Kino und Debatte in Berlin, 8.2011

Uff, der Filmfestival-Zirkus ist weitergezogen, ergo kann der Blog wieder hochgehen mit drei kleinen Hinweisen zur Berliner Film- und Kinolandschaft, darunter zwei vielleicht ganz interessanten Diskussionsveranstaltungen:

Erstens für Kurzentschlossene: filmArche e.V. in der Schlesischen Str. 26 lädt am bereits heutigen Mittwochabend (23.02.) um 20.00 Uhr im Rahmen der Vorlesungsreihe ‘Kamera in der Fabrik’ zu einem Vortrag mit Filmbeispielen von Pascal Jurt (Wien) über ‘Arbeiterfilm’ bzw. Repräsentation von ArbeiterInnen im Film. Hier der Ankündigungstext:

1968, als im Kontext von Arbeitskonflikten und wilden Streiks die Arbeiter_innen aktiv geworden waren und selbst das Wort ergriffen hatten, stellte sich auch für den Film die Frage, inwiefern man als Filmemacher_in Arbeiter_innen zu Wort kommen lassen kann. Eine spannende Auseinandersetzung darüber, wie man als Kunstschaffende/r mit politischen Themen umgehen kann.

Zweitens ein weiterer Vortrag: Hakim El-Hachoumi referiert am kommenden Samstag, den 26.02., um 17.00 Uhr in der Neuköllner ‘Werkstatt der Kulturen’ zum Thema Antikolonialer Widerstand im Film. Der Referent will laut Ankündigung in seinem “Filmvortrag, in dem Ausschnitte der Arbeiten afrikanischer Regisseure zum Thema »Kolonialismus« gezeigt werden, … der den Diskurs dominierenden Perspektive der Kolonialisierenden, die Perspektive der Kolonisierten gegenüber… stellen.” Ein ausführlichere Beschreibung findet sich hier.

Was drittens Filmprojektionen selbst angeht, so fällt mir eigentlich nur die Wiederholung der kleinen Shibuya-Retrospektive im Arsenal vom 23.-28.02. auf, die gerade im Rahmen des Forums auf der Berlinale lief und über die daher viel im Internet zu finden ist. Einen ganz guten Überblick über die Filme findet man hier, auf Youtube findet sich zudem ein anläßlich der FilmEx Tokyo 2010 entstandenes, englischsprachiges Interview mit Ulrich und Erika Gregor, in dem diese erläutern, warum sie Shibuyas Filme interessant finden:

Wirklich interessant sind allerdings nur der erste und – mit großen Abstrichen – der dritte Teil der Interviews, da die Ausführungen des iranischen Regisseurs Naderi im 2. Teil allein schon aus technischen Gründen leider kaum zu verstehen ist. Die Interviews laufen im wesentlichen darauf hinaus, dass die frühen Filme Shibuyas v.a. inhaltlich als detaillierte Beschreibungen alltäglicher japanischer Nachkriegs-Lebenswelten interessant seien, wohingegen die späteren Filme Shibuyas wiederum eher wegen ihrer formalen, zunehmend fantastischeren bzw. surrealistischen Machart von Bedeutung seien. Wie auch immer …

“Big Youth Fights Against Capitalism”: King Tubby zum 70. (3)

Um schnell noch die kleine King-Tubby-zum-70.-Geburtstag-Reihe fortzusetzen:

Nicht gerade mein Lieblings-Tubby-Dub, aber vielleicht ein ganz hübsches Beispiel für einen sehr frühen und noch relativ wenig elaborierten Dub-Remix von Anfang der 70er – mit einem hübschen Titel, der zudem – mit etwas gutem Willen – auch ganz gut zu den heutigen Ereignissen rund um die Räumung der Liebig14 passen sollte …

King Tubby: Big Youth Fights Against Capitalism (1972)

Und hier eine der Vorlagen: Conquering Lion (Yabby You, 1972):

Und “big up” an alle, die sich heute der Räumung der Liebig 14 widersetzt haben!

