„Das ist Demokratie!“

Nein, wir sind nicht die Ukraine. Hier werden nicht die Leute aus Sendungen gewaltsam rausgeworfen. Es wurde Verständnis geäußert, dass der Student bei Jauch unzufrieden damit ist, dass nicht über das diskutiert wurde, worüber er wollte. Deswegen soll man ihn nicht aus der Sendung werfen, aber mitdiskutieren können soll er auch nicht und selbst Verständnis dafür haben, dass seine Interessen nicht berücksichtigt werden können. Demokratie braucht keine Gewalt, es sei denn man lässt sich diese Tour gar nicht gefallen, wenn auf diese scheinbar friedliche Weise Interessen, Wünsche, Meinungen zurückgewiesen werden. Meinungsfreiheit ist und bleibt, wenn man es bei Meinungen, also nicht realisierten Interessen belässt. Bravo, Herr Jauch.

Ein alter Schlagzeuger hätte das sicherlich als „scheiß liberale Sendung“ bezeichnet:

Die Geschichten von Herrn Keiner

Am 23. Mai 2012 erscheinen „Die Geschichten von Herrn Keiner“ als Buch. Brechts Geschichten des Herrn Keuner werden sicherlich viele kennen und zu schätzen wissen – und wenn Herr Keiner schreibt, Herr Keuner hätte „gegen die Gedanken des Herrn Keiner sicher nichts einzuwenden gehabt“, dann wird man auch die Geschichten des „noch unbekannten K.“ zu schätzen wissen.

Keiner-Banner

Ein Beispiel:

Interessen und Moral

Herr Keiner wandte sich entschieden dagegen, dass die Lohn­abhängigen, wenn sie Forderungen nach besserer Bezahlung ihrer Arbeit geltend machen, ihre Interessen moralisch bemänteln.

„Sie treten so auf, als ob ihnen ihre materiellen Interessen peinlich wären“, ärgerte sich Herr K. „Ich sehe niemanden, der an die Unternehmer herantritt und sagt: ‚Guten Tag, Herr Interessens­gegner, diese Lohnerhöhung brauchen wir dringend zur Ver­besserung unserer Lage. Kommen Sie bitte unserer Forderung schnellstmöglich nach, sonst gibt es Ärger. Wir werden die Arbeit einstellen, mit der Sie ihren Gewinn machen.’

Stattdessen werden die Interessensgegner umgarnt, es wird behauptet, dass die Erfüllung der eigenen Forderungen auch im wohlverstandenen Interesse der Gegenseite liegen müsse; es wird geschmeichelt statt die eigenen Interessen unverblümt beim Namen zu nennen und auf Durchsetzung zu dringen.“

Herr K. nannte als Beispiel, das Interesse an einer Lohnerhöhung dem Unternehmer damit schmackhaft zu machen, dass diesem eine erhöhte Kaufkraft der Arbeiter in Aussicht gestellt wird, was ihn doch reizen müsse, den Arbeitern mehr Geld in die Hand zu geben. „Welch ein Unsinn“, zürnte er. „Natürlich freuen sich die Unternehmer über eine zahlungskräftige Kundschaft, sie nutzen die Kaufkraft aus, aber sie haben doch keine Kaufkraft zu verschenken. Eine Lohnerhöhung ist ein Abzug vom Gewinn, und um diese durchzusetzen, dafür gibt es kein Argument, das dem Unternehmer einleuchten könnte.Dem leuchtet nur die Macht ein, mit der die Lohnabhängigen ihre Forderungen vertreten.“

Herr K. bemerkte, dass er sich in Rage geredet hatte, doch er nahm seinen Ärger in Schutz. „Es ist ja nicht nur so“, sagte er, „dass diese moralische Argumentationsweise wirklichkeitsfremd ist, sondern auf diese Weise wird der Interessensgegensatz nicht ernst genommen, den die Arbeiter austragen müssen, wenn sie ihre Lage verbessern wollen.

Für die Unternehmer hat es keine schädlichen Auswirkungen“, fuhr Herr K. fort, „wenn diese ihren Eigennutz moralisch über­höhen und als Wohltat für beide Seiten darstellen. Doch diese wissen ihr Gerede sehr genau von ihrem praktischen Handeln zu unterscheiden. Sie kennen ihre Interessen und verstehen sich darauf, sie ohne Rücksicht zu verfolgen.

