In der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 brannte der Reichstag in Berlin. Die Nazis nahmen das zum Anlass, große Teile der Weimarer Verfassung auszusetzen und die massenhafte Verfolgung ihrer politischen Gegner (insb. der KPDler) einzuleiten. Wer tatsächlich für den Reichstagsbrand verantwortlich war, wird noch heute diskutiert.
Vor dem Reichsgericht in Leipzig wurden im selben Jahr 5 Personen angeklagt: Marinus van der Lubbe (Anarchist / Rätekommunist [je nach Darstellung] aus den Niederlanden), der KPD-Fraktionschef im Reichstag Ernst Torgler, sowie 3 bulgarische KPler, die im deutschen Exil lebten. Unter ihnen befand sich Georgi Dimitrow.
Dessen Prozessverhalten ist in Hinblick auf die in der deutschen Anti-Rep-Szene derzeit laufenden (Nicht-)Debatte um offensive/kreative Prozessführung interessant. Das Gericht lehnte alle von ihm benannten Wahlverteidiger ab (insgesamt 8!), und setzte ihn einen Zwangs-Pflichtverteidiger vor. Dieser setzte sich nach Dimitrows (wohl richtiger) Einschätzung nicht wirklich für seine Verteidigung ein und fuhr eine völlig unpolitische Linie.
Stattdessen verteidigte Dimitrow sich selbst vor Gericht. Seine Methoden erinnern dabei stark an das, was auch heute im Rahmen kreativer/offensiver Prozessführung üblich ist: Er stellte Beweisanträge, auch solche mit politischen Hintergedanken (z.B. diesen (enthalten in einem Brief vom 8. August 1933 an seinen Anwalt) und diesen vom 27.11.), befragte ausführlich Zeugen, gab juristische, aber auch politische Einschätzungen, zum Verfahren ab, und nahm dabei offensiv sein Rederecht in Anspruch, welches ihm vom Gericht immer wieder verwehrt wurde. Das mündete schließlich sogar in seinem mehrmaligen Rausschmiss aus dem eigenen Verfahren. (Siehe z.B. Verhandlungsprotokolle vom 04. und 11.10.)
Das Agieren im Gerichtssaal wurde ergänzt durch eine schon kurz nach Dimitrows Verhaftung einsetzende Öffentlichkeitskampagne, die weltweit beachtet wurde und das Geschehen im Gerichtssaal unmittelbar beeinflusste.
Diese Doppelstrategie war propagandistisch und schließlich auch juristisch ausgesprochen wirksam. Ein Höhepunkt dürfte die Zeugenbefragung Hermann Görings durch Dimitrow gewesen sein. Dieser ließ sich durch die Befragung derartig aus der Fassung bringen, dass er kurz vor Dimitrows Rauswurf vor der versammelten Weltpresse brüllte: „Sie sind in meinen Augen ein Gauner, der direkt an den Galgen gehört.“ Ein Grund, warum das Gericht sich schließlich gezwungen sah, genau das nicht umzusetzen, sondern vier der fünf Angeklagten freisprach? Das Protokoll von Görings Vernehmung durch Dimitrow findet sich hier.
Allerdings hatte die Verteidigungsstrategie Dimitrows auch kritische Punkte. Er ließ sich umfangreich zur Tat ein, beantragte die Zeugenladung von Genossen, diffamierte massiv den (von den Nazis offensichtlich völlig gebrochenen) Mitangeklagten van der Lubbe, der schließlich zum Tode verurteilt und hingerichtet wurde. Zur Kritik an der Diffamierung van der Lubbes durch die Solikampagne für Dimitrow, siehe hier.
Auch in anderen Punkten war die politische Strategie geprägt von der stalinistischen Ideologie der Dimitrow anhing: Er betonte seine grundsätzliche Anerkennung des Gerichts, unterstrich energisch das die KPD keinerlei Vorbereitungen für einen Aufstand gegen die Nazis getroffen hatte (was stimmte, aber ein Armutszeugnis für ihre Politik war), und verteidigte in seinem Plädoyer die Ehre des bulgarischen „Volks“.
Bei aller notwendigen Kritik an einzelnen Punkten kann nicht übersehen werden, dass die Strategie der Selbstverteidigung hier extrem erfolgreich war. In der Debatte heute wird immer wieder behauptet, Selbstverteidigung führe zwangsläufig ins Verderben. Dabei wird nicht nur die umfangreiche und differenzierte Erfahrung der letzten Jahre juristisch/politischer Kampf ignoriert, sondern eben auch wesentlich ältere geschichtliche Lehren.
Auf youtube findet sich eine szenische Lesung aus Teilen der Verhandlungsprotokolle.
Quellenkritik: Die Textauszüge und große Teile der Darstellung folgen der Quellensammlung „Reichstagsbrandprozeß – Dokumente, Briefe und Aufzeichnungen“, erschienen 1946 im Verlag Neuer Weg. Grundsätzlich sind Quellen aus der Stalinzeit mit Vorsicht zu genießen. Hier handelt es sich aber um ein damals schon weltweit rezipiertes Ereignis, und alle auffindbaren Berichte stimmen mit dem Buch überein. Daher dürften die Quellen authentisch sein.