TV und Kino in Berlin, 5.2011

Im Vorfeld der Berlinale mal wieder ein paar TV- und Kino-Hinweise, d.h. für die kommende Woche konkret der Hinweis auf zwei ganz spannende Dokumentarfilm-Screenings:

1) Der Tag des Spatzen (Philip Scheffner, BRD 2010)
Mittwoch, 02.02., 23.40 Uhr, Arte

Allzu viele Möglichkeiten gibt es nicht, Philip Scheffners essayistische Doku über Vögel, Bundeswehr und Antimilitarismus zu sehen. Näheres zum Film findet ihr auf der Webpage zum Film sowie hier und hier. Der Film läuft übrigens diesen Monat auch noch mal am 22.02. im Rahmen von ‘AG DOK im Lichtblick’.

2) Nicht böse sein (Wolfgang Reinke, BRD 2006)
Freitag, 04.02., 20.00 Uhr, Kultursalon Roderich (Eintritt: 3 Euro)

Vielleicht auch ganz interessant: Wolfgang Reinke (Regie) und Gines Olivares (Kamera) stellen im Roderich ihre, wenn man so will, Kreuzberger Wohngemeinschafts-Doku „Nicht böse sein“ vor.

Aus der Inhaltsbeschreibung: „Drei Männer in einer Wohngemeinschaft, 54 m² in Berlin Kreuzberg. Sie schlafen in Küche, Bad und halbem Zimmer. Junkies, Ex-Knackis und Alkoholiker zwischen Hartz IV, dem nächsten Schuss, Wodka und Bier – der Albtraum jeder bürgerlichen Nachbarschaft. Andi träumt von einer eigenen Wohnung, Dieter muss für 100 Tage in den Bau und Wolfgang schreibt Gedichte. In der klaustrophobischen Enge dieser Gemeinschaft benebelter Geister wirken Glück und Liebe wie Schatten einer längst vergangenen Zeit. Während es in dem Dreck, dem Chaos und der Verzweiflung zu rührenden Momenten kommt, brechen die Konflikte zunehmend stärker durch: die Stromrechnung, die Miete, die geklauten Pullis. Doch Andi bringt das scheinbar paradoxe ihrer Situation auf den Punkt: ‘Kein Mensch lebt doch gern alleine.’“

Hier findet ihr eine kurze Jubelarie von Kuhlbrodt, hier den Trailer.

3) Ganz nett finde ich übrigens eigentlich auch die Magical History Tour des Berliner Arsenals, das im Februar unter dem Motto ““Manifeste und Pamphlete”” einen kleinen, wenn auch vielleicht etwas beliebigen Parforce-Ritt durch eine Reihe filmischer Neuerungsbewegungen betreibt bzw. einige ihrer Manifeste und zentralen Filme vorstellt. Höhepunkte der Reihe – und zudem nicht einfach zugänglich – sind vielleicht in dieser Woche Pudovkins Hafenarbeiter-Film “Deserteur” (SU 1933, 2./3.2.) sowie Lionel Rogosins Lower East Side-Porträt “On the Bowery” (USA 1957, 24. & 28.2.) sowie Hous Historienfilm “City of Sadness” (Taiwan 1989, 21. & 25.2.).

“Slavin’ every…”: King Tubby zum 70. (2)

Gilt “King Tubby Meets the Rockers Uptown”, eine 1976 als LP veröffentlichte Kompilation von Tubby-Remixen von Augustus Pablo-Produktionen als einer der Höhepunkt in der inzwischen recht langen Geschichte des Dub, so gilt das erst recht für das Titelstück: Tubbys Remix von Jacob Millers “Baby I Love You So” war Mitte der 70er Jahre derart populär, dass Island Records bereits 1975 den Dub Mix anstelle des Vokalstücks als A-Seite einer Single veröffentlichte.