Doch bei den Unteren sieht die Lage anders aus: Wenn diese ernsthaft so tun, mit ihren Forderungen nur Gutes im Schilde zu führen, dann schwächen sie ihren Kampf, noch ehe er begonnen hat. Denn was die Unteren fordern, ist nun einmal nicht gut für die Wirtschaft. Für deren Belange können sie nichts Gutes tun, außer auf ihre eigenen Kosten“, sagte Herr Keiner.

Ulrich Schulte
Herrschaftszeiten
Geschichten von Herrn Keiner

Editpress + BasisBuch, 112 Seiten – 6€

ISBN 978-3-9815226-0-0

Was bzw. wofür man lernt, wenn man für Noten lernt

(Überarbeitetes und um ein paar Bemerkungen ergänztes Thesenpapier, das vor zwei Jahren während Aktivitäten des Bildungsstreiks verfasst wurde.)

0. Dass in der Schule für Noten gelernt wird, wird von vielen als eine Selbstverständlichkeit hingenommen. Schließlich kennt man das so in der Schule – da wird eben für Noten gelernt. Aber auch außerhalb der Schule wird viel gelernt, bspw. wenn jemand ein Instrument spielt: Hier ist man zwecks korrekter Beherrschung des Instruments für jeden sachlichen Rat empfänglich – nicht aber für eine Bewertung durch Noten. Damit zeigt sich, dass das Lernen nicht auf Noten angewiesen ist. In der Schule wollen jedoch viele an der Note festhalten, weil sie sie dort für unverzichtbar halten. Aber es gibt auch andere Meinungen: Manche sehen die Noten auch als etwas, das die Schüler unter Druck setzt und demotiviert. Oder sie halten kritisch gegen die Noten fest, dass durch sie die Schülerleistungen nicht objektiv gemessen werden können. Darüber beginnt ein Streit, der sich sein Ideal von Schule ausmalt und all das durchstreicht, weswegen es Noten gibt, und diese dadurch – ausgehend vom herrschenden Bildungssystem – für nicht notwendig erklärt. Dabei übersieht man den unschönen Zweck, den die Schule hierzulande hat; wofür man also lernt.

1. Das Lernen in der Schule richtet sich nicht nach der Zeit, die notwendig ist, um bestimmte Dinge zu verstehen. Im Gegenteil: Das Lernen muss sich nach einer durch den Lehrplan vorgegebenen Zeit richten. Der Abbruch des Lernens nach der vorgegebenen Zeit produziert dabei selbst Unterschiede im Wissen der Schüler, da diese unterschiedlich viel Zeit brauchen, um bestimmte Sachverhalte zu verstehen. Dadurch, dass an alle Schüler, die in der Regel mit sehr unterschiedlichen Voraussetzungen in die Schulen eintreten, die gleichen Anforderungen gestellt werden, verschärfen sich die Wissensunterschiede und setzen sich mit fortlaufender Zeit immer weiter fest, da sich das Lernen nach Zeit gleichgültig gegenüber der notwendig unterschiedlichen Lernzeit der einzelnen Schüler verhält.

Die produzierten Wissensunterschiede werden mit der Überprüfung des Lernstoffs aufgedeckt und in einer Note festgehalten. Dabei gibt die Note selbst gar keine Auskunft über den Inhalt der Fehler, die in einer Klausur gemacht wurden, sondern sie setzt, indem sie gerade vom Inhalt abstrahiert, die quantitative Anzahl der Fehler in ein Verhältnis, das alle Schüler in einen Leistungsvergleich stellt. Klassenarbeiten müssen für diesen Zweck so konstruiert werden, dass ein differenziertes Leistungsbild der Klasse entsteht. Damit hält eine Note also auch nicht den Lernerfolg eines Schülers fest, sondern dessen Leistung im Vergleich mit der der anderen Schüler. Weil es um den Leistungsvergleich geht, werden die in Klassenarbeiten festgestellten Fehler dann auch nicht systematisch beseitigt, sondern mitgeschleppt, so dass das Verstehen des neuen Stoffs gleich durch Mängel im Verständnis des alten erschwert wird.

