Wahrnehmung von Kriegspropaganda in Zeitungen

Julia Traxl

 

Zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung war im Ersten Weltkrieg die Tagespresse der wichtigste Träger der Kriegspropaganda. Dabei sollte die innere Stimmung sowohl politisch als auch kulturell gelenkt werden. Inwieweit dies gelang oder misslang, ist in der Forschung umstritten. So argumentiert beispielsweise der Historiker Jörn Leonhard in seiner großen Studie zum Ersten Weltkrieg, die erhoffte Wirkung der Propaganda sei im Verlauf des Krieges, da die zunehmenden Manipulationen in der Berichterstattung immer deutlicher zutage traten, in ihr Gegenteil umgeschlagen. Sie habe letztlich zu einem Glaubensverlust gegenüber dem eigenen Staat geführt.[1] Dieser konstatierte Verlust an der Glaubwürdigkeit der Zeitungen zeigt sich auch bei August Jasper. Da er das Wirken der Propaganda in der Tagespresse über die vier Kriegsjahre hinweg immer wieder benennt, lässt sich anhand seiner Kommentare eine Politisierung nachzeichnen. Gegen Ende des Krieges stand er dem Staat schließlich kritisch gegenüber.

In seinen Briefen an seine Frau Bernhadine befasst sich August Jasper wiederholt mit dem Thema Zeitung. Neben der einfachen Erwähnung von insgesamt 21 Zeitungen, die ihm seine Frau zugesandt hat – acht zwischen Ende Oktober und Weihnachten 1914, wiederum acht zwischen Anfang Februar und Mitte Juli 1915 sowie weitere fünf am 19. April 1917 –, schreibt er insgesamt vier Mal, er selbst werde Zeitungen in die Heimat senden.[2] Über diese konnte er seiner Frau seine Lage veranschaulichen, ohne selbst zu schreiben.

Bernhadine Jasper mit Buch.
August Jasper versorgte seine Frau Bernhadine über Zeitungen mit Informationen – hier sitzend mit Buch.

Wenigstens 27-mal macht August Jasper die Inhalte der Zeitungen zum Thema.[3] Dabei befasst er sich fünfmal mit Aussagen zu Kriegsereignissen sowie viermal mit Geschehnissen in der Heimat. Weitere viermal setzt er sich mit falschen Berichten in der Zeitung auseinander, die er als Kriegspropaganda entlarvt, und in vier Briefen mit der Innenpolitik. Wenigstens zweimal deutet er an, Bernhadine wisse wohl aus der Zeitung über die Geschehnisse bei ihm an der Front Bescheid.[4] Jasper nimmt damit auf verschiedenen Ebenen direkt Bezug zur Kriegsberichterstattung. Er nutzt sie, um seine Situation zu schildern, Positionen zu belegen, seine Frau auf für ihn wichtige Ereignisse aufmerksam zu machen und um angelesenes Wissen mit dem seiner Frau abzugleichen.

Erstmals spricht er eine fehlerhafte Berichterstattung der deutschen Presse am 19. Mai 1915 an.[5] Diese bezieht sich auf eine Vertuschung deutscher Verluste, würden doch ausschließlich die Zahlen französischer und englischer Gefallener angeführt. August Jasper beklagt dies seiner Frau Bernadine gegenüber. Es ist das erste Mal, dass Jasper die Unterdrückung von Nachrichten durch die Regierung eindeutig kritisiert – ein Indiz für seine beginnende Politisierung.

August Jasper an seine Frau Bernhadine, erste und letzte Seite des Briefes vom 15. Mai 1915.
August Jasper an seine Frau Bernhadine, erste und letzte Seite des Briefes vom 15. Mai 1915.
Am 9. Dezember 1915, mehr als ein halbes Jahr später, thematisiert er ein weiteres Mal eine fehlerhafte Berichterstattung, diesmal in Bezug auf die Verhältnisse in Berlin – konkret die stark erhöhten Lebensmittelpreise.[6] Er kritisiert erneut, die Zeitungen würden nicht wirklich über die Situation berichten und folglich die Leser nur unzureichend bis gar nicht informieren. Sogar an der Front könne er mehr erfahren als die Deutschen in der Heimat. Japsers Kritik tritt an dieser Stelle stärker zutage als zuvor, seine Politisierung ist weiter vorangeschritten. Er bemängelt die Glaubwürdigkeit der Zeitungen, in denen sich die Kluft zwischen tatsächlichen täglichen Erfahrungen und dem offiziellem Bild über diese immer weiter auftut. Jasper erkennt dies nicht allein für außenpolitische Belange, sondern auch für innenpolitische Entwicklungen.[7]

Erneut weist August Jasper seine Frau Bernhadine am 23. März 1917 auf fehlerhafte Äußerungen in der Zeitung hin.[8] Dieses Mal bezeichnet er die Aussagen der Politiker als haltlose Prophezeiungen und fordert seine Frau auf, ihnen keinen Glauben zu schenken. Jedoch mildert er zugleich die Heftigkeit seiner Aussage, da er einräumt, die Berichte könnten eventuell richtig sein. Jaspers Politisierung ist ausgeprägter als zuvor, kritisiert er doch nun die Politiker direkt. Sein Misstrauen wächst stetig; die Zeitungen verlieren an Überzeugungskraft. Er erkennt, dass die durch die Politiker geweckten Erwartungen in der Regel nicht erfüllt werden.

Erste Seite des Zeitungsartikels "Sturmszenen in einer Versammlung der Vaterlandspartei" vom 9. Januar 1918, den August Jasper dem Brief vom 19. Januar beilegte.
Erste Seite des Zeitungsartikels “Sturmszenen in einer Versammlung der Vaterlandspartei” vom 9. Januar 1918, den August Jasper dem Brief vom 19. Januar beilegte.

Besonders sticht in seinen Briefen ein einzelner Artikel hervor, den August Jasper seiner Frau am 19. Januar 1918 zuschickt.[9] Es ist dies der einzige Zeitungsausschnitt, den er gesondert mitsendet. Im Artikel wird von Ausschreitungen gegen Kriegsbeschädigte auf einer Versammlung der Vaterlandspartei berichtet. Einmal mehr wird deutlich, dass sich Jasper kritisch mit den innerdeutschen Entwicklungen auseinandersetzt und Missfallen am Staat, hier in Form der Partei, äußert.

Zweite Seite des Artikels, dazu Jasper im Brief an Bernhadine: "[D]a kannst Du mal sehen, wie es in Deutschland mit die arme Krüppels gemacht wird."
Zweite Seite des Artikels, dazu Jasper im Brief an Bernhadine: “[D]a kannst Du mal sehen, wie es in Deutschland mit die arme Krüppels gemacht wird.”
Ein letztes Mal thematisiert August Jasper die Kriegspropaganda am 26. Juli 1918 – nun anhand eines deutschen Kommentars zu einem französischen Bericht.[10] Er äußert sich zu diesem mit den Worten „Na, wär das glaubt wird selig!“[11] Den französischen Bericht hingegen schätzt er als überwiegend korrekt ein. Er zweifelt die deutsche Berichterstattung demnach rundheraus an. Zudem nutzt er offensichtlich französische Medien zur Informationsbeschaffung.

Insgesamt kommentiert August Jasper zwar nur selten die Berichterstattung in seinen Briefen, doch kann anhand der aufgeführten Stellen konstatiert werden, dass er über die Kriegsjahre hinweg die deutsche Kriegspropaganda und Informationspolitik zunehmend kritischer betrachtet, sie als negativ empfindet. Er beanstandet, die Zeitungen würden Ereignisse falsch darstellen und so die Bevölkerung stark manipulieren. Am 16. Juli 1918 bezeichnet er schließlich den Krieg insgesamt als einen „elende[n] Schwindel“ und wünscht sich, die in den Zeitungen verkündeten Lügen – hier durch die Lengericher Zeitung – mögen bald ein Ende haben.[12] Schon früh, im Mai 1915, geht er davon aus, dass über vieles nicht berichtet werde.[13] So schreibt er Bernhadine, erst nach Kriegsende würden viele Wahrheiten zu Tage kommen. Einmal mehr ist zu erkennen, dass er der Berichterstattung nicht mehr vertraut. August Jasper steht den Meldungen in den Zeitungen kritisch gegenüber und hinterfragt die offiziellen Meldungen. Er glaubt nicht alles, worüber berichtet wird und weißt seine Frau auf zweifelhafte Aussagen hin. Wenngleich er auch nie unmittelbar von Manipulationsversuchen in der Kriegsberichterstattung schreibt, wird doch zwischen den Zeilen erkennbar, dass er von eben solchen ausgeht. Dies wird beispielsweise deutlich, als er seiner Frau erklärt, wie sehr sich die „dummen Bauern“ von der Vaterlandspartei würden täuschen lassen.[14]

August Jasper - hier in den 1930er Jahren - über Kriegspropaganda in der Heimat: "Die dummen Bauern lasen Sich von denen ja alles vorschwindeln." (Feldpostbrief an Bernhadine, 16. Juli 1918).
August Jasper – hier in den 1930er Jahren – über Kriegspropaganda in der Heimat: “Die dummen Bauern lasen Sich von denen ja alles vorschwindeln.” (Feldpostbrief an Bernhadine, 16. Juli 1918).

[1] Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München 2014, S. 583–594.

[2] Dabei handelte es sich jeweils um die Liller Kriegszeitung, die er an Bernhardine am 3. Mai, 8. Juli sowie ein paar Tage darauf und am 16. Juli 1915 schickte.

[3] Vermutlich spricht er den Inhalt von Zeitungen noch öfter an, doch da er in diesen Fällen Zeitungen nicht explizit als Informationsquelle benennt, bleiben sie hier unberücksichtigt.

[4] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 3. Oktober 1915 sowie Brief vom 18. Dezember 1916.

[5] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 19. Mai 1915.

[6] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 9. Dezember 1915.

[7] Zur Politisierung Heinrich Echtermeyers siehe den Beitrag von Fabian Köster und Dennis Krause.

[8] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 23. März 1917.

[9] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 19. Januar 1918.

[10] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 26. Juli 1918.

[11] Ebd.

[12] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 16. Juli 1918. Heinrich Echtermeyer äußert sich an der Ostfront ähnlich, unter anderem nachzulesen bei Lucinda Jäger.

[13] August Jasper an Bernhadine Jasper, Brief vom 19. Mai 1915.

[14] August Jasper an Bernhadine Jaspers, Brief vom 16. Juli 1918.

Krieg gegen den unsichtbaren Feind

Feindbilder des August Jasper

Katharina Peterdamm

Im Zentrum der Kriegseuphorie standen im Ersten Weltkrieg vor allem die veröffentlichten Feindbilder, mit denen sich die Bürger in der Heimat wie auch die Soldaten an der Front konfrontiert sahen.[1] Hinter diesen Feindbildern standen jedoch keine inhaltlich klar definierten Konzepte des Feindes, sondern vielmehr versteinerte Vorurteile.[2] Die angebotenen Feindbilder wurden oftmals angenommen, ohne jemals gründlich reflektiert zu werden, aber auch ohne wirkliche Hassgefühle gegenüber dem Feind zu entwickeln.[3]

Auch der Soldat August Jasper bediente sich in seinen Briefen an seine Frau Bernhardine Jasper solcher nationalistisch aufgeladener Charakterisierungen, blieb bei der jeweiligen Benennung aber überwiegend bei der einzelnen Nationalität. So waren für ihn „die Belgier feige“,[4] „die Franzosen“ wiederum „kriegen was aufs Fell“[5] und der „Engländer was auf die Decke“.[6] In seinen Briefen finden nicht nur die Feinde von der Westfront, an der er im Einsatz war, Erwähnung, sondern auch Russen, Italiener, Amerikaner sowie Bulgaren und Rumänen. Sie tauchen immer dann auf, wenn sich August Jasper mit seiner Frau über größere Kriegsziele Deutschlands oder Kriegshandlungen an anderen Fronten austauscht.

17. Februar 1915 (a)

17. Februar 1915 (b)
August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 17. Februar 1915 (b)

Am meisten widmet sich Jasper aber Franzosen und Engländern, denn mit ihnen kommt er in Alltagssituationen und im Kriegsgeschehen fast täglich in Berührung. Er hört den Feind durch „Kanonendonner“,[7] sieht dessen ,Grausamkeit‘ an den toten und verwundeten Kameraden, die ins Lager zurückkehren oder in den zerstörten Dörfern in seiner Umgebung.[8] Durch feindliche Flieger und deren Bomben gerät er selbst des Öfteren in lebensbedrohliche Situationen.[9]

Engl Blindgänger
Zwei deutsche Soldaten possieren neben einem englischen Blindgänger. Auf die Bombe wurde mit weißer Farbe unter Rückgriff auf eine gängige personifizierte Karikatur des englischen Feindes geschrieben: “John Bull lässt grühsen.” Postkarte August Jaspers vom September 1915.

Besonders geprägt wird August Jasper in der Zeit vom 15. Januar bis zum 9. Februar 1915, als er bei Halpegarbe selbst in den Schützengraben muss und dort mit dem „Blutbad“[10] konfrontiert wird. ‚Der Engländer‘ wird sogleich zum „schlimmsten Gegner“,[11] den Jasper im weiteren Verlauf sogar als „Schwein“ betitelt.[12] Abgesehen von dieser Begegnung im Schützengraben, begegnet August Jasper, so vermitteln es zumindest seine Feldpostsendungen, dem Feind durch seine Stellung als Bote nur in Form von in Gefangenschaft geratenen Soldaten und einem abgeschossenen Piloten.[13] Ansonsten bleibt der Feind ein nicht sichtbarer Gegner, lediglich bekannt aus Erzählungen von Kameraden, Ausschnitten aus der Feldzeitung, den Briefen aus der Heimat und den eigenen Beobachtungen.

Dieses nicht wirklich greifbare Bild wird mit zunehmender Kriegsdauer immer weiter abgeschwächt. Jaspers Charakterisierungen des Feindes finden sich immer seltener in seinen Briefen. Zudem wandelt sich seine Ansicht zur Gefangenschaft grundlegend.[14] Der Feind wird nur noch bei Äußerungen über Offensiven und Gebietsverluste oder indirekt bei der Unterscheidung in ruhige und unruhige Tage erwähnt. Durch den wegfallenden Hass ergibt auch der Krieg für August Jasper keinen Sinn mehr. Er wünscht sich nichts sehnlicher als den Frieden.[15]

Anmerkungen und Verweise

[1]   Nikolaus Buschmann, „Der verschwiegene Krieg: Kommunikation zwischen Front und Heimatfront“, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Dieter Langewiesche/Hans-Peter Ullmann (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Essen 1997, S. 208–224, hier S. 221.

