Große Literatur und mittelmäßige Kakerlaken

25. August 2013 Autor: Gideon Böss

Was mich immer wieder erstaunt, ist diese überhebliche Kritik von Autoren an den Lesern, weil diese zu dumm sind, die richtigen Bücher zu kaufen. Das Ganze wird immer gerne in einer „die guten Jahre sind vorbei“-Rhetorik vorgetragen, ohne dass der Hinweis fehlen darf, dass man natürlich seinen Anteil am hohen Niveau dieser guten Jahre hatte.

Der letzte dieser „Ich war ja dabei“-Seufzer stammt von Sibylle Berg, die die Entlassung eines Literaturkritikers zum Anlass nimmt, den Zustand der Literatur in unserer Welt zu beklagen. Schlimmes gibt es zu berichten, der Leser-Pöbel schwingt sich dazu auf, nicht mehr nur zu kaufen, sondern auch seine Meinung zu kommunizieren. Das macht wütend, wer hat ihm das erlaubt? Und man sieht ja auch direkt, wo das hinführt, wenn die Literaturkritiker nicht mehr wie Fackelträger in der Dunkelheit den Weg leuchten. Kaum passt man auf den Leser nicht mehr auf, rennt er los und kauft sich Fantasybücher, SM-Romane und andere minderwertige Ware. Wo soll das noch enden?

Wichtig ist vor allem, in solchen Klageliedern keinen Zweifel daran zu lassen, dass man für den gemeinen Leser eine gehörige Portion Verachtung übrig hat. Diesem offenbar von Natur aus dummen Geschöpf, das gerade einmal gut genug ist, auf Anweisung durch den Kritiker das letzte Meisterwerk der Künstlerin zu kaufen und ansonsten bitte keine Ansprüche stellen soll. Wenn er sich nicht daran hält und sich selbst zu Wort meldet (wer hat ihm eigentlich erlaubt, auf Amazon zu kommentieren, woher nimmt er sich das Recht, ein Bücher-Blog zu betreiben?), soll er sich nicht wundern, wenn er das Ziel einer Publikumsbeschimpfung wird.

Viele Autoren sehen sich als atmendes Kunstwerk an, das man schon alleine aufgrund seiner bloßen Existenz zu bewundern hat. Für diese Leute ist es natürlich schwer zu ertragen, wenn der Leser immer mehr das Heft in die Hand nimmt, sich bei anderen Lesern informiert und sich trotz der Warnungen der Literaturkritiker (die haben verdammt noch einmal von der Pike auf gelernt, was gut und was schlecht ist!) nicht beirren lassen, unter anderem auch Feuchtgebiete zu kaufen oder Shades of Grey. Es sind die Leser, die Bücher kaufen und darum sind sie auch die besten Kritiker von Büchern.

Man kann dann natürlich immer noch versuchen, sich über die „mittelmäßigen Gehirne“ der Leser auszulassen, mit denen sie natürlich die Bücher, die Sibylle Bergs „Freunde sind“, nicht würdigen können und darum bei Amazon schlecht bewerten. Man kann sich aber auch fragen, ob wirklich nur im Schädel der bedrohten Literaturkritiker die Höchstleistungsgehirne zu finden sind, die Höchstleistungsliteratur honorieren können (und man kann sich übrigens auch hinsetzen, und im Amazon-Kommentarbereich einen eigenen Kommentar dazu verfassen, warum man das Buch, das einem Freund ist, gut findet).

Nein, Literatur ist kein Selbstzweck, sondern für den Leser da und dass es Autoren gibt, die dieser Tatsache in elitärer Verklemmtheit widersprechen, obwohl sie ihre Werke auch nicht exklusiv für die eigene Schreibtischschublade produzieren, ist der Stoff, aus dem diese Publikumsbeschimpfungen gemacht sind. Zum  Fundament solcher selbstverliebten Untergangsprosa gehört auch die Einsicht, dass wir uns auf einer Einbahnstraße befinden, die uns immer weiter von der Hochkultur entfernt und in die Arme des Trash treibt. „Sie wissen schon: Die Stärksten überleben!“, schreibt Sibylle Berg resignierend dazu. Was schon alleine deswegen falsch ist, weil es evolutionär eben nicht „die Stärksten“ sind, die überleben, sondern die Anpassungsfähigsten. Womöglich gilt das ja auch für den Literaturbetrieb.