In der Fachnote zeigt sich auf ein Neues, wie die Note von dem, was man (nicht) verstanden hat, abstrahiert. Denn in Fächern, in denen grundlegend die Themen aufeinander aufgebaut werden, wird keine 5 in einer Klausur über Bruchrechnen korrigiert, wenn man in einer späteren Klausur das Rechnen mit Doppelbrüchen einwandfrei beherrscht, normales Bruchrechnen mittlerweile gelernt hat und nun eine 1 schreibt. Am Ende steht keine 1 – der Stand, wie man das Thema am Ende begriffen hat –, sondern der Durchschnitt, hier: eine 3.

Die Zeugnisnote fällt am Ende eines Schuljahres bereits ein hartes Urteil: Sie entscheidet darüber, mit welchem Erfolg der Schüler am Leistungsvergleich teilgenommen hat, und ist ein Hinweis auf die Erfolgsaussichten bei künftigen Lernanforderungen. Nach vier Jahren Schulzeit entscheidet sie dann endgültig über den weiteren Bildungsweg: Ob man zu höherer Bildung zugelassen oder von ihr ausgeschlossen wird. Noten halten auch hier wieder nicht fest, was einem Schüler an Wissen fehlt, was er schließlich noch lernen könnte. Noten halten nur fest, welche Anerkennung die Leistung eines Schülers im Vergleich zu der der anderen bekommt.

Wissen ist also gar nicht Zweck der Schule, sondern das Mittel eines Leistungsvergleiches. Wo es beim Lernen um Noten geht, weil diese über den weiteren Bildungsweg entscheiden, kreuzt auch ein gewisser Opportunismus auf: Hauptsache die Note stimmt! Der Note ist nicht anzusehen, ob sie durch Abschreiben zustande kam, oder ob so gelernt wurde, so dass das Wissen nur zeitlich begrenzt für den Tag der Klausur vorlag, der Lernstoff also nicht verstanden wurde und sich auch nicht im Hirn eingeprägt hat. Das kennt jeder Lehrer, wenn er bei den Schülern auf Wissen zurückgreifen will, das in der Klausur Thema war: Alles wieder vergessen!

2. Es lässt sich an vielen Beispielen zeigen, dass es um den bloßen Wissenserwerb in Schulen nicht gehen kann, wenn es um Noten geht. Diese ist für das Lernen und Begreifen von verschiedenen Wissensinhalten nämlich ein sehr untaugliches Mittel. Das wissen auch viele Schüler, wenn sie sich nachmittags zum gemeinsamen Lernen treffen oder Nachhilfe nehmen. Da spielen Noten nämlich keine Rolle, weil es dort auch keine Konkurrenz gibt, die sie in einen Leistungsvergleich stellt. Statt aber die Noten für einen Fehler der Bildungspolitik zu halten und zu betonen, wie sehr sie dem Lernen und dem „solidarischen Miteinander“ schaden und an die Politik adressiert ein besseres Bildungssystem zu fordern, sollte man sich der Frage widmen, warum es diese Leistungskonkurrenz überhaupt gibt, welchem Zweck sie dient. Wenn nämlich die Form des Lernens für das Lernen selbst sehr untauglich ist, an dieser Form aber festgehalten wird, verweist diese Einrichtung des Schulwesens auf einen von ihr und dem Lernen getrennten Grund, dem das Lernen untergeorndet ist. Der Staat, der das gesamte Bildungswesen einrichtet, hat ganz bewusst nicht den Anspruch, dass alle möglichst viel wissen sollen. Er organisiert die Schule als Konkurrenzveranstaltung, weil er einerseits die Schüler zur Leistung anstacheln will, und weil er andererseits die Wissensunterschiede, die die Schule dabei zwangläufig produziert, als Material einer durchaus beabsichtigten Selektion verwenden will. Es ist eben nicht so, dass nicht jeder das Zeug dazu hätte, sein Abitur zu machen und studieren zu können, sondern es soll auch nicht jeder Abitur machen können.