[2]   Aribert Reimann, „Die heile Welt im Stahlgewitter: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg“, in: Hirschfeld/Krumeich/Langewiesche/Ullmann, Kriegserfahrungen, S. 129–145, hier S. 140.

[3]   Gerd-Walter Fritsche, „Bedingungen des individuellen Kriegserlebnisses“, in: Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Krieges als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung. Stuttgart 1989, S. 114–151, hier S. 149.

[4]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 16. August 1914.

[5]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 29. Dezember 1914.

[6]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 17. Februar 1915.

[7]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 22. Oktober 1914. Siehe dazu den Kommentar von Oleg Alex Bachmann.

[8]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 31. Juli 1915.

[9]   August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 30. Mai 1915, 9. November 1915 und 4. Mai 1917.

[10] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 24. Januar 1915.

[11] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 28. Januar 1915.

[12] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 4. Februar 1915 und 6. Juni 1915.

[13] Siehe dazu den Kommentar von Lisa Ovelhey.

[14] Siehe dazu den Kommentar von Philipp Schwarte.

[15] August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 5. Februar 1918.

Beten im Schützengraben.

Heinrich Echtermeyers Verständnis von der Kraft des Fürbittens

Jörg Schlarb

Während des Ersten Weltkrieges war der Glaube ein wichtiger Bestandteil des Vorstellungs- und Deutungshorizontes der Beteiligten. Denn wie die jüngere geschichtswissenschaftliche Forschung zuletzt herausgearbeitet hat, waren religiöse Deutungen mit Blick auf die Kriegserfahrung des ersten maschinell geführten Krieges auf kollektiver wie individueller Ebene von immenser Bedeutung. So zeigten sich beide großen christlichen Kirchen des Kaiserreiches seit 1871 – wenngleich aus unterschiedlichen Gründen[1] – mehr und mehr bereit, „den gesellschaftlichen und politischen Status quo mit Waffengewalt zu verteidigen“.[2] Je näher eine mögliche militärische Auseinandersetzung in Mitteleuropa rückte, desto stärker wurde die Verteidigung der Nation als religiöse Aufgabe verstanden.

Es verwundert daher nicht, dass auch auf individueller Ebene, die infolge einer intensiven Auseinandersetzung mit Feldpostbriefen und -karten in den Fokus der neueren Forschung gerückt ist, die erlebte Kriegswirklichkeit religiös reflektiert wurde. Viele Soldaten suchten in ihrem Glauben Sinn,[3] Rechtfertigung[4] und Schutz.[5] Doch ist zugleich eine wachsende Kritik an den Fähigkeiten und der Moral der Frontpriester aus zahlreichen Feldpostbriefen herauszulesen, die auch einen vermeintlichen religiösen wie moralischen Sittenverfall innerhalb des Offizierskorps und der kämpfenden Truppe thematisieren.[6] Vielfach entwickelte sich aus dieser Kritik eine Art Abkehr von der institutionalisierten Religion,[7] die zu einer Hinwendung zu mythischen oder kultischen Gedanken führte.[8] Die religiösen Aussagen des Frontsoldaten Heinrich Echtermeyers knüpfen an die hier aufgezeigten Ergebnisse der Feldpostforschung an, vermitteln darüber hinaus aber auch einen tiefen Einblick in das individuelle Religionsverständnis eines katholischen Landwirts des frühen 20. Jahrhunderts.

In fast 40 Prozent aller Briefe[9] Heinrich Echtermeyers an seinen Bruder Bernhard finden sich religiöse Bemerkungen. Im Zeitraum zwischen dem 1. Januar 1917 und dem 31. Juli 1917 sind es sogar mehr als 70 Prozent.[10] Am häufigsten fordert Echtermeyer seine Verwandten in der Heimat dazu auf, für ihn zu beten.[11] So schreibt Echtermeyer noch relativ zu Beginn seiner Einsatzzeit am 5. Juli 1916:

„Auf fröhliches Wiedersehen, und gedenk meiner in Gebet“.

5. Juli 19 (1)

5. Juli 19 (2)
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostkarte vom 05. Juli 1916

Obwohl diese Aufforderung immer wieder auftaucht, ist sie nicht bloß eine redundante Abschlussformel. Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich, welche Hoffnungen er durch die mitunter leicht veränderte Aufforderung zum Gebet kommuniziert.

Denn schon bald nachdem Echtermeyer an der Front angelangt ist,[12] findet sich in Zusammenhang mit jener Aufforderung immer häufiger der Wunsch nach Frieden und nach einer Rückkehr in die Heimat formuliert. Am 31. August 1916 schreibt er beispielsweise: „und doch hoffe das der Krieg doch bald ein Ende nimmt, und ich gesund wieder komme, darum wollen wir zu Gott beten.“[13] Ein knappes Jahr später, am 1. Juli 1917, klingt es ganz ähnlich, schreibt er doch:

„und ich bald herüber komme und bald der ersehnte Friede kommt; dazu flehet zu Gott“.[14]

Die Schrecken des Grabenkrieges, die Echtermeyer erst mit seiner Ankunft an der Front begreifen konnte, lassen in ihm den Wunsch erwachen, zeitnah nach Hause zurückzukehren. Dabei ist es für ihn weniger von Bedeutung, wie der Krieg endet, als dass er überhaupt endet – und das möglichst bald.[15]

Die tiefere Bedeutung und Funktion der ständig wiederkehrenden Aufforderungen an seine Familie werden an anderer Stelle deutlich. In einem der ersten Briefe, den er von der Front nach Hause schickt, schreibt Echtermeyer seinem Bruder: „den hier wird man nichts von gewahr, Sonntag oder Montag“.[16] Diese Aussage findet sich noch in zwei weiteren Briefen.[17] Die Schlüsselstelle zur Einordnung und zum Verständnis dieser Äußerung formuliert Echtermeyer in seinem Brief vom Weihnachtstag 1916. Hier berichtet Echtermeyer zunächst, dass er, seit er in Russland sei, lediglich einmal einen Geistlichen gesehen, durch diesen die Beichte abgenommen und die Kommunion erhalten habe. Er schreibt weiter:

„darum mein beten gibt nicht viel, darum hoffe ich das Ihr meiner in Gebet nicht vergeßt, das es mir doch gut gehe und doch einmahl glücklich zurück komme“.[18]

Aus seinem religiösen Verständnis heraus ist es Echtermeyer ungemein wichtig, dass seine Familie an seiner statt für ihn betet. Da er im Graben weder die Buße ablegen, noch das Sakrament der Eucharistie empfangen kann, erscheinen ihm seine Bitten an Gott als nicht ausreichend, ja sein „beten gibt nicht viel“. Er sieht daher seine Familie in der Pflicht, diese Aufgabe zu erfüllen,[19] damit er „glücklich zurück komme“.[20]

26.07.17 (1)

26.07.17 (2)
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 26. März 1917

Echtermeyers Religionsverständnis erscheint daher als stark von einem Ursachen-Wirkungsprinzip bestimmt, in dem das Beten eine vermittelnde Funktion erfüllt. Seine durch seine Bitten zum Ausdruck gebrachten Wünsche und Hoffnungen legen nahe, dass Echtermeyer die Religion als entscheidenden Schutzfaktor auf persönlicher Ebene versteht.

Heinrich Echtermeyer geht es somit weder um das große Ganze, den gottgewollten Sieg der Nation, noch geht es ihm um die Bewertung entweder der Gottgefälligkeit des Lebens seiner Kameraden oder der Arbeit der Militärgeistlichen. Sein einziges Hoffen zielt darauf ab, möglichst bald und gesund in die Heimat zurückzukehren und auf ein zeitnahes Ende des Krieges.

Anmerkungen und Verweise

[1]  Zu den unterschiedlichen Entwicklungen des katholischen wie protestantischen Glaubens siehe Gerd-Walther Fritsche, „Bedingungen des individuellen Kriegserlebnisses“, in: Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung. Stuttgart 1989, S. 114–152, hier S. 136–140.

[2]  Hier und im Folgenden ebd., S. 140.

[3]  Peter Knoch, „Feldpost – eine unentdeckte historische Quellengattung“, in: Geschichtsdidaktik. Probleme – Projekte – Perspektiven, Jg. 11 (1986), S. 154–171, hier S. 166f.

[4]  Fritsche, Bedingungen des individuellen Kriegserlebnisses, S. 140f.

[5]  Siehe dazu Bernd Ulrich/Benjamin Ziemann (Hg.), Frontalltag im Ersten Weltkrieg. Ein historisches Lesebuch. Essen 2008, S. 75.

[6]  Ebd., S. 176f.

[7]  Aribert Reimann, „Die Heile Welt im Stahlgewitter: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg“, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Dieter Langewiesche/Hans-Peter Ullmann (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges. Essen 1997, S. 129–145, hier S. 135f.

[8]  Ebd., S. 136–138 und Ulrich/Ziemann, Frontalltag im Ersten Weltkrieg, S. 176f.

[9]  Heinrich Echtermeyer äußert sich in 23 der insgesamt 58 überlieferten Briefe religiös (39,66 Prozent).

[10]  In diesem Zeitraum sind es 15 Briefe mit religiösem Inhalt von insgesamt 21 (71,43 Prozent).

[11]  Nur in fünf der insgesamt 23 Briefe mit religiösen Formulierungen findet sich diese Aufforderung nicht.

[12]  Siehe dazu den einführenden Kommentar von Max Möllering.

[13]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 31. August 1916.

[14]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 1. Juli 1917.

[15]  Siehe dazu beispielsweise den Brief vom 26. März 1917: „Haupsächlich wäre ja das bald alle wäre, und das ich glücklich zurück komme, darum f[leh]e doch zu Gott für mich“.

[16]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 29. Juli 1916.

[17]  Siehe den Feldpostbrief vom 25. November 1916: „[H]ier ist alle Tage das Nämliche wird man von Sonntag oder Werktag nichts gewahr“ sowie den Feldpostbrief vom 29. Juli 1917: „Wollen doch hoffen das bald schluß wird, den hier mit war nichts von gewahr Sonntag oder Montag.“

[18]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 25. Dezember 1916. Die vorangegangene Textstelle lautet: „in Kirche kommt man nicht mehr so lange ich in Rußland bin, ein mahl Geistlichen gesehen, da war ich noch in Graben, da bin ich auch zur Beichte und Kommunion gewesen“.

[19]  In dem Brief vom 27. März 1917 formuliert Echtermeyer: „Darum betet doch zu Gott für mich“.

[20]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 26. März 1917.

Zeitwahrnehmung

Laura Tiemann

 

„[…] man weiß meistens nicht ob es Sonntag oder Montag ist,“ schreibt August Jasper noch im ersten Kriegsjahr an seine Frau Bernhardine, „denn eine Sonntagsruhe giebt es hier im Kriege nicht, und Feldgottesdienst haben wir jetzt ja auch nicht, wo wir nicht bei der Kompanie sind.“[1] Der hier durch Jasper angesprochene Verlust des Zeitgefühls ist – wie auch andere Veränderungen seiner Zeitwahrnehmung – ein immer wiederkehrendes Motiv in seinen Briefen. Diese veränderte Zeitwahrnehmung sei, so der Ritual- und Kulturhistoriker Burckhard Dücker, ein wichtiges Charakteristikum vieler Egodokumente aus dem Ersten Weltkrieg, wofür er eine ebenso einfache wie plausible Erklärung bietet: Eine Auseinandersetzung mit der Zeit ermögliche eben auch eine Auseinandersetzung mit dem Übergang zwischen Frieden und Krieg, nach der jeder in Kriesgzeiten Lebende aus einem inneren Drang heraus strebe.[2]

August Jasper schreibt seiner Frau immer wieder, die Zeit an der Front vergehe wie im Fluge.[3] Die Vermutung liegt nahe, diese Erfahrung vor allem auf die ihn stets aufs Neue herausfordernden unbekannten Situationen im Kriegseinsatz zurückzuführen. Diese ergeben sich zum einen daraus, dass der Kriegsalltag per se schon einen Bruch mit Jaspers Lebensgewohnheiten darstellte. Zum anderen schuf der Erste Weltkrieg – der sich schon bald zu einem festgefahrenen Stellungskrieg entwickelte, der nicht binnen kurzer Zeit zu gewinnen und durch Materialschlachten sowie eine Maschinisierung des Krieges gekennzeichnet war – bisher gänzlich unbekannte und daher für niemanden zu erwartende Erfahrungsräume.[4]

Postkarte aus Köln an seine Ehefrau Bernhadine Jasper, 7. August 1914.
Postkarte aus Köln an seine Ehefrau Bernhadine Jasper, 7. August 1914.

Das 20. Jahrhundert gilt, im Vergleich zum 18. und 19. Jahrhundert, als ein beschleunigtes Zeitalter; das Nachrichtennetz schuf die Voraussetzung für ein schnelles Ankommen von Briefen und Paketen[5] – dies jedoch nur bedingt während des Ersten Weltkrieges. So stellt August Jasper schon im August 2014 fest, dass „die Post […] sich jetzt ja auch [verzögert]“.[6] Dieser Umstand spielt eine wichtige Rolle in Jaspers neuem soldatischem Alltag. Vor dem Krieg sah er seine Familie jeden Tag und war dementsprechend stest über ihre Gemüts- und Gesundheitszustände informiert. Während des Krieges jedoch musste er oft tagelang ausharren und auf Antwort auf seine Briefe warten. Die Ungewissheit machte ihn nervös, was sich in einem mitunter vorwurfsvollen Tonfall äußert und sich in seinem ständigen Nachhaken zeigt. Beispielsweise schreibt er seiner Frau, ebenfalls bereits im August 1914, wie sehnsüchtig er auf Nachricht von ihr warte,[7] und fragt, ob sie einfach nicht schreiben oder gar das Nachrichtennetz so mangelhaft funktionieren würde.[8]

Feldpostbrief vom 7. August 1914 (a).
Feldpostbrief vom 7. August 1914 (a).
Feldpostbrief vom 7. August 1914 (b).
Feldpostbrief vom 7. August 1914 (b).

Auch später, so am 22. Januar 1915, eröffnet er einen Brief mit den Worten „Liebe Frau! Meinen Brief und Paketchen wirst du wohl erhalten haben.“[9] und äußert am 11. November 1917, er habe „nun auch schon drei Tage nichts von [ihr] bekommen“ – woraus er umgehend schließt, dass „die Post nach hier wohl schlecht“ gehe.[10] Ähnliche Formulierungen wie die hier exemplarisch aufgezeigten finden sich in vielen seiner Briefe an seine Frau.

