Islamwissenschaftler
Hamed Abdel-Samad porträtiert den Propheten
Mohammed in seinem
Buch einen widersprüchlichen Prediger und fordert Muslime auf, die
Lichtgestalt des
Islam endlich als
Mensch im historischen Kontext zu betrachten.
Sie haben sich Mohammed auf ihre Fahne geschrieben: In seinem Namen ziehen IS-Terroristen in den Dschihad. Genauso verehren Millionen friedliebender Muslime den Propheten und sagen, dass die Islamisten ihn falsch interpretieren. Während die Terroristen glauben, Mohammed rächen zu müssen, laden die Friedliebenden zum Tag der offenen Moschee, um uns zu zeigen: Der Koran ist anders. Ein Islamwissenschaftler widerspricht.
"Diese Behauptung, der IS habe mit dem Islam und Mohammed nichts zu tun, ist nicht nur irreführend, sondern auch gefährlich", sagt Hamed Abdel-Samad. "Denn nichts macht der IS, was Mohammed nicht gemacht hätte – ob Versklavung, Enthauptung von Kriegsgefangenen, Eroberungskriege. Mohammed wurde von Muslimen nie in Frage gestellt, er wird mystifiziert und überhöht. Und ich glaube, es ist
Zeit für eine Abrechnung."
Seine provokativen Thesen haben ihn in der islamischen
Welt bekannt und umstritten gemacht. Deshalb geht Hamed Abdel-Samad lieber inkognito auf die Straße, steht gar unter Polizeischutz. Nun wagt sich der Deutsch-Ägypter an eine Abrechnung mit der Figur, die allen Muslimen heilig ist. Er will eine Diskussion anstoßen über Mohammeds Unantastbarkeit.
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Ich will mehr Unruhe stiften. Es ist Zeit, dass Mohammed als Mensch beleuchtet wird. Mohammed ist vor 1.400 Jahren gestorben, aber begraben wurde er nie richtig. Er liegt in seinem Sarg und regiert von seinem Sarg aus. Er hat Macht über unsere Welt heute, die er nicht kennt", sagt Hamed Abdel-Samad.
Mohammeds Vermächtnis, der Koran, wurde nach seinem Tod im
Jahr 632 aufgeschrieben. Dabei wurden
Suren aus verschiedenen Lebensphasen des Propheten nebeneinander angeordnet: Pazifistische, wie "Wer einem Menschen das
Leben rettet, rettet die ganze Menschheit", oder kriegerische, wie "Tötet die Ungläubigen, wo immer ihr sie findet." Hamed Abdel-Samad will in seinem Buch erklären, wie es zu den gegensätzlichen Botschaften gekommen sei:
Weil Mohammed anfangs in
Mekka mit seiner friedfertigen Lehre kein Gehör findet, geht er nach
Medina, verbündet sich mit Kriegsbanden, plündert, versklavt. Und errichtet so sein islamisches
Imperium.
"Als die Koranpassagen noch friedlich und poetisch waren, war kein
Erfolg da. Der Erfolg kam erst mit dem Schwert. Das ist eine Tatsache, die mit der Geschichte des Islams verbunden ist. Erst unter dem Schatten des Schwertes kam es zum Durchbruch. Dadurch hat Mohammed diese Anerkennung bekommen", sagt Hamed Abdel-Samad.
Abdel-Samad versucht zu ergründen, warum der Mensch Mohammed zum Radikalen wurde, legt ihn dafür regelrecht auf die
Couch. Weil er schon als Kind Zurückweisung erfuhr, habe er seine psychischen Störungen kompensieren müssen, seinen späteren Geltungsanspruch mit immer größerer Brutalität durchgesetzt.
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Mein Ansatz ist es nicht, friedliche und gewalttätige Passagen gegeneinander auszuspielen, sondern beide im historischen Kontext zu sehen und zu sagen: Beide, friedliche und gewalttätige Passagen, gehören der Geschichte an, genau wie die historische Figur Mohammed. Sie ist ein historisches Auslaufmodell" , sagt Hamed Abdel-Samad.
Abdel-Samad will Mohamed den Heiligenschein wegnehmen, will den Islam säkularisieren. Einst war er, der
Sohn eines Imams, selbst streng gläubig, gehörte als
Student gar den Muslimbrüdern an. Doch als er vor zwei Jahren in einem Vortrag von einem islamischen Faschismus spricht, verhängt ein ägyptischer Prediger eine
Fatwa, einen religiösen Mordaufruf, gegen ihn: "Das ist ein Leben, das kein Mensch führen will. Es ist sehr stark eingeschränkt und die Gefahr ist natürlich immer da. Ich will erreichen, dass Islamkritik und Mohammed-Kritik eine Normalität ist, dass ein Autor um sein Leben fürchten muss."
Seine Furchtlosigkeit macht das Buch so stark. Aber geht er mit seiner Abrechnung nicht trotzdem zu weit? Ist es nicht unklug, auch die friedliebenden Muslime vor den Kopf zu stoßen, die der
Westen als Verbündete braucht?
Nein, sagt er - und das ist die eigentliche Provokation:
Auch sie, die Friedliebenden, sollen Mohammeds Botschaft historisch begreifen, sollen aufhören, den Koran als universalgültige Handlungsanweisung für heute zu verstehen.
"Das hilft niemandem", sagt Hamed Abdel-Samad. "Das ist auch gefährlich, dass man Muslime nicht mit der Wahrheit konfrontieren will und ihnen nicht zutraut, dass sie sich mit den selbstgemachten Problemen auseinandersetzen. Wer den Koran für den
Frieden einsetzt, darf sich nicht beschweren, wenn auch die Terroristen ihn für den
Krieg einsetzen."
- published: 21 Sep 2015
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