Das Internet bietet die Möglichkeit, mit Leichtigkeit in andere Rollen zu schlüpfen oder sich komplett neu zu erfinden. Vor wenigen Tagen hat sich zum Beispiel herausgestellt, dass ein schwuler Facebookfreund von mir in Wahrheit eine Frau ist. Zu ihm gehörten eine ganze Reihe weitere (ebenfalls erfundener) Facebook-Personen, vor allem sein jüdischer Verlobter und die Ex-Frau, mit der er Kinder hat, über die regelmäßig Anekdoten gepostet wurden.
Mich interessiert, warum sich jemand die Mühe macht, nicht nur nicht unter dem eigenen Namen oder einem einfachen Fake-Account aktiv zu sein, sondern sich sogar ein ganzes Universum aus Haupt- und Nebenfiguren ausdenkt, die miteinander in Verbindung stehen. Deswegen habe ich mit der Schöpferin (die ihren Namen nicht in in diesem Text sehen möchte) gesprochen. Auch darüber, wie denn die Reaktionen von ihrem Online-Bekanntenkreis waren, nachdem klar wurde, dass es sich um keine reale Person handelt. Und los geht’s:
– Warum haben Sie sich „David Rosen“ und sein Umfeld, zu dem unter anderem eine Ex-Frau und der aktuelle Verlobte zählen, überhaupt ausgedacht?
„David Rosen“: Ausdenken impliziert einen bewussten Plan, den hatte ich aber nicht. Auch wenn es erst einmal seltsam klingen mag, aber David Rosen und sein Umfeld sind in Jahren gewachsen.
– Warum sind Sie nicht unter Ihrem eigenen Namen auf Facebook aktiv geworden?
„David Rosen“: Irgendwann, es war wohl so 2009, habe ich Facebook entdeckt und ich war neugierig, was das wohl so ist. Das wollte ich mal ausprobieren, aber – aus Gründen – dann lieber anonym. Also unter einem falschen Namen. Dabei fiel mir der Name des Zahnarztes meiner Au-pair Familie ein, den ich so poetisch und wunderschön fand: David Rosen. Damit habe ich mich angemeldet, um mal zu sehen, was Facebook ist und das zu erkunden. Über das Geschlecht habe ich mir keine Gedanken gemacht, wollte doch nur mal gucken.
– Warum war ihr Fakeprofil ausgerechnet ein Mann, der mit einem Juden verlobt ist?
„David Rosen“: Siehe oben, Zufall. David Rosen war zuerst gar nicht mit einem Juden verlobt, das ergab sich ja so.
– Wie viel Zeit haben Sie denn täglich in die Pflege Ihres Facebook-Universums investiert?
„David Rosen“: Es gab ja erst gar kein Facebook-Universum. Wie ich eben Zeit und Lust hatte, wobei es mal Phasen sehr intensiver Nutzung und Empörung gab, also akute Ereignisse wie den Gaza Krieg und manchmal weniger. In letzter Zeit eher weniger.
– Gab es einen Punkt, an dem Sie merkten, jetzt hat „David Rosen“ endgültig ein Eigenleben entwickelt
„David Rosen“: Nein, denn David Rosen war immer eins zu eins ich. Ich musste dabei nur von Frau auf Mann switchen. Ich war immer genau David Rosen, habe mich nie verstellt. Im Gegenteil die Anonymität gab mir die Chance, eben genau so zu sein, wie ich bin. Es gab niemals einen Gap zwischen mir und David Rosen.
– Hatten Sie keine Skrupel, mit anderen Menschen über private Nachrichten intime Gespräche über Sexualität zu führen? Immerhin dachten Ihre Gesprächspartner, mit einem Homosexuellen zu chatten, nicht mit einer Frau, die sich als einer ausgibt.
„David Rosen“: Um das mal festzuhalten: David Rosen war erst kurz vor seinem Ableben offen homosexuell. Er war jahrelang davor ganz heterosexuell mit Tochter und Frau. Jahrelang. Und ehrlich gesagt kann ich mich an keine privaten Nachrichten erinnern, in denen es intim um Sexualität ging.
– Wie lange waren Sie als „David Rosen“ aktiv und wie flog auf, dass es sich um einen Fake handelt?
„David Rosen“: Mein Account besteht, glaube ich, seit 2009, ich müsste nachschauen. Und zwar schon immer unter diesem Namen. Aufgeflogen ist es, weil mir unbekannte Personen in fast schon detektivischer Manier ein Foto, das ich während einer Israelveranstaltung von meinem Essen und einem Glas Wein machte, mit anderen Fotos von dort verglichen und so meine Position feststellten. Und da saß dann eben kein Mann.
