Zoff in der Linken: Allergische Reaktionen auf Kritik an Lafontaine
Parteichef Lafontaine wehrte die harschen Vorwürfe seines Genossen Brie gelassen ab - doch bei der Linken provozieren die Äußerungen des bisherigen Europa-Abgeordneten im SPIEGEL wütende Reaktionen. Die Schärfe des Gegenangriffs gibt Aufschluss über die Zerstrittenheit der Partei.
Hamburg - Mit Kritik aus den eigenen Reihen geht Oskar Lafontaine in der Öffentlichkeit meist demonstrativ entspannt um - die Generalabrechnung seines Parteifreundes André Brie im SPIEGEL nahm der Chef der Linken entsprechend gelassen hin: Brie habe ihn doch "als Strategen und Programmatiker gelobt, das ging mir runter wie Öl", sagte Lafontaine. In Bries Beitrag steckten allerdings mehr Angriffe als lobende Worte: Lafontaine repräsentiere die Linke inzwischen "fast allein", die Linke sei in "zahllose Zirkel" zerfallen, "Vasallen" Lafontaines würden dessen Autorität "für ihre Machtspielchen und Postenkämpfe benutzen".
Linke-Chef Lafontaine: "Das ging mir runter wie Öl"
Auch wenn Lafontaine selbst nicht viele Worte über die Brie-Kritik verloren hat, in der Partei hat der 59-jährige frühere PDS-Vize mit seinem Gastbeitrag viele Genossen verärgert. Fraktionsvize Bodo Ramelow warf Brie vor, seine Kritik nicht innerhalb der Partei thematisiert zu haben. Er habe von "Brie in der Partei seit Jahren nichts mehr gesehen, nichts mehr gehört, nichts mehr gespürt. Aber wenn es um Partei-Bashing geht, höre ich ihn um so lauter", sagte der Spitzenkandidat der Linken für die Landtagswahl in Thüringen SPIEGEL ONLINE. "Wer nicht in der Partei denkt, neigt dazu, ein Fehldenker zu werden", fügte Ramelow hinzu.
"Aggression gegenüber der eigenen Partei"
Brie war zu PDS-Zeiten stellvertretender Parteichef und leitete zeitweise die Kommission "Politische Bildung", später übte er als Leiter der Grundsatzkommission großen Einfluss auf die Politik seiner Partei aus, was ihm das Etikett des Vordenkers eintrug.
Seine Parteifreunde rücken jetzt zunehmend von Brie ab. Bereits auf dem Europa-Parteitag der Linken Ende Februar scheiterte er mit einer erneuten Kandidatur für ein Mandat im Europaparlament, weil er entgegen der Parteilinie nicht den EU-Vertrag von Lissabon ablehnte. "Brie hat den Titel des Vordenkers nicht verdient", sagte die linke Bundestagsabgeordnete Monika Knoche SPIEGEL ONLINE. Er wolle "parteiinterne Konflikte schüren, hat eine Aggression gegenüber seiner eigenen Partei und verfolgte einen durchgängig destruktiven Ansatz". Knoche warf Brie vor, mit seinen Thesen um Anerkennung bei der SPD zu buhlen. "In seinem Konformismus ist Brie geradezu bieder", sagte Knoche.
Auch Linken-Vorstandsmitglied Sahra Wagenknecht kritisierte Brie: "Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen und machen deutlich, dass Brie beleidigt ist, weil er keine Rolle mehr in der Linken spielt", sagte die Sprecherin der Kommunistischen Plattform SPIEGEL ONLINE. Brie stehe ähnlich wie andere Vertreter des pragmatischen Parteiflügels für eine "Anpassung an die Verhältnisse, für eine Orientierung auf die SPD. Aber die Sozialdemokraten sind neoliberal und damit kein Bündnispartner für die Linke. Die Linke würde sich überflüssig machen, wenn sie sich der SPD unterordnen würde".
"Brie ist jemand, der nichts zustande bringt, außer über die Medien Kritik an der Linken zu äußern", sagte Sevim Dagdelen, Bundestagsabgeordnete der Linken, SPIEGEL ONLINE. "Man könnte den Eindruck gewinnen, dass sich Brie seit den achtziger Jahren treu geblieben ist: Die Inhalte haben sich geändert, aber die Form der Denunziation als politisches Mittel ist die gleiche geblieben." Damit zielte Dagdelen offensichtlich auf die Stasi-Vergangenheit Bries. Anfang der neunziger Jahre kam heraus, dass Brie bis 1989 aus eigenem Entschluss für die Staatssicherheit gearbeitet hatte.
"Wenn eine Partei sich streitet, wird sie zu Recht bestraft"
Die Äußerungen Bries treffen die Linke in einer Phase, in der sich die Partei in zahlreichen Flügelkämpfen lähmt. In dem Streit geht es unter anderem um die Frage, ob die Linke weiter auf konsequente Opposition setzt oder sich für eine mögliche Zusammenarbeit mit der SPD öffnet. Co-Parteichef Lothar Bisky machte zuletzt auch diese Konflikte für das Ergebnis bei der Europawahl verantwortlich, das mit 7,5 Prozent deutlich unter dem gesteckten Wahlziel von 10 plus x blieb. "Wenn eine Partei sich streitet, wird sie zu Recht bestraft", sagte Bisky.
Der Streit über den künftigen Kurs der Partei, die zwei Jahre nach ihrer Gründung noch immer über kein eigenes Programm verfügt, äußerte sich unter anderem in mehreren Parteiaustritten: So verließ zunächst der Berliner Abgeordnete Carl Wechselberg nach massiver Lafontaine-Kritik die Partei, wenig später folgten die Europaabgeordnete Sylvia-Yvonne Kaufmann und der sächsische Landtagsabgeordnete Ronald Weckesser. Die Linke sei "auf dem Weg zu einer Sekte", warf Weckesser der Parteiführung vor.
Die Linke steht vor kontroversen Debatten - am 20. und 21. Juni trifft sie sich zu ihrem Bundesparteitag in Berlin.
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