Analogkäse und Gel-Schinken

Lecker lecker, was Spiegel Online heute aus der Welt des Wohlstands und der Konsumentendemokratie zu vermelden hat: Die Verbraucherschutzzentrale Hamburg war einkaufen, hat ein paar Produkte analysiert und rausgekriegt, dass da so einiges eklig bis gesundheitsgefährdend ist, wovon man sich Tag für Tag nährt.
Und woran liegts? An betrügerischen Herstellern und einer lobbyistischen Ministerin, meint die Verbraucherschutzzentrale. „Der deutsche Kunde ist sehr preisbewusst, deshalb bieten wir ihm diese Form von Lebensmitteln an,“ meint ein Hersteller.
Komisch, dass bereits Marx folgendes berichtet: „In London existieren zweierlei Sorten von Bäckern, die „full priced“, die das Brot zu seinem vollen Werte verkaufen, und die „undersellers“, die es unter diesem Werte verkaufen. Letztere Klasse bildet über 3/4 der Gesamtzahl der Bäcker. Diese undersellers verkaufen, fast ausnahmslos, Brot, das verfälscht ist durch Beimischung von Alaun, Seife, Perlasche, Kalk, Derbyshire-Steinmehl und ähnlichen angenehmen, nahrhaften und gesunden Ingredienzien. Sir John Gordon erklärte vor dem Komitee von 1855, daß „infolge dieser Fälschungen der Arme, der von zwei Pfund Brot täglich lebt, jetzt nicht den vierten Teil des Nahrungsstoffes wirklich erhält, abgesehn von den schädlichen Wirkungen auf seine Gesundheit“. Als Grund, warum „ein sehr großer Teil der Arbeiterklasse“, obgleich wohl unterrichtet über die Fälschungen, dennoch Alaun, Steinmehl etc. mit in den Kauf nimmt, führt Tremenheere an, daß es für sie „ein Ding der Notwendigkeit ist, von ihrem Bäcker oder dem chandler’s shop das Brot zu nehmen, wie man es ihnen zu geben beliebt“. (K1 S. 188, 189)
Das ‚Preisbewußtsein‘ der Kunden ist halt Armut. (Siehe Beitrag von ascetonym) Entweder können sie sich nichts anderes leisten, oder sie müssen bei Lebensmitteln sparen wenn sie noch andere Wünsche haben als satt zu werden. Dementsprechend nützt die Kennzeichnung der Ekligkeiten wenig: Dass der Kram trotzdem verkauft wird beweist, dass die Käufer eine ähnlich große Wahl haben wie die Londoner Arbeiter des letzten Jahrhunderts. Die Hersteller aber sind entlastet: Die Menschheit ganz transparent zu vergiften ist in Ordnung und von Recht und Gesetz gedeckt. Unternehmen sind nunmal dazu da, höhere Zwecke zu verfolgen als die Produktion guter Sachen. Der Job der Ministerin ist es, ‚der Wirtschaft‘ gute Rahmenbedingungen zu verschaffen. Von der leben ja der Staat und ‚Wir alle‘. Dass billige Lebensmittel billige Löhne erlauben, kann da nur Recht sein und solange ernährungsbedingte Krankheiten der Arbeitskräfte nicht am Wirtschaftsstandort nagen, ist aus deren Sicht alles in bester Ordnung. Ekelessen gehört zum Kapitalismus. Aber das steht nicht im Spiegel.


11 Antworten auf „Analogkäse und Gel-Schinken“


  1. 1 Neoprene 10. Juli 2009 um 12:18 Uhr

    Das weitverbreite Ärgernis in der Warenwelt, daß wo X draufsteht, alle naselang eben doch kein X drin oder dran ist, hat noch eine andere grundlegende Seite:

    Nicht nur die Armen werden buchstäblich mit Scheiß abgespeist und müssen das auch heutzutage häufig sehenden Auges tun (jeder kennt doch die Rentner oder Arbeitslosen unserer Tage, selbst in Deutschland, die als Fleischersatz Konserven mit Katzen- oder Hundefutter kaufen – wohl wissend, daß da eh nur relativ wenig „Fleisch“ drin ist).

    Grundlegend ist es der Ware immanent, daß deren Verkäufer erstmal nur behaupten muß, daß sie einen bestimmten Gebrauchswert hat. Wenn er sie auch mit Lügen verkaufen kann, ist das für den Zweck des Geldmachens auch o.k. Häufig kann der Käufer eh erst im Laufe der Zeit feststellen, ob die ihm beim Kauf zugesicherten für die Nützlichkeit wesentlichen Eigenschaften überhaupt dran sind. Deshalb hat der bürgerliche Staat ja ein elaboriertes Rechtsgeflecht von Garantie-, Nachbesserungs- und Umtauschrechten, von Gewerbeaufsicht und Werbungsrecht installieren müssen. Die ganze Geschichte des Warenhandels ist schon immer auch eine des systematischen Betrugs gewesen. „Das falsche Gewicht“ ist ein literarisches Symbol hierfür.

  2. 2 Pirx 10. Juli 2009 um 19:06 Uhr

    Das stimmt natürlich, selbst die teureren HiFi Anlagen gehen heute gerne mal nach eineinhalb Jahren kaputt, vom Billigscheiß gar nicht zu reden.
    Beim Essen ist es halt besonders widerlich und wär allein schon ein Grund, dieses System in den Lokus zu spülen, wenn man auch nur ein bißchen was auf sich hält.