3. Der Staat richtet das Schulwesen so ein, wie er es für seine Zwecke und die der Wirtschaft braucht. Die Bildungshierarchie orientiert sich nach der Hierarchie der Berufe und wird vollständig auf sie abgestimmt. Weil der Staat aber nicht planen kann, wie viele Arbeitsplätze es in Zukunft gibt, wie viele Akademiker und einfache Arbeiter (Billiglöhner) er in 10 Jahren braucht, wie viele also den Zugang zum Gymnasium erhalten und wie viele von der höheren Bildung ausgeschlossen werden sollen, gibt ihm das ständig genügend Anlass sein Bildungssystem zu reformieren. Mal gibt es zu viele Abiturienten, manchmal auch zu wenig.

Die Funktion der Schule ist es, die Schulabgänger für diese Gesellschaft und ihre Arbeitswelt tauglich zu machen. Wissensunterschiede stören dabei nicht nur nicht, sie sind für den Staat sogar äußerst effektiv: Als „Anhängsel der Maschinerie“ hat man oft nur einfache Arbeiten zu erledigen, wozu es kein großes Wissen braucht. Mehr Wissen wäre nur verschwendete Zeit in der Schule und somit Kosten. Das merkt man, wenn der Staat ständig wieder an der Bildung spart, von Schülern und Studenten verlangt, all das, was sie bisher gelernt haben, jetzt auch noch in kürzerer Zeit zu lernen; damit Arbeitskräfte zum einen billiger hergestellt werden und zum anderen schon früher verfügbar sind. Dass sich auch einiges am Lohn, der für Unternehmer sowieso immer zu hoch ist, danach entscheidet, wo man in den Berufshierarchien landet, ist bekannt. So ist die Note nicht einfach ein harmloses Instrument um den Lernerfolg zu messen, sondern eine Zahl, die Gewaltcharakter hat: Die Noten-Konkurrenz in der Schule entscheidet über den Zugang zur Berufshierarchie und dadurch auch über die Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Die Note selbst ist dabei aber auch kein Garantieschein in den oberen Bereichen der Gesellschaft einen Posten abzubekommen, sondern leistet nur die Vorsortierung von denen, die am Ende um diese Berufe konkurrieren. Weil die Konkurrenz nach der Schule nicht zu Ende ist und sich auch erst auf dem Arbeitsmarkt entscheidet, wer und wie viele überhaupt gebraucht werden, sind es auch nicht „bessere Bildungschancen“, die Schülern am Ende eine „bessere Zukunft“ in Aussicht stellen. Akademiker als Taxifahrer beweisen da auch eher das Gegenteil.

Welche und wie viele Leute also in den unteren Bereichen der Gesellschaft landen, ist, wenn man sich die Funktion(-sweise) des Bildungssystems mal genauer anschaut, nicht das Resultat deren mangelnder Lernfähigkeit, sondern einer an den jeweiligen Schülern hergestellten, für den schulischen Leistungsvergleich zu geringen Leistungen in der Schulkonkurrenz. Einerseits. Andererseits sind die Maßstäbe, an welchen die Leistungen zu gering ausfallen, durch die Ansprüche des Staates gesetzt, wie er die Schüler auf die unterschiedlichen Schulen verteilt haben will, je nach dem, welche Nachfrage es an Arbeitskräften gibt. Somit ist in einem Sinne der Spruch „Jeder ist seines Glückes Schmied!“ eine Lüge: Denn wo man am Ende in der Gesellschaft landet, hat man selbst nicht im Griff, weil es erstens von den Ansprüchen des Staates, zweitens der Kalkulationen der „Arbeitgeber“ und drittens von den Ergebnissen in der Konkurrenz abhängt.

Für diese Konkurrenz lernt man, wenn es um Noten geht. Dass Wissen dabei eine sehr schäbige Rolle spielt, liegt auf der Hand. Kritikwürdig ist somit nicht alleinig das Bildungssystem, sondern vor allem die Gesellschaft, zu der es gehört.

Thesen zu Brecht

1.

