhindern, dass es den Kontinent dominiert. Der Vertrag von Maastricht, der nur sechs Wochen nach der Auflösung der Sowjetunion unterzeichnet wurde, sah neben einer gemeinsamen Währung und der Erweiterung der EU nach Osteuropa auch eine politische Union sowie eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik vor.

10. Die PSG hatte schon 1989 gewarnt: „Der Europäische Binnenmarkt bedeutet nicht die Einheit Europas; im Gegenteil, er schafft lediglich die Arena, in der die mächtigsten europäischen Konzerne, die in diesem Jahrhundert bereits zwei Weltkriege gegeneinander führten, erneut um die Vorherrschaft über Europa kämpfen. Er ist mit einer neuen, mächtigen Welle der Kapitalkonzentration und Monopolbildung verbunden und treibt alle politischen, wirtschaftlichen und sozialen Gegensätze auf die Spitze.“ Diese Warnung ist seither bestätigt worden.

11. Die Abschaffung der Binnengrenzen schuf dem Kapital freie Bahn, während der Druck, mit Rücksicht auf die Sowjetunion soziale Zugeständnisse an die Arbeiterklasse zu machen, wegfiel. Die systematische Senkung des Lebensstandards der Arbeiterklasse, die massive Verschärfung ihrer Ausbeutung und die radikale Senkung der Sozialausgaben war die Voraussetzung für die Behauptung der europäischen Konzerne auf dem Weltmarkt. Die Einführung des Euro verschärfte die sozialen Unterschiede in Europa. Die gemeinsame Währung half Deutschland und den wirtschaftlich stärkeren Ländern, die Inflation niedrig zu halten und die Märkte der schwächeren Länder zu dominieren, während sie in den schwächeren Ländern hohe Preissteigerungen auslöste, der lokalen Industrie die Grundlage entzog und zu einem starken Anstieg der Staatsverschuldung führte.

12. Die Osterweiterung der EU war, nach der kapitalistischen Restauration zu Beginn der 1990er Jahre, mit einer zweiten Welle der sozialen Konterrevolution in den neuen Mitgliedsländern verbunden. Um in die EU aufgenommen zu werden, mussten sie Industrie und Dienstleistungen privatisieren oder stilllegen, die Zahl der öffentlichen Arbeitsplätze reduzieren und die Ausgaben für Soziales zusammenstreichen. Der EU-Beitritt brachte nur einer schmalen Oberschicht den versprochenen Wohlstand; für den Rest der Bevölkerung waren die Folgen sozialer Niedergang, Hungerlöhne, Arbeitslosigkeit, Armut, Zerfall von Bildung und Gesundheitsvorsorge und – wie im Falle der Roma – ethnische Diskriminierung. Die niedrigen Einkommen in Osteuropa, die teilweise auf einem Zwanzigstel des westlichen Niveaus liegen, wurden dann als Hebel eingesetzt, um die Einkommen im Westen zu senken. Die Löhne im Osten stiegen nicht, wie versprochen, auf das Niveau im Westen, sondern umgekehrt: das Lohnniveau im Osten dient als neuer Maßstab für den Westen.

13. Bereits vor dem Ausbruch der internationalen Finanzkrise im Jahr 2008 war Europa sozial tiefer gespalten denn je zuvor. Es gibt kaum ein anderes zusammenhängendes Wirtschaftsgebiet, in dem Einkommen und Vermögen so weit auseinanderklaffen. Während Vorstände deutscher DAX-Konzerne bis zu einer Million Euro im Monat kassieren, beträgt das monatliche Durchschnittseinkommen in Rumänien weniger als 300 Euro. Die Kosten einer Arbeitsstunde im verarbeitenden Gewerbe schwanken zwischen 50 Euro in Norwegen und 2,60 Euro in Bulgarien, weniger als in China. Drei Millionen europäische Millionäre verfügen über ein Vermögen von 7,5 Billionen Euro, jeder vierte Einwohner Europas ist dagegen aufgrund von Arbeitslosigkeit, Alter und niedrigen Löhnen arm oder sozial ausgegrenzt.