August Jaspers Aufgaben an der Front sind vielfältig. Teils ist er als Fahrradbote tätig, teils muss er direkt an der Front dienen. So trifft auch auf seinen Alltag zu, was der Historiker Jörn Leonhard als „paradoxe Wirklichkeit des Krieges“ bezeichnet:

„Kurzen und extrem verdichteten Kampfsituationen bei Angriffen und Gegenangriffen folgten Phasen weitgehender Stagnation, oft langer Reglosigkeit und Phasen des Wartens.“[11]

Dieses zu vorherigen Kriegen veränderte Zeitverhältnis erklärt sich aus der neuen Form des Krieges, des Stellungskrieges, bei dem es oftmals darum ging, sich eben nicht direkt dem Gegner zu präsentieren, sondern abzuwarten, auszuharren und auszuhalten.[12]

 

Anmerkungen und Verweise

[1]  August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 5. März 1915.

[2]  Burckhard Dücker, „Krieg und Zeiterfahrung. Zur Konstruktion einer neuen Zeit in Selbstaussagen zum Ersten Weltkrieg“, in: Thomas F. Schneider (Hg.), Kriegserlebnis und Legendenbildung. Das Bild des „modernen“ Krieges in Literatur, Theater, Photographie und Film. Bd. 1: Vor dem Ersten Weltkrieg/Der Erste Weltkrieg. Osnabrück 1999, S. 153–173, hier S. 153.

[3]  Eine gegenteilige Wahrnehmung findet sich in den Briefen Heinrich Echtermeyers. Siehe dazu den Kommentar von Laura Maring [Erscheint in Kürze].

[4]  Lucian Hölscher, „Ein Riss in der Zeit“, in: Süddeutsche Zeitung, vom 26. Januar 2014, online abrufbar unter http://www.sueddeutsche.de/politik/jahre-erster-weltkrieg-ein-riss-in-der-zeit-1.1871591 [8.1.2014].

[5]  Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. 4. Aufl. München 2014, S. 25.

[6]  August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 5. August 1914.

[7]  Zur Bedeutung des Briefwechsels für das Ehepaar Jasper siehe den Kommentar von Frederick Schattka.

[8]  August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 7. August 1914.

[9]  August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 22. Januar 1915.

[10]  August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 11. November 1917.

[11]  Leonhard, Die Büchse der Pandora, S. 329.

[12]  Ebd., S. 330.

Der Feind in meinem Bild

Lisa Ovelhey

Film und Fotografie entwickelten sich im Ersten Weltkrieg zu den Medien der Berichterstattung.[1] Vor allem letztere – darunter nicht selten Momentaufnahmen des Krieges – machten den Frontalltag auch für die Familie und Freunde in der Heimat sicht- und greifbar. Durch die fortschreitende Technik und die Verfügbarkeit von Kameras war es vermehrt auch den einfachen Soldaten möglich, ihre Erfahrungen fotografisch festzuhalten. Dies führte zu einem Nebeneinander von privaten wie offiziellen Kriegsaufnahmen, die in Umlauf gebracht wurden.[2] Viele dieser Aufnahmen lassen sich auch auf Feldpostkarten wiederfinden. Zu den Motiven gehören dabei vor allem landschaftliche Darstellungen oder Aufnahmen von Kirchen oder anderen Gebäuden – wobei diese nicht selten in ihrem zerstörten Zustand festgehalten und verschickt werden – sowie Bilder deutscher Soldaten und hergerichteter Friedhöfe. Auch der Tod oder das Sterben der Soldaten waren laut dem Historiker Gerhard Paul häufig auf Bildpostkarten oder versandten Fotografien zu finden.[3]

August Jasper verschickte während seiner Zeit an der Front insgesamt circa 400 Briefe; separat dazu noch einmal 34 zusätzliche Feldpostkarten. Den Briefen legte er immer mal wieder weitere Karten und Fotografien bei. Zwei Bilder jedoch stechen aus der Masse heraus. Es handelt sich dabei um Aufnahmen eines englischen Doppeldeckers, der Jasper zufolge am 22. August 1915 bei Marquillis abgeschossen wurde.[4]

Jasper scheint die Karten käuflich erworben und nicht selbst geschossen zu haben. Zudem hat er sie über einen handschriftlichen Vermerk in eine Reihenfolge gebracht: Die Aufnahme, die das Flugzeugwrack und die umstehenden Personen zeigt, ist mit „№ 1“ gekennzeichnet, diejenige, die den toten Piloten zeigt, mit „№ 2“. Die erste Aufnahme ist mit etwas mehr Distanz zum Geschehen entstanden. Folgt man Jaspers Nummerierung, scheint der Fotograf die Situation erst aus der Ferne betrachtet zu haben, um sich sodann in einem zweiten Schritt näher mit dem Toten selbst auseinander zu setzten.

Feldpostkarte vom 27. August 1915
Feldpostkarte vom 27. August 1915

Die Fotografie zeigt die Absturzstelle umringt von deutschen Soldaten. Durch die Position des toten Engländers am unteren Rand des Bildes tritt dieser merklich in den Hintergrund; die Aufnahme wird zu einer Art „Gruppenbild“ der anwesenden Soldaten, samt Flugzeugwrack und totem Piloten. Durch die Schwarz-Weiß-Aufnahme rückt der Doppeldecker zusätzlich in den Vordergrund, die Anwesenden wirken wie eine Rahmung. Durch die dunkle Kleidung des Toten und die Schattierungen in der unteren Bildhälfte, wirkt dieser fast unsichtbar. Fast – als würden sie diesen Eindruck bestätigen wollen –scheinen sich die Soldaten auf der rechten Bildhälfte, die sich direkt neben dem Toten befinden, weit mehr mit den Trümmern als mit dem Piloten selbst zu beschäftigen. Die Soldaten auf der linken Bildhälfte blicken direkt in die Kamera; einer der Männer lächelt sogar. Die Mehrheit der Anwesenden im Bildhintergrund scheint sich aber weder für den Flieger noch für den Toten zu interessieren. Dieser liegt vollständig bekleidet auf dem Rücken, seine Beine sind leicht nach außen gedreht. Der Oberkörper des Mannes ist kaum zu erkennen, da der aufgeschlagene Mantel fast alles verdeckt. Auch das Gesicht ist für den Betrachter nicht sichtbar.

Auch im zweiten Bild, eine Nahaufnahme des getöteten Piloten, lässt sich der Tote nicht identifizieren, da der Kopf aus dieser Perspektive durch den Mantelkragen verdeckt ist. Es hat den Anschein, als sei die Anonymisierung des Toten auf beiden Fotografien beabsichtigt.

Feldpostkarte vom 27. August 1915

Offenbar ist der Tote zwischen den beiden Aufnahmen bewegt worden. Er liegt zwar weiterhin auf dem Rücken, doch liegen seine Beine auf eine unnatürliche Weise leicht nach links verschränkt, sein Mantel ist nun geschlossen. Bis auf ein paar Gebrauchsspuren und ein, zwei kleine Löcher scheint die Kleidung des Soldaten unversehrt. Es finden sich keine Blutspuren auf ihr. Im linken Bildhintergrund sind nicht näher zu spezifizierende Wrackteile des Doppeldeckers zu erkennen. Der Tote liegt auf vertrocknetem Gras, was darauf schließen lässt, dass der Flieger auf einem Feld oder einer Wiese abgestürzt ist.

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August Jasper an seine Frau Bernhardine Jasper, Brief vom 27. August 1915

Was sagt die Verschickung dieser beiden Bilder über die Person August Jaspers aus? Laut Gerhard Paul war es in dieser Zeit nicht ungewöhnlich, Bilder von Toten zu verschicken. Jasper aber verschickt insgesamt allein drei Bilder, die gefallende Soldaten abbilden. Generell verschickt er viele Bildpostkarten, die er kaum oder gar nicht weiter kommentiert:

„Sonst wüßte ich heute nichts zu schreiben. Schicke Dir dieser Tage auch ein Karte von dem Flieger, der hier herunter geschossen wurde. Und nun viele Herzl Grüße […]“.[5]

Die amerikanische Schriftstellerin Susan Sontag hat in einem vielbeachteten Essay das Abbilden kriegerischer Akte und von Tötungen aus der Sicht der Betrachter zu erklären versucht. Für sie gibt es entweder einen Zuschauer oder einen Feigling, der nicht zusehen könne:

„Jene, die es verkraften, hinzusehen, spielen eine Rolle, der von zahlreichen bedeutenden Leidensdarstellungen ihr eigenes Recht zugebilligt wird. […] Die unausgesprochene Botschaft lautet: Nein, ändern läßt sich daran nichts – und die Vermischung von unaufmerksamen und aufmerksamen Zuschauern unterstreicht dies.“[6]

Ob Jasper durch das Abschicken dieser Fotos, das Sterben des Krieges akzeptiert hat, kann nicht mit Gewissheit beantwortet werden. Eine andere Möglichkeit wäre, dass er soweit ,abgestumpft‘ ist, dass er den möglichen Schrecken, den dieses Bild bei seiner Familie auslösen könnte, gar nicht in Betracht zieht. Oder hat es vielleicht doch etwas mit einer Art Feindbild zu tun, dass dem toten englischen Piloten die Menschlichkeit nimmt?

[1]    Der deutsche Foto-Historiker Ulrich Keller deutet den Ersten Weltkrieg sogar als einen „Medienkrieg“. Ulrich Keller, „Der Weltkrieg der Bilder“, in: Fotogeschichte, Jg. 33 (2013), H. 130, S. 5–50, hier S. 5. Ebenso argumentiert auch der Historiker Gerhard Paul: „Dem neuen Charakter des Krieges entsprach eine neue Qualität der visuellen Darstellung […]. Seit den 90er des vorausgegangenen Jahrhunderts hatte sich eine neue medientechnische und -historische Konstellation herausgebildet, die für die bildliche Überlieferung des Ersten Weltkrieges von entscheidender Bedeutung werden sollte.“ Gerhard Paul, Bilder des Krieges. Krieg der Bilder. Die Visualisierung des modernen Krieges. Paderborn u.a. 2004, S. 105.

[2]    Jörn Leonard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. 4. Aufl. München 2014, S. 597.

[3]    Paul, Bilder des Krieges, S. 162: „Anders als in der illustrierten Presseberichterstattung waren Kriegstote auf deutschen wie auf ausländischen Feldpostkarten ein durchaus gängiges Sujet. […] Zwar hielten britische Kriegsfotografen die eigenen und gegnerischen Opfer des Krieges deutlich öfter fest als ihre deutschen Kollegen, […] aber viele dieser Aufnahmen galten als nicht veröffentlichungswürdig.“

[4]    August Jasper verschickt beide Feldpostkarten mit seinem Brief vom 27. August 1915 an Bernhardine Jasper. Auf beiden ist umseitig handschriftlich vermerkt: „Englischer Flieger Doppel Decker, herunter geschossen am 22. August 1915 bei Marquillis.“

[5]    August Jasper an Bernhardine Jasper, vom 27. August 1915.

[6]    Susan Sontag, Das Leiden anderer betrachten. München 2003, S. 51f.

„Das musst du am besten wissen“

Die unfreiwillige Veränderung der Frauenrolle unter dem Druck des Ersten Weltkrieges

Kristina Waltering

„Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges und dem plötzlichen Aufbruch von Ehemännern, Söhnen oder Vätern in den Krieg“, so der Historiker und Feldpostbriefexperte Peter Knoch, „wurde vielen Frauen ein existentieller Rollenwechsel abverlangt“.[1] Waren viele Frauen noch vor Kriegsbeginn nicht erwerbstätig,[2] mussten sie nun einen erheblichen Teil des Arbeitskräfteausfalls kompensieren, der durch den Kriegsdienst der Männer hervorgerufen wurde.[3] Zudem fanden sich nicht wenige in der „Ernährerfunktion“ wieder, waren nun anstatt des Mannes für das Wohlergehen der Familie verantwortlich.[4]

Dies trifft auch auf Bernhardine Jasper zu. Wie aus den Briefen ihres Mannes August Jasper hervorgeht, führt „Dina“ das Malergeschäft während seiner Abwesenheit alleine weiter, kümmert sich um die Ernte aus dem eigenen Nutzgarten und versucht mit weiteren kleinen Nebenverdiensten die Familie zu ernähren. Knoch ist der Ansicht, dass Frauen, die mit einem Mal auf sich allein gestellt waren, eine „erzwungene Emanzipation“ erlebten – eine Veränderung ihrer Frauenrolle, die vielen widerstrebte und oft nicht bewusst war.[5] Trifft das auf Dina Jasper zu? Obwohl die Briefsammlung August Jaspers nur seine Perspektive aufzeigt, ermöglicht sie doch einen Einblick in das Leben von Dina und zeigt, wie sie mit der neuen Situation umgeht.

August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; erste Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; erste Seite.
In der Korrespondenz der Eheleute Jasper geht es ab Januar 1915 zunehmend um die Führung des Betriebes. August gibt Dina hierfür immer wieder Anweisungen und Ratschläge: „Du schreibst auch wegen Günnemanns ihre Rechnung, ich glaube es wird wohl das beste sein, Du schreibst es alles auf und schickst es mir zu […].“[6] Dabei wird schnell deutlich, dass es oftmals Dina ist, die seinen Rat sucht und ihrem Mann in vielen Dingen die Entscheidungskompetenz überlässt: „Es ist ganz recht, dass du wieder Kitt bestellt hast, du fragst auch, was du für die zwei Fenster nehmen darfst […].“[7] Auch in anderen Bereichen holt sie immer wieder Augusts Meinung ein, bevor sie selbst aktiv wird: „Du schreibst auch […] Alma wollte auch gern braune Schuhe haben, ja Herz, mir ist das einerlei, das musst du am besten wissen […].“[8] Dies zeigt, wie unsicher sie zunächst noch in ihrer neuen Rolle als „Hauptperson“ der Familie agiert, wie wenig vertraut sie mit dieser Funktion ist. Sowohl in geschäftlichen als auch privaten Angelegenheiten richtet sie sich weiterhin nach ihrem Mann.

