GQ-Kolumnisten
David Baum

„Meine Herrschaften!“ – Unser Autor schreibt über Begegnungen, Affären und Karambolagen.

Meine Herrschaften #18

„Hi, mein Name ist Angela und ich bin süchtig.“ So wäre es, wenn es für eine der meist verbreiteten Drogen des Landes eine Selbsthilfegruppe gäbe. Doch noch haben sich keine Anonymen Wagnerianer gegründet, denn einer der heimtückischen Aspekte dieser Sucht ist die Uneinsichtigkeit der Betroffenen, dass es sich überhaupt um eine solche handelt. Dabei ist ihr Rausch so offensichtlich.

Ich schreibe diese Zeilen aus Bayreuth – was für die Wagner-Junkies in etwa das ist, was Las Vegas für die Spielsüchtigen ist, Amsterdam für die Kiffer und Bogotá für die Kokser. Wie alle Drogenmetropolen ist dieser Ort magisch und völlig meschugge. Die Druffies aus aller Welt sind angereist, sie haben sich groteske Medaillen mit dem Antlitz des Meisters in die Dutts geflochten oder an die Smokingreverse geheftet. Sie stehen andächtig an der efeuüberwucherten Grabesstätte des Komponisten und blicken sogar andächtig auf den Flecken Erde, in dem einst dessen Hund Russ verbuddelt worden war, sie springen von ihren fränkischen Sauerbraten auf, sobald ein Wotan- oder Lohengrin-Interpret das Wirtshaus betritt und Klatschen erregt. Und sie brüllen sich die Seele aus dem Leibe, sobald einer dieser Regisseure die Bühne betritt, der ihren reinen Stoff mit Interpretationen gestreckt hat. Als vergangene Woche bei der Tannhäuser-Premiere der Regisseur Sebastian Baumgarten niedergepfiffen wurde, ergriff mich kurzfristig Solidaritätsgefühl, da ich wohl als einziger den sexualisierten Assoziationsmüllhaufen, den er da auf die Bühne gebracht hat, irgendwie schlüssig und gut fand, und applaudierte dem armen Mann. Mäp, mäp, mäp – keine gute Idee. Erregt drehten sich die Buh-Brüller zu mir um und zeigten mir erbost den Vogel, der schwäbische Herr neben mir gab mir sogar einen Rempler. Und dabei war dieses Buh-Konzert noch eine der gemäßigteren Reaktionen, am Vorabend musste sich Frank Castorf für seinen Ring des Nibelungen sage und schreibe 30 Minuten Trillerpfeifenkonzert abholen.

Gerade im Jahr des 200. Geburtstag von Richard Wagner wurde viel darüber spekuliert, weshalb Bayernkönig, Führer und Kanzlerin, Thomas Mann und Tommy Gottschalk , Heiner wie auch Lieschen Müller diesem Rausch allesamt erlegen sind. Und heute nach wie vor so besinnungslos diesem Schelm, Judenfeind, Betrüger, Schnorrer und Ehebrecher heute nach wie vor gehuldigt wird. Das alles ist natürlich müßig und obsolet, genauso könnte man den Kindern vom Bahnhof Zoo vorwerfen, dass sie sich nie Gedanken über die Arbeitsbedingungen der Opiumbauern in Afghanistan gemacht hätten.

Ich selbst war lange resistent. Ich erinnere mich noch an den Vater eines guten Freundes aus Kindertagen, der auf dem Wagnertrip gewesen ist. Er war Besitzer des örtlichen Schuh- und Skigeschäftes und schmetterte Wotanarien während er unsere Ski wachste. Aus meiner ersten Götterdämmerung floh ich nach der ersten Pause, woran allerdings nicht die Musik, sondern der atemberaubende Mottengestank der Pelzstola meiner Sitznachbarin schuld gewesen ist. Dann aber freundete ich mich mit jemandem an, der an Bayreuth-Karten kam, aber selbst lieber Kylie Minogue-Konzerte bevorzugte und froh war, wenn man seiner statt „Wogalaweia“ und „Jellohohoho heho!“ über sich ergehen ließ. Und wie das nun mal ist mit Drogen, einmal gekostet und alles ist hin.

Seitdem pilgere ich in dieses fränkische Drogenmekka und hole mir meine Überdosen. Vor einigen Jahren begleitete ich Christoph Schlingensief, der ebenda den Parsifal inszeniert hatte. Da er die Handlung des christich-mythologischen Bühnenweihespiels kurzerhand nach Afrika verlegt hatte, waren ihm die Wagnerianer nicht gerade hold. Tapfer setzte er sich in jede Vorstellung und genoss spitzbübisch die Schreierei um sich herum. Wirklichen Mut besaß er dann, als er sich den Wagnerianern stellte und sie zur Diskussion bat. Wütend schaubten diese, als er behauptete er habe sich doch bloß an die Vorgaben des Meisters gehalten. „Wie bitte??!!“, brüllte da ein alter Oberstudienrat. „Wo steht den bitte, dass Kundry eine Afrikanerin ist?“ Schlingensief lächelte da bloß charmant und wies darauf hin, dass in der Gebrauchsanweisung Wagners ein Kleid, das aus einer Schlange gefertigt sei, vorgeschrieben wurde. „Und jetzt sagen sie mir bitte, wo sie außerhalb Afrikas eine so große Schlange finden“, erwidert Schlingensief seinem Kritiker. Da wusste selbst der nichts mehr zu sagen und schüttelte ungläubig aber ratlos den Kopf.

Einmal traf ich sogar den Urenkel des Meisters, den inzwischen verstorbenen ewigen Festspielleiter Wolfgang Wagner, Vater der beiden jetzigen Syndikatschefinnen Katharina und Eva. Wir saßen nachmittags bei brütender Hitze in einem Kämmerchen der Festspielleitung. Ungeschickterweise begann ich das Gespräch mit dem Hinweis, dass er, Wagner, nun wohl der letzte lebende Patensohn Adolf Hitlers sei. Daraufhin erzählte der mir in breiten fränkischen Dialekt einen unlustigen Witz, lachte selbst darüber etwa zehn Minuten, sagte er müsse eben etwas holen und war verschwunden. So ist das wohl nach lebenslangem Konsum.

Hi, ich bin David, ich bin süchtig. Und jetzt hab ich leider keine Zeit mehr, denn gleich beginnt der Fliegende Holländer und ich finde meine Wagner-Manschettenknöpfe nicht.

Meine Herrschaften #16

An Düften und Gerüchen hängen unsere nachhaltigsten Erinnerungen. Das Drüsensekret der Moschusochsen schnuppern wir zum Beispiel angeblich deshalb so gerne, weil uns Moschus an unsere eigene Kinderkacke erinnert. Ein Geruch also, der mit den allerlieblichsten Gefühlen verknüpft ist, denn wir denken dabei an das freudige Lob unserer Mütter, wenn wir endlich ins Töpfchen gemacht haben. Das behaupte nicht ich, das hat mir einmal ein Hamburger Arzt und Gelehrter ausgeführt und ich finde das leuchtet ein.

Unsere Lieblingsparfums suchen wir demnach nicht deshalb aus, weil sie so köstlich nach Zeder, Sandelholz, Patschuli oder Veilchen riechen, sondern weil wir mit ihnen etwas verbinden.

