Weil wir verstehen wollen

Qualitative Methoden in der Medialisierungsforschung am Beispiel einer Untersuchung zur Medialisierung der Familie

Medialisierungsforschung will sozialen Wandlungsprozessen auf den Grund gehen, die sich auf die Ausdifferenzierung eines eigenlogischen Mediensystems zurückführen lassen. Und steht dabei vor einer Reihe von Herausforderungen: Sie möchte Veränderungen im Zeitverlauf beschreiben und braucht demnach aussagekräftige Langzeitstudien. Dabei sind vor allem die Entwicklungen seit Einführung des dualen Rundfunks in den 1980er Jahren in den Blick zu nehmen. Zudem muss Medialisierungsforschung einen nachvollziehbaren Zusammenhang zwischen Strukturveränderungen innerhalb des massenmedialen Systems und Reaktionen in anderen gesellschaftlichen Systemen herstellen. Um dieses Ziel erreichen zu können, muss sie Indikatoren auf verschiedenen Ebenen identifizieren. Das macht es notwendig, sich mit den Akteuren, Funktionen, Strukturen und Entwicklungslinien des zu analysierenden Systems vertraut zu machen bzw. sich Quellen zu erschließen, die einem einen tiefen Einblick gewähren. Diese Innensicht setzt ein methodisches Vorgehen voraus, dass das Verstehen in das Zentrum des Forschungsprozesses stellt. Qualitative Methoden erscheinen im Rahmen der Medialisierungsforschung deshalb besonders geeignet. Sie können ein Weg sein, Begriffe zu etablieren und Indikatoren zu identifizieren. Und sie sind in der Lage – ebenso wie quantitative Erhebungen – Ergebnisse zu liefern, die gesellschaftliche Veränderungen im Zeitverlauf beschreiben.

Kellner-Zotz, Bianca (2015): Weil wir verstehen wollen. Qualitative Methoden in der Medialisierungsforschung am Beispiel einer Untersuchung zur Medialisierung der Familie. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medialisierung. Medienlogik und sozialer Wandel. URL: http://medialogic.hypotheses.org/files/2015/03/Weil-wir-verstehen-wollen.pdf

Bühnenfernsehen

Wie das Theater die Logik der Massenmedien übernimmt

von Andreas Wenleder

Theater ist inszeniert. Na klar. Aber haben moderne Inszenierungen vielleicht eine neue Qualität? Die These dieses Beitrags ist es, dass sich das Theater an die Handlungslogik der Massenmedien angepasst hat. Dass sich die Frequenz der Aufführungen erhöht hat, dass immer öfter Spektakuläres mit einfließt, dass Film-Elemente eine große Rolle spielen – weil sich Intendanten, Regisseure und Zuschauer an der Medienlogik orientieren.

Wenleder, Andreas (2015). Bühnenfernsehen. Wie das Theater die Logik der Massenmedien übernimmt. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medialisierung. Medienlogik und sozialer Wandel. Working Paper. URL: http://medialogic.hypotheses.org/files/2015/03/Bühnenfernsehen.pdf

 

Erziehungsziel: Auffallen

Was Familienstress mit massenmedialer Handlungslogik zu tun hat

von Bianca Kellner-Zotz

Moderne Eltern hetzen von einem Termin zum nächsten: Er muss auf Geschäftsreise nach Hamburg, sie fährt die Kinder nach ihrer Abteilungsbesprechung zu Fußball, Ballett, Klavierunterricht, Nachhilfe, Ergotherapie und Yoga. Dazu kommen Kindergeburtstage im Indoor-Spiele-Paradies, Wochenendausflüge in Klettergarten und Spaßbad sowie Erlebnis-Hüttenwanderungen in den Alpen. Langeweile? Fehlanzeige. Woher kommt dieser Trend zu immer mehr Abwechslung, zu immer mehr Höhepunkten, zu immer mehr Stress? Die These dieses Beitrags lautet: Die moderne Familie ist eine medialisierte Familie. Mütter und Väter haben die massenmediale Handlungslogik internalisiert und integrieren Programme des massenmedialen Systems in ihren Familienalltag. Und versuchen damit, Aufmerksamkeit auf ihr unter Druck geratenes Lebensmodell zu lenken.

