Nach langer Zeit: Münchner Erinnerungsräume, überwuchert I

Es lohnt sich einen lokalen Anfang zu suchen. Das scheint auch ein Kernanliegen des erst küzlich eröffneten NS-Dokumentationszentrums am Münchner Königsplatz zu sein, dessen Gesamtkonzeption der Dauerausstellung in seinen Bildunterschriften, Filmausschnitten, Fotographien und Narrativen immer wieder Rückbezug auf München und dessen vielfältigen Anknüpfungspunkte zum Nationalsozialismus, gerade der 1920er und frühen 1930er Jahre, nimmt (siehe homepage und Artikelschwerpunkt).

Dass Orte für Erinnerungskulturen wichtig sind, scheint im geschichtshistorischen Diskurs fest verankert zu sein, selbst wenn digitale Medien und weltweite Vernetzung sogenannte “Erinnerungsorte” auf unterschiedlichen Ebenen einbeziehen mögen. Wird sich der Münchner Königsplatz in Zukunft verändern, auch wenn die nationasozialistische Inanspruchnahme wohl seit 1945 durchgängig im Gedächtnis der StadtbürgerInnen geblieben ist? Wird es einen Unterschied in der Raumnutzung und in der “Atmosphäre” dieses Raumes – was auch immer man darunter verstehen möge – machen, wenn Schulkinder, Touristen und MünchnerInnen diesen Ort der Erinnerung besuchen werden?

Es stellen sich zweifelsohne viele Gedanken ein und es lassen sich einige Beobachtungen machen: etwa in Fragen der Stadtgestaltung, der Rolle von  Erinnerungskulturen nach 1945 und des gesamtgesellschaftlichen Zusammenlebens in unserer Gegenwart – nicht nur in München, sondern darüber hinaus. Man denke schließlich an die tagespolitischen und äußerst kontrovers geführten Debatten in Sachen Europa und im Umgang mit flüchtenden Menschen.

Doch was vorerst im meinem Fokus liegt, ist der auffallende Konflikt zwischen dem weißen Gebäude des erst kürzlich eröffneten Dokumentationszentrums und des mit Gestrüpp überwucherten Sockels eines ehemaligen, schließlich von der US-Armee gesprengten, NS-Heldentempels, in unmittelbarer Umgebung. Ich gehe davon aus, dass ein solcher Kontrast bewusst herbeigeführt wurde – und sich dieser nicht im rein Baulichen aufbewahren lässt. Denn was bedeuten diese nackten Steine, von Pflanzen übersäht, für den Beobachter? Wird ein Symbol bemüht? Handelt es sich um eine kunsthistorische Präzedenz der Landschaftsmalerei – um eine versunkene, antike Trümmerstadt im nicht mehr so überzeugenden “Idyll” einer Großstadt? Welche Metaphern könnten dem oder der BeobachterIn einfallen: ist es ein”überwuchertes” Stück Vergangenheit, dessen Beständigkeit trotz aller neueren Nutzungen des Königsplatzes (z.B. Kino Open-Air, Musikaufführungen) sich auf merkwürdige Weise über die Jahrzehnte hinweg bewahrt hat? Mit einem Satz: das Gestrüpp lässt nicht von mir, wenn ich meinen Eindruck dieses Raumes beschreiben müsste.

Ist da möglicherweise noch mehr verborgen, mit dem ich mich noch nicht beschäftigt habe? Materialität und Geschichte gehen wohl ein kompliziertes Verhältnis ein und bedürfen doch einander – mindestens an diesem Ort im Herzen Münchens, der von historischem An- und Abwesenden gekennzeichnet ist. Lohnt es sich deshalb im geschichtshistorischen Diskurs danach zu forschen, was über Landschaften, Erinnerungsräume und Gedächtniskulturen geschrieben worden ist – Räume, in denen Menschen Grausames widerfahren ist ? Falls ja, so würde sich ein zweiter unmittelbarer Gedanke auftun: Welchen Raum erfahre ich in Dachau und welche Beziehungen stellen sich ein? Ich habe mich schon lange Zeit nicht mehr an diesem Ort aufgehalten, genau genommen seit einem flüchtigen Schulbesuch im Gymnasium. Wiederholung: ich möchte erneut nach Dachau fahren.


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