Ich kenne Leute, die sind eigens nach Wien gereist um ein Fläschchen Knize Ten zu besorgen, womit sich einst Axel Cäsar Springer parfümierte, und dessen Witwe bis heute angeblich Herren, die danach duften, launig zuzwinkert. Andere verfallen in einen Rausch, wenn ihnen L’eau d`Yssey in die Nasenlöcher steigt, was der dominierende Duft in den Pariser Houseclubs der frühen Neunziger gewesen ist und süße Erinnerungen an vergangene Ekstasen weckt.

In meiner Großhirnrinde haben sich für alle Zeiten die beiden Parfüms von Helmut Lang eingeprägt. Mit ein paar Spritzern von Helmut Lang Cuiron pour Hommes (Zitrone, Leder, Moschus, Tabak, Zimt) fühlte man sich selbst in T-Shirt und Jeans zutiefst elegant. Zu meinem Unglück wurde die Produktion vor Jahren eingestellt, die angeblichen Restbestände, die man bei ebay kaufen kann, sind meist plumpe Fälschungen, die nicht im Ansatz etwas mit den Originalen zu tun haben.

Nun war ich vergangene Woche im Hause eines Freundes in Potsdam eingeladen und entdeckte im Bad des Gästezimmers zwei Flakons beider Düfte. Dass Lieblingsparfums eine Art Droge sein müssen, beweist der Umstand, dass mein Verhalten für den Rest des Abends schamlos darauf ausgerichtet war, dem Gastgeber die beiden Fläschchen abzuschwatzen.

Das gelang mühelos, und so reiste ich glücklich mit den beiden Preziosen im Koffer ab. Sorgfältig packte ich die beiden Flakons auf dem Flughafen Tegel in die dafür vorgesehenen Security-Beutelchen, und legte sie in eines der kleinen Körbe, sodass sich das Sicherheitspersonal davon überzeugen konnte, dass keine Gefahr von Helmut Lang und mir für die Sicherheit des innderdeutschen Luftverkehrs ausging.

Dann kam Frau Puck.

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Frau Puck arbeitet an der Sicherheitsschleuse von Tegel, sie hat ihre herausgewachsene Dauerwelle mit Henna überfärbt, ihre Tränensäcke deuten auf einen Hang zu Branntwein hin. In ihren Gesichtszügen findet sich kein Hinweis darauf, dass diese je zum Lächeln vorgesehen waren. Kurzum: Frau Puck ist ein Ungeheuer.

Frau Puck begutachtete abschätzig meine beiden Fläschchen, grabschte nach ihnen, um mir dann kaugummikauend mitzuteilen, dass ich auf keinen Fall damit fliegen könne. „Neue Bestimmungen“, grunzte sie. „Die kommen auf keinen Fall mit.“ Sofort packte ich mein Zeug und verließ eilig diesen feindlichen Sicherheitsbereich, empört pfiepte dazu der Metalldetektor, als ich zurück in die Schalterhalle rannte.

Dort verpackte ich alles neu und checkte mein Handgepäck mit den Parfums ein. Zurück am Security-Gate erwartete mich bereits Frau Puck mit abschätzigem Grinsen. „Det glooben Sie nich wirklich, dass sie jetzt mit diese Mogelei durchkommen?“, sagte sie. „Ihre Produkte sind nicht originalverpackt und wat nich originalverpackt ist, det ist ein Sicherheitsrisiko, ick habe bereits die Kollegen angewiesen, diese vorschriftsmäßig zu entfernen.“

Ich spürte in mir Nazi- und Stasivergleiche aufwallen, besann mich aber meines Karmas und ging wortlos weg, bestellte im Flieger ein Bier und betrauerte still meinen Verlust.

Als ich in München meinen Koffer öffnete, fand ich auch das Protokoll, das die angeordnete Öffnung meines Gepäcks bestätigte. Darunter hatte jemand ein großes Smiley gezeichnet und „Ist schon OK“ hingeschrieben. Überrascht kramte ich in der Tasche – beide Parfüms waren noch da. Unterzeichnet hatte den Wisch ein gewisser Kühl, Mitarbeiter in der Sicherheitskontrolle des Flughafens Tegel.

Der Mann ist ein Held.

Nun glaube ich wieder an das Gute im Sicherheitsmitarbeiter. Und rieche dabei sehr sehr gut. 

Meine Herrschaften #15

Kai Wiesinger hatte gesagt, ich müsse keine Angst haben. Eigentlich wäre Götz George ein großartiger Mensch, ein freundlicher, manchmal sogar höflicher Gesprächspartner. Außerdem habe George eingewilligt, sich nach dem anstrengenden Interviewtag im Hamburger Atlantic Hotel für mich Zeit zu nehmen, er käme gerne in das Restaurant, und würde mit mir speisen.

Das klang gut.

Wiesinger und George hatten damals einen Film über den KZ-Arzt Josef Mengele gedreht, welcher bekanntermaßen nach 1945  irgendwohin nach Südamerika geflohen und seitdem verschollen war. In der Fiktion des Filmes kehrt der alte Mengele nun aber zurück um sich einem Gericht zu stellen und sein grausames Werk zu verteidigen. Ein mutiges Filmprojekt, das für George, der den alten todkranken Mengele spielte, offensichtlich eine hohe Anstrengung gewesen war.

Nicht ganz so viel Mühe hatte sich eine junge Journalistin gegeben, die kurz vor unserer Verabredung George gefragt hatte, ob es diesen Mengele eigentlich wirklich gegeben habe. Als George sie genervt über den geschichtlichen Hintergrund aufgeklärt hatte, soll die Frau nachgefragt haben, wann dieser Prozess dann eigentlich stattgefunden habe.  Journalistischer Totalschaden. Das alles muss man wissen, um sich die Stimmung von Götz George vorstellen zu können, als er an meinem Tisch am Fenster mit Alsterblick Platz nahm.

Ich hatte bereits die Speisekarte studiert und reichte sie George. Er winkte ab. „Neneee, danke“, sagte er. Er habe bereits vorab bestellt und ich würde nichts bestellen müssen, da wir ja hoffentlich gleich wieder fertig seien. Da kam auch schon der Kellner mit einer gigantischen Platte mit Fines de Claires – und George begann eine nach der anderen zu schlürfen.

Ich beschloss zur altbewährten Ehrerbietungsoffensive überzugehen.

„Herr George, die Rolle, die sie sich da vorgenommen haben, die ist übermenschlich, es ist die vermutlich größte Herausforderung, die ein Schauspieler sich heute zumuten kann. Stimmt es, was ihre Kollegen sagen, dass sie der einzige sind, dem man das zutrauen würde?“

Es klappte. Ich hatte seine Aufmerksamkeit. George legte eine Auster weg und schaute mir zum ersten Mal richtig ins Gesicht. Dann begann er mit diesen George-Geräuschen, diesem Selbstgesprächsgemurmel, aus dem hin und wieder laut artikulierte Sätze aufsteigen. Manche seiner Kollegen behaupten ja, er würde so sprechen, weil man ihn darin in Filmen nicht schneiden könne. Aber das ist sicher bloß böses Gerede.

George jedenfalls war jetzt für ein Gespräch bereit, er redete über seine Kunst, die ja eigentlich nur ein Handwerk sei, über den schmalen Grat. Zwischendurch verschluckte er die eine oder andere Auster. Das Gespräch gefiel ihm offenbar so gut, dass er mir – immerhin – eines der Cheddar-Pumpernickel-Türmchen anbot, die als Belage gekommen waren. Das machte mich allzu wagemutig.