August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; zweite Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; zweite Seite.
August Jasper hingegen scheint, je länger der Krieg andauert, immer mehr Verantwortung an seine Ehefrau zu übertragen. Formulierungen wie „dass weißt du ja am besten“[9] oder „mir ist es egal, wenn du meinst, […] dann musst du es selbst wissen“[10] finden sich in seinen Briefen auffällig oft. Von Januar 1915 an bis zum Kriegsende schreibt er Sätze dieser Art insgesamt 32-mal. Er traut seiner Frau offenbar mehr zu, als sie sich selbst und lässt ihr sowohl bei geschäftlichen als auch bei familiären Anliegen einen großen Entscheidungsspielraum.[11] Zudem holt er sich ab 1917 in vielen Angelegenheiten ihre Meinung ein: „Schreib mir aber auch gleich mal, was du über alles so meinst“,[12] heißt es beispielsweise oder „was meinst Du, mein Liebling?“[13] Er vertraut seiner Frau, die sich mittlerweile seit über drei Jahren um den Betrieb kümmert, und legt Wert auf ihre Sicht der Dinge. Dennoch wird deutlich, dass Dina sich mit der neuen Selbstständigkeit schwer tut. Sie unterrichtet August weiterhin über jeden ihrer Schritte und macht ihre Entscheidungen von ihm abhängig, sei es beim Kauf eines neuen Schweines[14] oder der Frage, ob sie sich einen neuen Mantel leisten könne.[15] Erst im letzten Kriegsjahr scheint sie eigenständiger zu agieren, denn August gibt ihr zu diesem Zeitpunkt kaum noch konkrete Anweisungen. Dina teilt ihm oft nur mit, was sie alles veranlasst und erledigt hat; August wiederum kommentiert dies lediglich: „Wie ich auch nun gesehen habe, hast du ja wieder gute Geschäfte gemacht, […] da hast du ja wieder allerhand Geld bekommen.“[16]

August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; dritte Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 9. Dezember 1916; dritte Seite.
Trotz dieser Entwicklung lässt sich an den Briefen ihres Mannes erkennen, dass Dina Jasper ihre neue und ungewohnte Selbstständigkeit widerstrebt. Obwohl ihr Mann sie regelrecht dazu auffordert und motiviert, sichert sie sich ständig bei ihm ab. „Die größere Handlungskompetenz und das Mehr an Verantwortlichkeit war für viele Frauen nicht Mittel zur Selbstverwirklichung“, schreibt denn auch mit Birthe Kundrus eine ausgewiesene Expertin für die Kriegerfrauen im Ersten Weltkrieg, „sondern existentielle Notwendigkeit, die aufgrund der familiären Beanspruchung eine Belastung meinte“.[17] Das trifft auch auf Dina zu. Ihre neue Unabhängigkeit nimmt sie nicht als positiv war, sie scheint vielmehr eine Belastung für sie zu sein, die ihr durch den Krieg aufgezwungen wurde.

 

Anmerkungen und Verweise

[1]    Peter Knoch, „Feldpost – eine unentdeckte historische Quellengattung“, in: Klaus Bergmann/Annette Kuhn/Jörn Rüsen/Gerhard Schneider/Rolf Schörken (Hg.), Geschichtsdidaktik. Probleme – Projekte – Perspektiven. Düsseldorf 1986, S. 154–171, hier  S. 161.

[2]    Zur Erwerbstätigkeit von Frauen im Kaiserreich siehe Volker Berghahn, Das Kaiserreich 1871–1914. Industriegesellschaft, bürgerliche Kultur und autoritärer Staat. Stuttgart 2003, S. 121–138.

[3]    Ute Daniel, „Frauen“, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Irina Renz (Hg.), Enzyklopädie Erster Weltkrieg. Paderborn 2014, S. 116–133, hier S. 116.

[4]    Soldatenfrauen bekamen zwar staatliche Unterstützung, doch insbesondere Frauen aus dem Mittelstand sahen sich aufgrund der hohen Mieten und der Unmöglichkeit, mit den Unterstützungen auszukommen, gezwungen, im Verlauf des Krieges eine Erwerbsarbeit aufzunehmen. Vgl. hierzu Birthe Kundrus, Kriegerfrauen. Familienpolitik und Geschlechterverhältnisse im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Hamburg 1995, S. 177.

[5]    Knoch, Feldpost, S. 164f.

[6]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 24. März 1915.

[7]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 9. Dezember 1916.

[8]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 11. November 1916.

[9]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 5. September 1915.

[10]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 11. Januar 1917.

[11]  Vgl. dazu besonders den bereits erschienen Blogtext „Laß den Kindern nur nicht zu viel Willen“ vom 10. Juli.

[12]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 13. März 1917.

[13]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 31. August 1917.

[14]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 1. September 1917.

[15]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 26. August 1918.

[16]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 6. Mai 1918.

[17]   Kundrus, Kriegerfrauen, S. 180.

 

 

„Na ohne Verluste kommen wir hier auch nicht weg“.

Abstumpfung als persönliche Schutzmauer im Krieg

Laura Olschewski

 

August Jasper ist ein gutes Beispiel für einen Soldaten, der im Ersten Weltkrieg darum bemüht war, die Geschehnisse nicht allzu nah an sich heranzulassen – dies wohl auch, um sich selbst zu schützen. Schon zu Beginn des Krieges gibt er sich gefasst,[1] schreibt seiner Frau gar, sie würden sich möglicherweise erst im Jenseits wiedersehen – als sei das eine völlig übliche Vorstellung.[2]

August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1914; erste Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1914; erste Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1914; erste Seite.
August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1914; erste Seite.

Zwar zeigt er sich fortwährend mit der Gesamtsituation unzufrieden, hofft beständig auf eine baldiges Ende des Krieges,[3] doch verliert er zu keinem Zeitpunkt ganz die Fassung – jedenfalls findet sich keine Stelle in den überlieferten Briefen, die dies dokumentieren würde –, gibt sich sogar zeitweise gleichgültig. Dies zeigt sich beispielsweise, als er im Dezember 1914 den Untergang von vier deutschen Schiffen erwähnt und daraufhin bemerkt: „Na ohne Verluste kommen wir hier auch nicht weg“.[4] Deutlicher wird dies noch, als er vier Jahre später seiner Frau von einem Bekannten berichtet, der gefallen sei, und wie nebenbei schreibt, früher oder später müssten eben „alle dran glauben“.[5] Es hat den Anschein, als habe Jasper resigniert, als würde er die schrecklichen Ereignisse als herkömmlich und normal abtun, um von ihnen nicht noch weiter belastet zu werden. Diese – möglicherweise auch nur scheinbare – Mauer aus Gleichgültigkeit bauten sich nicht wenige Soldaten auf, denn war auch der Tod allgegenwärtig, überwältigen sollte er die Soldaten nicht.[6] Jörn Leonhard hat zuletzt den „Zufall des massenhaften Kriegsopfers“ betont.[7] Wenn es schon Zufall war, wer getötet wurde, was ergab es dann schon für einen Sinn, sich darüber groß Gedanken zu machen?

Physische Kondition und Nervenstärke galt unter den Militärs als entscheidende Bedingung für Erfolg. Die Soldaten sollten auch nach außen Durchhaltevermögen zeigen. Kriegsneurotiker galten als unmännlich und widersprachen dem Ideal der soldatischen Willensstärke.[8] Jasper aber fühlte sich von „Oben“ ebenso alleingelassen wie ausgenutzt, was er gegenüber seiner Frau im August 1917 zum Ausdruck bringt:

„Aber mein Herz, man ist hier ein willenloses Werkzeug, ein richtiger Sklave.“[9]

Mit der Zeit erwähnt Jasper den Tod von Kameraden und Bekannten in den Briefen an seine Frau nur mehr fast nebensächlich.[10] Es wirkt, als sei der Tod zu jenem Zeitpunkt schon zu allgegenwärtig, als dass Jasper noch viel darüber berichten möchte. Er erachtet es zwar für notwendig, weitere Todesfälle zu erwähnen, spart aber genauere Umstände aus. In seiner Machtlosigkeit scheint Jasper nicht nur zunehmend abzustumpfen, sondern auch ab und zu in einen regelrechten Galgenhumor zu verfallen: „Ja mein Herzchen, daß sind alles die dicken Bauern, die haben es nicht mehr nötig, die sind auch zu schade zum tot schießen.“[11] Darin versteckt ist wohl auch seine Wut auf jene, die bevorzugt behandelt werden.[12]

Feldpostkarte vom 27. August 1915
Feldpostkarte vom 27. August 1915, Abgeschossener Flieger.

Ob die Erlebnisse des Krieges August Jasper tatsächlich abstumpften oder ob er sich bloß so gab, um sich selbst und auch seine Familie zu schützen und das Bild des männlichen, willensstarken Soldaten[13] aufrecht zu erhalten, lässt sich nicht abschließend klären. Für Jasper jedenfalls scheint ein solcher Umgang wie eine Art Schutzmauer gewesen zu sein, um psychisch stabil die Kriegsjahre zu überstehen.

Anmerkungen und Verweise

[1]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 2. August 1914: „Es geht mir ganz gut, ich bin ganz gefasst, mag es kommen wie es will.“

[2]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, ebenfalls vom 2. August 1914, allerdings ein späterer Brief als der zuvor zitierte.

[3]  August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 16. Juni 1915: „Hofffentlich hat der Krieg auch bald eine Ende.“ Siehe auch zum Thema Kriegsmüdigkeit den Kommentar von Kathrin Schulte erscheint in Kürze oder zur Jaspers Sicht auf den Krieg den Kommentar von Katharina Schunck.

[4]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1914.

[5]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 7. August 1918: „Der hatte ja nun auch schon so lange mitgemacht, aber zuletzt müssen sie dann doch alle dran glauben.“

[6]  Zum Umgang mit dem Tod siehe auch den Kommentar von Maximilian Wiech (erscheint in Kürze).

[7] Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München 2014, S. 255.

[8]    Leonhard, Die Büchse der Pandora, S. 571.

[9]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 1. August 1917.

[10] August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 23. September 1917: „Wie ich auch gesehen, ist Aug Fletemeier auch gestorben“. Siehe zum Verhältnis Jaspers zu den Kameraden den  Kommentar von Christian Senf (erscheint in Kürze.)

[11] August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 26. Januar 1917.

[12] Siehe auch die Kommentare von Lisa Peters und Julia Traxl (erscheint in Kürze.)

[13] Leonhard, Die Büchse der Pandora, S. 571.

Kriegsgewinnler und Drückeberger

Die „verratene Front“ bei August Jasper

Lisa Peters

 

Der Topos der „verratenen Front“ hatte für den Diskurs um die deutsche Niederlage noch bis in den Zweiten Weltkrieg hinein große Bedeutung.[1] Seinen Ursprung fand er in der Rechtfertigungsideologie der politischen und militärischen Eliten des besiegten Kaiserreichs. Jegliche Schuld an der Niederlage von sich weisend, machten sie unter anderem Streiks in der Rüstungsindustrie (die auf die Sozialdemokraten und Gewerkschaften zurückgingen) sowie eine mangelhafte Unterstützung durch eine vermeintlich kriegsmüde „Heimatfront“ verantwortlich.[2] Wenngleich dieser Topos inzwischen als ideologisch gefärbt dekonstruiert wurde,[3] erscheint es vor diesem Hintergrund als besonders interessant, dass auch August Jasper sich in seinen Briefen an seine Frau Bernhardine wiederholt kritisch über eine mangelnde Solidarität in der Heimat mit den kämpfenden Soldaten beklagt. Fern der obrigkeitlichen Diskurse gewähren seine Aussagen einen Einblick in die diesbezüglichen Vorstellungen und Deutungen eines einfachen Soldaten, bevor sie durch die Rechtfertigungsideologie der Nachkriegszeit beeinflusst wurden.

Die soldatische Gemeinschaft steht den Drückebergern und Kriegsgewinnlern entgegen. Hier zu sehen auf Postkarten von August Jasper (18.8.1917)

Die soldatische Gemeinschaft steht den Drückebergern und Kriegsgewinnlern entgegen. Hier zu sehen auf Postkarten von August Jasper (18.8.1917)
Die soldatische Gemeinschaft steht den Drückebergern und Kriegsgewinnlern gegenüber. Hier zu sehen auf Postkarten von August Jasper (18.8.1917)

Drücken August Jaspers Briefe im ersten Kriegsjahr noch hauptsächlich Verwunderung über die ungleiche Behandlung der Soldaten aus[4], formuliert er seine Missbilligung ab 1915 zunehmend klarer und deutlicher.[5] Dabei richtet sich seine Kritik vornehmlich gegen zwei Gruppen: die sogenannten „Drückeberger“ und „Kriegsgewinnler“.[6] So beschwert sich August wiederholt über „tausend gesunde junge Kerls“, die sich in der Heimat „herum drücken“, während die „alten Kerls“ im Schützengraben liegen.[7] Diesen „Drückebergern“ wünscht er beispielsweise, so am 10. September 1915, dass sie „auch mal in den Schützengraben kämen“, könnten sie doch zu Hause kein Verständnis dafür entwickeln, „was es überhaupt heißt, Soldat zu sein“.[8]

August Jasper an Bernhardine Jasper, 10. September 1915.
August Jasper an Bernhardine Jasper, 10. September 1915.
August Jasper an Bernhardine Jasper, 10. September 1915.
August Jasper an Bernhardine Jasper, 10. September 1915.