14. Die Spannungen zwischen den europäischen Großmächten haben sich im Rahmen der EU vertieft und drohen wieder zu bewaffneten Konflikten zu führen. Die in Maastricht vereinbarte gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik liegt in Trümmern. Die europäischen Regierungen konkurrieren untereinander um die Gunst der USA, streiten über konkurrierende Pipelineprojekte und verfolgen ihre eigenen imperialistischen Ziele im Nahen Osten, Afrika und anderen Weltregionen. Im Irakkrieg standen Frankreich und Deutschland gegen Großbritannien, im Libyenkrieg Frankreich und Großbritannien gegen Deutschland. Paris und London haben ein eigenes Militärbündnis vereinbart. Das Verhältnis zu China und insbesondere zu Russland ist Gegenstand endlosen Streits.

15. Der deutsche Imperialismus ist durch die EU nicht gebändigt worden, sondern Deutschland hat wie kein anderes Land von der Einführung des Euro und der EU-Osterweiterung profitiert. Die stabile Währung, die Ausnutzung der Niedriglöhne in Osteuropa und die massive Senkung des Lohnniveaus durch die Agenda 2010 der Regierung Schröder haben es der deutschen Wirtschaft ermöglicht, ihre Exporte in und außerhalb der EU massiv zu steigern. Nun diktiert Deutschland die wirtschafts- und finanzpolitische Agenda Europas. Die verheerenden Sparprogramme, die Griechenland, Portugal, Spanien und viele andere Länder in den Ruin treiben, tragen alle den Stempel „made in Berlin“. Dabei gerät Deutschland in scharfen Konflikt mit Frankreich, Italien und anderen Ländern, die – unterstützt von den USA und Großbritannien – einer expansiven Geldpolitik den Vorteil geben, um den Banken mehr Geld zur Verfügung zu stellen. Beides, Austerität und expansive Geldpolitik, sind unterschiedliche Formen, die Last der Krise von den Banken auf die Arbeiterklasse abzuwälzen.

16. Nur auf zwei Gebieten hatte die EU „Erfolg“: bei der Abschottung der Außengrenzen und bei der inneren Aufrüstung. Tausende Flüchtlinge sterben jedes Jahr bei dem Versuch, die militärisch befestigten Außengrenzen der EU zu überwinden. Millionen weitere werden von Land zu Land geschoben, zu Hungerlöhnen ausgebeutet oder fristen in Auffang- und Abschiebelagern ein rechtloses und menschenunwürdiges Dasein. Unter dem Dach der EU ist ein gewaltiger Sicherheitsapparat entstanden, der Unmengen von Polizei und Geheimdiensten gesammelte Daten zentralisiert und den Sicherheitsbehörden zur Verfügung stellt. Dieser Sicherheitsapparat richtet sich gegen die Bedrohung der kapitalistischen Ordnung von unten. Im Kampf gegen die Arbeiterklasse zeigt sich die herrschende Klasse Europas geschlossen.

17. Seit 2008 verschärfen sich unter dem Druck der internationalen Finanz- und Wirtschaftskrise alle Konflikte und Bruchstellen in Europa. Die parasitäre Fäulnis des Weltkapitalismus findet ihren deutlichsten Ausdruck im krebsartigen Wuchern des Finanzkapitals. Von den Finanztransaktionen, die täglich auf den internationalen Märkten stattfinden, hat gerade noch ein Prozent etwas mit der realen Produktion zu tun. In den USA ist der Anteil des Finanzsektors an den Profiten des gesamten Unternehmensbereichs seit 1980 von 10 auf 40 Prozent gestiegen. Dieser Anstieg ging mit einem Niedergang der Industrie und nicht endenden Angriffen auf die Arbeiterklasse einher. Die rücksichtslosen und kriminellen Methoden der Wall Street haben seit den 1990er Jahren eine Spekulationsblase nach der anderen entstehen und wieder platzen lassen, bis schließlich die Subprime-Hypothekenkrise 2008 das gesamte Weltfinanzsystem, einschließlich zahlreicher europäischer Banken, in den Abgrund zog.

18. Hier liegt die unmittelbare Ursache der europäischen Schuldenkrise. Die Regierungen haben die Banken gerettet, indem sie ihnen Hunderte Milliarden Euro aus öffentlichen Haushalten zur Verfügung stellten und weitere Milliarden in kurzlebige Konjunkturprogramme steckten. Diese Summen werden nun durch drastische Sparmaßnahmen auf Kosten der Arbeiterklasse wieder eingetrieben. Die Europäische Union agiert dabei als Inkassobüro für das Finanzkapital und schreckt vor keinem Verbrechen zurück. Der europäische Fiskalpakt zwingt jede Regierung zu eisernem Sparen und zur Einrichtung einer Schuldenbremse, die „bindend, dauerhaft und nicht durch parlamentarische Mehrheiten zu kippen ist“, wie Bundeskanzlerin Angela Merkel betonte.