„Herr George, ihr Vater Heinrich George war der unumstritten größte Schauspieler seiner Zeit, selbst seinen Rollen in NS-Propagandafilmen, konnte er differenzierte Tiefe verleihen “, hob ich zur nächsten Frage an. Er nickte. „Und Sie? Wenn Sie Rollen spielen, die sonst keiner kann, streben Sie dann auch danach, der Größte zu sein?”

Als Antwort erreichte mich erst einmal ein fassungsloser Blick. Oder war das Zorn?

„Neeee, aber neee“, brummte es aus George. „Ich bin jemand der etwas versucht, der in manchem vielleicht etwas geschafft hat, aber mehr doch nicht. Wenn der George hier jetzt hereinkäme, dann wäre es still, der hatte in jeder Sekunde alle Aufmerksamkeit, da konnte einen Raum völlig ausfüllen, der war eine Naturgewalt. Das kann ich nicht, nee, das kann keiner mehr.“

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Heute, 13 Jahre später, hat Götz George es doch gewagt und hat sich dem Vergleich mit seinem Vater gestellt. Er hat sich das schwerste zugemutet und im Rahmen eines Doku-Films seinen Vater gespielt. George als George, Götz als Heinrich. Die Erstausstrahlung gestern Abend bescherte Arte einen Zuschauerrekord, morgen, Mittwoch, läuft „George, George“ im Ersten noch einmal.

Götz George sollte Recht behalten. Er würde daran scheitern. Das ganze Projekt ist in sich völlig unschlüssig und funktioniert nur an ganz wenigen Stellen. Vor allem aber gelingt es ihm nie, mehr zu sein, als der Sohn, der sich anstrengt und abmüht, irgendwie den Vater zu erreichen. Ohne auch nur einen Moment im Ansatz jene Energie aufkommen zu lassen, die das menschliche Kraftwerk Heinrich George ausmachte.

Es war trotzdem ein großer Fernsehabend. Gerade weil Götz George sein Versagen in Kauf genommen hat. Sich in seinem Wunsch offenbart hat, den Vater zu zeigen, diesen als Schauspieler der NS-Zeit zu entschulden.

Götz George ist gescheitert. Aber dabei war er groß, sehr groß.


Illustration:  Sarah von der Heide

Meine Herrschaften #14

Das deutsche Modelabel Herr von Eden hat sich einen besonders romantischen Gründungsmythos zugelegt. Bent Angelo Jensen, Chef wie auch Chefdesigner, soll 1996 als 21-Jähriger im alternativen Hamburger Karolinenviertel einen kleinen heruntergekommenen Laden angemietet und dort Secondhandanzüge feilgeboten haben. Daraus sei schließlich die viel bestaunte und beklatschte Modelinie gewachsen, die heute u.a. den Stil von Stars wie Jan Delay, Chilly Gonzales, Bela B., Marla Glen oder Udo Lindenberg prägt. Das soll glauben wer will – ich weiß, dass es genau so gewesen ist.

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Titi, ein gemeinsamer Freund, hatte Bent und mich damals bekannt gemacht, und so standen wir in dem engen Raum und sichteten die unglaublichen Stücke, die er gesammelt hatte. Das Besondere daran war, dass man bei allem bereits eine klare Linie erkennen konnte. Keiner dieser Anzüge war natürlich von Bent designt oder gar hergestellt, aber er hatte jeden einzelnen gefunden und kuratiert. Bent wäre es im Traum nicht eingefallen, ein Kleidungsstück anzubieten, das er nicht theoretisch auch selbst so entworfen hätte.

Bent betrachtete mich einige Minuten mit zusammen gekniffenen Augen, verschwand in seiner Kleiderkammer und kehrte mit einem hellblauen Jeans-Anzug aus den 70er-Jahren mit ausuferndem Revers zurück. Er passte wie angegossen, und bald sollte ich damit auf einer Fashionparty im Hamburger Kunstverein ziemlich viel Beachtung bekommen. Keine zehn Minuten war ich an der Bar gestanden, als Wolfgang Joop, den ich noch nie zuvor getroffen hatte, auf mich zusteuerte und mich über mein unglaubliches Styling befragte. Schnell war ein Stift zur Hand, und der Meister begann das Jeansding zu skizzieren, weil er es unbedingt für JOOP! nachschneidern wollte. Keine Ahnung, ob das je passiert ist, wenn doch, dann war es das erste Herr-von-Eden-Stück, das in Serie gegangen ist.

Viele Jahre später, Herr von Eden hatte sich längst als eigene Marke mit mehreren Läden in Hamburg, Berlin, München und Köln etabliert, rief Bent an, er wolle mit einer Herrenrunde durch Hamburg ziehen, um endlich den Frack wieder salonfähig zu machen. Wir – der Schauspieler Udo Kier, Bent, einige seiner Freunde und ich – trafen uns und begaben uns also in white tie. So gingen wir essen, besuchten diverse Bars und gerieten zur Sensation. Die Leute bestaunten unsere Frackpartie. „Wären wir splitternackt durch die Nacht gezogen“, sagte Bent, „hätten wir auch nicht mehr Aufmerksamkeit bekommen können.“

Ich erzähle das alles, weil Herr von Eden vor einigen Tagen Insolvenz anmelden musste. Die Firma ist zuletzt zu schnell gewachsen, auf einmal konnte man die 600.000 Euro Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen. Herr von Eden wäre nicht der erste Modeunternehmer, dem die Expansion nicht gut tut.

Bent will trotzdem weitermachen. Eben hat eine Ausstellung über sein bisheriges Schaffen, „Herr von Eden – CTRL ESC“, justament im Hamburger Kunstverein eröffnet. Die nächste Kollektion wird gerade ausgeliefert.

Die Karriere des Bent Angelo Jensen ist noch lange nicht vorbei. Nicht bloß, weil das Projekt, den Frack zu propagieren, noch nicht abgeschlossen ist, sondern einfach weil ein Geschmack wie dieser nicht insolvent gehen kann. 


Illustration:  Sarah von der Heide

Meine Herrschaften #13

Wenn der Sonntag gut läuft, lädt einen Monsignore nach dem Messgang zu einem ausgedehnten Mittagessen in die Wallfahrtsdirektion ein. Dann kommt eine Hausdame mit großen weißen Servietten und einem Silber-Klips und schon lugt nur noch der Kopf der Gäste hinter sehr viel gestärktem Stoff hervor. Überhaupt diese Tischwäsche, alles ist so rein und wahr, mit feinstem Service gedeckt, ein deutscher Traum für sich. Wie sagte schon der Schriftsteller Christian Kracht? Es wird Hoffnung geben, so lange es frische Wäsche gibt.

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Hoffnung ist eines der Hauptgeschäfte des Gastgebers. Prälat Wilhelm Imkamp führt in Maria Vesperbild, einem niedlichen Dörfchen in der Nähe von Augsburg, Deutschlands erfolgreichsten Wallfahrtsbetrieb. Wenn er zu Ostern, Pfingsten oder Christi Himmelfahrt das Hochamt zelebriert, dann strömen Gläubige zu Tausenden herbei und verfolgen auf Großleinwänden die mal lustigen, mal tiefsinnigen Predigten und  schließlich wie er die Eucharistie als großes Geheimnis vollzieht – in Latein wie sich versteht. Das „Dóminus vobíscum“ klingt in Imkamps römischem Akzent so schön und melodiös, dass es sich auch um einen italienischen Sommerhit handeln könnte.

