they are building walls around us

es ist ein herrliches gefühl, das knistern des tabaks und des papiers beim entzünden, der erste zug der bedächtlich die lungen fühlt und ein kribbeln (und natürlich nikotin in rauhen mengen) durch den körper jagt. die erste cigarette am am morgen gehört, genauso wie kaffe, zu den festen ritualen einer immer weiter prekarisierten menschen gruppe und es ist, möchte man hinzufügen, ein wunderbares ritual. doch es hat einen langen und beschwerlichen weg, voller missverständnisse und irritationen hinter sich, der, so scheint es, im gesundheitswahn der europäischen gesellschaften endgültig zertreten werden könnte. wieso eigentlich?
die cigarette ist aus- und genusszeit, sie ermöglicht jedem unabhängig von alter, race, geschlecht für fünf minuten zu versinken in einer welt der annehmlichkeiten. sie beruhigt zwar nicht wissenschaftlich, sie beruhigt aber konkret. sie ist, um mit worten von oscar wilde zu sprechen „the perfect type of perfect pleasure. It is exquisite, and it leaves you unsatisfied. What more can you want?1. egal ob gedreht, gestopft, oder aktiv, die cigarette ist überall erhältlich, schnell zur hand und im handumdrehen wird aus der wartezeit auf den bus, in den fünf minuten vor dem nächsten seminar, in einer kurzen pause während der schicht ein moment der freiheit im genuss. eine freiheit die umso vollkommener ist, destso „gefährlicher“ sie gebrandmarkt wird. doch wie so oft, mischt sich die politik und die gesellschaft in bereiche ein, in denen sie nichts zu suchen haben, in denen sie aber schon immer und zu allen zeiten etwas zu suchen haben wollten. es ist die tendenz der gesellschaft „ihre eigenen Ideen und Praktiken als Lebensregeln denen auzuerlegen, die eine abweichende Meinung haben, die Entwicklung in Fesseln zu schlagen, wenn möglich die Bildung jeder Individualität, die nicht mit ihrem eigenen Kurs harmoniert, zu verhindern und alle Charaktere zu zwingen, sich nach ihrem eigenen Modell zu formen2. als mehr als nur scheinheillige begründung für den über die stränge schlagenden raucherhass, wird offiziell der sog. nichtraucherschutz angegeben. es sei hier zugestanden, dass dieser, sei er wissenschaftlich noch so absurd, sicherlich einigen menschen wirklich am herzen liegt. letzendlich aber, so zeigt es sich gerade in jenem gesellschaftlichen verhalten jenseits behördlicher praxis, ist er nur vorwand für die spießbürger und autoritären charaktere loszuschlagen, ihren schon immer empfunden hass gegen die individuelle freiheit3, an dem gestus des cigaretten rauchens auszulassen. ihre wut über jenes, inzwischen, nonkonforme verhalten, an vermeintlicher geruchsbelästigung aufzuhängen, um schwitzend und stinkend dem raucher einen vortrag darüber zu halten, dass sie es ja wären, die ihm später seinen krankenhausaufenthalt bezahlen würden. es sind jene menschen, denen individualismus ein schmipfwort und freiheit eine absurde vorstellung ist, die schweigende merheit, die so wenig schweigsam ist wenn man ihnen gegenübersteht und die doch so wenig zu sagen hat. was john stuart mill im neunzehnten jahrhundert bereits als gefahr der demokratie begriff, die tyrannei der mehrheit, entlarvt sich heute in der tyrannei der gesundheit, als altes paar schuhe in neuer farbe. es ist der versuch der gesellschaft in meinem lebensstil einzugreifen und an meiner stelle für mich festsetzen zu wollen was ich zu tun und zu lassen haben, um ein besserer mensch zu werden.
doch wem genuss heilig und freiheit ein gut ist, der wird auch weiterhin zur cigarette greifen und all jenen neidern und hatern gelassen ein bläuliche dunstwolke ins gesicht blasen können, in dem wissen ausnahmsweise auf der richtigen seite zu stehen.