Brechts Theater hatte den Anspruch Menschen zum kritischen Denken anzuregen, indem er den Zuschauer dazu zwingt das Schauspiel distanziert zu betrachten, statt sich in die Rollen der Schauspieler hineinzuversetzen. Statt Gefühle zu erwecken, sollte das Theater Entscheidungen erzwingen. Die Distanz wollte er dadurch erzeugen, indem er mit einem „Verfremdungs-Effekt“ dem Zuschauer eine ihm bisher nicht bekannte Welt gegenübersetzt und so es schwer fällt das Theater mitzuerleben, weil der handelnde Mensch und die Gesellschaft ihm nicht bekannt vor kommt, so also das sich in die Person hineinversetzen misslingt und der Mensch und sein Handeln selbst zum Gegenstand der Untersuchung wird. Zwar soll diese fiktive Welt Parallelen zu der Welt, in der man lebt, aufmachen, aber durch gewisse Verzerrungen mittels Musik, Bühnenbild, Sprüngen usw. wieder die Distanz erzeugen, die die Analyse des Handelns möglich macht.

Das Epische Theater von Brecht ist entgegen der Katharsis des Theaters von Aristoteles entwickelt. Im Drama dient das Schauspiel der Unterhaltung und der Kompensation, indem man mit dem Spiel mitfühlt und dadurch seine Seele reinigt. Das Wecken der Gefühle verhindert den Verstand, die distanzierte Betrachtung, um das Geschehnis zu analysieren und seine Schlüsse daraus zu ziehen.

2.

Die Sache mit der Erzwingung einer distanzierten Betrachtung gesellschaftlichen Handelns hat ihre Berechtigung. Die Gefühlsebene oder die Reflexion auf sich immer nur in Form einer unmittelbar subjektiven Betroffenheit, ermöglicht kein rationelles Urteilen und auch keine neuen Erkenntnisse. Die Gefühlsebene bringt nur die zur Gewohnheit gewordenen Urteile hervor, die naturgemäß und unabänderlich erscheinen. Die subjektive Betroffenheit behandelt jedes Ärgernis dem Begriff nach immer nur als subjektive Wirkung auf sich; sie geht nicht dem Grund nach, dessen Kenntnis Grundlage seiner Beseitigung ist, kümmert sich also nicht um die Beschaffenheit des gesellschaftlichen Verhältnisses, sondern nimmt es als störende naturhafte Begleiterscheinung mit der es in welcher Form auch immer zurechtzukommen gilt. Deshalb interessiert sich niemand für das, was Marxisten zu sagen haben, wenn sie sich nicht die theoretische Distanz zu ihrer Lage leisten, um über diese getrennt vom praktischen Zurechtkommen mit ihr, zu dem man genötigt ist, nachdenken zu können. Die unmittelbare Betroffenheit, die keine Reflexion auf sie außer diese selbst zulässt, interessiert sich nur für das bessere Zurechtkommen auf Grundlage der Verhältnisse, die ihnen ihr Zurechtkommen immer als zusätzliche Leistung aufzwingt, weil sie immer ein Angriff auf die Reproduktion sind. So interessiert nur das Gelingen besserer Reproduktion mit den vorgefundenen Mitteln, auf die man verpflichtet ist, welche die Reproduktion aber immer zugleich beschränken und vom Leben nichts als diese übrig lassen.

Voraussetzung einer Agitation ist also, dass eine Distanz gelingt. Die Agitation hat aber immer die Lebenslage zum Gegenstand, die Grund der Kritik ist. Es muss also auch klar sein, warum man von jemandem diese Distanz verlangt: nämlich damit er sich Klarheit über genau diese Lage verschaffen kann, in der er steckt. Man muss die Leute also auch auf genau diese Lage ansprechen.