Zurückzuführen ist dies nicht allein auf den wirklich sehr hübschen, seit 1971 immer wieder reinterpretierten Riddim, der der Single zugrunde liegt, sondern auch darauf, dass hier Tubby quasi auf dem Höhepunkt seines Schaffens anzutreffen ist: Mit “King Tubby Meets Rockers Uptown” demonstrierte Tubby quasi beispielhaft, wie mittels der seit Beginn der 70er Jahre u.a. in seinem Home Studio in Kingston entwickelten Remix-Techniken (Drum&Bass-Fokussierung, Auslassungen, Hall etc.) ein vielleicht ganz hübsches, aber doch letztlich triviales Liebeslied in einen erstaunlich komplexen Song transformiert werden konnte, der wiederum bspw. dem im Umfeld der ‘Clash’ agierenden Londoner Roxy-DJ Don Letts als “theme tune” dienen konnte:

“From the first notes of the dub mix, … it is clear that King Tubby has transformed the song into something of far greater depth than the original. The soundspace has been expanded through the use of reverb, and the snare drum accents have been routed through a delay unit, rushing along at double-time to the underlying groove. Tubby has essentially turned this into a glorified drum & bass showcase, with occasional snatches of melodica, piano, and guitar filling out the mix. He introduces a brief fragment of Miller’s voice at the modulation to the bridge, which soon gives way to Pablo’s melodica, and the performance continues in this fashion, with successive fragments of Miller’s vocal, Pablo’s melodica, and chordal instruments. The performance ends as Tubby drops the rhythm section out of the mix, leaving Miller’s voice suspended on a echoing syllable. Although the disruptive elements in particular were to become more pronounced in some of his subsequent work, the song is a virtual compendium of the techniques Tubby used to de- and reconstruct vocal songs.” (Michael Veal: Dub. … Middletown 2007, 123)

Hier der Tubby-Remix “King Tubby Meets the Rockers Uptown” …:

… und hier Millers “Baby I Love You So”:

labournet.tv: Filme aus der „Perspektive der ArbeiterInnen“

Keine Frage, Bild- und Filmwelten haben nicht zuletzt infolge vielfältiger technischer Entwicklungen in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung für soziale Bewegungen aller Art gewonnen. Einerseits erweiterten sich fraglos aller Rückschläge zum Trotz die Möglichkeiten professioneller Filmschaffender, kritische oder oppositionelle Filme zu produzieren, andererseits ermöglichten neue Vertriebskanäle und neue Techniken wie Digitalkameras usw. neue Formen der (Selbst)Repräsentation sozialer Bewegungen bzw. Kämpfe.

Sehr begrüßenswert ist daher der heutige Stapellauf von labournet.tv, einem Kooperationsprojekt von kanalB und LabourNetGermany. Labournet.tv soll, so hoffen die InitiatorInnen, teilweise schwer zugängliche aktuelle wie historische Filme aus aller Welt zugänglich machen, die „die Situation der LohnarbeiterInnen, ihre (Selbst-) Organisierung, Arbeitskämpfe und Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Alternativmodelle“ beschreiben bzw. diskutieren und als solches einen Beitrag zur „grundlegenden Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse“ leisten.

Momentan finde sich auf den Seiten des Projekts ca. 250 Filme, die – zukünftig – zumindest mit deutschen Untertiteln versehen werden sollen und vielfach in voller Länge angesehen werden können. Stehen dem lizenzrechtliche Gründe entgegen, wie dies bei bekannteren Produktionen wie ‘Spur der Steine’, ‘Eine Prämie für Irene’ oder Harlan County, USA’ der Fall ist, so kann über die jeweilige Seite Kontakt zu den jeweiligen FilmemacherInnen aufgenommen werden bzw. sind dort Hinweise darauf zu finden, wo der Film ggf. käuflich zu erwerben ist. Aktuell dominieren auf labournet.tv kurze Dokumentationen v.a. bundesdeutscher Produktion, es finden sich allerdings auch einige längere Dokumentationen und Spielfilme wie Moores ‘Roger & Me’ und Eisensteins ‘Stachka/Streik’; Peter Novak zufolge sollen nicht nur weitere Dokumentarfilme, sondern auch weitere Spielfilme wie der nachgerade klassische und unbedingt sehenswerte, von Herbert Biberman verantwortete amerikanische Streikfilm ‘Salt of the Earth’ (1954), der den Arbeitskampf mexikanischer und ‘amerikanischer’ ArbeiterInnen in einer Zinngrube New Mexicos im Jahr 1951 beschreibt, noch folgen, um labournet.tv so zu einem „lebendige[n] audiovisuelle[n] Archiv der Arbeiterbewegung“ zu machen.