Katholischer als dieser Mann ist höchstens der Papst – und das ist nicht gewiss. Imkamp findet, dass eine protestantische Kirche völlig reicht und die Katholiken mit ihrem alten USP eigentlich ganz gut fahren. Das Feierliche und Wundersame gehört zu seinem zeremoniellen Besteck. Und doch muss es in einem katholischen Leben seiner Meinung nach nicht lustlos zugehen – wie er beim Mittagessen anlässlich eines Gesprächs für das Magazin der Süddeutschen Zeitung beweist.

„Wollen Sie Weißwein oder Champagner“, fragte Monsignore.

Gerne, aber ist nicht gerade Fastenzeit?

„Doch, doch, es gibt gleich Fisch.“

Man muss nicht katholisch sein, nicht einmal Christ, um über Wilhelm Imkamp mindestens zu staunen. Vor zwei Wochen  präsentierte seine Freundin Gloria von Thurn und Taxis in Berlin sein neuestes Opus: „Sei kein Spießer, sei katholisch!“ Ein kleines Büchlein, das es in sich hat – und damit ist nicht das Vorwort von Kai Diekmann gemeint. Imkamp beweist sich wiederum als Sprachrohr einer konservativen Avantgarde, als Antithese zu Margot Käßmann. Schon vor vielen Jahren hat er Gläubigen, die mehr Fortschritt in der Kirche forderten, entgegen gehalten, dass Fortschritt nicht automatisch gut sei. „Die Atombombe galt auch als Fortschritt“, sagte er damals.

Heute ist der „PR-Mann Gottes“ in seiner Strategie weiter und dreister, er dreht den Spieß um und erklärt die sich an den Händen fassenden und Gitarre zupfenden Kirchentagsgroupies, die sich als Erneuerer und Modernisierer begreifen, zu Spießern. Er geißelt die „Clerical Correctness“ und „das Elend der Pastoralbürokratie“. Mit aufrührerischem Herzen fordert er die Erlösung des Glaubens aus der Beliebigkeit.

Sogar die großen Protagonisten der Aufklärung bekommen rückwirkend den gewitzten Zorn Imkamps zu spüren: „Es gehört zu den Ironien der Geschichte, dass ausgerechnet im 18. Jahrhundert, im Frühling der Aufklärung, die abstrusesten Kulte blühten“, schreibt er. „So hin- und hergerissen waren Sinne und Verstand, dass man nachmittags beim Tee im Salon die Existenz Gottes leugnete und über die Kirche und ihr brutales Regime schimpfte. Und abends? Da gingen die selben Herrschaften in malerischen Fantasiekostümen mit hochstaplerischen, pseudomittelalterlichen Ritterordensgraden in ihre Logen, tranken Rotwein aus Totenköpfen und unterzogen sich den absurdesten Ritualen und Zeremonien.“ Seine Thesen sind geschickt und klug durchdacht. Man muss ihnen nicht folgen, aber man kann auch als Atheist seinen – Achtung! – Heidenspaß an den Argumenten und Gedankengängen des Prälaten haben.

Was man Wilhelm Imkamp vielleicht vorwerfen kann, ist seine Lautstärke. Er sitzt gerne in den Talkshows und auf den Podien, die Taktzahl seiner Interviews übersteigt die der meisten Bischöfe. Sein Büro versorgt die Redaktionen des Landes unentwegt mit Programmen, Presseschauen und Telepredigten. Er will gehört werden.

Als ich einige Zeit nach unserem Zusammentreffen in Augsburg unterwegs war, beschloss ich einen Sprung in Maria Vesperbild vorbeizuschauen. Nur einige wenige Betende knieten in den Bänken der Wallfahrtskirche. Monsignore zelebrierte eine so genannte „stille Messe“, er, ganz versunken, dem Altar zugewandt, keine Worte, keine Musik. Als er das Brot brach, strömte plötzlich Sonnenlicht durch das Kirchenfenster und er blickte kurz lächelnd in den Himmel hinaus. Selbst im Schweigen ist Wilhelm Imkamp einfach gut. 

 Illustration:  Sarah von der Heide

Meine Herrschaften #12

Vergangene Woche kam mein Kollege Max zu mir und fragte, ob ich irgendeinen Bezug zu Nelson Mandela hätte. Na klar habe ich den! Mein Englischlehrer damals am Gymnasium, erinnerte ich mich, hatte die Apartheid und das Schicksal Nelson Mandelas sowie des anderen großen Bürgerrechtlers Steve Biko besonders leidenschaftlich thematisiert. Und im katholischen Internat gab es sogar Südafrika-Messen, auf denen Songs von Miriam Makeba gespielt wurden und in den Fürbitten für die Abschaffung der Apartheid gebetet wurde. Ach ja und noch was: Meine damalige Lieblingsband „The Specials“ hatte einen Song, der hieß: „Free Nelson Mandela“.

Max seufzte. Er habe einen richtigen Bezug gemeint, also einen Kontakt, irgendeine besondere Geschichte. Präsident Obama würde doch gerade Südafrika besuchen und ergriffen die historischen Plätze besichtigen, Mandela selbst ringe derweilen mit dem Tod. „Ich finde, wir sollten dazu etwas machen“, sagte Max.

Und da fiel mir ein, dass in meinem Adressbüchlein die Telefonnummer von Dr. Auma Obama, der Halbschwester des US-Präsidenten, die als Soziologin und Autorin in Kenia lebt, steht. Jedes mal wenn ich den Namen dort las, wunderte ich mich wie er dort hingekommen sein mag. Ich habe die Frau nämlich nie getroffen oder gesprochen. Wäre doch interessant zu erfahren, was Ihr der große Mann Afrikas bedeutet. „Aber können wir da jetzt einfach anrufen?“, fragte Max. „Na klar“, sagte ich und tippte die Nummer.

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Hallo Frau Obama, wir würden gerne mit Ihnen über Nelson Mandela sprechen!

Sehr gerne sogar!

Erinnern Sie sich noch, als Sie zum ersten Mal in Ihrem Leben von Nelson Mandela und seinem Kampf erfahren haben?

Ich komme aus Kenia und so lange ich mich zurückerinnere, war er mir im Bewusstsein. Wir wussten, dass er im Gefängnis saß. Wir waren das Nachbarland von Tansania, das seinen Kampf sehr unterstützte. Kenia hatte diesbezüglich leider viel weniger unternommen. Ich war ein großer Fan von Miriam Makeba, der südafrikanischen Musikerin, auch durch sie wurde uns viel von der Situation vermittelt, wir wussten von Beiden vom Kampf gegen Apartheid. Zu der Zeit war ich Teenager und Mandela war schon damals ein Symbol für den Kampf für Freiheit über die Grenzen Südafrikas hinaus.

Wie nahmen Sie damals die Situation der Rassentrennung in einem anderen afrikanischen Land wahr? Welche Auswirkung hatte das auf Ihre Wahrnehmung von Weißen?

Es war in erster Linie etwas, das ich nie verstanden habe. Dass die Welt das erlaubte, war so unerhört. Es war schwierig, damit klar zu kommen.