Mehrfach tadelt er ihr Verhalten, das er als großspurig und naiv erachtet.[9] Dabei missfällt ihm zweierlei: Sie fehlten nicht nur an der Front, wo sie gebraucht würden, sondern verhielten sich darüber hinaus auch noch wenig solidarisch gegenüber den kämpfenden Soldaten. Seine Kritik richtet sich dabei auch gegen jene Soldaten, die sich durch vorgetäuschte Krankheiten[10] oder mit Hilfe von Geld[11] vor dem Dienst „drückten“. Dementsprechend misstrauisch vermutet er eine finanzielle Einflussnahme, als er von der Rückkehr einiger Nachbarn hört: „ja mit Geld ist alles zu machen, denn sonst kann es doch nicht möglich sein.“[12]

Geld spielt auch im Rahmen der zweiten von ihm als unsolidarisch erachteten Gruppe, den „Kriegsgewinnlern“,[13] eine große Rolle. Zu diesen zählt August Jasper hauptsächlich Großbauern, die, so sein Eindruck, aus der Kriegsnot Profit schlagen und dadurch der deutschen Bevölkerung wie den Soldaten schaden. Ganz konkret erfährt er durch Bernhardine von Versuchen einiger Bekannter, die allgemeine Notlage über starke Preiserhöhungen auszunutzen. Er ist sich deshalb sicher, dass auch diese Nachbarn zu den „Kriegsgewinnlern“ zählen.[14] Aber nicht nur dieses wenig ehrenhafte Verhalten gegenüber den eigenen Bekannten missbilligt August, vielmehr befürchtet er, ihre Profitgier könne zu einer Verlängerung des Krieges führen und damit zu einem fortgesetzten Sterben an der Front.[15] Unterstützt würden die Großbauern in ihrem Verhalten, so Jasper, durch die Vaterlandspartei, von ihm despektierlich „Kriegsverlängerungspartei“ genannt.[16] Besonders im letzten Kriegsjahr steht die Politik deswegen vermehrt im Fokus seiner Kritik. Obwohl eine Niederlage laut August für beide Gruppen bereits ersichtlich sei, führten diese den Krieg weiter, um sich Vorteile daraus zu sichern: die Bauern finanzielle Gewinne, die Politiker hingegen die Sicherung ihrer Macht. Anders als in der späteren Propaganda der Nachkriegszeit erkennt er deshalb in den Arbeiterstreiks der deutschen Rüstungsindustrie (1918) auch kein unsolidarisches Verhalten, manifestiere sich in diesen doch vielmehr die Hoffnung auf ein vorzeitiges Kriegsende. Anhand der Streiks sollte dem Kriegstreiben über Materialmangel ein Ende bereitet werden.[17] August Jasper sieht den „Verrat an der Front“ demzufolge weniger in der mangelnden Unterstützung der Soldaten durch die Sozialdemokraten, als in den durch ihn erkannten eigennützigen Machenschaften der Großbauern und regierenden Politiker. Diesem unsolidarischen Verhalten setzt August Jasper wiederholt die Hoffnung entgegen, es möge in der Nachkriegszeit nicht nur erkannt, sondern auch geahndet werden.[18] Anhand seiner Kritik zeigt sich demnach, was er noch im Kriegseinsatz als unsolidarisches Verhalten der „Heimatfront“ erkannt hat.[19] Dies sind jedoch Aussagen, die sich von dem späteren, öffentlich diskutierten Topos der „verratenen Front“ erheblich unterscheiden.

Anmerkungen und Verweise

[1]   Zur Dolchstoßlegende noch immer aktuell Thomas Nipperdey, Deutsche Geschichte 1866–1918. Machtstaat vor der Demokratie. München 1992, S. 310–314.

[2]  Zunächst wurden die streikende Rüstungsindustrie (Gewerkschaften) und die Sozialdemokraten als Verantwortliche auserkoren, später lud sich der Diskurs stark antisemitisch auf. Für weitere Informationen zur Dolchstoßlegende siehe Boris Barth, Dolchstoßlegende und politische Desintegration. Das Trauma der deutschen Niederlage im Ersten Weltkrieg 1914–1933. Düsseldorf 2003; Ulrich Heinemann, Die verdrängte Niederlage. Politische Öffentlichkeit und Kriegsschuldfrage in der Weimarer Republik. Göttingen 1983; Jörn Leonhard, Die Büchse der Pandora. Geschichte des Ersten Weltkriegs. München 2014, S. 915–926; Wolfgang Selig, „Dolchstoßlegende“, in: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Berlin/New York 2010, S. 60f.

[3]   Siehe Hans-Jörg Koch, Der 9. November in der deutschen Geschichte. 1918, 1923, 1938, 1989. Rombach 1998, S. 21f.

[4] Siehe dazu den Kommentar von Eike Klausing.

[5]   So äußert er sich zunächst 1914 wie folgt: „Wilhelm hat ja wieder das größte Glück gehabt, ich kann das nicht begreifen, wie das zu geht, wenn ich auch so ein Glück haben würde, aber das wird wohl ausgeschlossen sein.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 15. November 1914. Aber schon 1915 wird seine Kritik deutlicher: „Wie ich aus Deinem Brief gesehen, ist Herr Eisenbart immer noch in Diedenhofen. Ja Herz, es ist ja immer so, die größten Schweinehunde haben das meiste Glück, und wenn Sie dann nach dem Kriege nach Hause kommen, dann haben Sie die größte Schnauze, das hat man ja schon zur genüge vor dem Kriege gesehen.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 11. Mai 1915.

[6]   Siehe dazu Aribert Reimann, „Die heile Welt im Stahlgewitter: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg“, in: Gerhard Hirschfeld (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkriegs. Tübingen 1997, S. 129–145, hier 139.

[7]   Zum Beispiel August Jasper an Bernhardine Jasper, 19. Mai 1915 oder 9. Dezember 1915.

[8]   August Jasper an Bernhardine Jasper, 10. September 1915.

[9]   „Ja dem Heinr. Kahsling tut es auch ganz gut, wenn es fort muß, wenn er hier in der Front wäre, würde Ihm das große Wort schon vergehen.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 1. Juni 1915. Oder „Wie ich weiter aus deinem Briefe gesehen habe, wird der Pastor jetzt auch wieder eingezogen, das glaube ich, das er da jetzt Spaß hat. Der würde Ihm aber sicher vergehen, wenn er blos vier Wochen hier vorn gewesen wäre.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 1. Juli 1915.

[10] August Jasper an Bernhardine Jasper, 6. Oktober 1916.

[11]  August Jasper an Bernhardine Jasper, 30. September 1915.

[12] August Jasper an Bernhardine Jasper, 15. Oktober 1915.

[13] Als sogenannte „Kriegsgewinnler“ wurden Menschen bezeichnet, die im Rahmen des Krieges wirtschaftliche Gewinne erzielen konnten. Dieses Thema erhält für August Jasper vor allem im letzten Kriegsjahr große Bedeutung.

[14] „Wie ich nun gesehen, sind die beiden Molkereien nun ja auch verkauft. Die haben ja aber damit ein gutes Geschäft gemacht die können Sich freuen daß der Krieg gekommen ist hauptsächlich Fletemann denn sonst wäre Er die Molkerei so leicht nicht los geworden. Und er hat auch sicher noch nie so leicht so einen Haufen Geld verdient als jetzt bei der Molkerei. Meiner Ansicht nach hat Er doch sicher 50 bis 60 tausend Mark daran verdient. Daran hätte Er früher vor dem Kriege auch wohl nie gedacht.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 31. Januar 1918.

[15] „Und man sollte doch auch glauben, wenn wir alles angenommen haben, dann müßten Sie doch auch Schluß machen. Aber mein Herz, so einen Frieden wie jetzt hätten wir ihn vor zwei Jahren schon haben können, aber wär ist da Schuld dran? Nur unser Groß Argrarier!!“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 9. Oktober 1918.

[16] „Wenn unsere Regierung Ihre Friedensbedingungen mal klipp und klar aussprechen würde, und würde auf jegliche Anexion und Entschädigung verzichten, dann könnten wir ja lange lange Frieden haben. Ich habe jedenfalls von unserer Regierung und hauptsächlich von der Vaterlandspartei (richtig gesagt Kriegsverlängerungspartei) die Nase voll, das glaub man.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 26. Februar 1918.

[17] „In Deutschland geht es ja jetzt auch wieder recht heiter her. Es ist doch schade, daß Sich die Arbeiter nicht richtig einig sind, und haben alle die Arbeit nieder gelegt. Denn wenn alles mal drei bis vier Wochen streikt, dann wäre gewiß Schluß. Du glaubst nicht mein liebes Herz, wie Sich ein jeder hier an der Front darüber freut, denn das weiß ja doch jeder, wenn wir auf diese Art kein Schluß bekommen, dann geht der Krieg noch lange weiter.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 1. Februar 1918.

[18] August Jasper an Bernhardine Jasper, 1. November. 1918. Außerdem kritisiert er den Umgang mit Veteranen und verwundeten Soldaten in der Heimat: „[…]und dann kommt man nach Hause und hat nichts, und dazu wird man dann noch oben drein aus gelacht, oder statt Unterstützung bekommen Sie Schläge.“ August Jasper an Bernhardine Jasper, 26. Januar 1918.

[19] Mit diesem Denken stehe er nicht alleine. Vgl. August Jasper an Bernhardine Jasper, 1. Februar 1918.

Hof und Heimat als Rückzugsort vor dem Krieg

Niklas Maximilian Schepp

 

„Wenn Ihr mit die Arbeit Nicht fertig werden könnt, laß ruhig liegen, den je größer der Hunger wird je eher ist alle, b[l]os[s] soviel das Frau und Kinder was zu Essen habt. Sonst laßen sie uns Urlaub geben. Ihr müßt nur sehen wenn ich nicht in Urlaub komme, wie Ihr am leichsten mit der Arbeit fertig werd, und das der Acker nicht ganz verwilder, und alle etwas bestellt wird, den ich habe wenig Spaß davon.“[1]

So schreibt der Landwirt Heinrich Echtermeyer am 20. März 1917 in einem Feldpostbrief von der Front an seinen Bruder. In seinen überlieferten Feldpostsendungen wird fortwährend deutlich, wie sehr er sich um die Bestellung seiner Äcker sowie um die Versorgung seines Viehs sorgt. Schließlich fehlte durch seinen Fronteinsatz eine wichtige Arbeitskraft am Hof. Seine Familie – insbesondere seine Frau – hatte nun den landwirtschaftlichen Betrieb alleine zu führen. Während sich Echtermeyer in seinem Ärger über die Undurchschaubarkeit der politischen Entwicklungen an der Front und in der Heimat auch eine mehr auf das eigene Wohlergehen seiner Familie ausgerichtete Führung des Hofes wünschte, so war ihm zugleich bewusst, wie sehr eine eingeschränkte Bewirtschaftung erhebliche Folgen für ihr Weiterleben haben würde. Schließlich stellte der Hof ihre Lebensgrundlage dar, ohne die sie weder finanziell noch materiell überleben können würden.[2]

 

1917_03_20_Brief_Seite 1
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 20. März 1917 (Teil 1)

Angesichts dessen lässt sich leicht nachvollziehen, weshalb die Bewirtschaftung des Hofes in seinen Feldpostsendungen ein immer wiederkehrendes Thema darstellt. Doch gleichzeitig ist zu fragen, weshalb Heinrich Echtermeyer den Grausamkeiten des Krieges so wenig Raum gab. Denn nur selten erzählt er in seinen Briefen von den Erlebnissen an der Front. Der Erste Weltkrieg, oft auch als „moderner Krieg“ bezeichnet, vermittelte den Soldaten aufgrund neuer Waffentechnologien, der Maschinisierung des Krieges und des Einsatzes chemischer Waffen eine Vielzahl verstörender Eindrücke der Unmenschlichkeit. Heinrich Echtermeyer, erst 1916 in den Landsturm einberufen, vermag sich – obgleich er in Friedenszeiten bereits als Soldat diente – mit dem soldatischen Leben nur schwer zu arrangieren. Wenn überhaupt, so äußert er sich in seinem Schreiben entsetzt und fast schon traurig über die Geschehnisse:

„Ein Krieg ist doch schrecklich für die Mannschaften die da in Felde sind, und die Gegend wo er abgehalten wird, alles verwüstet bleib fast kein Gebäude stehen. Traurig wenn man sieht viel die Bewohner flüchten müßen. Wie mir an kamen in die Gegend von Kowel wovon auch noch welche die geflüchtet waren sieht traurig aus, haben dann nicht keine Unterkunft.“[3]

Offenbar kann Heinrich Echtermeyer nur schwer mit den grausamen Bildern im Kopf umgehen, denn unmittelbar nach dieser Schilderung ordnet er erneut auf dem Hof anfallende Aufgaben an: „Bitte hilf meine Frau so gut zurecht wie du kannst, auch mit den Viehverkaufen, ich glaube der Bulle muß auch bald weg, den die Weiden wurden auch weniger, und das sie was zu Sch[l]achten bekommt.“[4] Es hat den Anschein, als helfe ihm das fortgesetzte Hineindenken in den altbewährten landwirtschaftlichen Alltag über die ihn sichtlich bewegenden Erfahrungen an der Front hinweg zu kommen.

 

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Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief vom 20. März 1917 (Teil 2)

So stehen Hof und Heimat kontinuierlich in seinem Fokus; er hofft bei seiner Rückkehr aus dem Krieg seinen noch bestehenden Hof und seine Familie vorzufinden. Er ist stets um die Kontrolle über den Hofbetrieb bemüht, befasst sich mit den anfallenden Aufgabenverteilungen im landwirtschaftlichen Betrieb. Es wirkt, als würde er auf diese Weise der grausamen Realität des Kriegsalltags entfliehen.[5] Der eigene landwirtschaftliche Betrieb erscheint als ein Rückzugsort, als eine Zuflucht. So beschreibt er, eben ganz Landwirt, in einem Brief – völlig ohne jeglichen erkennbaren Zusammenhang – die Felder an seinem Einsatzort: „Hier ist jetzt trocken, und sehr heiß. Hier ist der Roggen reif wird viel vertreten, und alle mahl nicht geerntet werden […]“[6]

 

Anmerkungen und Verweise

[1]   Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Brief vom 20. März 1917.

[2]   Zur Sorge und die Angehörigen in der Heimat siehe die Beiträge von Florian Steinfals und Yannick Zohren.

[3]   Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostkarte vom 20. August 1916.

[4]    Ebd.

[5]    Zur Heimat als Sehnsucht- und Fluchtpunkt vor den Schrecken des Krieges siehe den Beitrag von Pascal Pawlitta [Erscheint in Kürze].

[6]   Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Brief vom 29. Juli 1916.