Kellner-Zotz, Bianca (2015): Erziehungsziel: Auffallen. Was Familienstress mit massenmedialer Handlungslogik zu tun hat.  In: Michael Meyen (Hrsg.): Medialisierung. Medienlogik und sozialer Wandel. Working Paper. URL: http://medialogic.hypotheses.org/files/2015/03/Erziehungsziel-Auffallen.pdf

Schillernde Spieler mit goldenen Nasen

Eine qualitative Untersuchung zur Medialisierung im Tennis

von Isabella Hauptmann

Anna Kournikova gehört zu den bestbezahlten Tennisspielerinnen aller Zeiten – ohne je ein einziges bedeutendes Turnier gewonnen zu haben. Ihr Aussehen macht sie zu einem Liebling der Medien und der Sponsoren. Sie setzt sich in Szene, gibt den Medien, was sie haben wollen. Aber nicht nur auf der Mikroebene, sprich bei den Akteuren im Profitennis, lassen sich Medialisierungstendenzen feststellen. Auch auf der Meso- und Makroebene haben Anpassungen stattgefunden. Der Ball muss fernsehtauglich sein, das Spiel muss angemessene Werbeblöcke erlauben und der Centercourt wird zur Event-Arena.

Hauptmann, Isabella (2015):  Schillernde Spieler mit goldenen Nasen. Eine qualitative Untersuchung zur Medialisierung im Tennis. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medialisierung. Medienlogik und sozialer Wandel. Working Paper.

URL: http://medialogic.hypotheses.org/files/2015/03/Schillernde-Spieler-mit-goldenen-Nasen.pdf

Die Medialisierung des deutschen Spitzenfußballs

Eine Fallstudie zur Anpassung von sozialen Funktionssystemen an die Handlungslogik der Massenmedien

von Michael Meyen

Der Beitrag fragt nach langfristigen Medienwirkungen zweiter Ordnung: Wie reagieren individuelle und kollektive Akteure auf die Ausdifferenzierung eines Mediensystems, das nach einer eigenen Handlungslogik arbeitet? Der deutsche Spitzenfußball eignet sich für eine solche Studie, weil er von der Präsenz in den Massenemdien abhängig ist und weil sich hier die mediale Konstruktion der Realität seit den 1980er Jahren in Richtung kommerzielle Logik verschoben hat. Gestützt auf eine Vielzahl von Quellen (Regeln, Statistiken, Autobiografien, Experteninterviews, Aufzeichnungen von herausragenden Spielen) sowie Schimanks Ansatz der Akteur-Struktur-Dynamiken wird gezeigt, dass sich mit der medialen Konstruktion auch das spiel selbst in jeder Hinsicht verändert hat. Der Fußball ist schneller und ästhetischer geworden. Spieler und Trainer wissen um die Präsenz der Kameras, werden entsprechend beraten und zum Teil nach Medienaffinität ausgewählt. Die Vereine haben heute in jeder Hinsicht fernsehtaugliche Stadien und betreiben professionelle PR, und sowohl die Spielregeln als auch der Ansetzungsrhythmus sind ständig an die sich wandelnde Handlungslogik der Massenmedien angepasst worden. Ein Teil dieser Veränderungen erschwert kritischen Journalismus.

Erschienen in Medien & Kommunikationswissenschaft 62. Jg. (2014), Nr 3, S. 377-394.

