(Überarbeitetes und um ein paar Bemerkungen ergänztes Thesenpapier, das vor zwei Jahren während Aktivitäten des Bildungsstreiks verfasst wurde.)
0. Dass in der Schule für Noten gelernt wird, wird von vielen als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Schließlich kennt man das so in der Schule – da wird eben für Noten gelernt. Aber auch außerhalb der Schule wird viel gelernt, bspw. wenn jemand ein Instrument spielt: Hier ist man zwecks korrekter Beherrschung des Instruments für jeden sachlichen Rat empfänglich – nicht aber für eine Bewertung durch Noten. Damit zeigt sich, dass das Lernen nicht auf Noten angewiesen ist. In der Schule wollen jedoch viele an der Note festhalten, weil sie sie dort für unverzichtbar halten. Aber es gibt auch andere Meinungen: Manche sehen die Noten auch als etwas, das die Schüler unter Druck setzt und demotiviert. Oder sie halten kritisch gegen die Noten fest, dass durch sie die Schülerleistungen nicht objektiv gemessen werden können. Darüber beginnt ein Streit, der sich sein Ideal von Schule ausmalt und all das durchstreicht, weswegen es Noten gibt, und diese dadurch – ausgehend vom herrschenden Bildungssystem – für nicht notwendig erklärt. Dabei übersieht man den unschönen Zweck, den die Schule hierzulande hat; wofür man also lernt.
1. Das Lernen in der Schule richtet sich nicht nach der Zeit, die notwendig ist, um bestimmte Dinge zu verstehen. Im Gegenteil: Das Lernen muss sich nach einer durch den Lehrplan vorgegebenen Zeit richten. Der Abbruch des Lernens nach der vorgegebenen Zeit produziert dabei selbst Unterschiede im Wissen der Schüler, da diese unterschiedlich viel Zeit brauchen, um bestimmte Sachverhalte zu verstehen. Dadurch, dass an alle Schüler, die in der Regel mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schulen eintreten, die gleichen Anforderungen gestellt werden, verschärfen sich die Wissensunterschiede und setzen sich mit fortlaufender Zeit immer weiter fest, da sich das Lernen nach Zeit gleichgültig gegenüber der notwendig unterschiedlichen Lernzeit der einzelnen Schüler verhält.
Die produzierten Wissensunterschiede werden mit der Überprüfung des Lernstoffs aufgedeckt und in einer Note festgehalten. Dabei gibt die Note selbst gar keine Auskunft über den Inhalt der Fehler, die in einer Klausur gemacht wurden, sondern sie setzt, indem sie gerade vom Inhalt abstrahiert, die quantitative Anzahl der Fehler in ein Verhältnis, das alle Schüler in einen Leistungsvergleich stellt. Klassenarbeiten müssen für diesen Zweck so konstruiert werden, dass ein differenziertes Leistungsbild der Klasse entsteht. Damit hält eine Note also auch nicht den Lernerfolg eines Schülers fest, sondern dessen Leistung im Vergleich mit der der anderen Schüler. Weil es um den Leistungsvergleich geht, werden die in Klassenarbeiten festgestellten Fehler dann auch nicht systematisch beseitigt, sondern mitgeschleppt, so dass das Verstehen des neuen Stoffs gleich durch Mängel im Verständnis des alten erschwert wird.
In der Fachnote zeigt sich auf ein Neues, wie die Note von dem, was man (nicht) verstanden hat, abstrahiert. Denn in Fächern, in denen grundlegend die Themen aufeinander aufgebaut werden, wird keine 5 in einer Klausur über Bruchrechnen korrigiert, wenn man in einer späteren Klausur das Rechnen mit Doppelbrüchen einwandfrei beherrscht, normales Bruchrechnen mittlerweile gelernt hat und nun eine 1 schreibt. Am Ende steht keine 1 – der Stand, wie man das Thema am Ende begriffen hat –, sondern der Durchschnitt, hier: eine 3.
Die Zeugnisnote fällt am Ende eines Schuljahres bereits ein hartes Urteil: Sie entscheidet darüber, mit welchem Erfolg der Schüler am Leistungsvergleich teilgenommen hat, und ist ein Hinweis auf die Erfolgsaussichten bei künftigen Lernanforderungen. Nach vier Jahren Schulzeit entscheidet sie dann endgültig über den weiteren Bildungsweg: Ob man zu höherer Bildung zugelassen oder von ihr ausgeschlossen wird. Noten halten auch hier wieder nicht fest, was einem Schüler an Wissen fehlt, was er schließlich noch lernen könnte. Noten halten nur fest, welche Anerkennung die Leistung eines Schülers im Vergleich zu der der anderen bekommt.
Wissen ist also gar nicht Zweck der Schule, sondern das Mittel eines Leistungsvergleiches. Wo es beim Lernen um Noten geht, weil diese über den weiteren Bildungsweg entscheiden, kreuzt auch ein gewisser Opportunismus auf: Hauptsache die Note stimmt! Der Note ist nicht anzusehen, ob sie durch Abschreiben zustande kam, oder ob so gelernt wurde, so dass das Wissen nur zeitlich begrenzt für den Tag der Klausur vorlag, der Lernstoff also nicht verstanden wurde und sich auch nicht im Hirn eingeprägt hat. Das kennt jeder Lehrer, wenn er bei den Schülern auf Wissen zurückgreifen will, das in der Klausur Thema war: Alles wieder vergessen!