19. Griechenland dient als Laboratorium für eine soziale Konterrevolution, die Maßstäbe für ganz Europa setzt. Gesichtslose Brüsseler Beamte dekretieren die Vernichtung zehntausender Arbeitsplätze, die Kürzung von Renten und Löhnen und die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. Demokratisch gewählte Regierungen werden zum Rücktritt gezwungen und durch nicht legitimierte Technokraten ersetzt. Wähler, die die Sparmaßnahmen ablehnen, werden eingeschüchtert und erpresst. Der Ton, in dem insbesondere deutsche Vertreter über griechische Wähler herfallen, erinnert an die dunkelsten Kapitel der europäischen Geschichte, als deutsche Besatzungsoffiziere im besetzten Griechenland ihre Befehle brüllten. Hinter den Kulissen laufen Vorbereitungen für eine Militär- oder Polizeidiktatur im Falle eines Staatsbankrotts. In der Krise kann sich die Bourgeoisie den Luxus der Demokratie nicht mehr leisten.

20. Nur die unabhängige Mobilisierung der Arbeiterklasse unter der Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa kann dieser sozialen und politischen Konterrevolution Einhalt gebieten. Die Partei für Soziale Gleichheit ruft zum Sturz der Europäischen Union und ihrer Institutionen auf und verbindet diese Forderung untrennbar mit einem internationalen sozialistischen Programm. Wir kämpfen für die Einheit der europäischen und internationalen Arbeiterklasse. Die Arbeiter in Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien müssen den Kampf für den Sturz von Merkel, Hollande, Monti, Rajoy, Cameron aufnehmen und Arbeiterregierungen errichten, die die großen Vermögen, Banken und Unternehmen enteignen, das Wirtschaftsleben auf sozialistischer Grundlage reorganisieren und in den Dienst der ganzen Gesellschaft, statt in den der Profitinteressen der Finanzaristokratie stellen.

21. Die deutsche Arbeiterklasse trifft dabei eine besondere Verantwortung. Sie muss der deutschen Regierung entgegentreten und die Arbeiter Griechenlands, Irlands, Portugals, Spaniens und anderer hochverschuldeter Länder gegen deren Diktat verteidigen. Das ist nicht nur ein elementares Gebot der Solidarität, sondern auch die Voraussetzung zur Verteidigung ihrer eigenen Rechte und Errungenschaften. Die Angriffe auf die Arbeiterklasse machen an der deutschen Grenze nicht Halt. Die Arbeiterklasse kann nur auf der Grundlage eines internationalen sozialistischen Programms ihre sozialen und demokratischen Rechte verteidigen, Armut und Arbeitslosigkeit überwinden, eine gerechte und egalitäre Gesellschaft aufbauen und einen Rückfall in die Barbarei verhindern.

22. Arbeiter müssen jedes Opfer zur Rettung der EU und ihrer reaktionären Einrichtung zurückweisen. Es ist unmöglich, gegen das Spardiktat der EU zu kämpfen und gleichzeitig an der Mitgliedschaft in der EU festzuhalten. Die EU kann nicht durch Proteste und Verhandlungen zu einem Kurswechsel bewegt werden. Die fortgeschrittene Krise des Weltkapitalismus lässt keinen Spielraum für soziale Reformen und Zugeständnisse. Die internationale Finanzaristokratie ist ebenso wenig fähig oder gewillt, auch nur einen Bruchteil ihres Reichtums und ihrer Privilegien aufzugeben, wie die französische Aristokratie vor der Revolution von 1789. Die Vorstellung, die EU könne reformiert werden, dient lediglich dazu, die Arbeiterklasse zu verwirren und zu lähmen.

23. Die PSG weist jede Form von Nationalismus und Chauvinismus zurück. Unsere Perspektive der Vereinigten Sozialistischen Staaten von Europa ist dem Programm rechtsextremer und stalinistischer Organisationen diametral entgegengesetzt, die eine Rückkehr zum Nationalstaat und zur nationalen Währung als Ausweg aus der europäischen Sackgasse fordern. Die Folge einer solchen Entwicklung wären die Balkanisierung des Kontinents, ein weiterer wirtschaftlicher und sozialer Niedergang, Handels- und Territorialkonflikte und bewaffnete Auseinandersetzungen.