Als das Apartheid-Regime fiel, Mandela Präsident wurde – welche Auswirkungen hatte das auf Afrika, auf die Welt?

Ich studierte damals in Deutschland und erinnere mich noch gut an das Gefühl, als endlich klar war, dass es vorbei ist. Es war so lange schon an der Zeit, dass da etwas passiert. Ich fühlte mich so glücklich, dass es zu meiner Lebenszeit passiert ist, denn wir hatten fast nicht mehr damit gerechnet. Zumal dass es ein friedliches Ende nahm.

Deutschland hatte stets eine ablehnende Haltung gegenüber der Apartheid. Hatte das für Sie eine Bedeutung, dass die Menschen hier mehrheitlich klar Mandela unterstützten?

Ich wusste, dass Deutschland und besonders die alternative Szene hier die Freiheitsbewegung enorm unterstützte. Ebenso wie es sich bedrückend anfühlte, mit dieser ungerechten rassistischen Gesellschaft auf einem Kontinent leben zu müssen, so war es ein gutes Gefühl, dass die Menschen überall in der Welt dagegen auftraten, egal welcher Hautfarbe. 

Welchen Anteil hatte Mandelas Kampf daran, dass Barack Obama, Condoleezza Rice oder Kofi Annan später zu internationalen Führungsfiguren werden konnten? 

Das ist schwer zu beurteilen. Aber es ist eine Tatsache, dass Mandela überall in der Welt geehrt wird und zwar von allen Völkern und ethnischen Zugehörigkeiten. Ich glaube das ist seine Wirkung, dass sich die Menschen untereinander wohler fühlen, weil sie sich auf Symbolfiguren wie ihn einigen können. Ich glaube man darf es nicht nur auf Schwarze beschränken. Mandela erreichte, dass alle Menschen offener zueinanderstehen, weniger Angst voreinander haben.

Ihr Bruder Präsident Obama sagte bei seinem Besuch in Südafrika: „Mandelas Kampf war eine persönliche Inspiration für mich, es war eine Inspiration für die Welt“, Können Sie beschreiben wie er sie persönlich inspiriert hat?

Schon die Tatsache, dass er nach 27 Jahren im Gefängnis noch fähig war den Gefängniswärtern zu verzeihen und zu sagen: Wir können nach all dem trotzdem miteinander leben und uns etwas geben. Das ist der wichtigste Moment für mich. Vor allem aber seine schwarzen Landsleute davon zu überzeugen, entweder zu verzeihen oder zumindest nach vorne und nicht zurück zu schauen, das war vermutlich ein Kampf für sich und eine große Leistung. Er hat den Südafrikanern ein Geschenk gemacht, er hat ihnen ihr Land zurückgegeben, ohne es den anderen zu nehmen. Er hat verdeutlicht, dass alle ein Recht auf das Erbe Südafrikas haben, auch die Unterdrücker von gestern Heimatrechte erworben hatten. 

Was wird das Erbe Mandelas sein?

Jedes Kind auf dieser Welt sollte von Mandela hören, sollte von seiner Weisheit erfahren. Denn er hat nicht für die Freiheit der Schwarzen gekämpft, sondern für die Freiheit aller Menschen dieser Welt.

 

Illustration:  Sarah von der Heide

Meine Herrschaften #11

An meinen ersten Superhelden erinnere ich mich noch sehr gut. Er trug keine Fledermausohren oder blaue Strumpfhosen, sondern grüne Knickerbocker. Es war ein lauer Sommerabend. Ich, vielleicht vier oder fünf Jahre alt, saß am Tisch unseres Esszimmers, mein Vater hatte nebenan auf seinem gemütlichen Lehnsessel Platz genommen, als plötzlich durch das offene Fenster hinter uns ein gellender Schrei drang. Ich glaube, ich habe niemals mehr in meinem Leben etwas Erbärmlicheres, Entsetzlicheres gehört als dieses: der Todesschrei meiner beiden Hasen Clemens und Hänschen, die eben noch friedlich durch den Garten gehoppelt waren. Noch bevor ich realisieren konnte, worum es ging, war mein Vater binnen weniger Sekunden in einem Satz auf das Fensterbrett gesprungen und in einem zweiten aus dem Fenster, hatte den Marder, der gerade versuchte, meinen Lieblingstieren den Hals durchzubeißen, gepackt und über eine Hecke geworfen.

An diese wahrhafte Heldentat musste ich denken, als ich gestern aus „Man of Steel“ kam, dem neuen Superman-Epos in den Kinos. Denn dieser Held hat derart überirdische Leistungen zu vollbringen, für kleinere Apokalypsen wie lecke Atomkraftwerke oder gar sterbende Hasen hätte der keine Zeit.

„Man of Steel“ ist in erster Linie eine Leistungsshow der digitalen Filmkunst. Eine Parade von Camouflage-Auftritten großer Stars – wobei gesagt werden muss, dass für die Charaktere neben all dem Krachen, Kämpfen, Wummern und Weltretten ohnehin kaum Raum bleibt. Dafür haben die Macher eine mythologisch verstrickte Vorgeschichte reingepackt, gegen die einem die Handlung von Wagners „Ring des Nibelungen“ kurzweilig vorkommt. Aber was soll’s, man kennt die Leute ohnehin aus unzähligen vorangegangenen Comics, Filmen und Serien, wieso sich also lange mit der Entwicklung von Figuren aufhalten, deren Biografien und psychologische Entwicklung als allgemein bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Ich verließ das Kino also mit dem Gefühl, einen beeindruckenden Film gesehen zu haben.

Heute Morgen kam mir das Ganze bereits eher bedrückend vor. Wieso muss der Einsturz von Metropolis so nah an den Bildern vom 11. September entlang erzählt werden? Als kein Superheld in Strumpfhosen mit übernatürlichen Kräften bereit stand, sondern bloß Hunderte Helden in Feuerwehrhelmen, in menschlichem Rahmen versuchten, das Inferno zu bekämpfen. Übrigens: Im ganzen „Man of Steel“ kommt kein Mensch vor, der zu etwas taugt. Außer den liebenswürdig-dusseligen Zieheltern und die treudoofe Lois Lane. Zudem prophezeien die kryptonischen Eltern dieses Superman ihrem Söhnchen, dass er uns Menschen einst ein Gott sein würde. Himmel, hat sich da etwa schon wieder ein Scientologe ins Drehbuchteam geschlichen?

Als Kind liebte ich Superman, viel mehr noch Batman, und ich muss zugeben, auch die ironische Entenhausen-Version von all dem, den wunderbaren Phantomias. Wenn man älter wird, sollte man sich allerdings fragen, woher der Hang zu jener maskulinen Form der Travestie eigentlich kommt.