– Wusste irgendwer davon, dass Sie hinter „David Rosen“ stecken?
„David Rosen“: Ja. Gute Freunde, die mich im echten Leben kennen. Denen stellte ich eine Freundschaftsanfrage und sagte, nicht wundern, ich bin es.
– Hätten Sie gerne irgendwann selbst aufgelöst, dass „David Rosen“ ein Fake ist oder wäre es ewig so weitergegangen, wenn es nach Ihnen gegangen wäre?
„David Rosen“: Es gab immer Zeiten, in denen ich bereute, nicht unter meinem echten, zumindest Geschlecht, auf Facebook unterwegs gewesen zu sein. Gründe: Hätte ich mich Davida Rosen genannt, hätte ich auf Israeltagen oder Israeldemos anderen Facebookern begegnen können und sagen: Schau mal, hallo, ich bin Davida Rosen, ich heiße eigentlich so und so, mag aber lieber anonym unterwegs sein und jeder hätte es verstanden. So aber war ich ein Mann. Das hätte dann wohl leider keiner verstanden. Das war ein Fehler, den ich nicht in den kühnsten Träumen vorausahnen konnte.
– „David Rosen“ war einer der engagiertesten Israel-Verteidiger auf Facebook. War das eine Rolle, die sie sich für ihn ausdachten oder sprach da durch die Kunstfigur die Erschafferin?
„David Rosen“: Ich bin eins zu eins David Rosen und bin eine glühende Zionistin. Absolut, Facebook gab mir zudem die Möglichkeit, mich noch intensiver über Nahost zu informieren und in jeder nur möglichen Art und Weise Israel mit allen Mitteln zu verteidigen und dafür aktiv zu werden und sein. Ich hätte mich niemals verstellen können, dazu bin ich zu emotional.
– Waren Sie auf gewisse Weise stolz darauf, ihr Facebook-Umfeld so erfolgreich täuschen zu können
„David Rosen“: Nein! Das war niemals meine Intention, über etwas zu täuschen! Ich wollte nur sehen, was ist Facebook, wie geht das und dann verselbständigte sich das. Name? Geschlecht? Leider passiert. Von Anfang an bewusst täuschen? Nein.
– Hat diese Facebook-Realität Ihren Alltag bestimmt oder handelte es sich nur um ein Hobby?
„David Rosen“: Facebook ist für mich eine sehr ausführliche Informationsquelle, in allererster Hinsicht. Insbesondere um auch mal andere Meinungen zu hören, sich zu informieren, zu diskutieren. Immer mehr wurde es aber auch zum Kampfplatz gegen Antisemiten und Israelhasser.
– Einen Großteil Ihrer Fake-Profile haben Sie mittlerweile gelöscht. Unter anderem den Verlobten von „David Rosen“. Fiel es Ihnen eigentlich schwer, sich nach so langer Zeit von diesen Personen zu trennen?
„David Rosen“: Ja. Ich vermisse Jan Feinstein sehr. Es war eine sehr schöne Zeit und eigentlich hoffe ich, dass er mal aus Japan wiederkommt. Glücklicherweise vermissen ihn auch noch andere. War einfach schön und er ist ein ganz lieber Mensch. Eigentlich und sozusagen.
– Sind Sie froh, dass es aufgeflogen ist?
„David Rosen“: Jein. Einerseits nein, weil dadurch die Unbeschwertheit weg ist. Andererseits ja, denn nun kann ich Menschen, die mir auf Facebook wirklich lieb geworden sind, endlich kennenlernen. In den letzten Tagen habe ich mit ganz vielen lieben Facebookmenschen telefonieren können und ich freue mich, sie endlich mal im echten Leben treffen zu dürfen. Negativ: Dass viele frühere Facebookfreunde mich mittlerweile blockiert haben, weil sie sich von mir betrogen fühlen. Was nie meine Absicht war und wo ich auch nach wie vor nicht glaube, dass es zutrifft. Schließlich stehe ich voll hinter den Meinungen, die ich veröffentlichte.
– Werden Sie weiter auf Facebook aktiv sein? Und wenn ja, unter Ihrem eigentlichen Namen oder als David Rosen?
„David Rosen“: Das wird die Zukunft zeigen.
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Gideon Böss ist Schriftsteller. Sein aktueller Roman heißt Die Nachhaltigen