24. Die objektiven Voraussetzungen für eine revolutionäre Offensive der Arbeiterklasse reifen schnell heran. Angesichts der Wirtschaftskrise und nicht endender Angriffe auf ihre sozialen und demokratischen Rechte verlieren breite Bevölkerungsschichten das Vertrauen in die wirtschaftliche Funktionsfähigkeit und die moralische Berechtigung des Kapitalismus. Aber die objektive Verschärfung der Krise schafft nicht automatisch die subjektiven Voraussetzungen für die Lösung der Krise der Führung und der Perspektiven. Es gibt eine große Diskrepanz zwischen dem historischen Ausmaß der Krise und dem Bewusstsein der Massen, die in den Kampf hineingezogen werden. Bisher haben größtenteils gewerkschaftliche, pseudoradikale und halb-anarchistische Tendenzen, die eine sozialistische Perspektive ablehnen, die sozialen Proteste gegen die Diktatur der Banken und das Spardiktat der EU dominiert.

25. Der Aufbau einer neuen politischen Führung der Arbeiterklasse steht daher im Mittelpunkt aller politischen, praktischen und theoretischen Aktivitäten der PSG. Der neunzigjährige Kampf der Linken Opposition, der Vierten Internationale und des Internationalen Komitees gegen Stalinismus, Reformismus, Revisionismus und kleinbürgerlichen Opportunismus hat die PSG auf diese Aufgabe vorbereitet. Das Internationale Komitee und die World Socialist Web Site sind heute buchstäblich die einzigen Organisationen auf der Welt, die für ein revolutionäres marxistisches Programm eintreten.

26. Die stalinistischen und sozialdemokratischen Parteien, die in der Nachkriegsperiode die Arbeiterbewegung dominierten, stehen heute uneingeschränkt im Dienst des Kapitals und haben nur noch wenig Einfluss in der Arbeiterklasse. Die Politik der sozialdemokratischen Parteien unterscheidet sich nicht mehr im Geringsten von der Politik der traditionell rechten bürgerlichen Parteien. In Deutschland, England, Griechenland, Portugal und Spanien haben sozialdemokratisch geführte Regierungen das Spardiktat der EU durchgesetzt. Die PSG lehnt es strikt ab, solche Parteien in irgendeiner Form politisch zu unterstützen. Wir treten für den vollständigen Bruch der Arbeiterklasse mit der SPD ein. Die Vorstellung, sie sei im Vergleich zu den traditionellen bürgerlichen Parteien CDU, CSU und FDP ein „kleineres Übel“, wie sie von der Linkspartei und zahllosen kleinbürgerlichen politischen Strömungen vertreten wird, steht der Herausbildung einer unabhängigen Bewegung der Arbeiterklasse im Wege.

27. Auch die Gewerkschaften liegen der Finanzoligarchie zu Füßen. Sie sind zur wichtigsten Waffe der Unternehmer gegen die Arbeiter geworden. In den Betrieben schüchtern Gewerkschaftsfunktionäre und Betriebsräte die Arbeiter ein, spielen einen Standort gegen den anderen aus und organisieren Arbeitsplatzabbau und Produktivitätssteigerung. Sie dienen als Co-Manager, die jeden Kampf sabotieren und dafür fürstlich bezahlt werden. Auf politischer Ebene unterdrücken oder schwächen die Gewerkschaften jeden sozialen Protest und planen in enger Zusammenarbeit mit Wirtschafts-, Regierungs- und EU-Vertretern die Angriffe auf die Arbeiterklasse. In Deutschland haben sie eine Schlüsselrolle bei der Durchsetzung der Agenda 2010 gespielt, in deren Folge heute jeder vierte Lohnabhängige im Niedriglohnsektor zu Stundenlöhnen von teilweise unter fünf Euro arbeitet.

28. Die PSG unterstützt und ermutigt Arbeiter, sich von der Vormundschaft der Gewerkschaften zu befreien. Wir unterstützen alle Initiativen – Streiks, Betriebsbesetzungen und Massendemonstrationen –, die dazu angetan sind, das Selbstvertrauen der Arbeiter zu stärken. Solche Kämpfe können aber nur Erfolg haben, wenn sie unabhängig von den Gewerkschaften stattfinden. Ihre Führung darf nicht den bürokratischen Apparaten überlassen werden. Stattdessen müssen unabhängige, demokratisch gewählte Streikkomitees und Arbeiterräte aufgebaut werden, die ihrer Basis direkt verantwortlich sind.