 

 

Die Abschiedsformel als Spiegel des Erlebten

Jakob Heyman

 

„Nun sch[l]ieße ich, und hoffe das Du schreibst was das alle gibt und das bald Friede wird, und das ich glücklich zurückkomme. Darum zu Gott beten. Es herzlich Dein Bruder Heinrich Auf Fröhliches Baldiges Wiedersehen“.[1]

Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 18. Januar 1917.
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, letzte Seite des Feldpostbriefes vom 18. Januar 1917.
Diese Verabschiedung wirkt auf den ersten Blick beinahe übertrieben lang. Trotzdem sind ähnlich lange Verabschiedungen in Echtermeyers Briefen keine Seltenheit. Doch wählte Echtermeyer in vielen Briefen auch deutlich kürzere Abschiedsformeln, so beispielsweise in seinem Brief vom 4. Juni 1916: „Gruß freundlich dein B. Heinrich“.[2] In diesen Formeln sind, wie auch im Eingangszitat, verschiedene Aspekte zu erkennen, die in bestimmten Situationen verstärkt vorkommen. Besonders häufig vertreten ist dabei der Aspekt des gewünschten Wiedersehens, der durch verschiedene Adjektive wie beispielsweise fröhlich, glücklich oder gesund erweitert wird.[3]

Ab dem 31. August 1916 wird der Wunsch nach Friede ein weiterer wiederkehrender Teil seiner Abschiedsformel.[4] Zudem findet sich mehrfach, insbesondere ab dem 18. Januar 1917, aber vereinzelt auch schon zuvor, eine religiöse Komponente in seiner Verabschiedung, bittet er doch seine Familie regelmäßig darum, für ihn oder das Ende des Krieges zu beten.[5]

Bei einer genaueren Analyse ist zu erkennen, dass seine Abschiedsformeln zu einem gewissen Grad von seinen Erlebnissen, über die er aus verschiedenen Gründen in seinen Briefen nicht direkt erzählt, beeinflusst sind.[6] Die erste Auffälligkeit findet sich in seiner Feldpostkarte vom 5. Juli 1916, in der er berichtet, er sei mit unbekanntem Ziel ausgerückt. Während er zuvor meist nur einen kurzen Abschiedsgruß schreibt, umfasst die Abschiedsformel hier vier der acht Zeilen der gesamten Karte. Zum ersten Mal nutzt er nun die Formulierung „Auf fröhliches Wiedersehen […]“[7] und bittet den Bruder, ihn in seinen Gebeten zu bedenken. Diese Ausführliche Verabschiedung ist wohl dem Umstand geschuldet, dass er zuvor noch die Hoffnung hatte, seine Familie schnell wieder zu sehen, die sich aber nun mit dem Marschbefehl zunächst einmal zerschlagen hatte. Ob dieses Wiedersehen – wie in seiner Karte vom 14. Juni 1916 angedeutet[8] – durch einen Besuch geschehen sollte, der aus Bocholt natürlich viel leichter zu verwirklichen war als von der Front aus, oder aber durch ein erhofftes schnelles Kriegsende, ist hier unerheblich.

Heinrich Echtermeyer (sitzend) im Kreis seiner Familie
Heinrich Echtermeyer (sitzend) im Kreis seiner Familie.

Im direkten Umfeld von Echtermeyers Einheit bei Kowel gab es ab dem 8. August 1916 heftige Angriffe.[9] Dies lässt sich in gewisser Weise auch anhand Echtermeyers Abschiedsformeln aus diesem Zeitraum nachvollziehen, äußert er doch ab nun vermehrt den Wunsch nach einem Ende des Krieges.[10] Auch die Hoffnung, dass er „gesund wieder komme“,[11] taucht hier das erste Mal auf und wird in den Briefen aus der Zeit in Kowel mehrmals wiederholt. In der Feldpostkarte vom 25. Januar 1917 dagegen, direkt nach der Abkommandierung des Bataillons aus Kowel, besteht die Abschiedsformel allein aus dem Wunsch, wieder einen Brief des Bruders zu erhalten, und einem einfachen Gruß. Es fehlen all die Bitten um ein schnelles Ende des Krieges und auch das gesunde oder glückliche Wiedersehen wird nicht explizit erwähnt.[12]

An diesem Beispiel ist gut zu erkennen, dass Heinrich Echtermeyer diese Hoffnungen besonders dann zum Ausdruck bringt, wenn sie für ihn kaum erreichbar zu sein scheinen. Als er die Front am 23. Januar 1917 vorläufig verlässt, hat er möglicherweise die Hoffnung, nun tatsächlich nach Hause zurückzukehren. Doch als er Anfang März 1917 erneut verlegt wird, erkennt er, sich getäuscht zu haben und schließt mit dem schon fast resigniert wirkenden Satz:

„Wollen doch hoffen doch einmahl der Tag kommt, das man in die Heimat zurück kommt, darum betet zu Gott.“[13]

Vom 18. bis zum 25. Dezember 1916 sowie vom 27. März bis zum 12. April 1917 wird in einigen Abschiedsformulierungen ein auffälliger Verweis auf die Entfernung erkennbar, die zwischen dem Frontsoldaten und seiner Familie liegt, so beispielsweise „aus weiter Ferne“[14] oder „Gruß aus Rußland“.[15] Interessanterweise fallen in beide Zeiträume christliche Feiertage – zum einen das erste Weihnachtsfest, das Echtermeyer von seiner Familie getrennt erlebt, zum anderen das erste Osterfest seit seiner Einberufung. Die Vermutung liegt nahe, dass er gerade zu diesen Festen, die traditionell im Kreise der Familie begangen werden, Heimweh gehabt hat und dies auf diese Weise – möglicherweise unbewusst – ausdrückt.

Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief anlässlich des Weihnachtsfestes 1916 (25. Dezember).
Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard Echtermeyer, Feldpostbrief anlässlich des Weihnachtsfestes 1916 (25. Dezember).
Es ist die allgemeine Tendenz festzustellen, dass Echtermeyers Abschiede beständig ausführlicher ausfallen, wenn er an der Front ist. In den Phasen, in denen er noch in der Ausbildung oder im Hinterland ist, beschränkt er sich meist auf Grüße und den Wunsch, mehr Post zu erhalten.

[1]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 18. Januar 1917.

[2]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 4. Juni 1916.

[3]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbriefe vom 21. August 1916, 7. und 27. Oktober 1916.

[4]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 31. August 1916.

[5]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 18. Januar 1917.

[6]    Siehe dazu den Kommentar von Fabian Köster und Dennis Krause.

[7]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostkarte vom 5. Juli 1916.

[8]    Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostkarte vom 14. Juni 1916: „Nun hoffe Ich das Ich bald herüber komme, und dann Mündlich mehr sprechen können […]“.

[9]    Siehe dazu den einführenden Kommentar von Max Möllering.

[10]  Siehe beispielsweise die Feldpostbriefe vom 12. und 21. August 1916.

[11]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 31. August 1916.

[12]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostkarte vom 25. Januar 1917.

[13]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 1. März 1917.

[14]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 28. November 1916.

[15]  Heinrich Echtermeyer an seinen Bruder Bernhard, Feldpostbrief vom 18. Dezember 1916.

Gefangenschaft

Von Verachtung zur Akzeptanz

Philipp Schwarte

„Wir werden hier schon mit den Engländern abrechnen, gefangen genommen wird keiner.“[1]

Der sich hier so radikal und vehement positionierende Soldat August Jasper sah sich mit all den Schrecken und Gräueln des Ersten Weltkrieges konfrontiert. Dazu zählte das massenweise Sterben der Soldaten im Stellungskrieg[2] ebenso wie die schier endlosen Kolonnen an Verwundeten und Gefangenen. Und offenbar waren sowohl der direkte Umgang mit den gefangen genommenen Feinden,[3] als auch die Gefangennahme eigener Bekannter für den Soldaten aus Kattenvenne von großer Bedeutung. Dies kommt nicht zuletzt in den zahlreichen Passagen zum Ausdruck, in denen er dieses Thema in den Feldpostbriefen an seine Frau Bernhardine erwähnt. Insgesamt findet es sich in über 60 seiner Briefe.

Während der vier für ihn oft endlos erscheinenden Kriegsjahre lässt sich eine große Veränderung im Denken und Handeln August Jaspers ausmachen. Noch zu Beginn des Krieges ist es für ihn, wie das Eingangszitat deutlich macht, fast eine Selbstverständlichkeit, dass eine Gefangennahme gegnerischer Soldaten ausgeschlossen ist. Dies zeigt sich auch in weiteren Stellen seiner Feldpostbriefe, beispielsweise durch Ausrufe à la „Sie haben es ja nicht besser verdient“.[4] Seine radikale Sicht auf feindliche Gefangene wird auch im folgenden Auszug deutlich: „Gestern hatten wir einen gefangenen Engländer hier, am liebsten hätte ich ihn gleich totgeschlagen.“[5]

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Bildpostkarte August Jaspers, Sommer 1915. Jasper hat auf der Rückseite vermerkt: “Englischer Flieger Doppeldecker, heruntergeschossen am 22, August 1915 bei Marquillis No 1.” Im Vordergrund ist vermutlich die Leiche eines dabei zu Tode gekommenen Briten zu sehen.

Doch sollte sich sein Standpunkt während des Krieges deutlich wandeln.[6] Dies zeigt sich in seinen Briefen auf mehreren Ebenen. Einerseits spielt der Arbeitseinsatz alliierter Kriegsgefangener bei seiner Familie in Kattenvenne eine entscheidende Rolle. Jasper erkundigt sich in beinahe jedem Brief, ob die Gefangenen ihre Aufgaben im Sinne seiner Frau Bernhardine verrichten. Trotz einiger negativer Erfahrungen mit geflohenen Gefangenen sind hauptsächlich positive Momente auszumachen. Auch seine persönlichen Begegnungen mit Gefangenen ließen ihn von seinem ursprünglichen, so klar umrissenen Feindbild Abstand nehmen: „Habe nämlich hier von den Franzosen (von den Gefangenen die hier arbeiten) für ein Stück Brot ein schönes Stück Seife bekommen“.[7] Andererseits stellen auch die Berichte gefangen genommener Bekannter, von denen er durch die Briefe seiner Familie erfährt, einen wichtigen Faktor dar, der seinen Sinneswandel begünstigt. So wird Gefangenschaft, wie sich bei seinem Bekannten Wilhelm zeigt, mit einem Mal zu einem Rettungsanker: „Dann ist es ja auch nicht schlimm. Sie weiß denn wenigstens bestimmt, dass er zurück kommt, wenn der Krieg mal vorbei ist.“[8] Offenbar sieht August Jasper eine mögliche Gefangennahme als ein großes Glück an, verspricht diese doch eine vermeintliche Sicherheit, den Krieg zu überleben. Da an der Front die Gefahr allgegenwärtig war, erscheint ihm der Gedanke einer solcherart herbeigeführten sicheren Heimkehr,[9] auch wenn diese erst nach dem Ende des Krieges möglich werden könnte, als verlockend.26-7-1917-1

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“Unsere Division hat allein über 1200 Gefangene gemacht, du glaubst aber nicht, wie die Sich auch alle gefreut haben, daß Sie in Gefangenschaft waren. Sie sind es auch genau so satt wie wir ja auch nicht wahr mein Liebling?” August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 26. Juli 1917.

All diese Beispiele verdeutlichen die veränderte Einstellung August Jaspers zur Gefangenschaft, die sowohl aus persönlichen als auch durch brieflich vermittelte Erlebnisse resultiert.

Anmerkungen und Verweise

[1]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 13. März 1915.

[2]   Zur Thematik des Sterbens an der Front siehe den Kommentar von Maximlian Wiech. [Erscheint in Kürze]

[3]   Zur Frage wie und ob Feindbilder entstehen siehe den Kommentar von Katharina Peterdamm. [Erscheint in Kürze]

[4]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 24. Januar 1915.

[5]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 19. Mai 1915.

[6]   Für einen vergleichbaren Wandlungsprozess siehe den Kommentar von Dimitrij Schaf.

[7]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 10. April 1917.

[8]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 8. September 1918.

[9]   Eng verbunden mit diesem Wunsch ist das Phänomen der Kriegsmüdigkeit. Siehe dazu den Kommentar von Kathrin Schulte. [Erscheint in Kürze]

Glaube als Verbindung zwischen Heimat und Front

Katharina Bosse

„Die private Praktizierung religiöser Riten und Gebräuche“, so Aribert Reimann, Spezialist für die Sozial- und Kulturgeschichte des Ersten Weltkrieges, „trat an die Stelle der öffentlichen Praxis und stellte ein weiteres konventionelles Band zwischen Front und Heimat zur Verfügung.“[1] Während sich demnach die Soldaten an der Front zu einem großen Teil von der Institution Kirche abwandten, gewann der privat praktizierte Glaube zunehmend an Bedeutung. Dies zeige sich, so Reimann weiter, nicht zuletzt auch in der Feldpost, über die die Soldaten versuchten, die Verbindung zur Heimat nicht zu verlieren. Bei August Jasper kommt dies auf mehreren Ebenen zum Ausdruck.

Die wichtigste Aufgabe, die der Glaube an Gott für Jasper und seine Familie in der Kriegssituation erfüllt, ist das Schenken von Kraft, Zuversicht und Hoffnung. Immer wieder fordert Jasper seine Familie auf, Vertrauen in Gott zu haben, versichert ihr, dass alles gut gehen wird, sie wieder zusammen finden werden. Dies wird vor allem in solchen Situationen deutlich, in denen August Jasper Angst zu haben scheint. So bittet er seine Frau in einem Brief aus Köln, noch gleich zu Beginn des Krieges, mit den Kindern zu beten und Gott zu vertrauen, damit dieser die Gebete auch erhört.[2] Zu diesem Zeitpunkt befindet sich Jasper noch nicht an der Front, steht noch vor seinem ersten Kriegseinsatz in St. Quentin in Frankreich. Es ist dies ein Moment des Innehaltens, in dem sich seine Unsicherheit bemerkbar macht: „Hoffentlich wird ja alles gut gehen“. Seine Worte über Gott und die Bitte, ihn in ihren Gebeten zu bedenken, geben Jasper Kraft und ermöglichen ihm zugleich seiner Familie aus der Ferne Zuversicht zu schenken, die nur in Gott vertrauen soll. Zugleich vermag in Jaspers Denken seine Familie zuhause ihm auf diese Weise, indem sie für ihn betet, Unterstützung zukommen zu lassen. Somit dient das Gebet als Medium zur Übermittlung von Kraft und Zuversicht und vermag darüber hinaus auch die Entfernung zu überbrücken.

Brief vom 04.08.2014

Brief vom 04.08.2014 (2)
August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 2. August 1914

 

„Wollen also mit Gott hoffen“ – diese Formulierung nutzt Jasper wieder und wieder, sodass sie beinahe standardisiert, ja inhalts- und bedeutungslos scheint. Doch hat sie für Jasper eine zentrale Bedeutung. Denn offenbar verstärken sich seine Hoffnungen oder ausformulierten Wünsche, sobald er sie direkt an Gott richtet. Einem Gebet gleich, hofft und bittet er nicht nur für sich, sondern mit Gott und seiner Familie. So bittet er beispielsweise in einem Brief vom 29. Novemeber 1914, dass er an seinem Einsatzort am Bahnhof Rocourt bleiben darf, muss er doch dort nicht in den Schützengraben.[3] Solcherart dient Gott als Hoffnungsträger für Jasper und seine Familie.

