Tag-Archiv für 'ajz-bielefeld'

5 Jahre Hartz IV

Ein Staat bilanziert seine Sozialfälle – zu reich, zu faul, zu teuer

5 Jahre nach Einführung der Hartz IV-Gesetze eröffnet die politische Klasse eine neue Debatte über die Verwaltung der Arbeitslosigkeit. Hartz IV leistet nicht was es solle, so lautet das einhellige Urteil der Öffentlichkeit, nämlich die Arbeitslosen wieder in Lohn und Brot zu bringen. Für die Westerwelles dieser Republik gilt Hartz IV als eine Einladung zum Nichtstun an Jene, für die Unternehmen keine lohnende Verwendung haben. Aus dem Vorhandensein von Arbeitslosigkeit schließen diese Verelendungstheoretiker scharf, dass es den Millionen Betroffenen noch nicht dreckig genug ginge: Die Zahlungen der Sozialkassen zur Existenzsicherung seien geradezu dekadent, wenn man bedenkt wie wenig Leistung jenen abverlangt wird, die sie erhalten. Das provoziert auf der anderen Seite jene, die in diesen Leistungen eine humanitäre und patriotische Notwendigkeit sehen und sie gegen diese Angriffe verteidigen: Dort spricht man davon, dass der Sozialstaat „Heimat“ zu sein hätte und mit Hartz IV die „freie Entfaltung der Persönlichkeit“ der Leistungsempfänger gewährleistet sein müsste. Was diese 345 Euro plus Zulagen in den Augen der Träger des sozialen Gewissens für die Einzelnen zu leisten vermögen, mutet nicht minder fantastisch an, als die Vorstellung der anderen, der Hauptzeitvertreib von Langzeitarbeitslosen bestünde im Feiern römischer Orgien.

Trotz dieser Differenzen besteht zwischen den Lagern allerdings Einigkeit, dass „jemand der arbeitet mehr haben muss, als jemand der nicht arbeitet“ und das sich seine „Leistung wieder lohnen muss“. Das so formulierte „Abstandsgebot“ halten die Teilnehmer dieser Debatte keineswegs für gesichert. Und da haben sie ganz recht: Viele Niedriglöhner bekommen nicht oder kaum mehr als Hartz IV-Empfänger und mehr als eine Millionen Leistungsempfänger verdingen sich als Minijobber und oder sind „Aufstocker“, ohne das ihnen etwas davon bleibt und ohne Aussicht auf einen „regulären Arbeitsplatz“. Ob die Angehörigen der lohnabhängigen Klasse arbeiten und zu welchen Konditionen, hängt nicht von ihnen ab, sondern von der Rechnung der Unternehmer. Und ist das Resultat dieser Rechnung, dass es für sie keine rentable Verwendung gibt, entscheidet der Staat was ihnen noch zusteht. Für die, die diese ungemütlichen Zustände eingerichtet haben, sind sie ein Erfolg: „Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, den es in Europa gibt.“ (Altkanzler Schröder)

Trotzdem sind die heutigen Verwalter von Standort und Sozialstaat unzufrieden. Die einen wollen mehr von Arbeitslosen „fordern“ und sie in die Arbeitspflicht nehmen. Wer Leistungen vom Staat erhält, soll auch etwas dafür tun, egal was. Und wem es an Leistungswillen mangelt, dem soll dieser durch schärfere Sanktionen beigebracht werden. Die anderen wollen zusätzlich mehr „fördern“, in dem den Hartz IV- Empfängern, die zusätzlich noch arbeiten, mehr von ihrem Zuverdienst gewährt wird. So soll sich dann „Leistung wieder lohnen“ und die staatlich verwaltete Not der Arbeitslosen schafft sowohl den Zwang für alle Lohnabhängigen, auch solche Beschäftigungsverhältnisse einzugehen, in denen man nach dem Lohn für die erbrachte Leistung nicht mehr fragen soll.