2. Es lässt sich an vielen Beispielen zeigen, dass es um den bloßen Wissenserwerb in Schulen nicht gehen kann, wenn es um Noten geht. Diese ist für das Lernen und Begreifen von verschiedenen Wissensinhalten nämlich ein sehr untaugliches Mittel. Das wissen auch viele Schüler, wenn sie sich nachmittags zum gemeinsamen Lernen treffen oder Nachhilfe nehmen. Da spielen Noten nämlich keine Rolle, weil es dort auch keine Konkurrenz gibt, die sie in einen Leistungsvergleich stellt. Statt aber die Noten für einen Fehler der Bildungspolitik zu halten und zu betonen, wie sehr sie dem Lernen und dem „solidarischen Miteinander“ schaden und an die Politik adressiert ein besseres Bildungssystem zu fordern, sollte man sich der Frage widmen, warum es diese Leistungskonkurrenz überhaupt gibt, welchem Zweck sie dient. Wenn nämlich die Form des Lernens für das Lernen selbst sehr untauglich ist, an dieser Form aber festgehalten wird, verweist diese Einrichtung des Schulwesens auf einen von ihr und dem Lernen getrennten Grund, dem das Lernen untergeorndet ist. Der Staat, der das gesamte Bildungswesen einrichtet, hat ganz bewusst nicht den Anspruch, dass alle möglichst viel wissen sollen. Er organisiert die Schule als Konkurrenzveranstaltung, weil er einerseits die Schüler zur Leistung anstacheln will, und weil er andererseits die Wissensunterschiede, die die Schule dabei zwangläufig produziert, als Material einer durchaus beabsichtigten Selektion verwenden will. Es ist eben nicht so, dass nicht jeder das Zeug dazu hätte, sein Abitur zu machen und studieren zu können, sondern es soll auch nicht jeder Abitur machen können.
3. Der Staat richtet das Schulwesen so ein, wie er es für seine Zwecke und die der Wirtschaft braucht. Die Bildungshierarchie orientiert sich nach der Hierarchie der Berufe und wird vollständig auf sie abgestimmt. Weil der Staat aber nicht planen kann, wie viele Arbeitsplätze es in Zukunft gibt, wie viele Akademiker und einfache Arbeiter (Billiglöhner) er in 10 Jahren braucht, wie viele also den Zugang zum Gymnasium erhalten und wie viele von der höheren Bildung ausgeschlossen werden sollen, gibt ihm das ständig genügend Anlass sein Bildungssystem zu reformieren. Mal gibt es zu viele Abiturienten, manchmal auch zu wenig.
Die Funktion der Schule ist es, die Schulabgänger für diese Gesellschaft und ihre Arbeitswelt tauglich zu machen. Wissensunterschiede stören dabei nicht nur nicht, sie sind für den Staat sogar äußerst effektiv: Als „Anhängsel der Maschinerie“ hat man oft nur einfache Arbeiten zu erledigen, wozu es kein großes Wissen braucht. Mehr Wissen wäre nur verschwendete Zeit in der Schule und somit Kosten. Das merkt man, wenn der Staat ständig wieder an der Bildung spart, von Schülern und Studenten verlangt, all das, was sie bisher gelernt haben, jetzt auch noch in kürzerer Zeit zu lernen; damit Arbeitskräfte zum einen billiger hergestellt werden und zum anderen schon früher verfügbar sind. Dass sich auch einiges am Lohn, der für Unternehmer sowieso immer zu hoch ist, danach entscheidet, wo man in den Berufshierarchien landet, ist bekannt. So ist die Note nicht einfach ein harmloses Instrument um den Lernerfolg zu messen, sondern eine Zahl, die Gewaltcharakter hat: Die Noten-Konkurrenz in der Schule entscheidet über den Zugang zur Berufshierarchie und dadurch auch über die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Die Note selbst ist dabei aber auch kein Garantieschein in den oberen Bereichen der Gesellschaft einen Posten abzubekommen, sondern leistet nur die Vorsortierung von denen, die am Ende um diese Berufe konkurrieren. Weil die Konkurrenz nach der Schule nicht zu Ende ist und sich auch erst auf dem Arbeitsmarkt entscheidet, wer und wie viele überhaupt gebraucht werden, sind es auch nicht „bessere Bildungschancen“, die Schülern am Ende eine „bessere Zukunft“ in Aussicht stellen. Akademiker als Taxifahrer beweisen da auch eher das Gegenteil.
Welche und wie viele Leute also in den unteren Bereichen der Gesellschaft landen, ist, wenn man sich die Funktion(-sweise) des Bildungssystems mal genauer anschaut, nicht das Resultat deren mangelnder Lernfähigkeit, sondern einer an den jeweiligen Schülern hergestellten, für den schulischen Leistungsvergleich zu geringen Leistungen in der Schulkonkurrenz. Einerseits. Andererseits sind die Maßstäbe, an welchen die Leistungen zu gering ausfallen, durch die Ansprüche des Staates gesetzt, wie er die Schüler auf die unterschiedlichen Schulen verteilt haben will, je nach dem, welche Nachfrage es an Arbeitskräften gibt. Somit ist in einem Sinne der Spruch „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ eine Lüge: Denn wo man am Ende in der Gesellschaft landet, hat man selbst nicht im Griff, weil es erstens von den Ansprüchen des Staates, zweitens der Kalkulationen der „Arbeitgeber“ und drittens von den Ergebnissen in der Konkurrenz abhängt.
Für diese Konkurrenz lernt man, wenn es um Noten geht. Dass Wissen dabei eine sehr schäbige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Kritikwürdig ist somit nicht alleinig das Bildungssystem, sondern vor allem die Gesellschaft, zu der es gehört.
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