Meine Herrschaften #18
„Hi, mein Name ist Angela und ich bin süchtig.“ So wäre es, wenn es für eine der meist verbreiteten Drogen des Landes eine Selbsthilfegruppe gäbe. Doch noch haben sich keine Anonymen Wagnerianer gegründet, denn einer der heimtückischen Aspekte dieser Sucht ist die Uneinsichtigkeit der Betroffenen, dass es sich überhaupt um eine solche handelt. Dabei ist ihr Rausch so offensichtlich.
Ich schreibe diese Zeilen aus Bayreuth – was für die Wagner-Junkies in etwa das ist, was Las Vegas für die Spielsüchtigen ist, Amsterdam für die Kiffer und Bogotá für die Kokser. Wie alle Drogenmetropolen ist dieser Ort magisch und völlig meschugge. Die Druffies aus aller Welt sind angereist, sie haben sich groteske Medaillen mit dem Antlitz des Meisters in die Dutts geflochten oder an die Smokingreverse geheftet. Sie stehen andächtig an der efeuüberwucherten Grabesstätte des Komponisten und blicken sogar andächtig auf den Flecken Erde, in dem einst dessen Hund Russ verbuddelt worden war, sie springen von ihren fränkischen Sauerbraten auf, sobald ein Wotan- oder Lohengrin-Interpret das Wirtshaus betritt und Klatschen erregt. Und sie brüllen sich die Seele aus dem Leibe, sobald einer dieser Regisseure die Bühne betritt, der ihren reinen Stoff mit Interpretationen gestreckt hat. Als vergangene Woche bei der Tannhäuser-Premiere der Regisseur Sebastian Baumgarten niedergepfiffen wurde, ergriff mich kurzfristig Solidaritätsgefühl, da ich wohl als einziger den sexualisierten Assoziationsmüllhaufen, den er da auf die Bühne gebracht hat, irgendwie schlüssig und gut fand, und applaudierte dem armen Mann. Mäp, mäp, mäp – keine gute Idee. Erregt drehten sich die Buh-Brüller zu mir um und zeigten mir erbost den Vogel, der schwäbische Herr neben mir gab mir sogar einen Rempler. Und dabei war dieses Buh-Konzert noch eine der gemäßigteren Reaktionen, am Vorabend musste sich Frank Castorf für seinen Ring des Nibelungen sage und schreibe 30 Minuten Trillerpfeifenkonzert abholen.
Gerade im Jahr des 200. Geburtstag von Richard Wagner wurde viel darüber spekuliert, weshalb Bayernkönig, Führer und Kanzlerin, Thomas Mann und Tommy Gottschalk , Heiner wie auch Lieschen Müller diesem Rausch allesamt erlegen sind. Und heute nach wie vor so besinnungslos diesem Schelm, Judenfeind, Betrüger, Schnorrer und Ehebrecher heute nach wie vor gehuldigt wird. Das alles ist natürlich müßig und obsolet, genauso könnte man den Kindern vom Bahnhof Zoo vorwerfen, dass sie sich nie Gedanken über die Arbeitsbedingungen der Opiumbauern in Afghanistan gemacht hätten.
Ich selbst war lange resistent. Ich erinnere mich noch an den Vater eines guten Freundes aus Kindertagen, der auf dem Wagnertrip gewesen ist. Er war Besitzer des örtlichen Schuh- und Skigeschäftes und schmetterte Wotanarien während er unsere Ski wachste. Aus meiner ersten Götterdämmerung floh ich nach der ersten Pause, woran allerdings nicht die Musik, sondern der atemberaubende Mottengestank der Pelzstola meiner Sitznachbarin schuld gewesen ist. Dann aber freundete ich mich mit jemandem an, der an Bayreuth-Karten kam, aber selbst lieber Kylie Minogue-Konzerte bevorzugte und froh war, wenn man seiner statt „Wogalaweia“ und „Jellohohoho heho!“ über sich ergehen ließ. Und wie das nun mal ist mit Drogen, einmal gekostet und alles ist hin.
Seitdem pilgere ich in dieses fränkische Drogenmekka und hole mir meine Überdosen. Vor einigen Jahren begleitete ich Christoph Schlingensief, der ebenda den Parsifal inszeniert hatte. Da er die Handlung des christich-mythologischen Bühnenweihespiels kurzerhand nach Afrika verlegt hatte, waren ihm die Wagnerianer nicht gerade hold. Tapfer setzte er sich in jede Vorstellung und genoss spitzbübisch die Schreierei um sich herum. Wirklichen Mut besaß er dann, als er sich den Wagnerianern stellte und sie zur Diskussion bat. Wütend schaubten diese, als er behauptete er habe sich doch bloß an die Vorgaben des Meisters gehalten. „Wie bitte??!!“, brüllte da ein alter Oberstudienrat. „Wo steht den bitte, dass Kundry eine Afrikanerin ist?“ Schlingensief lächelte da bloß charmant und wies darauf hin, dass in der Gebrauchsanweisung Wagners ein Kleid, das aus einer Schlange gefertigt sei, vorgeschrieben wurde. „Und jetzt sagen sie mir bitte, wo sie außerhalb Afrikas eine so große Schlange finden“, erwidert Schlingensief seinem Kritiker. Da wusste selbst der nichts mehr zu sagen und schüttelte ungläubig aber ratlos den Kopf.
Einmal traf ich sogar den Urenkel des Meisters, den inzwischen verstorbenen ewigen Festspielleiter Wolfgang Wagner, Vater der beiden jetzigen Syndikatschefinnen Katharina und Eva. Wir saßen nachmittags bei brütender Hitze in einem Kämmerchen der Festspielleitung. Ungeschickterweise begann ich das Gespräch mit dem Hinweis, dass er, Wagner, nun wohl der letzte lebende Patensohn Adolf Hitlers sei. Daraufhin erzählte der mir in breiten fränkischen Dialekt einen unlustigen Witz, lachte selbst darüber etwa zehn Minuten, sagte er müsse eben etwas holen und war verschwunden. So ist das wohl nach lebenslangem Konsum.
Hi, ich bin David, ich bin süchtig. Und jetzt hab ich leider keine Zeit mehr, denn gleich beginnt der Fliegende Holländer und ich finde meine Wagner-Manschettenknöpfe nicht.