Medialisierung

von Michael Meyen

Der Beitrag sichtet und systematisiert die Literatur zum Thema Medialisierung und schlägt einen Rahmen vor, in dem sich empirische Studien bewegen können. Es wird dafür plädiert, unter Medialisierung Reaktionen in anderen gesellschaftlichen Teilbereichen zu verstehen, die sich entweder auf den Strukturwandel des Mediensystems beziehen oder auf den generellen Bedeutungszuwachs medial vermittelter öffentlicher Kommunikation. Diese Definition hat Folgen für die empirische Umsetzung. Benötigt werden Längsschnittstudien, die erstens nach der Medienlogik und möglichen Veränderungen dieser Logik fragen und dabei Medieninhalte sowie (individuelle und kollektive)
Medienakteure genauso berücksichtigen wie die Faktoren, die das Handeln der Medienakteure beeinflussen. Um Medialisierung nachweisen und dabei differenzieren zu können, sind zweitens Untersuchungen auf mehreren Ebenen und in unterschiedlichen
gesellschaftlichen Teilbereichen nötig. Ausgangspunkt ist dabei die Annahme, dass sich das Verhalten und der Alltag von Menschen, Organisationen, Institutionen und Systemen verändern, weil Akteure davon ausgehen, dass Massenmedien nicht wirkungslos sind.

Erschienen in Medien & Kommunikationswissenschaft 57. Jg. (2009), Nr 1, S. 23-38.

Mehr Schein als Sein?

Zur Medialisierung des Managements in deutschen Unternehmen

von Simone Maier

Chef wird nur, wer was kann? Das war einmal. Heute zählt in deutschen Unternehmen nicht mehr nur das Fachwissen, sondern inwiefern es Führungskräften gelingt, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Schon Trainees lernen, sich ins Szene zu setzen und sich als besondere Persönlichkeiten zu vermarkten. Und Vorstände leisten sich Medientrainer und PR-Berater, um ihr Image in der Öffentlichkeit beeinflussen zu können. Dieser Beitrag geht davon aus, dass sich Führungskräfte an der massenmedialen Handlungslogik orientieren, weil sie glauben – und die Befunde geben ihnen Recht – dass ihnen diese Strategie zum beruflichen Erfolg verhilft.

Maier, Simone (2015): Mehr Schein als Sein? Zur Medialisierung des Managements in deutschen Unternehmen. In: Michael Meyen (Hrsg.): Medialisierung. Medienlogik und sozialer Wandel. URL: http://f.hypotheses.org/wp-content/blogs.dir/2401/files/2015/03/Mehr-Schein.pdf

Der Hype ums Event-Cooking

Nein, es geht jetzt nicht nur um die nervigen Kochshows und die dauerkauenden Fernsehköche (auch wenn der mutmaßliche Steuersünder Lafer sich um einen Nachfolger kaum sorgen muss). Es geht vielmehr darum, dass sich die Deutschen zwar voll Wonne durchgestylte Designer-Küchen in ihre loftartigen Wohn-Ess-Bereiche pflanzen, aber kaum mehr in der Lage sind, ohne Maggi-Tütchen eine schmackhafte Mahlzeit zuzubereiten. Der SZ-Autor Marten Rolff hat schöne Beispiele für das Event-Cooking zusammengetragen: Da werden Großstädter in die “Geheimnisse der Molkekularküche” eingeweiht und wollen wissen, “wie man mit Zutaten wie Algenextrakt, Calciumchlorid oder Xanthan Curacao-Drinkballs für Prosecco und Gelee-Rasen-Deko für Fertigtorten bastelt”. Einen einfachen Pfannkuchen bringen die Kursteilnehmer aber nicht hin. Warum rüsten wir unsere Küchen also zu “Kommandozentralen” hoch und kaufen jedes Jahr mehr Kochbücher in Hochglanzoptik, wenn wir doch gar keinen Gebrauch davon machen? Eine denkbare Antwort: Der Pfannkuchen verspricht keinen Aufmerksamkeitsgewinn, die Wachtel-Fondue-Rezepte aus dem Magazin “Beef!” schon. Und während das Kochen “zum Statussymbol” degradiert wird, bekommt man den Eindruck: Medialisierung macht auch vor deutschen Kochtöpfen nicht Halt.

Rolff, Marten (2015): Ausgekocht. In: Süddeutsche Zeitung, 31, S. 49.