Reimann zufolge nahm der privat praktizierte Gaube während der Kriegsjahre stark zu. Dies sei vor allem darauf zurück zu führen, dass die Soldaten etwas brauchten, woraus sie Kraft schöpfen konnten. Dies ist bereits Jasper aufgefallen. In einem seiner Briefe aus dem April 1915 schreibt er, durch den Krieg würden viele wieder innig an Gott glauben, die es vorher nicht getan haben.[4] Jasper praktizierte seinen Glauben jedoch nicht nur nach innen, sondern besuchte auch regelmäßig Feldgottesdienste, von denen er in seinen Briefen oft berichtet.[5] Dieses Schreiben über seine religiöse Praxis zeigt nicht nur, wie sehr sein christlicher Glaube essenzieller Bestandteil seines Lebens war, sondern verdeutlicht darüber hinaus starken Zusammenhang von Glauben mit Heimat und Familie. Sein Glaube knüpft ein Band zwischen ihm und seiner Familie.

 

Anmerkungen und Verweise

[1]    Aribert Reimann, „Die heile Welt im Stahlgewitter: Deutsche und englische Feldpost aus dem Ersten Weltkrieg“, in: Gerhard Hirschfeld/Gerd Krumeich/Dieter Langewiesche/Hans-Peter Ullmann (Hg.), Kriegserfahrungen. Studien zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte des Ersten Weltkrieges. Essen 1997, S. 129–145, hier S. 139.

[2]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 2. August 1914.

[3]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 29. November 1914.

[4]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 8. April 1915.

[5]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 24. Januar 1915.

Naturerfahrung

Das Zusammenspiel von Wetter und Kriegsmoral

Maximilian Schulze Niehues

 

“[…] mit Macht kommt der Frühling ins Land, er zieht aber auch in unsere Herzen,gibt uns Kraft und Mut und stimmt uns freudiger wie hoffnungsvoller.”

(Fritz Nollenberger Nr. 53, an die Eltern am 18.4.1942)[1]

In den Worten Fritz Nollenbergers tritt das Zusammenspiel von jahreszyklischen Beschreibungen oder solchen der erfahrenen Natur sowie der Motivation des Frontkämpfers deutlich zutage. In diesem konkreten Fall aus dem Zweiten Weltkrieg wird das Naturerleben – schöpft doch der Soldat durch die aufblühende Natur neue Motivation für das weitere Kriegsgeschehen – zur Kommunikation von Empfindungen instrumentalisiert. Darin zeigt sich aber letztlich auch der Kontrast zwischen der erlebten Zerstörung und dem Kreislauf der Natur, mit dem sich die Soldaten immer wieder konfrontiert sahen. Das sichtbare Sprießen und Erblühen, das als extremer Gegensatz zur durch den Menschen betriebenen Destruktion empfunden wird, gibt dem Soldaten Kraft und Hoffnung, erinnert ihn an das Leben, das durch den Krieg fortwährend zerstört wird.[2]

Um die im Kontext der Neuen Militärgeschichte erarbeiteten Erkenntnisse zu Umwelterfahrungen in Ego-Dokumenten zu vertiefen, ist es von Interesse, Zeitpunkt und Anlass entsprechender Äußerungen in Feldpostbriefen zu analysieren. Schließlich lässt sich so überprüfen, inwieweit sich die These, Naturerleben und Moral würden einander bedingen, tatsächlich bewahrheitet.

Angesichts von über zweihundert beschriebenen Wetterbeobachtungen versprechen die Feldpostbriefe August Jaspers an seine Frau Antworten auf eine solche Fragestellung. Allerdings beschränken sich die Erwähnungen des Wetters häufig auf einzelne Sätze, die einen rein informativen Charakter haben oder zum Austausch über die derzeitige Wetterlage in der Heimat beziehungsweise an der Front dienen. Dies wird beispielsweise anhand von Formulierungen wie „Heute war es hier auch mal wieder schönes Wetter“[3] deutlich. Dieser gegenseitige Austausch über die jeweilige Wetterlage kann als einfache Kommunikationsebene gedeutet werden, die dazu dienen soll, die Distanz zur Heimat zu überbrücken und dem Partner die alltäglichen Situationen zu vermitteln.

Neben der Teilhabe am Lebensalltag des anderen wird durch die Wetterbeschreibungen Jaspers auch der enorme Stellenwert der Witterung deutlich, der die Soldaten an der Front ausgesetzt sind. So schreibt Jasper schon zu Beginn des Ersten Weltkrieges:

„Haben aber bis jetzt gutes Wetter gehabt, was für uns ja viel Wert ist. […]. Es geht hier in Belgien gut vorwärts, unsere Artillerie schießt alles in Grund und Boden.“[4]

Feldpostbrief vom 18. August 1914 (a).
Feldpostbrief vom 18. August 1914 (a).
Feldpostbrief vom 18. August 1914 (b).
Feldpostbrief vom 18. August 1914 (b).

Durch die gute Wetterlage wird das militärische Fortkommen sehr begünstigt, das sich auch im Hinblick auf die Kriegsmoral der Soldaten positiv auswirkt. Die psychische aber vor allem auch physische Verfassung Jaspers ist, wie sich in seinen Feldpostsendungen immer wieder offenbart, mit seinen Wetterbeschreibungen eng verbunden. So enthalten die meisten Beobachtungen über das Wetter auch Informationen bezüglich August Jaspers momentaner Verfassung.[5] Allerdings lässt sich kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen Wetter und der jeweiligen Verfassung ausmachen. [6] Es hat den Anschein, als diente die Aufeinanderfolge von Schilderung des allgemeinen Befindens und Wetterbeschreibung dazu, seiner Frau Bernhardine einen leichten Zugang zu eröffnen, um sich ein Bild über die derzeitige psychische und physische Verfassung ihres Mannes machen zu können. Durch die vielen gemeinsamen Ehejahre sind Bernhardine Naturbeschreibungen viel vertrauter als reine Gefechtsberichte[7].

An den wenigen Stellen, an denen Jasper bedingt durch das Wetter wirklich körperliche oder psychische Probleme hat, eröffnet sich ein weiteres Feld im Hinblick auf die Verbindung von Naturerfahrung und Moral. So beschreibt Jasper seine durch den harten, kalten Winter bedingten rheumatischen Probleme.[8] Eine gewisse Kriegsmüdigkeit wird deutlich, als Jasper über seine Ängste vor dem anstehenden Winter schreibt und sich ein baldiges Kriegsende noch vor Beginn der kalten Jahreszeit ersehnt.[9] Anhand dieser Beschreibungen wird deutlich, dass Witterung und Moral in einzelnen Fällen einander bedingen.

Naturaufnahme "Bruxelles et Dordrecht", undatiert.
Naturaufnahme “Bruxelles et Dordrecht”, undatiert.

Letztendlich bleibt es in den Feldpostbriefen August Jaspers bei vereinzelten Beschreibungen, in denen die Naturerfahrung in direktem Zusammenhang mit der Moral steht. Eine wiederkehrende Struktur ist anhand der sich wiederholenden jahreszyklischen Wetterbeschreibungen und der Motivation des Frontkämpfers in dieser Briefsammlung nicht auszumachen.

 

Anmerkungen und Verweise

[1]  Peter Knoch, „Kriegsalltag“, in: Ders. (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung. Stuttgart 1989, S. 222–251, hier S. 230.

Der Kommentar greift in einigen Passagen Gedanken aus Sören Gehrmanns Kommentar auf, der in Kürze veröffentlicht werden wird.

[2]   Vgl. Ebd. Eine ähnliche Wirkung im Frontalltag hatten auch religiöse Rituale. Siehe dazu den Kommentar von Jörg Schlarb [Erscheint in Kürze].

[3]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 22. Januar 1915.

[4]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 16. August 1914.

[5]   August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 8. Februar 1915: „Ich bin vorige Nacht wieder im Schützengraben gewesen, es war ein schlechtes Wetter, gerechnet hat es immer zu. Mein Erkälten will sich auch noch nicht bessern, und Kopfschmerzen habe ich seit längerer Zeit, daß es kaum auszuhalten ist. Ich werde mich auch dieser Tage daher wohl wieder krank melden.“

[6]  August Jasper an Bernhardine Jasper, 17. August 1918: „Mir meine liebe Seele geht es auch so weit noch ganz gut: Es ist hier aber noch schrecklich heiß, in diesem Sommer haben wir hier so eine Hitze noch nicht gehabt“. Eine etwas andere Deutung legt der Kommentar von Sören Gehrmann nahe [Erscheint in Kürze].

[7]  Für eine detaillierte Darstellung der Beziehung zwischen den Frontsoldaten und ihren Ehefrauen vergleiche exemplarisch den Kommentar von Katja Flemming [Erscheint in Kürze].

[8]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 29. Januar 1917.

[9]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 29. August 1917: „Wir gehen auch ja schon wieder dem Winter entgegen, wenn doch der Krieg ein Ende nehmen wollte, denn vor dem Winter graut einem doch, und wär weiß wo wir wohl von hier hin kommen.“

Propaganda in Bildpostkarten

Joost Siebolds

Die Bedeutung der Feldpost und damit auch der Bildpostkarten für die Stimmung, Motivation und Moral an der Front und in der Heimat wurde seitens der Politik und des Militärs des Kaiserreichs schon früh erkannt. Es war daher auch von besonderem Interesse, diese Stimmungen und Meinungen zu lenken, zu beeinflussen und zu manipulieren.[1] Das während des Ersten Weltkrieges äußerst populäre Kommunikationsmittel der Bildpostkarte zeigt eine Vielfalt von Motiven, die sich nur schwer einzelnen Themengebieten zuordnen lassen.[2] Nicht wenige dieser Motive wurden mitunter für die Propaganda nutzbar gemacht: Darstellungen wurden idealisiert und so instrumentalisiert, einzelne Eigenschaften der Gegner wurden zu Feindbildern verallgemeinert und auf Stereotype reduziert. Auf propagandistischen Bildpostkarten wurde dabei mit besonders einfachen und eingängigen Motiven gearbeitet, um möglichst breite Schichten der Gesellschaft zu erreichen. Der Gebrauch von bekannten Mustern, Motiven, Zeichen und Symbolen sollte dem Betrachter die Darstellungen zugänglicher machen und zur gewünschten Interpretation einer Bildpostkarte führen.[3]

In der Feldpostsammlung aus der Feder August Jaspers lassen sich auch einige Bildpostkartenmotive dem Bereich der Propaganda zuordnen. Doch wie fügen sich solche propagandistischen Motive in die Sammlung ein? Welche Bedeutung haben diese für Jasper selbst und welche Rolle spielen sie in seiner Postkartensammlung gerade im Hinblick auf den Kriegsverlauf?

Insgesamt können drei Bildpostkartenmotive aus der Sammlung Jaspers dem propagandistischen Bereich zugeordnet werden. Dazu zählen zwei Bildpostkarten, die Jasper zu Festtagen verschickte. Eine von diesen hat er zum Weihnachtsfest 1915 versandt.[4] Diese Bildpostkarte mit der Aufschrift „Innige Weihnachtsgrüße“ ist in ihrem Motiv zweigeteilt. Den Großteil des Bildes nimmt die Darstellung der Soldaten an der Front ein, die in ihren Uniformen zusammen in einem Haus oder offenen Unterstand das Weihnachtsfest feiern. Während Sie vor dem Weihnachtsbaum ihre Geschenke auspacken, gedenken sie offenbar zugleich mit nachdenklichen Gesichtsausdrücken ihrer Lieben daheim. Bis auf einen Kopfverband eines Soldaten wirken sie dabei unversehrt; es scheint ihnen an nichts zu fehlen. Der kleinere Ausschnitt des Bildes zeigt die Familie in der Heimat, die ebenfalls vor dem Weihnachtsbaum sitzend Geschenke auspackt, ihrerseits wiederum zugleich an die Soldaten an der Front denkend. Das ganze Motiv ist in hellen und frohen Farben gehalten.

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August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 20. Dezember 1915

Diese Darstellung des Weihnachtsfestes, die ein durchaus häufiges Motiv war[5] und über alle vier Kriegsjahre hinweg zur Weihnachtszeit verschickt werden konnte,[6] verschweigt die eigentliche Kriegsrealität an der Front wie in der Heimat. Längst konnten zu Weihnachten nicht mehr alle das Weihnachtsfest feiern, da sie in Gefechten, auf Etappe oder mit anderen Arbeiten an der Front beschäftigt waren. Dies spiegelt sich auch in den Briefen Jaspers wider.[7] Darüber hinaus werden alle negativen Folgen des Krieges, wie der Mangel an Gütern des täglichen Bedarfs, Krankheit, Verwundung, Tod und die Sorgen um die eigene Familie in diesem Motiv völlig ausgeblendet. So beschwert sich beispielsweise auch Jasper in seinen Briefen über den Mangel an der Front und in der Heimat. Zum Weihnachtsfest 1916 beklagt er sich darüber, seiner Frau kein angemessenes Geschenk machen zu können. Beide bemühen sich hauptsächlich um schöne Geschenke für die Kinder.[8] Insgesamt scheint Jasper zunehmend die Lust am Weihnachtsfest zu vergehen.[9] Gerade 1916 sind es nicht nur der Mangel an alltäglichen Bedarfsgütern und die Unzufriedenheit über das Geschenk für seine Frau, die ihm die Lust am Weihnachtsfest nehmen, sondern vor allem auch die schweren Gefechte und zahlreichen Verluste der deutschen Truppen bei Fort Douaumont,[10] wo sich Jasper zu dieser Zeit befand. Besonders vor diesem Hintergrund von Tod, Verwundung und den Schrecken des Krieges verliert das Weihnachtsfest für Jasper an Bedeutung. Es ist für nicht mehr das Fest des Friedens und der Liebe.

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August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 25. Dezember 1916

Im darauffolgenden Jahr beklagt Jasper zum Weihnachtsfest 1917 den Mangel an Kerzenlichtern für den Weihnachtsbaum, die doch für ihn zur Tradition des Weihnachtsfestes dazugehören.[11] Durch das auf der Postkarte dargestellte Weihnachtsfest im Felde, das ein Gefühl der Geborgenheit und warmen Atmosphäre vermittelt, wie auch die festliche Szene in der Heimat, wird das eigentliche Leben an der Front und in der Heimat zusätzlich verklärt. Da sich das Weihnachtsfest im Felde nicht von dem in der Heimat unterscheidet, wird dem Betrachter eine Normalität suggeriert, die in der Realität des Krieges so sicherlich nicht vorhanden war.