Der Filmbestand selbst kann, von der üblichen Suchfunktion mal abgesehen, über ein detailliertes Stichwortverzeichnis sowie über verschiedene Rubriken (‘Branchen’, ‘Länder’, ‘Kampffelder’, ‘Umwälzungen’) schnell erschlossen werden. Wünschenswert wäre hier, sollte der Bestand an ‘fiktionalen’ Filmen ausgebaut bzw. angesichts der gerade in diesem Feld bestehenden rechtlichen Probleme ein gewinnbringend nutzbares Verzeichnis ‘fiktionaler Filme’ angestrebt werden, die Einrichtung eines einen schnellen Zugriff ermöglichenden speziellen Shortcuts.

Wir wünschen dem Projekt viele BesucherInnen und alles Gute für die Zukunft und allen anderen viel Spaß beim Stöbern …

P.S: ‘Salt of the Earth’ steht – allerdings ohne Untertiteln und in eher schlechter Bildqualität – im Internet Archive und kann daher schon ohne Probleme angeschaut und runtergeladen werden. Hier der Link.

“Jus’ Like a Vulcano in Yu Head”: King Tubby zum 70.

Eine zentrale Rolle in jeder ernstzunehmenden Geschichte gerade auch populärer Musikformen des 20. Jahrhunderts kann Osbourne Ruddock (1941-1989) niemand mehr verwehren können, betrieb der gelernte Elektrotechniker mit ‘Tubby’s Home Town Hi-Fi’ doch nicht nur das um 1968/69 vielleicht populärste Soundsystem Jamaikas, sondern in den 70er Jahren im Haus seiner Mutter im umkämpften Kingstoner Armenviertel Waterhouse auch eines der bedeutendsten Tonstudios der Welt.

Hier setzte Ruddock, inzwischen unter seinem Künsternamen ‘King Tubby’ bekannt, als Toningenieur neue Musiktechnologien wie Vierspurgeräte usw. entgegen der Intention ihrer Hersteller ein. Seit Beginn der 70er Jahre produzierte der Jazzliebhaber durch die Dekonstruktion, Fragmentierung, Radierung und Rekonfigurierung populärer Reggae-Songs Versions bzw. Remixe für Single-Rückseiten und Dances, die die ‘Originale’ vielfach an Popularität übertrafen und schließlich in der Entwicklung von ‘Dub’ als spezifischem, ‘Drum&Bass’-zentriertem musikalischen Genre mündeten. 1973 war er als Toningenieur an der Produktion von Lee Perrys ‘Upsetters 14 Dub Blackboard Jungle’ beteiligt, einem der frühesten und heute noch bedeutendsten eigenständigen Dub-Longplayer. Um 1975 waren Ruddocks (Re)Mixe so populär geworden, dass sie auf B-Seiten unter seinem eigenen Künstlernamen und in Form von Kompilationen und Longplayern veröffentlicht wurden, als dessen bedeutendster vielfach sein mit Augustus Pablo erarbeitetes Instrumentalalbum ‘King Tubby’s Meets Rockers Uptown’ (1976) angesehen wird.

Besonders populär waren Tubbys Remixe in den britischen Jugendszenen der späten 1970er Jahre – nicht zuletzt durch Vermittlung von ‘Kulturschaffenden’ wie Johnny Rotten, Paul Simonon oder Don Letts, der als DJ in der Londoner Punk-Hochburg ‘Roxy Club’ im Winter 1976/77 angesichts des Mangels an erträglichen Singles auf Dub- und Reggae-Singles zurückgriff. Grundlage dafür bot wiederum u.a. die oft düstere oder militante Atmosphäre seiner Remixe. Durch die Verwendung von Polizeisirenen, quietschenden Autoreifen, gewehrfeuerartigen Soundeffekten etc. sowie durch die im Vergleich zum ‘sphärisch-ausserirdischen’ Sound der Perry’schen Texturen basslastigeren, schwereren Arrangements gelang es Tubby besonders gut, radikale oder apokalyptische Songs zu rekonfigurieren und quasi die gespannte Atmosphäre in der zwischen Gangs, Neoliberalen und Sozialisten umkämpften postkolonialen jamaikanischen Haupstadt und ihren Armenvierteln in Sounds zu transponieren.