29. Das politische Vakuum, das der Niedergang der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften hinterlassen hat, wird teilweise von kleinbürgerlichen Organisationen wie der deutschen Linkspartei, der französischen Linksfront und NPA, der englischen Socialist Workers Party oder der griechischen Syriza gefüllt. Diese Organisationen bezeichnen sich als „links“ oder „antikapitalistisch“, sind aber in Wirklichkeit weder sozialistisch noch revolutionär. Sie rekrutieren sich aus wohlhabenden Schichten des Kleinbürgertums, die ihre ökonomischen Interessen und kulturellen Neigungen an der herrschenden Klasse orientieren. Hervorgegangen aus Zerfallsprodukten der stalinistischen Apparate, der kleinbürgerlichen Protestbewegung von 1968 und des Pablismus sind sie jederzeit bereit, Verantwortung für die Verteidigung der bürgerlichen Ordnung zu übernehmen – wie Rifondazione Comunista 2006 in der Regierung Prodi oder die Linkspartei in mehreren deutschen Landesregierungen und Kommunen. Diese pseudolinken Organisationen nutzen ihren Einfluss, um Proteste zurück ins Fahrwasser der Sozialdemokratie und der Gewerkschaften zu lenken. Sie kritisieren einzelne Sparmaßnahmen der EU, sind aber fest entschlossen, die EU als Institution zu verteidigen, das Diktat des Finanzkapitals durchzusetzen und dazu auch selbst Regierungsverantwortung zu übernehmen.

30. Die Rolle Syrizas in Griechenland ist in dieser Hinsicht eine strategische Erfahrung für die gesamte europäische Arbeiterklasse. Das Land wurde vom internationalen Finanzkapital und seinen Handlangern ausgewählt, um ein Exempel an der Arbeiterklasse zu statuieren. Als der Widerstand gegen das Spardiktat der Troika wuchs und die Wahlunterstützung für die sozialdemokratische PASOK zusammenbrach, entwickelte sich Syriza zur zweitstärksten Partei und zum möglichen Wahlsieger. Sie versprach ihren Wählern, sie werde das Spardiktat beenden, während sie der EU und den internationalen Gläubigern versicherte, Syriza sei „heute die einzige politische Bewegung in Griechenland, die wirtschaftliche, soziale und politische Stabilität in unserem Land gewährleisten … und die gemeinsame Währung retten kann“ (Alexis Tsipras in der Financial Times). Syrizas zynisches Doppelspiel entwaffnete die Arbeiterklasse und ermöglichte es der rechten Nea Dimokratia, eine neue Austeritätsregierung zu bilden, der Syriza ihre loyale Opposition versprach. Sie will sie weder herausfordern noch durch die Mobilisierung der Arbeiterklasse stürzen.

31. Sämtliche kleinbürgerlichen pseudolinken Organisationen in Griechenland, unabhängig davon ob sie innerhalb oder außerhalb ihrer Reihen arbeiten, sowie ihre internationalen Verbündeten (wie das Komitees für eine Arbeiterinternationale (CWI), die International Socialist Tendency (IST) und die Pablisten des Vereinigten Sekretariats) haben sich hinter Syriza gestellt. Obwohl sie zugaben, dass Syriza die EU unterstützt und eine pro-kapitalistische Perspektive vertritt, haben sie auf ihrer Unterstützung bestanden und Kritik an ihr als „Sektierertum“ verurteilt. Sie haben damit ihre eigene Loyalität gegenüber dem europäischen Kapitalismus bewiesen. Die Bourgeoisie in jedem europäischen Land kann sich darauf verlassen, dass sie die bestehenden Verhältnisse nicht herausfordern werden. Das verräterische Doppelspiel dieser Organisationen spielt rechtsextremen Gruppen in die Hände, die die Wut deklassierter Schichten in chauvinistische und ausländerfeindliche Kanäle lenken. In Ungarn, Frankreich, Griechenland und einigen anderen Ländern konnten solche rechtsextremen Parteien beträchtliche Wahlerfolge erzielen, indem sie die Frustration und Enttäuschung über die arbeiterfeindliche Politik der Sozialdemokraten und das zynische Doppelspiel der Pseudolinken ausbeuteten.