Brecht wollte diese Distanz über das Theater erzeugen – und vergisst, dass sich der Zuschauer im Hineintreten ins Theater schon von seiner Lage getrennt hat: sie gerät in Vergessenheit, weil sie in Vergessenheit geraten soll. In das Theater geht man nicht, um sich belehren zu lassen, sondern um unterhalten zu werden. Man verspricht sich die Kompensation der Schäden, die man täglich erfährt. Subjektiv geht er also nicht in das Theater, um Erkenntnisse zu gewinnen, sondern des Genusses wegen, den man sich erkauft, setzt man sich in sein Idealmensch hinein. Diesen Prozess will Brecht aber aufbrechen und den Zuschauer verwirren, indem die Umstände verfremdet ihm ungewöhnlich vorkommen und das Hineinversetzen verunmöglicht wird. Die Fiktion ist für ihn etwas neues, zu der er noch kein Urteil, also auch kein Gefühl gefunden hat und ihn so zur Analyse der Handlung zwingt. Bezweckt wird ja aber gar nicht, dass ein rationelles Urteil über diese fiktive Gesellschaft gefällt wird, sondern eines über die real existierende. Der Reflex auf die eigene Lebenssituation muss also gelingen, worum sich in einem Epilog bemüht wird. Das Publikum wird zu Entscheidungen gezwungen, indem es direkt angesprochen wird. Die Entscheidung geschieht aber nur auf Grundlage der Darstellung. Es wird kein Schluss nahegelegt, sondern zu einem Schluss soll jeder für sich kommen. Brecht hat so also auch keine Kontrolle über sein Publikum, dass es auch die Schlüsse zieht, die er sich wünschen würde.1 Darin liegt nur seine Hoffnung. Es ist also auch nicht klar, ob die Leute die richtigen Dinge der Fiktion mit der Wirklichkeit in Verbindung bringen. Ein Wissen über die zu beseitigenden objektiven Schranken wird ohnehin nicht geliefert.

3.

Früher als noch klar war, an welches Publikum sein Theater adressiert ist, war der Reflex auf die eigene Lebenssituation noch naheliegend. Heute dagegen erscheint dem Zuschauer, der heute auch keine Klasse mehr zu sein scheint, sondern alle umfasst: insbesondere Bildungsbürgertum, das Theater insgesamt als eine Fiktion. Das Publikum heute ist ausschließend an der Unterhaltung interessiert oder eben an der Genialität Brechts, der das Theater revolutionierte. Über den Anspruch seines Theaters weiß man Bescheid, dieser Anspruch ist heute aber nicht mehr notwendig oder für sie in der heutigen Zeit überflüssig geworden. Arbeiter mit Ruß im Gesicht kennt man heute nicht mehr. Genau so wenig wie Leute, die nicht von ihrer Arbeit leben können oder Kapitalisten, die insbesondere durch ihren miesen Charakter2 auffallen. Das waren eben die Probleme der damaligen Zeit. So schrecklich wie damals ist es heute nicht mehr. Weiß man, denn das hat man gelernt. Das Theater heute reflektiert nicht den Bewusstseinsstand des modernen Bürgers3, provoziert und kritisiert ihn nicht. Er wird konfrontiert mit elenden Lebenszuständen, die er in dieser Form nicht (mehr) kennt. Er kennt nicht das Problem irgendeiner Klasse, sondern nur die seiner sich anhäufenden privaten Probleme, die er nicht für gesellschaftlich hält.4

Heute kann noch jeder Brecht hochleben lassen, weil man seine Kritik berechtigt findet – bezogen auf die Zeit, in der er lebte. Die Frage, was die Darstellung dessen, was das Theater zur Anschauung bringt, mit der eigenen Lebenssituation zu tun hat, stellt sich nicht, weil man mit dieser Frage nicht in das Theater geht. Die Agitation findet dort statt, wo die alltägliche Schädigung der Ausgangspunkt geäußerter Unzufriedenheit ist, auf die man die Leute ansprechen muss – und nicht dort, wo sie die Erfahrungen des Alltags vor dem Staatstheater in den Müll geworfen haben und bestrebt sind als höhere Person aus dem Theater zu treten.