Doch auch ohne die Verklärung des Weihnachtsfestes auf der Bildpostkarte blieb die Heilige Nacht ein Feiertag, an dem die Sehnsucht nach Familie und Heimat besonders groß war. Um diese Sehnsucht zu lindern, waren nicht wenige Soldaten versucht, heimatliche Bräuche und Gewohnheiten mit in die Ferne zu nehmen und dort zu praktizieren. Auch Jasper und seine Kameraden waren bestrebt, ihr Weihnachtsfest möglichst so zu feiern, wie sie es kannten und gewohnt waren[12] – mit Geschenken, einem Weihnachtsessen und schließlich auch einem Weihnachtsbaum.[13] Nachdem Jasper zu Anfang noch befürchtet, in der Gegend von St. Quentin keinen Weihnachtsbaum finden zu können, nimmt er mit seinen Kameraden einen längeren Weg in Kauf, um letztendlich doch noch einen zu finden.[14] Schließlich wird aber auch Jasper und seinen Kameraden bewusst, dass – mit den Lieben daheim – doch das eigentlich Wichtigste des Weihnachtsfestes fehlte, es eben trotz des Versuchs kein normales und gewohntes Weihnachtsfest ist.[15] Die Tradition des Weihnachtsfestes konnte den Soldaten und ihren Familien in der Zeit des Ausnahmezustandes dennoch einen gewissen Halt geben und die getrennte Familie zumindest gedanklich und emotional miteinander verbinden.[16]

Jasper verschickte bereits zum Osterfest 1915 eine entsprechende Karte, die auch in ihrer Wirkung und Absicht durchaus vergleichbar ist. Zwar werden hier keine Geschenke ausgepackt, doch halten die Kinder in der Heimat ein paar Ostereier in ihren Händen. Auch dieses Motiv ist zweigeteilt und macht so wiederum die räumliche Trennung von Familie und Soldaten deutlich. Die nachdenklichen Gesichter der Soldaten wie auch der Familie zeigen hier erneut die gedankliche und emotionale Verbindung zwischen Front und Heimat auf. Ebenso ist diese Bildpostkarte in hellen und dem Osterfest entsprechenden frühlingshaften Farben gehalten. Lediglich die Uniformen der Soldaten lassen den Betrachter darauf schließen, dass hier ein Kriegszustand abgebildet ist. Damit wird auch hier, ähnlich dem Motiv zum Weihnachtsfest, die eigentliche Realität des Krieges ausgeblendet.[17]

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August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 31. März 1915

Eine dritte Bildpostkarte zeigt einen übermächtigen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg, der die Deutschen an der Ostfront zum Sieg führt.[18] Die Postkarte bezieht sich auf jüngste Ereignisse eben dort: Sie gratuliert Hindenburg zum 17. Februar 1915. Nach dem Sieg bei Tannenberg, der für die Deutschen von besonderer Bedeutung war, konnten mit dem Sieg in der Winterschlacht bei den masurischen Seen am 17. Februar 1915 die eingefallenen russischen Soldaten von den Deutschen für die Zeit des Ersten Weltkrieges aus Ostpreußen vertrieben werden. Diese Schlachten und besonders die bei Tannenberg wurden aufgrund der damit erreichten Befreiung Ostpreußens von den russischen Soldaten für die Deutschen zum Mythos.[19] Der Erfolg wurde Generalfeldmarschall Hindenburg zugeschrieben, der als „Befreier des Ostens“ propagandistisch instrumentalisiert wurde.[20] Mit dem Motiv wurden zugleich Siegeszuversicht und Stärke demonstriert sowie nationale und patriotische Werte kommuniziert, an denen sich Front und auch Heimat aufrichten sollte.

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August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 4. April 1915

Letztlich machen solche propagandistischen Bildpostkarten in Jaspers Sammlung jedoch nur einen verschwindend geringen Teil aus. Den größten Raum nehmen dagegen Bildpostkarten ein, die eher dem Bereich der Dokumentation angehören wie beispielsweise Natur- und Landschaftsaufnahmen.[21] Des Weiteren zeigen einige Aufnahmen auch die Kameraden Jaspers, andere wiederum inszenierte Abbildungen von Kindern, die Jasper zumeist für seine eigenen Kinder in die Heimat schickte, sowie Fotografien von Friedhöfen und toten feindlichen Soldaten.[22] Auffällig bei den drei Propagandakarten ist, dass sich Jasper in keiner der Textnachrichten auf das jeweilige Motiv bezieht, ja gar nicht näher darauf eingeht. Dies spricht ebenso für den eher geringen Stellenwert von Propaganda in der Sammlung Jaspers. Die drei Propagandakarten werden von Jasper bis Ende 1915 versandt. Danach hat er zu keinem Zeitpunkt eine weitere solche Karte verschickt. Dies lässt vielleicht auch den Schluss auf eine veränderte Sichtweise Jaspers zu, in der Propaganda keine Rolle mehr spielte, da möglicherweise die Diskrepanz zur Realität für ihn mittlerweile zu groß geworden war.

[1]    Siehe dazu Siegfried Quandt, „Krieg und Kommunikation. Der Erste Weltkrieg als Beispiel“, in: Ders. (Hg.), Der Erste Weltkrieg als Kommunikationsereignis. Gießen 1993, S. 5–14.

[2]   Der Erste Weltkrieg in deutschen Bildpostkarten, hrsg. v. DHM. Berlin 2002.

[3]   Ebd., S. 68.

[4]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 20. Dezember 1915.

[5]    Siehe dazu Thomas Flemming, „Zwischen Propaganda und Dokumentation des Schreckens. Feldpostkarten im Ersten Weltkrieg“, in: Matthias Karmasin/Werner Faulstich (Hg.), Krieg – Medien – Kultur. Neue Forschungsansätze. München 2007, S. 67–88, hier S. 73.

[6]   Der Erste Weltkrieg in deutschen Bildpostkarten.

[7]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 21. Dezember 1915.

[8]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 19. Dezember 1916.

[9]    August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 25. Dezember 1916.

[10]  Siehe dazu den einleitenden Kommentar von Larissa Gogoll und Jana Uphaus.

[11]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 22. Dezember 1917.

[12]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 24./25. Dezember 1917 und Postkarte vom 25. Dezember 1917.

[13]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 13. Dezember 1915.

[14]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 19. Dezember 1914.

[15]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Brief vom 25/26. Dezember 1914.

[16]  Der Erste Weltkrieg in deutschen Bildpostkarten, S. 1019–1021.

[17]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 31. März 1915.

[18]  August Jasper an Bernhardine Jasper, Postkarte vom 4. April 1915.

[19]  Herfried Münkler, Der Große Krieg. Die Welt 1914–1918. Berlin 2013, S. 138–158.

[20]  Ebd., S. 155. Dazu auch Michael Salewski, Der Erste Weltkrieg. Paderborn 2002, S. 124–136.

[21]  Siehe dazu den Kommentar von Matthias Wolters [erscheint in Kürze].

[22] Siehe zu den Aufnahmen der gefallenen gegnerischen Soldaten die Kommentare von Lisa Ovelhey und Tobias Wardemann [erscheint in Kürze].

„Laß den Kindern nur nicht zu viel Willen“.

Erziehungsfragen in August Jaspers Feldpostbriefen

Maria Hildebrandt

„War die Erziehung eindeutig [eine] weibliche Domäne,“ so der Historiker Dietmar Molthagen für die Zeit des Ersten Weltkrieges, „spielte der Mann durchaus eine wichtige Rolle, nämlich die des gestrengen Ermahners“.[1] Auch Bernhardine Jasper holte offenbar immer wieder die Meinung Augusts ein. Dieser wiederum spricht zu Beginn seiner Briefe stets auch seine Kinder an, erkundigt sich nach ihrem Wohlergehen. Dies zeigt, wie wichtig sie ihm waren und wie sehr er an ihrer Erziehung interessiert war. Da jedoch lediglich die Briefe August Jaspers überliefert sind – wenngleich dieser darin nicht selten auf Fragen seiner Frau antwortet –, ist es nicht einfach, die Situation der Erziehungsfrage im Hause Jasper zu klären. Doch ist interessant zu erfahren, ob und vor allem wie sich diese durch den Krieg und die mit diesem einhergehenden gewandelten Rollenbilder verändert hat. Denn in August Jaspers Briefen lassen sich zahlreiche Beispiele finden, die aufzeigen, dass auch er in Erziehungsfragen interessiert war, er Bernhardine dieses Feld nicht allein überließ.

August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 1)
August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 1)
Im häuslichen wie auch im öffentlichen Bereich gab es während des Kaiserreichs klar verteilte Rollen: „Der Mann war seinem Vaterland verpflichtet“, so Angelika Tramitz, „und die Frau ihrer Familie“.[2] Obwohl auch bei den Jaspers die Rollen klar verteilt zu sein schienen, waren beide Elternteile im Bereich der Kindeserziehung gleichermaßen mit eingespannt. Dies wird besonders in August Jaspers Brief vom 18. November 1915 deutlich, in dem er zunächst eine Auseinandersetzung Bernhardines mit der Nachbarin kommentiert, die aufgrund einer Aussage ihrer Tochter Almas über den Pastor geführt wurde. August schreibt seiner Frau schließlich: „Und von dir mein Herz war es ganz recht, daß Du ihr gleich die Meinung gesagt hast, denn wir können unsere Kinder selbst noch erziehen, ohne daß so ein Blage wie die noch eine ist Sie schlägt“.[3]

August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 2)
August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 2)
Trotz solcher Aussagen steht Augusts Autorität nicht infrage, wie zwei weitere Beispiele zeigen. Auch hier ging es wieder um Alma und einmal mehr war die Nachbarin involviert, die sich über Alma ausgelassen hatte. In seinem Brief vom 13. Dezember 1916 bekräftigt August Jasper zunächst die Meinung seiner Frau, betont jedoch auch seine Autorität: „Wie ich aus Deinem gestrigem Brief gesehen habe, hast Du die gnädige Frau mal gründlich die Meinung gesagt, es ist doch blos schade, daß ich nicht da bin, dann hätte die vielleicht noch was anderes zu hören bekommen.“[4] Zwar steht hier die Erziehungsfrage innerhalb der Familie Jasper eher im Hintergrund, doch wird klar, wie sehr beide Elternteile bei der Erziehung ihrer Kinder ,an einem Strang ziehen‘. Beide dulden keinerlei schlechte Worte über die Erziehung ihrer Kinder. Dennoch stellt sich August etwas über seine Frau, in dem er ihr schreibt, was er noch hätte zu dem Streitgespräch beitragen können. Am 11. April 1915 wiederum bittet er Bernhardine um eine Ermahnung Almas: „Sag Alma man Papa hätte geschrieben, wir wollten kein kleines Mädchen haben, was sie dann wohl sagt, aber wohl einen kleinen Jungen, wie unser Eriken, nicht wahr mein Lieb, was meinst Du?“[5] In beiden Beispielen ist davon auszugehen, dass August lediglich auf die Bitten seiner Frau hin reagiert. Es wäre interessant zu wissen, inwieweit sich seine Frau im zweiten Falle hatte ein ,Machtwort‘ von ihm einholen wollen. Nichtsdestotrotz war es Bernhardine, die zu Hause alleine die Erziehung der Kinder zu regeln hatte, auch wenn sie sich der Hilfe ihres Mannes selbst aus dem Felde sicher sein konnte.

August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 3)
August Jasper an Bernhardine, Brief vom 11. November 1916 (Teil 3)
Auch im weiterem Briefverlauf der beiden ist zu beobachten, wie wichtig August Jasper seine Rolle als Familienvater ist. Er schreibt in seinem Brief vom 3. April 1915 an seine Frau: „Wie ich nun aus deinem Brief gesehen ist unser Erich ein ganz drolliger Junge geworden, ach ja, wenn der Papa doch wieder da wäre. Wie würde einem da wohl zu Mute sein. Die Kinder sind in dieser langen Zeit doch schon so groß geworden.“[6] Scheint er seiner Frau im Laufe der Zeit immer mehr zuzutrauen[7] und ihr in der Kindererziehung des Öfteren Entscheidungsfreiheit zu lassen,[8] so bedauert er doch fortwährend seine Abwesenheit. Er macht sich wiederholt Sorgen, dass es seinen Kindern – ohne die nötige Vaterperson im Hause – an etwas fehlen könnte. Diese Angst war offenbar nicht ganz unbegründet, hatte doch, wie Dietmar Molthagen konstatiert, „[d]er Krieg […] eine aufgrund der langen Abwesenheit des Vaters verständliche generelle Verschlechterung des Vater-Kind-Verhältnisses zur Folge“.[9] Viele Kinder konnten sich beispielsweise gegen Ende des Krieges nicht einmal mehr an ihre Väter erinnern. Diese Sorge August Jaspers und seine Sehnsucht nach den Kindern versuchte er in fast jedem seiner Briefe zu verstreuen, einerseits indem er ausdrücklich nach Bildern seiner Kinder fragte,[10] andererseits über seine unstillbare Neugierde nach allem, was seine Kinder betraf.[11]

 

Anmerkungen und Verweise

[1]    Dietmar Molthagen, Das Ende der Bürgerlichkeit. Liverpooler und Hamburger Bürgerfamilien im Ersten Weltkrieg. Göttingen 2007. Darin das Kapitel IV, besonders S. 275–310, hier S. 307.

[2]    Angelika Tramitz, „Vom Umgang mit Helden. Kriegs(vor)schriften und Benimmregeln für deutsche Frauen im Ersten Weltkrieg“, in: Peter Knoch (Hg.), Kriegsalltag. Die Rekonstruktion des Kriegsalltags als Aufgabe der historischen Forschung und der Friedenserziehung. Stuttgart 1989, S. 84–113, hier S. 87.

[3]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 18. November 1915.

[4]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 13. Dezember 1916.

[5]    August Japser an seine Frau Bernhardine, vom 11. April 1915.

[6]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 3. April 1915.

[7]    Siehe dazu den Kommentar von Kristina Waltering, “„Laß den Kindern nur nicht zu viel Willen“, vom 10. Juli.

[8]    August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 11. November 1916: „Alma wollte auch gern braune Schuhe haben, ja Herz mir ist das einerlei, daß mußt Du am besten wissen, wenn Sie das durchaus will.“

[9]    Molthagen, Das Ende der Bürgerlichkeit, S. 305f.

[10]   August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 8. November 1914: „In diesem Brief schicke ich Dir auch Photografie, sie ist ziemlich gut geraten, hoffentlich bekomme ich von unseren Kindern auch bald eine.“

[11]   August Jasper an seine Frau Bernhardine, vom 25. Mai 1915: „Mußt nur nächstens auch wieder schreiben, was unsere Alma und Erich machen darüber freue ich mich am meisten.“