  3. 3 ascetonym 10. Juli 2009 um 20:07 Uhr

    Zum neuesten Skandal hat SPON selbstverständlich gleich einen weiteren Experten bzw. „Gastrosophen“ (SPON) angekarrt, einen Sternekoch, der sich u.a. auch für folgende Sätze nicht zu blöd ist:

    Wer sich nur ein bisschen mit unserem Essen beschäftigt, weiß, was und wo er kaufen muss. Doch viele Verbraucher ignorieren das Problem und reden sich die Sache schön. Jetzt werden sie wachgerüttelt. Solche Meldungen helfen, den einen oder anderen zu uns rüberzuretten. (…) Natürlich hat Ernährung eine soziale Komponente. Aber ich finde: Als erstes muss man sein Geld für das ausgeben, was man fürs Leben braucht – möglichst gesunde Lebensmittel. Danach kommt der Rest.

    Alles also eine Frage der richtigen Einstellung und Einteilung des Geldbeutels… da geben die Idioten für so einen Schund Geld aus, statt öfter mal für’s Sternerestaurant zu sparen!

  4. 4 Pirx 10. Juli 2009 um 20:32 Uhr

    Nach der Revolution muss man nicht mehr fürs Sternerestaurant sparen. Deswegen schlage ich vor wir merken uns das Arschloch und lassen uns dann jeden Tag von ihm bekochen! Der wird gut zu tun haben, aber das macht nichts. Der liebt ja seinen Job und steht weit über profanem Materialismus.

  5. 5 Pent C. Klarke 10. Juli 2009 um 20:37 Uhr

    Wie ich jetzt aus Gesprächen meiner Arbeitskolleg(Inn)en über ihre Urlaubserlebnisse erfahren habe, ist dem deutschen Arbeiter stinkegal, was er isst; worüber er sich empört, sind die „unhygienischen“ Zustände, unter denen das Zeug vor allem im Ausland hergestellt wird und die Ungerechtigkeit ebendort, die darin bestehen soll, daß am Strand auch Verkäufer geduldet sind, die nicht zu irgendeiner der dort ansässigen Verkaufshütten gehören. Kurz, das hätte es mit KdF nicht gegeben, ist so ungefähr der Minimalkonsens der dt. Arbeiterschaft. Gute Nacht!

  6. 6 Pirx 10. Juli 2009 um 21:01 Uhr

    Die einzige real existierende Arbeiterzeitung titelt heute mit Tips, wie man Ekelessen erkennt. Interesse gibts, da kannst du Gift drauf nehmen, die kennt ihre Pappenheimer. Dass die Leserschaft aus deutschnationalen Kleinbürgern mit entsprechenden Ressentiments besteht, geschenkt. Schlaf schön und träum süß!

  7. 7 soso 10. Juli 2009 um 21:53 Uhr

    „konsumentendemokratie“ trifft’s gut. wie sagte röpke so schön (sinngemäß; hab’s nicht mehr genau um kopf): ‚jedes frankenstück ein stimmzettel‘.

  8. 8 Pirx 10. Juli 2009 um 22:31 Uhr

    Diese Ideologie ist natürlich doppelt bescheuert: Bestellen kann man mit den „Stimmzetteln“ nämlich nix. Man kann nur kaufen, was andere als nützlichen Hebel zur Geldvermehrung entdeckt haben. Dies weicht gerne mal vom Bestellten ab. Beweis: Das Ekelfood gibts (sagt SPON) auch in höheren Preisklassen, ebenso wie Schrottelektronik ua. Neo hats weiter oben ausgeführt, das Zeug muss nur den Schein eines Gebrauchswerts erzeugen usw.
    Auch kann wer keine Zettelchen hat weder‘abstimmen‘, noch kriegen was sowieso da ist. Im Gegenteil: Das Zeug das er will wird eher vernichtet, als dass er es ohne kriegt. Die Theorie will aber sagen, der Markt wäre eine super Einrichtung, Produktion und Bedürfnisse zusammenzubringen.
    Der Begriff ‚Konsumentendemokratie‘ ist also eine Lüge. Die Kapitale nutzen die Bedürfnisse für ihr Gewinninteresse, nicht umgekehrt. Röpke war ergo ein apologetischer Idiot.

  9. 9 Pirx 10. Juli 2009 um 23:00 Uhr

    Wer mal wissen will, wie Typen wie unser Gastrosoph sich die Existenz von Billigscheiß erklären, der kann gerne mal bei der Jungen Freiheit vorbeischaun. Da gibts so ziemlich die Reinform der üblichen moralischen Kritik am Konsumenten, der halt zu geizig und zu materialistisch ist. Nebenbei noch mit falschen Zahlen.

  10. 10 soso 10. Juli 2009 um 23:07 Uhr

    natürlich war röpke ein idiot. ein ziemlich bösartiger noch dazu.

  11. 11 bigmouth 13. Juli 2009 um 0:12 Uhr

    (jeder kennt doch die Rentner oder Arbeitslosen unserer Tage, selbst in Deutschland, die als Fleischersatz Konserven mit Katzen- oder Hundefutter kaufen – wohl wissend, daß da eh nur relativ wenig „Fleisch“ drin ist).

    rhetorik-fail?

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