Die Herausforderung von Hausbesetzungen im Umgang mit Sexismus und Grenzüberschreitungen

gepostet am 29. Mai 2012 - 11:56 von ug_defma

Utopie und Verantwortung oder Permanent dieselbe Scheiße: Die Herausforderung von Hausbesetzungen im Umgang mit Sexismus und Grenzüberschreitungen

Folgender Text wird euch bekannt vorkommen. Er entstand im Sommer 2011 im Kontext von temporären Politcamps und wurde von uns für die spezielle Situation „Hausbesetzung“ adaptiert, da wir finden, dass er genauso zutreffend ist wie für linke Camps. Daher unsere Bitte: Lest ihn und lebt ihn!

Räume stehen leer, Räume müssen her – Hausbesetzungen und Raumaneignungen, egal ob nur für eine Nacht oder längerfristig, sind spannend, toll und ermöglichen Menschen aus verschiedenen Zusammenhängen sich zu treffen, zu vernetzen, weiterzubilden, andere Formen von Wohnen im Kapitalismus auszuprobieren, Aktionen zu planen und durchzuführen, sich linke Infrastruktur anzueignen und fürs „gute Leben im Hier und Jetzt“ zu kämpfen. Hausbesetzungen sind inzwischen eine nicht mehr wegzudenkende Form der politischen Praxis – und das ist auch gut so!

Leider sind Hausbesetzungen auch oft Orte, wo sexualisierte Übergriffe vermehrt stattfinden – trotz vorgegebener emanzipatorischer Ansprüche und pauschalen (Lippen-?)Bekenntnissen zu einer antisexistischen Praxis. Eine Analyse, warum das so ist, beruht auf Spekulationen, dennoch lassen sich wohl einige Gründe finden:

Beispielsweise sind besetzte Häuser oft sehr groß, nicht alle Räume sind überblickbar, es finden sich viele dunkle Ecken. Oder es wird heftig gefeiert, Räume sind offen für alle, ein ständiges Kommen und Gehen findet statt und bei Übergriffen gibt es keine Ansprechpersonen, die kontaktiert werden können. Manchmal wird auch – meist anders als in etablierten linksradikalen Räumen – die Betroffene in Frage gestellt oder schulterzuckend auf ein Frauenplenum verwiesen und sich als „nicht zuständig“ bezeichnet. Unsolidarisches Verhalten mit von Sexismus konfrontierten Frauen wird mit „derzeit nicht möglich/wichtig, weil drohende Räumung“-Argumenten begegnet. Die Schuld an Übergriffen wird „Obdachlosen“ oder anderen, nicht Szenezugehörigen Personen zugeschoben oder Sexismus bzw. übergriffiges Verhalten generell geleugnet. Das sind nur einige wenige denkbare bzw. tatsächlich passierte Situationen.

Wir von DEFMA müssen jedenfalls feststellen, dass wir immer wieder über Übergriffe informiert werden, die im Rahmen von Hausbesetzungen bzw. Partys in diesem Kontext stattgefunden haben. Wir gehen grundsätzlich davon aus, dass bekannte, unbekannte und potentielle Täter an Hausbesetzungen teilnehmen, auch wenn das den Besetzer_innen, Besucher_innen und allen anderen Aktivist_innen nicht bewusst ist/sein will. Weil so viele unterschiedliche Menschen, die einander nicht kennen, zusammenkommen und die Strukturen temporär aufgebaut werden, ist es besonders schwierig bis unmöglich eine Hausbesetzung als „Safer Space“ zu gestalten. Klar ist weiters, dass auch Orte, die sich gern als „Freiräume“ bezeichnen (und diesen Anspruch haben Hausbesetzungen meist), nicht frei von Hierarchien, unsolidarischem Verhalten, Sexismus, Rassismus, Homophobie und dem ganzen anderen Scheiß sind.

