Antiziganismus (Zigeunerfeindlichkeit) in Deutschland
Antiziganismus (frz. tsigane „
Zigeuner" und -ismus) ist ein in Analogie zu „Antisemitismus" gebildeter Fachbegriff für „Zigeunerfeindlichkeit". Er bezeichnet die von Stereotypen, Abneigung und/oder Feindschaft geprägten Einstellungskomplexe gegen als „fremd" und als „Zigeuner" wahrgenommene Menschen und Gruppen sowie die durch solche Einstellungen bedingten oder mitbedingten Formen gesellschaftlicher und staatlicher Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung bis hin zu
Vertreibung, Pogromen, Internierung, Zwangssterilisierung und staatlich organisiertem Völkermord (Porajmos).
Antiziganismus richtete und richtet sich in erster
Linie gegen die in einem rassistischen und herabwürdigenden
Sinn mit unterschiedlichen mehrheitsgesellschaftlichen Etiketten („Zigeuner", „heidens" usw.) belegten, ursprünglich aus
Indien stammenden und seit dem Spätmittelalter nach
Europa zugewanderten
Roma.
Antiziganismus konnte und kann daneben auch die Angehörigen eines umfangreichen Spektrums sozial Deklassierter und Marginalisierter betreffen, weil ihre sozioökonomische
Situation - historisch als „
Fahrende", heute vor allem als randständige Bewohner von Peripheriesiedlungen - der der „Zigeuner" ähnelt und die mit diesem Begriff einhergehenden
Stereotype auf sie anwendbar zu sein scheinen. Hierzu gehören die im mittel- und oberdeutschem Sprachgebiet mit ihrer Eigenbezeichnung als Jenische bekannten Gruppen, irische
Pavee oder niederländische woonwagenbewoners. Wiewohl sie nach Sprache, Selbstbild und Kultur sowie nach ihrer Herkunft aus der europäischen Mehrheitsbevölkerung von Sinti und Roma zu unterscheiden sind und ausweislich der verschiedenen regionalen mehrheitsgesellschaftlichen Bezeichnungen stets auch unterschieden wurden und werden, boten und bieten sich auch bei ihnen Ansätze für antiziganistische Ressentiments.
Die Geschichte der Verfolgung von Menschen als ‚Zigeuner' lässt sich bis in das 15. Jahrhundert zurückverfolgen. So beschloss der Freiburger
Reichstag des Heiligen Römischen
Reichs 1498 beispielsweise, alle ‚Zigeuner' für vogelfrei zu erklären. Seit dieser
Zeit kam es immer wieder zu massiven Verfolgungen und Ausgrenzungen gegenüber als ‚Zigeuner' stigmatisierten Gruppen. Seit der Zeit der europäischen Aufklärung wurden die antiziganistischen Vorstellungen immer stärker verwissenschaftlicht und rassifiziert.
Dies kann auch als „moderner Antiziganismus" bezeichnet werden. Der ‚Zigeuner' wurde dabei zu einem archaischen Gegenbild des ‚Bürgers' -- und in einer völkischen Variante des ‚Bauers' -- stilisiert. Dieses bildete auch eine Grundlage für den nationalsozialistischen Genozid, bei dem nach Schätzungen ca
. 500.
000 Roma, Sinti und andere als ‚Zigeuner' Verfolgte in ganz Europas systematisch ermordet wurden. Die Anerkennung dieses Genozids in der
Bundesrepublik Deutschland zog sich bis
1982 hin.
Auch heute ist „Antiziganismus" in Europa weit verbreitet. Die verschiedenen Klischees des ‚Zigeuner'-Konstrukts -- das angebliche Betteln und Stehlen, Wahrsagen und Musizieren, das heimatlos Umherziehen, schmutzig, unzivilisiert und integrationsunwillig Sein -- finden sich alltäglich in Medien, Politik, Kultur und am Stammtisch wieder. Auch die Situation der Gruppen, die häufig von Antiziganismus betroffen sind, hat sich nicht verbessert:
Noch immer müssen viele Roma in vielen europäischen Ländern Ost- und Westeuropas in Slums, Notunterkünften oder eigenen Stadtvierteln leben, werden von Schulbildung, Gesundheitsversorgung, Arbeits- und Wohnungsmarkt ausgeschlossen und sehen sich antiziganistischen Übergriffen und Diskriminierungen ausgesetzt.
Antiziganismus findet sich dabei nicht nur bei neonazistischen Gruppierungen, sondern ist in sehr weiten Teilen der europäischen Gesellschaften fest verankert. Häufig findet sich auch eine positive Umdrehung der gleichen Stereotype: Anstatt den vermeintlichen ‚Zigeunern' vorzuwerfen, dass sie vaterlandslos seien, wird ihre Freiheitsliebe bewundert, anstatt sie der
Arbeitsscheu zu bezichtigen, wird ihre
Art lustig in den Tag hinein zu leben gepriesen. Solche positiven Umwertungen der gleichen Stereotype werden Philoziganismus genannt.
Bilder und Sinnstruktur des Antiziganismus:
http://www.bpb.de/apuz/33277/bilder-und-sinnstruktur-des-antiziganismus?p=all