  1. in: oscar wilde; the picture of dorian gray [zurück]
  2. john stuart mill; über die freiheit [zurück]
  3. hier sei angemerkt, dass gerade gsp-jünger dem in nichts nachstehen. [zurück]

17 Antworten auf “they are building walls around us”


  1. 1 jackson pollock 07. Juli 2009 um 17:06 Uhr

    sehr richtig was du da sagst.
    das rauchen ist und bleibt tatsächlich eine der letzten bastionen der individuellen freiheit in einer gesellschaft, deren autoritäre wurzeln immer öfter aus dem boden schlagen.

    leider gehst du auf einen punkt nicht ein, der mich auch schon länger beschäftigt:
    filterzigaretten vs. selbstgedreht.

    Sind Selbstgedrehte die finale Pointe der (kurzzeitigen) Emanzipation des Individuums von den Zwängen der kap. Verwertung die im Rauchen schon in ihren Ausdruck findet, dass für eine Minuten vollständig in seinem eigenen Mikrokosmos von Stopfen, Drehen, Kleben und – schließlich – rauchen aufgeht oder reproduzieren sie nur die Unterdrückung der Einzelnen im Kap., sozusagen der Fordismus im Kleinen, der Automatismus der Fließbandarbeit zwischen Daumen und Zeigefingerkuppen?

    Umgekehrt erscheinen Filterzigaretten uns als bestehendes Ganzes; sind sie damit nicht quasi ein Mirrorimage des bestehenden Verblendungszusammenhanges, der conditio sine qua non der gesellschaftlichen Unfreiheit? Obwohl das eine nicht ohne das andere kann – das Papier ist die *notwendige* Monade des Tabaks – erscheint mir ihre Trennung ideologisch aufgehoben in der Vielfalt an Malboros, Camels usw.

    Nun sind das nur Ansätze einer kritischen Theorie des Rauchens, ich warte auf deine Antworten.

  2. 2 nachdenkliche kraft 07. Juli 2009 um 17:06 Uhr

    Überspitzt kann man sagen: Wenn Recht zu Unrecht wird, wird Rauchen zur Pflicht, ist es doch eine der wenigen verbleibenden Formen, dem lustfeindlichen Fetisch der Apologeten des Todeskultes der Anti-Raucherbewegung einen hedonistischen Strich durch die Rechnung zu machen, die Individualität mit einem Feuerwerk aus Tabakfetzen zu feiern, während die Welt der Öko-Mullahs in Asche versinkt. Darauf eine Marlboro – die ganz nebenbei mehr als jede andere Zigarette Symbol für Freiheit und Nonkonformismus ist. Ich bin der Cowboy, ihr die verlausten Elendsgestalten. Klack.

  3. 3 Pirx 10. Juli 2009 um 12:19 Uhr

    Rauchen ist definitiv eine äußerst freiheitliche Angelegenheit. Das Recht zu haben den anderen den Qualm ins Gesicht zu pusten und darauf bestehen zu dürfen: So hab ich mir Freiheit schon immmer vorgestellt.

  4. 4 tee 10. Juli 2009 um 14:16 Uhr

    Sind Selbstgedrehte die finale Pointe der (kurzzeitigen) Emanzipation des Individuums von den Zwängen der kap. Verwertung die im Rauchen schon in ihren Ausdruck findet, dass für eine Minuten vollständig in seinem eigenen Mikrokosmos von Stopfen, Drehen, Kleben und – schließlich – rauchen aufgeht oder reproduzieren sie nur die Unterdrückung der Einzelnen im Kap., sozusagen der Fordismus im Kleinen, der Automatismus der Fließbandarbeit zwischen Daumen und Zeigefingerkuppen?

    definitiv letzteres. wobei diese kleine produktion der temporären teerigen freiheit als reproduktion der unterdrückung der einzelnen im kapitalismus gleichzeitig auch eine rolle als erholende funktion der grossen reproduktion der arbeitskraft einnimmt. rauchen reproduziert die scheisse quasi doppelt.

    gut, dass ich aufgehört hab.