King Tubby, der während eines Überfalls im Februar 1989 erschossen wurde, wäre heute 70 Jahre alt geworden. Wir ziehen den Hut und nutzen die Gelegenheit, ein paar besonders gelungene Beispiele radikaler bzw. apokalyptischer Remixe von Tubby aus den ‘Punky Reggae’-Jahren 1976/77 einzubetten.

Hier ein erstes Beispiel, nämlich Johnny Clarkes Garvey-Song ‘Poor Marcus’ und Tubbys im London der 70er Jahre populärer ‘Bag A Wire Dub’-Remix (1976):

Johnny Clarke: They Never Love Poor Marcus

King Tubby- Remix: ‘Bag a Wire Dub’


Lit.:
Lloyd Bradley: Bass Culture. When Reggae Was King. London 2000
Don Letts: Culture Clash. Dread Meets Punk Rockers. London 2007
Michael Veal: Dub. Soundscapes and Shattered Songs in Jamaican Reggae. Middletown 2007

History in the Making: Zur “Frühgeschichte des BfV”

Hier mal ein besonders plumpes Beispiel für die kontrollierte Vergangenheitsaufarbeitung West:

Das Bundesministerium des Inneren möchte bis 2014 die Frühgeschichte des bundesdeutschen Verfassungsschutzes ‘aufarbeiten’ lassen – unter dessen eigener Anleitung und Kontrolle.
In einem lesenswerten Text beschreiben die beiden Historiker Daniel Siemens und Christoph Luther, welchen Kontrollverfahren und Regularien sich HistorikerInnen unterziehen müssten, wollten sie sich der “Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutz 1950-1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase” annehmen – die Bewerbungsfrist für das auf drei Jahre angelegte ‘Forschungsprojekt’ wurde übrigens gerade bis Anfang Februar 2011 verlängert.
Die Kontrollmaßnahmen reichen, was Wunder, von einer anfänglichen, sich auch auf Bereiche wie Finanzen, sexuelle Präferenzen, Freizeitgestaltung usw. erstreckenden Sicherheitsüberprüfung über die Verpflichtung zur Einreichung dreimonatlicher Arbeitsberichte sowie zur Teilnahme an halbjährlichen ‘Workshops’ mit Vertretern des BfV. Die Ergebnisse dieser Workshops, so zitieren Siemens und Luther aus der Ausschreibung, “müssen in den Projektverlauf einfließen. (. . .) Dem Projektnehmer muss bewusst sein, dass eventuell zusätzliche Teilfragestellungen im Rahmen des Forschungsvorhabens bearbeitet werden müssen oder aufgrund von gesetzlichen Vorgaben des BfV nicht weiterverfolgt werden können.” Siemens und Luther weisen noch auf weitere geplante Regulierungen des Forschungs- und Veröffentlichungsprozesses hin und kommen, welch Wunder, zum Schluss, dass das BfV offensichtlich versuche, sich ohne Risiken, Nebenwirkungen und Rücksichten auf die grundgesetzlich verbriefte Freiheit der Wissenschaft “einen wissenschaftlichen ‘Persilschein’ zu verschaffen”. Da sind wir aber mal gespannt, wer diesen Auftrag übernehmen wird …

Arbeitsmigration und IT-Industrie in Malaysia

Dank Labournet bemerkt:

Moritz Siebert hat für Weeds procureITfair-Kampagne ‘für Arbeitsrechte und Umweltgerechtigkeit in der Computerindustrie’ einen ganz hübschen kleinen 15-minütigen Dokumentarfilm namens Blue Elephants über die Arbeits- und Lebensverhältnisse von ArbeitsmigrantInnen in der malaysischen Freihandelszone Penang erstellt:

“Der Film beschreibt die Arbeits- und Lebensbedingungen von Migranten und Migrantinnen in der malaysischen Elektronikindustrie – dem Silicon Valley Südostasiens. Die „Einwanderer auf Zeit“ aus Ländern wie z.B. Indonesien, Nepal und Bangladesh müssen sich hoch verschulden, um die Vermittlungsgebühren in ihren Heimatländern zu zahlen. In Malaysia wird die Mehrheit über Leiharbeitsfirmen angestellt, die Löhne sind niedrig und die Arbeitszeiten lang. Sie erfahren eine doppelte Marginalisierung – als LeiharbeiterInnen und als MigrantInnen.”