Vor einigen Jahren begleitet ich die Rockband Kiss auf ihrer US-Tournee und stellte diese Frage dem Chef der Band, der es eigentlich wissen muss. Die Inszenierung von Kiss ist schließlich die Glamrock-Version des Superhelden-Sujets. Am Morgen nach dem Konzert in Dallas saß ich also im Privatjet der Band auf dem Weg nach Tulsa und fragte Gene Simmons, der das Zunge zeigende Fabelwesen „The Demon“ gibt, woher diese Sehnsucht wohl kommt: dass jemand in einem grotesken Kostüm aus dem Himmel herbeifliegt, um uns und unsere Welt zu retten? Simmons guckte skeptisch über den Rand seiner Sonnenbrille, dann erzählte er mir von seiner Mutter, die in einem Konzentrationslager gewesen sei, ebenso wie die Vorfahren von Stanley Eisen, dem Sänger der Band, der sich heute Paul Stanley nennt. „Meine Mum hat beschlossen, nie darüber zu sprechen“, sagte Simmons. „Ich weiß nicht, wer meine Großeltern waren und all die anderen Verwandten, ich weiß nur, dass es sie gegeben haben muss, und dass sie dann nicht mehr da waren…“

Traurige Geschichte, aber was hat das mit Superhelden und der Kiss-Maskerade zu tun? Jetzt seufzte Simmons ob meiner Begriffsstutzigkeit. „Das alles ist eure Geschichte, in der so viel Hilflosigkeit herrschte. Das ist aber nicht unsere. Meine Geschichte ist die der USA, jenem Land in dem du Jude sein kannst, aber es nicht sein musst, oder eben auch „The Demon“ oder vielleicht auch Superman. Erträume Dir Deine Identität.“

Ich weiß nicht, ob diese Erklärung wirklich weiterhilft, aber sie ist ein Indiz, für den Wunsch nach einer Phantasiefigur, die all das Gräuel der Welt unbürokratisch und schmerzlos beseitigt. Oder gar, dass eine solche in einem selbst versteckt sein könnte.

Aber hat nicht gerade dieser Traum einen inzwischen fahlen Beigeschmack? Denn die USA sind auch ein Land, das von jemandem regiert wird, der uns wie ein strahlender Superman vorkam, aber gerade alles daran setzt, seinen Vorgänger, der im Kostüm des tolldreisten Bösewichts aufgetreten war, an finsteren Machwerken zu überbieten.

Gerade etwa lässt Superheld a. D. Obama einen wirklichen Kämpfer für das Gute, den „Whistleblower“ Edward Snowden, quer durch die Welt jagen. Diesen schmalen Jungen mit der randlosen Brille, der für ein Stück Freiheit von uns allen seine Existenz ruiniert hat. Wie ein Superheld sieht der nicht gerade aus. Nicht mal wie Clark Kent. Auch Erdem Gündüz, der „stehende Mann“ vom Istanbuler Taksim-Platz, der eine stille, mutige Form des Protests gefunden hat, ist nicht unbedingt der strahlende Supertyp mit seinem schütteren Lockenkopf und dem Hemd, das ihm aus der Hose hängt.

Ich weiß schon, der Vergleich ist etwas billig, das eine ist Science-Fiction, das andere ist die Realität. Aber das eine will uns doch die Moral für das andere erzählen. Es muss einen Zusammenhang geben, dass gerade in unserer unsicheren Zeit der Umbrüche auf den Kinoleinwänden so viele Superhelden über zerfallende Welten sausen.

Aber es hilft nichts: Es wird keiner kommen. Nur die Hasen dürfen hoffen, dass einer von uns springt, wenn sie schreien. 

Meine Herrschaften #10

Was den Deutschen früher einmal das Wandern, das Reckturnen, das Heilbrüllen, das Antiatomdemonstrieren sowie das Tischtennisspielen war, das ist Ihnen heute das Bahnbashing. So hat jede Generation ihr Hobby.

Man könnte viel darüber philosophieren, weshalb die Bahn bei uns wie in keinem anderen Land als nationale Angelegenheit betrachtet wird und weshalb an ihr das deutsche Gemüt derart kulminiert. Weshalb der hinterletzte Hippie einen Tobsuchtsanfall bekommt, wenn sein Regionalexpress nach Kulmbach drei Minuten zu spät abfährt und ganze Rentnerreisetruppen den endgültigen Untergang der Hightech-Nation als erwiesen sehen, bloß weil mal im Bordbistro die Cappuccinomaschine versagt.

Die Deutsche Bahn ist der Kontakthof der Nation, nirgendwo kommen sich die Menschen von oberhalb und unterhalb des Limes, aus dem Einflussbereich von Margot Käßmann und aus dem von Joseph Ratzinger, aus der ehemaligen DDR und aus der ehemaligen BRD so nahe wie in den Waggons von IC, EC, ICE, RE und RB. Wenn man sich vielsagend in die Augen blickt und höhnisch kichert, weil der sächsische Fahrdienstleiter „Säng ju foa träwelling Deutsche Bahn“ ins Mikro gesäuselt hat, dann sind alle Klassen überwunden, dann ist das Land glücklich vereint.

Meine Lieblingsstrecke ist allerdings immer noch die des ICE zwischen Hamburg Hauptbahnhof und Berlin Hauptbahnhof, 90 Minuten vom einen zum anderen Stadtzentrum, zwischen Hanseatencity und Preußenmetropole. Im Bordrestaurant trifft sich der Schienenjetset zu einem biodynamischen Knipser aus der Pfalz, bespricht Geschäfte und Abendplanung und beschwert sich über die zugestiegenen Businessarschlöcher, die laut in ihre Handys quatschen, damit auch der verpennte Bundeswehrjunge drei Tische weiter mitbekommt, dass sie in ihren Agenturen über ein eigenes Team befehlen.   

Einmal saß ich ebenda und grübelte darüber nach, wer der feiste Herr mit dem grauen Schnäuzer, der eben an meinem Tisch Platz genommen hatte, wohl sein könnte. Mir kam er so bekannt vor, ich musste ihn irgendwo in Funk und Fernsehen mal gesehen haben. Sein kakifarbenes Hemd und seine braune Hose erinnerten an den Verhaltensforscher Konrad Lorenz. Am Gürtel hatte er ein praktisches Handytäschchen montiert. Ein Prominenter zweifellos, aber mir fiel nicht ein wer.

Dann bestellte der Mann ein Chili con Carne. Ich habe dieses selbst schon das eine oder andere Male gegessen. Es ist nicht schlecht, erinnert an Bohnengulasch, ein bisschen zu mehlig vielleicht. Ich nahm einen Schluck vom Wein, der Mann sagte Prost, ich erwiderte es, und plötzlich war mir klar, wer da gegenüber sitzt: Udo Voigt. Ich hatte gerade dem damaligen Bundesvorsitzenden der NPD zugeprostet.

Ich konnte mir nicht verkneifen, als das Chili serviert wurde, zu sagen: „Es hätte auch Bratwürstchen aus Nürnberg gegeben.“ Und Voigt erwiderte: „Argentinien ist auch nicht schlecht“. Man muss bei allem zugeben, das hatte Humor. Und folgte eine inneren Logik.

Ein anderes Mal kam ich am Tisch des Schauspielers und Chansonniers Dominique Horwitz zu sitzen. Gerade als wir anfingen, uns zu unterhalten, kam der Schaffner. Der war etwa zwei Meter groß, hatte schulterlanges wehendes Haar – und trug Damenstöckelschuhe. Wir konnten nicht umhin, ihn etwas verdutzt anzustarren. Der Schaffner sagte sehr laut in einem tiefen bairischen Bass: „Sodala, die Fahrscheine, bitte!“ Knipste ab, und ging.

