Ein linker Parteistratege macht sich Sorgen: André Brie auf Spiegel-Online

Ein bisschen eigentümlich ist es schon, dass ein Kopf der linkesten Realpartei der Nation seine Strategievorstellungen bei dem Spezialmedium für nationale Standpunktpflege ausbreiten darf und dies dann auch noch tut. Erstens fragt es sich, warum Spiegelleser, die der Linken wohl eher ablehnend gegenüberstehen, sich dafür interessieren sollen. Wer braucht eine Strategie für einen Zweck, den er nicht teilt? Eigentümlich auch deswegen, weil Strategiedebatten doch wohl eher in Parteipapiere gehören, als in die Massenmedien und nicht zuletzt deshalb, weil ausgerechnet ein Blatt gewählt wird, welches, wenn es über die Linke schreibt, meist vor ewiggestrigen Populisten zu warnen hat, die das brave Volk mit unerfüllbaren sozialen Versprechen zu ködern versuchen.
Dergleichen Vorbehalte konnte Brie offenbar ausräumen. Die Kritik der bürgerlichen Presse an der Ex-PDS war schon immer die seine, weswegen Kritiker und Selbstkritischer hier wunderbar zusammengehen und nun gemeinsam um die endgültige demokratische Domestizierung einer mittlerweile als entwicklungsfähig anerkannten Partei mit leider unguten Traditionen werben können; ein Anliegen, welches der pseudointellektuellen Leserschaft eine Herzensangelegenheit sein sollte.
An gutem Willen fehlt es nicht. Wohl aber an der Durchsetzung eines einer demokratischen Partei würdigen Programms. Und das muss natürlich einige Grundvoraussetzungen erfüllen: „Eine zukunftsfähige sozialistische Linke braucht dauerhaft die selbstkritische Auseinandersetzung mit dem Scheitern der sozialistischen Diktatur, wenn sie sich im demokratischen Pluralismus etablieren will.“ Fundamentalismen und fehlende Konstruktivität haben in einer demokratischen Partei die was werden will nichts verloren. Dass es die dennoch gibt, hat seinen Grund: „Die innerparteiliche Verständigung zerfällt heute in zahllose Zirkel, die vorzugsweise mit sich selbst, nicht aber mit der Partei und schon gar nicht mit der Gesellschaft und den politischen Gegnern debattieren.“ Weswegen sich in der Partei auch lauter Ost-Nostalgiker und vorlaute Ex K-Grüppler rumtreiben können, mit denen sich kein Staat nicht machen lässt. Jedenfalls nicht dieser.
Mit einem demokratiefähigen Programm ist es aber nicht getan. Es muss trotz seiner Demokratiefähigkeit noch so viele unverwechselbare Positionen besetzten, dass die demokratiefähige Partei nicht von vornherein als überflüssig erscheint. Es handelt sich um das „Grundproblem demokratischer linkssozialistischer Politik, einerseits echte gesellschaftspolitische Alternativen zu bieten, und andererseits zu realistischer Politik fähig zu sein.“ Es ist schon ganz schön schwierig, was zu bewirken in einer Demokratie: Beides in Einklang zu bringen erfordert ein Herumfuhrwerken zwischen Widersprüchen. Ist schon eine seltsame Kunst, der Reformismus: Erst seine Ziele mit dem System in Einklang bringen und dann aufpassen, dass man hinterher noch was von ihnen sieht. Das nennt sich dann Strategie.
Dass dieser heterogene und unrealistische Sauhaufen namens PDS überhaupt zu einer demokratischen Kraft geworden ist, ist in erster Linie das Verdienst der ehemaligen Obersoze Lafontaine. Den zeichnet nämlich eine Fähigkeit aus, von der demokratische Politiker gar nicht genug haben können: Führerqualitäten. Der Mann ist in der Lage, die Linie einfach vorzugeben: „Zum ersten Mal (hat die Linkspartei) eine echte strategische und politische Führung.“ Noch dazu hat er ein gutes Gespür für besagte unverwechselbare Positionen, beherrscht also die hohe Kunst der demokratischen Profilierung. Auch Standfestigkeit und Volksnähe gehören ins Repertoire fähiger Volksführer, kommen sich aber leider gelegentlich ins Gehege. Dann muss ein echter Staatsmann (und was anderes kommt für eine politikfähige Partei nicht in die Tüte) die Prioritäten richtig setzten, was Oskar aber leider nicht immer tut: Statt seine Partei ‚durchzuregieren’, setzt er auf Populismus und kommt dem niederen Parteivolk zu weit entgegen: „Wo ist der Reformer und Realist Lafontaine geblieben? Warum tritt er nicht mehr für Dinge ein, die er noch vor gar nicht so langem für richtig und wichtig befand?“ Schön wäre es doch, wenn er weiterhin solche imperialistischen Weisheiten wie „Vor allem in der Außen- und Sicherheitspolitik wie auch in der Wirtschaftspolitik muss Europa immer stärker kooperieren und seine Interessen in der Welt zur Geltung bringen“, vertreten und der Linkspartei beibiegen würde.
Brie nennt sich einen Realisten. Er möchte in dieser Gesellschaft was verändern und das geht nun mal nicht ohne Mehrheiten. Deswegen muss „aus dem Kampf gegen die SPD und die Grünen (..) der Kampf um eben diese werden.“ Diese aber wissen im Gegensatz zur Linken wenigstens, was sie wollen, weswegen ein solch Unterfangen „(..) der Linkspartei enorme Veränderungen abverlangen (wird).“ Mehr als 10% sind für eine Linke in D-Land nicht drin, das steht für Brie fest. Da hilft es offenbar nicht, für seine Ziele einzutreten und für sie zu werben. Anpassung ist alles, was übrig bleibt.
Eins muss man dem Genossen André schon lassen: Er weiß, was zu tun ist, um in dieser Gesellschaft mitreden zu können. Hat man die falsche Überzeugung, gibt es ein Grundproblem. Man löst es indem man sich entscheidet, ob man sozialistische Zielsetzungen verfolgen oder im demokratischen Pluralismus was zu sagen haben will. Der Stratege Brie hat sich entschieden. Man kann seinen Genossen von der Linken nur nahe legen, es ihm gleich zu tun. Dann können sie ihren Laden auflösen um entweder für den Kommunismus einzutreten, oder in die SPD.


1 Antwort auf „Ein linker Parteistratege macht sich Sorgen: André Brie auf Spiegel-Online“


  1. 1 Pirx Trackback am 14. Juni 2009 um 19:11 Uhr
Die Kommentarfunktion wurde für diesen Beitrag deaktiviert.