  1. Überhaupt ist das der Widerspruch jeder Kunst, die zur Kritik anregen will. Statt durch einen Diskussionsprozess, bei welchem man auf Missverständnisse und falsche Schlüsse eingehen kann, soll durch eine künstlerische Darstellung von etwas die Kritik transportiert werden und überlässt dadurch die Schlüsse der Interpretationsfreiheit des Publikums. Zu welchem Schluss sie kommen, hängt allein von ihnen ab und die Form der „Agitation“ erlaubt so alle möglichen Schlüsse, auch solche, die nicht beabsichtigt vom Künstler sind. [zurück]
  2. Die falsche Darstellung der Kritik, die Brecht transportierte, findet sich in solchen Umschreibungen wieder, ist aber nicht Grund dieser bürgerlichen Kritik an ihm. Insofern sich aber seine Agitation mit solchen falschen Zuschreibungen schmückte, ist dies der Mangel an ihr, weil dem Zuschauer das, was er an manchen Stellen für das Schlimme im Kapitalismus hielt, heute wirklich fremd vorkommen muss oder sich eben auf Ausnahmen beschränken lässt. [zurück]
  3. Zu dem gehört auch die Moral, mit welcher die Massen sich im Kapitalismus einzurichten versuchen. Sie leben Tugenden, die Brecht für die lohnarbeitende Klasse nicht für realisierbar hielt. Seine Kritik an der Moral war, dass da von einem Proletarier unmögliches verlangt wird, aber im Eigentlichen gut ist: „Der Mensch wär gut anstatt so roh – doch die Verhältnisse sie sind nicht so.“ Das Reden von der scheiternden Moralität zu kritisieren, wäre ein Extra-Thema, welchem man sich widmen könnte. Hier geht es aber nur um Brechts Bemühungen über Kunst Agitation zu betreiben. [zurück]
  4. Dass sich die Arbeiterklasse in ihrem Bewusstsein heute noch ein wenig anders aufstellt als zu Brechts Zeiten, kann ihm in diesem Punkt nicht vorgeworfen werden. [zurück]

Recycling

Eigentlich war geplant hier nichts mehr zu bloggen, da dieses für mich zu viel Zeit in Anspruch nahm. Zwischenzeitlich kam die Idee auf, einen neuen kollektiven Blog mit anderen zu machen, bei welchem jeder gelegentlich mal einen Beitrag schreibt, der Blog aber nicht untergeht, weil nicht nur einer seine wenigen Beiträge schreibt, sondern mehrere ihre wenigen Beiträge, was in der Summe den Blog eher Aktualität verliehen hätte. Daraus wurde nichts. Dann kam mir die Idee auf, diesen Blog vielleicht für einen anderen Zweck zu gebrauchen. Verbreitet über Chats, Internetcommunities etc. kommt es doch mal irgendwo zu Diskussionen, in denen vernünftige Beiträge auftauchen und es nicht verdienen von anderen gelöscht zu werden, wegen nicht öffentlicher Profile nicht sichtbar zu sein oder allgemein wegen der Unbekanntheit mancher Foren nicht gefunden werden. Da ich manche Dinge immer mal wieder dokumentiere, dachte ich mir solche Ausschnitte aus Diskussionen öffentlich auf diesem Blog zu dokumentieren. Manche Artikel aus dieser neuen Kategorie „Entwürfe und Diskussionen“ sind auch Texte, die für irgendwelche anderen Dinge geschrieben worden sind und nicht veröffentlicht oder nicht fertig wurden. Um die Beiträge, woher sie auch stammen, für den Blog tauglich zu machen, der Leser voraussetzt, die den Zusammenhang der Diskussion nicht kennen oder das Nennen von Nicknames in Diskussionen für die Lese hier uninteressant ist, wurden diese in manchen Fällen überarbeitet.

Neue Ausschnitte vom konkret-Kongress (Held vs. Antideutsche Dichter)

„In Memoriam Karl Held, † 9. Oktober 2010, „Vordenker der Marxistischen Gruppe, welche eine Kritik an kapitalistischer Gesellschaft und demokratischer Staatsmacht propagierte, die von sonstigen sozialistischen Ansichten radikal abweicht“ (Wikipedia), auf dem Konkret-Kongress 1993.

Die Vortragenden auf dem Podium sind von links nach recht Wolfgang Pohrt (ehemals Vordenker der Antideutschen), Hermann Gremliza (Herausgeber Konkret), Sahra Wagenknecht (PDS), Thomas Ebermann (ehemals KB, Die Grünen) Karl Held (Chefredakteur GegenStandpunkt), Georg Fülberth (DKP).“


Teil 1


Teil 2 (mehr…)

3 x Huisken zu Sarrazin

1. Die unselige Sarrazin-Debatte

2. Die Sache mit dem Dummheits-Gen, der Plan von Sarrazin zur Rettung wertvoller deutscher Volkssubstanz und warum Politiker ihn nicht kritisieren können

3. Thilo Sarrazin und seine Kritiker (Vortrag)
Eine Debatte über deutsche Bevölkerungspolitik: dumm und gemein
Und was ist und macht deutsche Bevölkerungspolitik?