Die Kellnerin, die ihm folgte und unsere Getränke servierte, schaute uns lächelnd an und sagte: „Der ist halt ein Original, wir mögen den, wie er ist.“

Dominque Horwitz nahm einen Schluck von seinem Kaffee und sagte zu mir: „Man kann über Deutschland sagen was man will, aber manchmal ist es einfach ein tolles Land.“

Dem stimme ich uneingeschränkt zu. Es ist das Land, das Schaffner auf Stöckelschuhen mag. Und Nazipolitiker, die Chili con Carne essen, erträgt. Und immer öfter mal gelassen bleibt, auch wenn der Zug mal zehn Minuten später fährt. 

Meine Herrschaften #9

Ich seufzte glücklich, als ich in Wien angekommen war und schon nach den ersten zehn Minuten eine umfangreiche Vorab-Kritik des Theaterstücks, das am Abend Premiere haben würde, vorgetragen bekam – und zwar vom Taxifahrer. Es hatte sich also nichts verändert. Wien ist Wien geblieben, so wie es immer versprochen wurde.  

Und das war wichtig, schließlich lag eine anspruchsvolle Aufgabe vor mir. Wolfgang Joop hatte mich gebeten, ihm und seinem Freund Edwin die Stadt zu zeigen – und zwar nicht irgendein Wien, wie es jeder pauschalreisende Japaner präsentiert bekommt, sondern das echte, das richtige, also mein Wien.

Wie perfekt, dass Großregisseur Peter Zadek also den Großschauspieler Gert Voss gerade als „Jude von Malta“ inszenierte. Das Wochenende im Dezember 2002 würde mit einem echten Wiener Großereignis beginnen. Und einem programmierten Skandal, wie der Taxifahrer wusste. Die nicht minder große Christine Kaufmann sollte eine ganze Szene lang splitternackt auf der Bühne stehen. „Schad, dass ka jünger, feschere gfunden ham“, raunzte er.

Leider saß ich dann ohne meine beiden Gäste in der Premiere, sie hatten den Flug verpasst. Und somit den ersten Höhepunkt meiner Planung. Das war ärgerlich, aber nicht so schlimm, schließlich stand genug auf meinem Programm. Also genoss ich erst einmal die Premierenfeier.

Am Morgen danach hatten die beiden Wien endlich erreicht, mussten mich allerdings erst einmal aus dem Bett klingeln. Das ist natürlich etwas peinlich für einen Cityguide. Dann hatte ich auch noch als Hotelexperte versagt. Das von mir gebuchte hatte nämlich eine  angeblich unerträglich niedrige Zimmerdecke. Das mit der erträglicheren Zimmerdeckenhöhe dafür keinen anständigen Pool. Beim dritten Anlauf, fanden wir dann im Imperial Unterkunft, jenem Grand Hotel, in dem zu Kaisers Zeiten die gekrönten Kollegen logierten – ohne dass Beschwerden bekannt geworden wären. Auch die Potsdam-Fraktion war nun zufrieden.

In mein Konzept passte das natürlich nicht. Mein Plan, keinesfalls die Pfade der Touristenfänger in ihren Mozartperücken zu kreuzen, war gestört. In den Fluren des Imperial traf uns sogleich der verhängnisvolle Blick Sisi auf einem überdimensionalen Gemälde.

Also schnell zurück in das „andere Wien“, namentlich in das Café Prückl, wo die Studenten immer noch Revolutionen planen und die ehemaligen Revolutionäre Dame und Mühle spielen. Beim betreten verzog Wolfgang das Gesicht. „Das sieht ja aus, wie in der DDR!“ rief er laut durch und über das vergleichsweise spartanisch gestaltete Café Prückel, in dem ich früher so gerne meine Studentennachmittage zugebracht hatte.

Also weiter zur Kunst. Wir eilten zum damals neuen Museumsquartier, das ich als mondänen Ort der Wiener Innenstadt pries. Doch meine beiden Gäste waren nur leidlich entzückt. Die Idee der Kuratoren des Museums Leopold, die Bilder von Egon Schiele mit afrikanischen Masken zu kombinieren, kommentierten sie als „einzige Geschmacklosigkeit!“ Woraufhin eine untersetzte Museumswächterin uns zu verfolgen begann, bei jedem weiteren Kommentar bösartig zischte und uns schließlich des Museums verwies.

Hausverbot im Museum, das muss man ja erst mal hinbekommen und ist keine ideale Referenz für einen debütierenden Stadtführer. Wolfgang und Edwin hatten inzwischen genug von Sight Seeing, gingen schwimmen und ließen mich mit einer weiteren Aufgabe zurück: Ein Dinner mit echten Menschen. Keine Wiener Schickeria, sondern eine nette private Runde. „Du hast doch sicher Freunde von früher, die sollen kommen“, sagte Wolfgang. Ich bestellte also einige alte Schul- und Studienkameraden in das Restaurant Motto, das er vom Hörensagen kannte. Designerkollege Helmut Lang soll da früher einmal gekellnert haben.

Eigentlich wurde es ein recht schöner Abend. Es wurde viel geplappert, viel getrunken, viel gelacht. Meine Gäste fühlten sich wohl, meine Freunde, die einen Abend mit dem berühmten Designer verleben durften, ebenso. Beinahe hätte ich meine Mission, ein modernes, launiges und doch mondänes Wien zu präsentieren, als gelungen erklären dürfen.

Doch dann fand der begnadete Zeichner Joop einen meiner Freunde irgendwie interessant und begann diesen mit schwarzem Filzstift auf einer Stoffserviette zu porträtieren. Was – wie immer – dazu führte, dass alle Menschen im Raum ebenfalls verewigt werden wollten. Es dauerte nicht lange bis die Menge der Interessenten überhand nahm. Sogar die Belegschaft des Wiener Boss-Store, die am Nebentisch feierte, begann förmlich bei uns anzustehen, um einer nach dem anderen seine Zeichnung einzufordern. „Ich sag doch, das hat hier etwas von DDR bei Euch“, lachte Joop mit Blick auf die brave Schlange, die sich gebildet hatte. 

Wiederum verkatert erwachte ich am Morgen danach und überlegte mir auf dem Weg ins Imperial womit ich Edwin und vor allem Wolfgang nach seiner anstrengenden Nachtschicht als Porträtist erfreuen konnte. Auf dem Weg zum Hotel erblickte ich auf der Kärntner Straße einen Pulk von Menschen und trat näher, um zu sehen, was die Aufmerksamkeit der Leute erregt hatte.

Stimmt! Es war ja der Tag, an dem die ersten Euros ausgegeben wurde. Für 200 Schilling konnte man ein so genanntes Starterkit erstehen. Ich kaufte zwei davon, eins für mich, eins für Wolfgang und Edwin. Aus meinen Händen würden sie also die allererste Münze der neuen Währung erhalten. 

Gemeinsam betrachteten wir im Imperial das neue Zahlungsmittel. Am besten gefielen mir die kleinen kupfernen Münzchen, auf denen meine rührende Republik Österreichs schönste Alpenblümchen Edelweiß, Enzian und Bergprimel hatte prägen lassen. Wolfgang und Edwin bewunderten hingegen die größeren aus nordischem Gold, auf denen der Stephansdom, das Schloss Belvedere, die Secession, also all die Wiener Sehenswürdigkeiten, die wir nicht besucht hatten, zu sehen waren. Ich musste erkennen, dass das „andere Wien“ vielleicht doch nicht das unbedingt spannendere war und  die Sehenswürdigeiten ihren Namen zu Recht tragen. Um diese noch real zu besichtigen, war es leider zu spät. Doch die beiden verließen Wien immerhin mit Prägungen der berühmten historischen Gebäuden in ihren Hosentaschen. Und bedankten sich sehr für das gelungene Wochenende.