Apropos: Der Film kann – in englischsprachiger Originalfassung mit deutschen und spanischen Untertiteln – auch für 3 Euro bei Weed als DVD bestellt werden.

Interplanetarische Revolution … in 2011?

Eigentlich schade, dass da damals nichts draus geworden ist: ‘Mezhplanetnaya Revolyuciya’ bzw. ‘Interplanetary Revolution. An event most likely to happen in 1929′ betitelte eine Gruppe sowjetischer Animationskünstler 1924 einen kleinen Agitprop-Comic.

Cominternov im All (1924)

Erzählt wird in knapp acht Minuten die Geschichte vom Genossen Cominternov, einem Kämpfer der Roten Armee, der Kapital, Faschismus und sonstigen reaktionären Umtrieben zunächst auf Erden den Garaus macht und dann den flüchtigen Reaktionären nachsetzt, der marsianischen Arbeiterklasse zu Hilfe eilt und die flüchtigen Kapitalisten schließlich auch von diesem Planeten verscheuchen kann.

Khodataev, Komissarenko und Merkulov erstellten ihre hübsche Cut-Out-Animation, ein Crossover aus Zeichentrick- und Silhouettenfilm, übrigens nach Fertigstellung von und in Abgrenzung zum ersten, von Protazanov u.a. erarbeiteten sowjetischen Science-Fiction-Film “Aelita” (1924). Näheres dazu findet sich auf die Schnelle in Owen Hatherleys Artikel ‘Die Revolution träumen. Sowjetisches Kino 1924-1934′, den ihr wiederum hier auf linksnet findet.

DVD: Interplanetary Revolution findet sich in besserer Qualität übrigens in der – mit Abstrichen – sehr hübschen DVD-Box “Animated Soviet Propaganda from the October Revolution to Perestroika”, die der amerikanische Vertrieb Kino 2007 herausgebracht hat. Die Box enthält auf 4 regioncodefreien DVDs 38 revolutionäre bzw., öh, naja, sowjetische Animationsfilme aus den Jahren 1924-1984 in – für das Alter – doch eigentlich sehr akzeptabler Bildqualität. Einen englischsprachigen Review mitsamt einem Überblick über die auf den DVDs enthaltenen Filme könnt ihr hier nachlesen. “Sehr hübsch” gilt übrigens nur für die Filme, definitiv aber nicht für die Kontextualisierung derselben durch ein knappes und schlappes Booklet sowie vier bestenfalls uninteressante Dokus. Vielleicht lohnt es sich aber doch, die lokalen Bibliothekare zu nerven, auf dass sie das Ding noch anschaffen …

Abschließend noch hübsche Jahresendfeier, nettes neues Jahr und viel Spaß beim Revoltieren in 2011 …

Murder Music: Reportage über Dancehall und Homophobie auf Jamaica

Ilan Greenberg hat in der neuen Ausgabe des Magazins ‘Guernica. A Magazine of Art & Politics’ eine ziemlich ausführliche und durchaus lesenswerte Reportage zu ‘Dancehall und Homophobie’ veröffentlicht. Greenberg konstatiert im Gegensatz zu offiziösen Statements und unter Rückgriff auf Interviews wie Fallbeispiele, dass sich die Situation auf Jamaika in den letzten Jahren eher verschlechtert habe und schreibt den Dancehall-Toastern, -Djs etc. einen aktiven Part am homophoben Boom seit Beginn der 90er Jahre zu. Darüber hinaus, und das macht den Aufsatz erst interessant, schneidet Greenberg aber auch eine Reihe von anderen, mit dem Hauptthema verbundenen Fragen an, wie bspw. Entwicklungen auf kulturpolitischer und wissenschaftlicher, politischer und ökonomischer Ebene. So werden u.a. die ökonomische Bedeutung von Dancehall für die jamaikanische Ökonomie, Sponsoring, lokale Kontroversen um bzw. Bewertungen von ‘Dancehall’ kurz diskutiert.

Hier die Links zu Teil 1 und Teil 2 sowie zu einer von Soulrebels erstellten Druckfassung.