Anti-Euro-Spekulation: Zocken ist gerecht
Die griechische Regierung hat über Jahrzehnte Geld verschwendet - trotzdem sollen plötzlich Spekulanten schuld sein an der Krise des Landes. Eine krasse Fehleinschätzung. Wer jetzt die Spekulation verbieten möchte, verschließt die Augen vor ökonomischen Wahrheiten.
Wenn etwas schiefgeht, braucht man Schuldige. Unbedingt. Menschen, auf die man mit dem Finger zeigen kann. Denn sonst könnte irgendjemand auf die dumme Idee kommen, man sei selbst mit schuld.
Dieser allgemeine Grundsatz gilt besonders für die Politik. Dies wird in diesen Tagen am Umgang mit der Griechenland-Krise deutlich. Die griechische Regierung hat weit mehr Schulden gemacht, als gesund ist, darauf reagieren die Märkte und die Zinsen für griechische Staatsanleihen steigen. Eigentlich ein normaler Vorgang. Trotzdem soll die Verantwortung nicht bei der griechischen Regierung liegen. Sondern bei den Spekulanten. Die reiten angeblich eine Finanzattacke gegen Athen. Gäbe es die bösen Spekulanten nicht, dann wäre in Griechenland alles in Ordnung - könnte man meinen, wenn man so manchem Kommentator glaubt.
Das Schimpfen auf die Spekulanten ist ein Volkssport. Warum ist das so? Weil sie zu viel verdienen, und dies mit dem Unglück anderer? Vielleicht. Aber andere verdienen auch viel Geld: Die allseits beliebten Casting-Shows sind zum Beispiel ein gigantisches Geschäft, das auf dem Leid und der Blamage anderer Menschen aufgebaut ist.
Wir hassen die Spekulanten, weil sie uns die Wahrheit aufzeigen
Was also ist das Besondere an den Spekulanten? In den Augen der braven Bürger sind sie vaterlandslose Gesellen. Häufig - und wohl nicht ganz zufällig - sind sie Fremde in der jeweiligen Gesellschaft. Sie versuchen, die Welt zu sehen, wie sie ist, und nicht, wie wir sie gerne hätten. Das ist die Grundlage ihres Geschäfts: Sie lüften durch ihr Handeln an den Märkten den Schleier aus Konvention, öffentlicher Moral und Ideologie, mit dem wir die Realität gern überdecken.
Deshalb hassen wir sie umso mehr, je hässlicher das Antlitz dieser Realität ist. Immer dann geht ein Donnerwetter über die Spekulanten nieder, wenn eine Gesellschaft sich ihre Lebenslügen nicht rauben lassen will.
Dabei spekulieren auch wir Normalbürger. Wir spielen Lotto, übrigens im Unterschied zur Spekulation am Kapitalmarkt ohne jeden positiven Nebeneffekt. Und gelegentlich versuchen wir uns auch an der Börse. Der eine oder andere ist im Nebenberuf zum daytrader geworden.
Mehr Verständnis für die Spekulanten erwächst daraus kaum. Denn oft ziehen wir den Kürzeren, und wer mag uns da aufs Kreuz gelegt haben? Richtig - die Spekulanten. Die Lebenslüge ist hier der Glaube, dass wir etwas von der Börse und den sie bewegenden Kräften verstünden, obwohl wir eigentlich Neurologe, Ornithologe oder Kriminologe sind. Wir hassen die Spekulanten, denn die haben nun unser Geld.
Märkte sind nicht monarchisch, sondern demokratisch
Ein besonders verhasster Spekulant ist der Leerverkäufer. Er verkauft, was er gar nicht besitzt, weil er darauf wettet, dass es später weniger wert ist. Für Unternehmen, deren Aktien er leerverkauft, ist dies eine Beleidigung. Das gleiche gilt für Staaten, mit deren Anleihen er handelt. Der Grund ist klar - denn der Leerverkauf macht eines deutlich: Es gibt Menschen, die das, was ein Unternehmen oder ein Staat tut, nicht so gut finden, die sogar Geld darauf verwetten, dass es schiefgeht.
Der Leerverkauf ist so etwas wie Majestätsbeleidigung. Aber ist das schlimm? Funktionierende Märkte sind nun mal nicht monarchisch, sondern demokratisch. Jeder kann meinen, was er will, und er kann danach handeln. Schließlich trägt jeder das Risiko seines Handelns selbst. Auch der Spekulant.
Spekulation soll gefährlich sein? Ja, aber das gilt zunächst einmal für den Spekulanten selbst. Er wettet schließlich mit seinem Geld - und kann auch verlieren, solange die Märkte nicht durch Fehlinformationen manipuliert werden. Darüber hinaus jedoch ist Spekulation vor allem für eine Gruppe gefährlich: die Mächtigen, die sich nicht bei ihren Geschäften stören lassen wollen.
Kein Wunder, dass Europas Regierungen die Spekulation verbieten wollen. Für uns Bürger ist das kein gutes Zeichen. Es bedeutet, dass noch einiges im Argen liegt, und dass die Politiker die Wahrheit, die ihnen die Märkte sagen, auf keinen Fall hören möchten. Der Spekulant hat den Mund zu halten, damit uns nichts beunruhigt.
Würden die Spekulanten diesem Schweigegebot folgen, könnte die Politik Zeit gewinnen. Aber so löst man keine Probleme. Im Gegenteil: Es besteht die Gefahr, dass die Regierungen keine Notwendigkeit mehr sehen, vor dem nächsten Wahltermin die erforderlichen, meist unbequemen Maßnahmen zu ergreifen.
Ohne Spekulation herrscht der alte Schlendrian. Und irgendwann ist es dann zu spät zum Umsteuern.
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Daher loten die Euroländer nun andere Möglichkeiten aus, um Griechenland zu helfen. Einzelne Länder wie Deutschland oder Frankreich könnten beispielsweise bilaterale Kredite zur Verfügung stellen.
Selbst die Einführung eines Europäischen Währungsfonds soll im Gespräch sein. Denkbar sind auch Garantien für griechische Staatsanleihen oder eine gemeinsame europäische Anleihe. Athen muss derzeit neue Staatsanleihen zu immer schlechteren Konditionen platzieren, um seine Zinsen bezahlen zu können. Eine weitere Möglichkeit: Die EZB oder nationale Notenbanken könnten Anleihen aus Griechenland kaufen.
Schuldenquote: 112,6 Prozent des nationalen BIP
Haushaltsdefizit: 12,7 Prozent des nationalen BIP (2009)
BIP-Wachstum: -1,1 Prozent (Prognose 2009)
Anteil am BIP der Euro-Zone: 2,6 Prozent (2008)
Quelle: EU-Kommission
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