  5. 5 tee 10. Juli 2009 um 14:20 Uhr

    cosmojl, die dritte fussnote versteh ich nicht. kannst du das erklären?

  6. 6 Administrator 10. Juli 2009 um 14:35 Uhr

    @ prix:
    an deiner linkliste sieht man, ohne sich durch deinen texterguss quälen zu müssen, welche vorstellung von freiheit du wohl sonst so hegst.

    @ jackson:
    mir scheint es eher zu so zu sein, dass die selbstgedrehte ansich ihre notwendigkeit erst aus eben jenem äutoritären umsichschlagen verkokster gesundheitsfanatiker der schweigenden mehrheit zieht. sie also lediglich trauriges desiderat einer gesellschaft ist, die sich offenbar beständig immer weiter von dem entfernt, was sie zu bieten hätte.

  7. 7 Pirx 11. Juli 2009 um 5:39 Uhr

    Jep, ist ne super Linkliste ;-)

  8. 8 Pirx 11. Juli 2009 um 5:49 Uhr

    Und unsere Freiheitsvorstellungen decken sich ganz gut. Herr Tiefensee sieht das auch so ähnlich.

  9. 9 Administrator 11. Juli 2009 um 6:41 Uhr

    nein

  10. 10 lampe 11. Juli 2009 um 10:08 Uhr

    wunderbar. ich rauche auch gern. Die letzte lucky strike welche soeben ihren weg in meinen mund gefunden hat lässt mich darüber sinieren was die tanke mir wohl gleich verkaufen wird. nehme ich wieder eine packeung des industriellen fortschritts, oder halte ich gut haus mit meinem geldbeutel und bevorzuge die proletarische 3 komponenten (jean barth tabak, gizeh filer, ocb blättchen) methode. ich weis es doch nicht. hm.

    die diskussion allerdings um belästigung oder freiheit ist müßig. da sie kein ergebniss hat. cosmoljs schöne worte, legen die messlatte im lyrischen raucher vs. nichtraucher battle ganz schön hoch!

    ps: vom stopfen halte ich überhaupt nichts!

  11. 11 weltgeist 11. Juli 2009 um 14:29 Uhr

    lieber cosmojl. was für ein gut ist freiheit denn für dich? ein substituierbares? ein giffen-gut (das man weniger nachfragt, wenn es billiger wird)? und warum will man das rauchen nicht missen, wenn freiheit ein gut ist? fragt sich, neugierig und rauchend, der weltgeist, dem die freiheit immernoch ein abgrund ist, den nur die list der vernunft überbrücken kann.

  12. 12 Administrator 11. Juli 2009 um 16:20 Uhr

    wenn aus der neugier wissen werden soll, müssen aus den hülsen fragen werden.

  13. 13 tee 11. Juli 2009 um 19:10 Uhr

    wenn aus der neugier wissen werden soll, müssen aus den hülsen fragen werden.

    meine frage war:

    cosmojl, die dritte fussnote versteh ich nicht. kannst du das erklären?

    nur aus fragen wird von allein auch kein wissen …

  14. 14 Administrator 12. Juli 2009 um 5:01 Uhr

    ich meinte nicht dich liebster tee.
    die dritte fußnote ist eine äußerst pointierte anspielung auf, in disskusionen um das ug-flugbuch geäußerte, abgründe des denkens bei mpunkt und seinen genossen.

  15. 15 tee 12. Juli 2009 um 7:43 Uhr

    häh? ist mir klar dass du nicht mich meinst. ich meinte ja auch nur dass du mich ignoriertest und wendete dafür deinen spruch an.

    abgründe des denkens bei mpunkt und seinen genossen.

    also. aha. sagt mir jetzt auch nicht viel mehr ausser sehr wahrscheinliche feindbildpflege.

  1. 1 „Freiheit tut auch weh“ « Pirx Pingback am 11. Juli 2009 um 5:34 Uhr
  2. 2 please, build a wall around them! « trial on error – widerspruch zwecklos. Pingback am 11. Juli 2009 um 11:17 Uhr
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