Dies war übrigens eine Kolumne über den Euro, der nicht nur gerettet werden muss, sondern auch selbst schon gerettet hat. 

Meine Herrschaften #8

Seit ich denken kann, liebe ich Zirkus. Schon als Kind betrieb ich einen eigenen Kinderzirkus, der jeden Sommer mehrere Vorstellungen gab zu welchen das gesamte Dorf erschien, zu erscheinen hatte. Die Nachbarsmädchen zeigten auf ihren Haflingern Alja, Stefana und Momo beeindruckende Kunststücke, wir dressierten gemeinsam die gutmütigen Labradore und neben Clownerien und Zaubereien durfte ich die Rolle des Conférerence haltenden Direktors geben. Normalerweise gibt sich so etwas mit zunehmendem Alter, bei mir nicht. Noch vor wenigen Jahren schlich ich mich beim Zirkus Roncalli ein und behauptete, eine dringende Undercoverreportage machen zu müssen, um dann beseelt als Clown Antonio in der Manege aufzutreten.

Mein größter Zirkusmoment trug sich allerdings in den Neunzigern in Wien zu, wo nicht nur der Life Ball, jene große Benefizgala im Wiener Rathaus, unter einem Zirkus-Motto stand, sondern gleichzeitig der weltberühmte Zirkus Knie in der Stadt gastierte. Ein glückliches Zusammentreffen – wie mir anfangs schien.

Selbstverständlich organisierte ich mir eine Privataudienz beim Grand Seigneur des europäischen Manegenwesens, dem legendären Louis Knie. Da saßen wir also im Direktorenwagen und sprachen über die Schönheit des Sägespänedufts, die richtige Technik des Peitschenknallens sowie das bedauernswerte Aussterben der großen Weißclowns. Dann berichtete ich Herrn Direktor vom Life Ball und dass ich die ehrenwerte Aufgabe übernommen hätte, ein Umzug mit einer 50 Mann starken schweizerischen Guggenkapelle und 25 Parademädchen zu organisieren. Direktor Knie zeigte sich schwer beeindruckt. Und hochgradig interessiert. „Ja was würden Sie dazu sagen, Monsieur Baum, wenn ich Ihnen ein paar meiner Stelzentänzer dafür zur Verfügung stellen würde?“, fragte Louis Knie in seinem eleganten Schwyzderdütsch. Ich war selbstverständlich einverstanden und zwei Grüne Veltliner später hatte ich auch noch Clowns und Jongleure dazu bekommen. Dann zwirbelte der Direktor seinen silbergrauen Oberlippenbart und riss plötzlich vor Begeisterung über seinen folgenden Einfall weit die Augen auf. „Was, Monsieur, würden Sie von drei stattlichen Elefantenbullen in ihrer Parade halten?“, rief er.

Nun, ich muss nicht erwähnen, wie meine Antwort ausfiel. Schnell waren wir uns handelseinig, dass ich mit den drei Dickhäutern vom Stephansplatz durch die Hofburg über den Ring zum Rathausplatz reiten und somit quasi in die Zirkusgeschichte eingehen würde.

Gut gelaunt und in freudiger Erwartung rief ich also an jenem Freitag Spätnachmittag bei der Wiener Polizei an, um die kleine Erweiterung der angemeldeten Parade mitzuteilen – man will ja keine Schwierigkeiten haben. Bekam ich aber. Der etwas verdatterte Beamte notierte die Änderungen des Antrags und versprach sich alsbald zu melden. Der Rückruf erfolgte kurz darauf und fiel fatal aus: Wildtierverbot in der Innenstadt, Fahrverbot für die schweren Lastwägen mit denen die Tiere kommen sollten, an Samstagen sowieso Fahrverbot. Das schlimmste aber war, dass nun nicht nur der Aufmarsch der Elefantenbullen, sondern die Parade als solche abgesagt war. Ich würde nun also auch in die Geschichte eingehen, aber in jene der größten Deppen, die das alte Wien je gesehen hatte.

Verzweifelt fuhr ich zu einem Freund, der im Salettl Pavillon den Ausblick auf die Stadt genoss, und klagte ihm meinen dräuenden Untergang. Er nahm einen tiefen Zug von seiner Zigarre und sagte: „Noo, ruf halt jemand Wichtiges an, der helfen kann,  den Bürgermeister vielleicht sogar, der steht ja eh im Telefonbuch.“ Die Nummer des Bürgermeisters war dort leider nicht zu finden, dafür die seines Vorgängers, des legendären Helmut Zilk, der mit dem Operettenstar Dagmar Koller verheiratet war. Ich erreichte leider bloß den Anrufbeantworter, weshalb ich also den ganzen langen Hergang der misslichen Geschichte auf Zilks Tonband sprach.

Obwohl ich noch einige Grüne Veltliner zur Beruhigung genommen hatte, verlief meine Nacht schrecklich, ich schlief kaum, aber hatte grässliche Träume von meinem  bevorstehenden Untergang. Am Morgen stand ich auf, um mein Scheitern bekannt zu geben und den Guggen, dem Ballkomitee, meiner Redaktion sowie dem Herrn Direktor abzusagen – als das Telefon klingelte.

„Hören Sie, sie san jo a bsonders blöder Mensch“, brüllte es mir aus dem Hörer entgegen. Der Altbürgermeister höchstselbst, höchst aufgebracht. „Wissen’S was das für eine Katastrophe is, des is ja a Benefizgschicht, des geht um de armen Aidskranken, die jetzt wegen Ihna kaaa Parade ham!“ Ich begann etwas zu weinen, was Zilk offenbar bemerkte. „Na jetzt hörn’S auf, i hab eh a bissl telefoniert.“ Ein bisschen telefoniert? „Ja sicher, glauben’S i lass mir de Parade mit die Elefanten entgehen?“ Wie mit den Elefanten? „Najoo, Wildtierverbot, Lastwagenfahrverbot, hamma ausgesetzt. Aber sag’S des keine, sonst spielt die Presse mit mir Granada.“

Um es kurz zu machen: Es war eine großartige Parade. Mit leuchtenden Augen standen die Menschen am Straßenrand und schlossen sich uns an. Die Guggenkapelle veranstaltete einen famosen Krach, die Stelzentänzer winkten in die Menge, die rosafarbenen Parademädchen warfen ihre Generalsstäbe in die Luft, und ich marschierte stolz mit den drei Elefantenbullen und Direktor Knie durch die Wiener Innenstadt.

Gut, diese maßlosen Viecher fraßen unter entsetzten Rufen der Oberkellner den gesamten Blumenschmuck des Café Demel auf. Ein Elefant setzte einen gigantischen Scheißhaufen auf den Universitätsring, bepöbelte obendrein seinen Elefantenkollegen derart aggressiv, dass einige Parademädchen verängstigt das Weite suchten. Aber es war schön. Und ein grandioser Erfolg.

Obendrein hatte ich eine wichtige Erkenntnis: Nicht jeder große Zirkusdirektor verfügt über einen Zirkus. Manch einer ist etwa Altbürgermeister von Wien. Aber seine Kunststücke werden für immer unerreicht bleiben.

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