Außerdem, aus dem GegenStandpunkt 4-09 zu dem letzten von Sarrazin ausgelösten „Skandal“:
Thilo Sarrazin fordert ein gescheites Volk für den deutschen Staat

Die Kunst der Agitation

Beispiel:
Das Thema G8 in den Schulen…
Was wirkt einladender ?
Ein Flyer der vollgepackt mit Text ist, der dir das ganze vermitteln soll & wieso es schlecht ist.
oder…
Ein Flyer welcher so gelayoutet wurde das man z.B. einen Strand nimmt davor 2 Kästchen alà:

[ ] G 8
[x] Nen schönes Leben

Ich war vor kurzem bei uns in der Stadt am Marktplatz agitieren. Ich hatte Flugblätter verteilt. Haufenweise Jungs hätten mich dabei beinahe umgerannt. So wild waren sie meinen Flyern hinterher. Wir mussten nicht mal reden, keine Überzeugungsarbeit leisten damit sie sich das Flugblatt ansahen und mitnehmen. Es war eine sehr erfolgreiche Aktion. Das kommt davon, dass wir aus unseren Fehlern gelernt haben. Jeder muss eben mal seine Erfahrung machen, nicht jede Agitation sitzt von Anfang an. Damals hatten wir uns Mühe gegeben lange Texte zu schreiben, um den Proleten ihre Lage zu erklären und warum sie gegen diese ankämpfen müssen. Die Mühe ihnen unsere Flugis zu erklären, mussten wir uns nicht mal machen, da sie unser Zeug mit so viel Text gar nicht antun wollten und gingen an uns vorbei. Und wir dachten die hätten gerade auf unsere Propaganda gewartet! Also überlegten wir woran unsere Agitation scheiterte und wussten sofort: Man darf die Arbeiter nicht mit zu viel Text abschrecken, man muss sie so nehmen wie sie sind und als solche ansprechen. Wir erfuhren schnell worauf die lesefaulen aber fleißigen Werktätigen scharf waren und bedienten ihre vorgefunden Bedürfnisse – was der Kommunismus sich ja zum Ziel setzt! Heute haben wir eben farbige Flyer mit wenig Text, dafür aber große Bilder mit leicht bekleideten – oder manche so wie Gott sie schuf – Arbeitermädels. Die Augen des Proletariats werden somit auch nicht überfordert, wenn sie sich zwischen Zeilen hin und her bewegen müssen, sondern es genügt wenn auf zwei große direkt nebeneinander liegende Dinger geschaut werden kann. Das freut das Proletariat – und wenn es sich freut, wir freuen uns auch! So war unser Problem gelöst: wir wurden unsere Flyer los und druckten sie nicht wie in früheren Zeiten für den Papierkorb. Es hat auch etwas befreiendes: Man versklavt die Arbeiter nicht mehr mit dem Anblick schwarz-weißen Din-A-4s und Erinnerungen daran wie grau auch ihr Leben ist, sondern bringt sie an einen anderen Ort, der sie wegführt von der harten Arbeit – an einen Strand. Der Kampf geht weiter, Genossen!

Nazis raus – Deutschland rein


Die deutsche Heimat von Nazis sauber halten

Vorträge: in Stuttgart zu Amokläufen (Huisken), Karlsruhe zu Gewerkschaft heute (Wentzke)

Vortrag:
Amokläufe in Erfurt, Emsdetten und Winnenden:
Die Schule ist nicht die Lösung, sondern Teil des Problems!

Termin: Mo, 03.05.2010; 19 Uhr
Ort: Stuttgart, Heidehofstraße 49/50, Evangelisches Heidehof-Gymnasium, Aula
Referent: Prof. Freerk Husiken (Uni Bremen)

via, Website von Freerk Huisken geht gerade nicht (von dort hatte ich ursprünglich den Termin), Flyer
______________________________________

Gewerkschaft heute
Referent: Dr. Theo Wentzke, GEGENSTANDPUNKT-Verlag
Wann: Dienstag, 4. Mai, 19.30 Uhr
Wo: Karlsruhe, Planwirtschaft, Werderstr. 28

via