32. Der Aufbau einer neuen revolutionären Führung der Arbeiterklasse erfordert einen systematischen politischen und theoretischen Kampf gegen diese kleinbürgerlichen Organisationen. Das umfasst auch eine Auseinandersetzung mit der Frankfurter Schule, dem Postmodernismus und anderen Formen des subjektiven Idealismus, aus denen sie sich ideologisch speisen.

33. Die PSG steht in vorderster Front im Kampf gegen Militarismus und imperialistischen Krieg. Seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion häufen sich die militärischen Konflikte. Um ihre weltweite Vorherrschaft und ihre Kontrolle über die wichtigsten Ölvorkommen der Welt zu sichern, haben die USA koloniale Kriege im Irak, in Afghanistan, in Libyen und anderen Ländern geführt und bereiten Kriege gegen Syrien und Iran vor. Die europäischen Mächte beteiligen sich an diesen Kriegen, um an der Beute teilzuhaben. Auch deutsche Truppen kämpfen wieder im Kosovo, in Afghanistan und am Horn von Afrika, nachdem ihnen die im Zweiten Weltkrieg begangenen Verbrechen eine 50-jährige Pause auferlegt hatten.

34. Doch während der Militarismus wächst, ist die Friedensbewegung, die in den 1980er Jahren Hunderttausende auf die Beine brachte, völlig zusammengebrochen. 1999 diente der Jugoslawienkrieg den Grünen als Anlass, vom Pazifismus zum Militarismus zu wechseln; im Libyen-Krieg 2011 folgten ihnen die kleinbürgerlichen Pseudolinken, einschließlich der Pablisten des Vereinigten Sekretariats. Wie am Vorabend des Ersten Weltkriegs bewegt sich das pazifistische, reformistische und pseudolinke Kleinbürgertum angesichts wachsender Spannungen zwischen den Großmächten wieder ins Lager des Imperialismus. Die hysterischen Angriffe auf Literaturnobelpreisträger Günter Grass, der in einem Gedicht vor einem Krieg gegen den Iran gewarnt hatte, machen deutlich, wie weit diese Entwicklung fortgeschritten ist. Die PSG ist und bleibt unerbittliche Gegnerin jeder Form von Militarismus und imperialistischem Krieg. Diese können nicht durch pazifistische Appelle an die herrschende Klasse gestoppt werden. Der Kampf gegen Militarismus und Krieg ist untrennbar mit dem Aufbau einer internationalen sozialistischen Bewegung der Arbeiterklasse verbunden, die sich den Sturz des Kapitalismus zum Ziel setzt.

35. Die PSG verteidigt unermüdlich die demokratischen Rechte der Arbeiterklasse, die unter dem Diktat des Finanzkapitals zertreten werden. Wir verteidigen das Recht auf freie Meinungsäußerung, das Demonstrationsrecht, das Recht auf Wahlen und den Schutz vor staatlicher Überwachung. Wir wenden uns gegen alle Versuche, Immigranten oder Asylsuchende zu Sündenböcken für die soziale Krise und die wachsende Arbeitslosigkeit zu machen oder durch das Schüren von Islamfeindlichkeit und rassistischen Vorurteilen von der sozialen Krise abzulenken. Wir wenden uns gegen die Einschränkung des Rechts auf freie Religionsausübung durch das Verbot von Kopftüchern, der Burka oder des Baus von Moscheen. Wir lehnen das reaktionäre Grenzregime der EU ab, das Europa in eine Festung verwandelt und jährlich Tausende von Opfern fordert.

36. Die kommende Periode wird von einer Verschärfung der kapitalistischen Krise und heftigen Klassenkämpfen geprägt sein, in denen die Arbeiterklasse schnell Erfahrungen sammeln wird. Sie ist nicht mit einer Griechenland-, Spanien- oder Italien-Krise und auch nicht mit dem Zusammenbruch einzelner Betriebe konfrontiert, sondern mit dem Kollaps der alten Herrschaftsformen und der Gesellschaftsordnung. Arbeiter stehen vor der Aufgabe, sich eine eigene, revolutionäre Partei aufbauen, um die Gesellschaft von Grund auf neu zu gestalten – nach den Bedürfnissen der übergroßen Mehrheit Bevölkerung, statt nach den Interessen einer winzigen Minderheit, der Finanzaristokratie. Im Programm der PSG und des IKVI finden sie dazu eine Anleitung und Orientierung.