Die Politik will also das Heer der Niedriglöhner mit weiteren Noch-Arbeitslosen verstärken, in dem sie ihre zu erwartenden Niedrigst-Löhne mit Hartz IV auf ein von ihr festgelegtes Existenzminimum aufstockt („Kombilohn“) und so ihre Sozialausgaben senkt. Andersherum will sie jene, die noch Arbeiten, aber von ihrem Lohn kaum noch leben können, mit den selben Maßnahmen weiter beschäftigt halten, in dem sie ihre Arbeitskraft weiter verbilligt. So macht sie den Unternehmern, die deren Arbeitskraft anwenden sollen, ein neues Angebot: Massenhaft Beschäftigungssuchende zur rentablen Benutzung ohne Rücksicht auf ihren Einkommensbedarf. Das alles unter dem Leitspruch „Sozial ist, was Arbeit schafft!“, und im Namen der sozialen Opfer und hochanständigen Billigarbeiter, auf deren Leistungsbereitschaft man sich beruft.

Anlässlich dieser Debatte haben wir da aber schon noch ein paar Fragen:

    * Warum und wie macht der Staat die Arbeitslosigkeit seiner Bevölkerung zu seinem Problem?
    * Was wollte die Politik mit Hartz IV erreichen und was ist gemeint, wenn es heute heißt, Hartz IV sei „gescheitert“?
    * Nach welchen Kriterien bemisst sich in dieser Gesellschaft ein „Existenzminimum“?
    * Was kann man aus der Debatte darüber erfahren, wie die Politik die ihr „anvertraute“ Arbeiterklasse dieses Landes bewertet und was sie für ihre Zukunft plant?

Diskussionsveranstaltung der AG Analyse und Kritik

Dienstag, 13. April 2010, 19.00 Uhr
AJZ, Heeper Str. 132, Bielefeld (Karte)

AG AK AJZ Bielefeld Hartz IV

3 Termine in Bielefeld

1. Demokratische Meinungsbildung – wie geht das?

Eine Woche Bild und Spiegel: Der schwarz-rot-goldene Durchblick und sein täglich Brot aus Dumm­heit, Moral und Hetze

Referent: Manfred Freiling, Redaktion GegenStandpunkt

Donnerstag, 3.12.2009, 19:00 Uhr
Bürgerwache am Siegfriedplatz, Rolandstr. 16, Bielefeld (Stadtplan)

2. Die Sache mit der Religion

Von Jesus und anderen Weihnachtsmännern

Referent: Freerk Huisken, Universität Bremen

Montag, 7.12.2009, 19.00 Uhr
AJZ (Kino), Heeper Str. 132, Bielefeld (Stadtplan)

3. Der Bologna-Prozess

Hochschulen werden zu Standortressourcen umgebaut und ein Studentenprotest will dies noch effektivieren

Referent: Freerk Huisken, Universität Bremen

Dienstag, 8.12.2009, 18:00 Uhr
Universität Bielefeld (Hörsaal wird noch bekannt gegeben)

AG AK AJZ Bielefeld Bielefeld Bildung Demokratie Medien Meinungsfreiheit Studentenprotest Religion Universität Bielefeld

Demokratie: Wertesystem, Volksherrschaft oder Herrschaftsform der kapitalistischen Klassengesellschaft?

Veranstaltungshinweis

Zur Wahl 2009:

So ziemlich jede Auseinandersetzung über diese Gesellschaft, ihre Ökonomie, ihre Sozial- und Wirtschaftspolitik, Innen- und Außenpolitik wird auf die eine Gretchenfrage zugespitzt: Wie hältst du es denn mit der Demokratie?
Es gibt, das wird auch von den Verteidigern des Systems zugestanden, zwar hierzulande viel zu meckern und zu beschweren; aber der Verweis auf die Demokratie, der gilt als eine sichere Rückzugsbastion, vor der alle Beschwerden klein werden. Gegen Demokratie gibt es einfach nichts zu sagen. Da muss auch der kritischste Kritiker kapitulieren. Allenfalls will er ihr vorwerfen, dass sie noch nicht die wahre Demokratie ist, das Volk noch nicht genug einbezogen hat. Aber auch diese Einschränkung des Lobs für reale demokratische Staatswesen bestätigt nur, dass selbst den kritischsten Menschen Demokratie als ein Wert gilt, den man nicht begründen muss, sondern den man als Maß aller politischen Herrschaft handhabt, der einen als unbedingtes Gütesiegel zuspricht, der anderen in einem vernichtenden Urteil abspricht. Wo ein Herrscher, ein System oder eine Politik für undemokratisch erklärt werden, da ist das Urteil über sie gefällt: Diese Politik und ihre Herrschaft haben kein Existenzrecht, oder volksverbundener, sind ein einziger Anschlag aufs Volk. Dabei erfährt man über die so abqualifizierte Politik eigentlich nichts. Dass sie nicht Maß an der demokratischen Form von Herrschaft nimmt, ist ja gar keine Auskunft darüber, was das verworfene System denn stattdessen treibt, folglich schon gar kein Urteil über seine Ziele und Verfahren und deren Ab- oder Zuträglichkeit für die Regierten.
Und was macht nun die Demokratie so unwidersprechlich?
Das angeblich schlagende Argument, das für die Demokratie aufgefahren wird, lautet: „Welches System erlaubt seinen Bürgern schon so viele Freiheiten!“ und: „Wo darf man denn sonst schon seine Kritik so frei sagen?“ Und das Argument hat so seine Tücken.
Erstens, das stimmt, der demokratische Staat gewährt seinen Bürgern Freiheit, in vielen Feldern: Man darf z.B. seine Meinung bilden, heiraten, wen man will, Freizügigkeit auf dem hiesigen Territorium ist tatsächlich auch gestattet… Aber wenn jemand so was will und macht, dann tut er das eben – wozu braucht er die Erlaubnis, warum spricht das für die demokratische Herrschaft, wenn sie das erlaubt? Es bringt das Meinen, Heiraten, Reisen gar nicht voran, wenn man das auch darf – wozu ist denn dann die Lizenz gut?
Warum soll man – zweitens – einem System seinen Segen erteilen, das dem Kritisieren seiner Bürger eine Dauerlizenz einrichtet, das also wohl dauerhaft Gründe für Beschwerden und Klagen liefert und davon weiß? Nur, weil es erlaubt ist, die Klagen zu äußern?
Man darf sich – drittens – auch frei um seinen Lebensunterhalt kümmern und einen Beruf ergreifen – wobei sich diese Freiheit, die man schätzen soll, gar nicht recht davon unterscheiden lässt, dass einem kaum was anderes übrig bleibt. Eins schließt diese famose Freiheit jedenfalls nicht ein: Die hiesige Form der Reichtumsproduktion und die politische Ordnung, in der man sein Auskommen suchen darf, stehen fest und nichts davon zur freien Disposition der Bürger.
Umgekehrt verhält es sich: Besitzstand der Bürger zu seiner Disposition sind die Freiheiten – viertens – gerade nicht. Es war ein ehemaliger Bundespräsident, der die Bürger mahnte, dass derjenige das Recht zur freien Meinung verwirkt hat, der es kritisiert! Wenn es der Erlaubnis durch die staatliche Gewalt bedarf, wenn man tun will, was man mag, dann steht zugleich fest, dass diese Freiheiten auch nur im Rahmen der hiesigen Rechtsordnung und ihrer Entscheidungshoheit gelten und jede Erlaubnis mit einer staatlich verfügten Beschränkung einhergeht.
Das führt auf die Frage zurück, wozu die Freiheiten eigentlich gut sind.

Vortrags- und Diskussionstermin der AG Analyse und Kritik

Referent: Freerk Huisken, Universität Bremen
Freitag, 25.9.2009, 19.00 Uhr
AJZ (Kino), Heeper Str. 132, Bielefeld (Stadtplan)

AG AK AJZ Bielefeld Demokratie