Nichtsdestotrotz liegt es in der Verantwortung jeder Gruppe und allen Personen, die eine Hausbesetzung auf die Beine stellen, organisieren oder daran teilnehmen, dieses möglichst antisexistisch, antirassistisch, antiheteronormativ sowie so gut wie möglich frei von sonstigen Unterdrückungsmechanismen zu gestalten. Beispiele wie so etwas ausschauen könnte, sind Trauma Support/Out of Action und die Antisexist Contact and Awareness Group während der Proteste gegen des G8-Gipfels in Heiligendamm.**

Uns ist bewusst, dass bei Hausbesetzungen kaum Ressourcen vorhanden sind, um Support-Teams für jegliche Situation aufzubauen. Allerdings scheint es trotzdem essentiell, Überlegungen anzustellen, wie ein besetztes Haus als antisexistischer Raum gestaltet werden kann. Sinnvoll können etwa (absperrbare) FrauenLesbenMädchenTrans* -Schlafbereiche und –Rückzugsorte sein, die auch tatsächlich als solche akzeptiert werden. Weiters können antisexistische Plakate aufgehängt, Workshops zum Umgang mit sexualisierter Gewalt und dem Zustimmungskonzept, Selbstbehauptungs- und Selbstverteidigungskurse oder designierte Menschen, an die mensch sich bei/nach Vorfällen wenden kann, organisiert werden.

Das sind nur einige der Möglichkeiten, die Palette an erfolgreichen Optionen und Interventionen gegen sexistische Gewalt ist lang. Unabdingbar ist jedoch, dass unter den Organisator_innen Konsens darüber bestehen muss, wie mit (sexualisierten) Übergriffen umgegangen wird und dass dieser angestrebte Umgang ab Beginn der Besetzung an alle zu kommunizieren ist.

Klar ist, dass diese Maßnahmen Übergriffe nicht vorbeugen können. Herangehensweisen wie die oben genannten zeigen allerdings eine gewisse Bereitschaft, sich mit Sexismus und sexualisierter Gewalt auseinanderzusetzen sowie Verantwortung gegenüber den Räumen und den teilnehmenden Aktivist_innen zu übernehmen und einen Ort zu schaffen, wo sexualisierte Übergriffe nicht toleriert werden. Wenn Hausbesetzer-Innen nicht einmal bereit sind, sich Gedanken dazu zu machen und einen Konsens bezüglich dem eigenen Umgang mit sexualisierten Übergriffen zu finden, sollen sie sich ernsthaft überlegen, ob sie es überhaupt verantworten können, ein Haus zu besetzen, dieses als Freiraum zu bezeichnen und alle dazu aufzufordern sich einzubringen.

Alle Aktivist_innen müssen sich bewusst sein, dass sexualisierte Übergriffe nicht einfach durch (vage) Ansprüche wie z.B. „wir sind alle anarchistisch, warum sollten wir sexistisch sein“… verhindert werden können. Es wäre daher schön, wenn sich alle darüber im Klaren wären, dass ein antisexistisches und solidarisches Klima für jede Hausbesetzung einen notwendigen Teil gelebter linksradikale Praxis darstellt und zwar IMMER und ÜBERALL und auch bzw. gerade bei der tollsten Party.

Sollte es zu Übergriffen kommen, unterstützt die Betroffene und ihre Definitionsmacht und macht klar, dass Übergriffe nicht toleriert werden!

Ein hierarchiefreier Raum kann nur dann entstehen, wenn jede_r einzelne dazu beiträgt.

In diesem Sinn – D.I.Y. or DIE!

Und übrigens: In unserer Utopie gibt es keine sexualisierte Gewalt! Create Anarchy NOT MANarchy!

Zustimmungs- sowie Selbstverteidigungsplakaten können von unserer Website (http://defma.blogsport.de/) runtergeladen und ausgedruckt oder von uns abgeholt werden.

**Out of Action: http://www.outofaction.net
http://gipfelsoli.org/Presse/Heiligendamm_2007/G8_2007_deutsch/2_Jahre_Vorbereitung/Arbeitsgruppen/antisexist_awareness_group/657.html

Auswertungsbericht der Antisexist Contact and Awareness Group:
http://asbb.blogsport.de/2008/07/23/auswertungsbericht-der-antisexist-contact-and-awareness-group/

 
Kontakt: http://defma.blogsport.de

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