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Keine jüdischen Wohnungen in Atlantis

18. August 2013 Autor: Gideon Böss

Ost-Jerusalem ist das Atlantis der Moderne. Ein mystischer Ort, der bis heute nicht so wirklich lokalisiert ist. Fest steht aktuell nur, dass es in Israel ein Jerusalem gibt. Mit Klagemauer und anderer wichtiger Hardware des Judentums und dass während der Besetzung durch Jordanien von 1948 bis 1967 vieles zerstört wurde, was an die uralte Verbundenheit der Juden mit dieser Stadt erinnerte. Grabsteine wurden zum Bau von Treppen verwendet, Synagogen gesprengt und die Juden, die die Bevölkerungsmehrheit stellten, aus dem von Jordanien kontrollierten Bereich vertrieben.

Das ist nun schon mehrere Jahrzehnte her und längst ist Jerusalem ein Teil von Israel, weswegen es erstmals in der Geschichte der Stadt wirkliche Religionsfreiheit gibt. Und doch liest man immer wieder Meldungen, dass Israelis in „Ost-Jerusalem“ Wohnungen bauen und dass das ein Skandal ist. Dabei ist nicht die Rede vom „östlichen Teil Jerusalems“, sondern von einem „Ost-Jerusalem“, ganz so, als sei das eine eigene Stadt mit eigener Geschichte sowie dem verbrieften Recht darauf, “judenrein” zu sein. Und schon ist man wieder in Atlantis. Was für ein Ort ist das und warum dürfen Juden da nicht leben?

Im Rahmen der jetzt startenden „Friedensverhandlungen“ zwischen Israel und einem von niemandem legitimierten Mafia-Boss, der keine Entscheidungsgewalt über den palästinensischen Gazastreifen hat, geht es auch wieder einmal um dieses Ost-Jerusalem, das in der Presse nur zu gerne der „palästinensischen Seite“ zugeschlagen wird. Die ethnische Säuberung, die am Anfang dieser arabischen Lovestory „Ost-Jerusalem“ steht, ist übrigens keinem der Nahostexperten einen Halbsatz wert.

Auch unabhängig von der Behauptung, dass Krieg und Frieden sich an „Ost-Jerusalem“ entscheiden, ist der Fokus atemberaubend falsch gesetzt. Das Problem ist nämlich nicht, dass die Israelis in festen Wohnungen leben möchten und deswegen Häuser bauen, was in der Presse regelmäßig als verheerendes Signal gedeutet wird. Nein, verheerend ist etwas anderes: Israel ließ schon vor dem eigentlichen Beginn der Verhandlungen Dutzende Mörder frei, die lebenslange Strafen absaßen, weil sie Juden ermordet hatten. Und wie hat man diese Leute im Westjordanland empfangen? Mit einem großen Fest wurden diese Helden des heroischen Kampfes in die Arme geschlossen. Die gleichen Politiker, die mit Israel einen Frieden aushandeln sollen, suchten die Nähe zu diesen Gestalten, von denen niemand seine Taten bereute.

In der siedlerphoben Presse hat keiner das Gefühl gehabt, dass diese Solidarisierung alle Bemühungen auf Frieden unterläuft. Keine Ahnung, warum sie das so kalt lässt, während der Bau von Häusern für Israelis sie in Wut versetzt. Vielleicht leben all diese Experten in Atlantis, wo es ein Zeichen des Respekts ist, die Kinder seines Gegenübers zu ermorden.

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Wer hat Angst vorm schwulen Fußballmann?

11. August 2013 Autor: Gideon Böss

Das Thema bleibt aktuell: Schwule Fußballer und ob sie sich outen sollen/müssen oder nicht. Von meiner Seite aus müssen sie es genauso wenig, wie es heterosexuelle Sportler müssen. Es interessiert mich nicht. Aber die Sache scheint wohl etwas komplizierter zu sein. In regelmäßigen Abständen melden sich Experten zu Wort, die ihre Einschätzung dazu abgeben, ob „der Fußball“ schon so weit ist oder nicht. Und sie kommen fast immer zum Ergebnis, dass er es nicht ist, „der Fußball“. Was auch immer damit gemeint ist.

Der DFB sieht sich jedenfalls nicht als Bremse, die Vereine auch nicht, beide beteuern, dass sie kein Problem mit homosexuellen Sportlern haben. Aber dennoch ist „der Fußball“ halt noch nicht so weit. Vielleicht wäre er weiter, wenn man die Sache etwas klarer formuliert. Ist womöglich ein Teil derer, die für die „Fußballkultur“ in deutschen Stadien verantwortlich sind, noch nicht „so weit“?

Würde es sie überfordern, zu wissen, dass es ein schwuler Sportler war, der ihnen durch sein Tor gerade Glücksgefühle schenkte, die sie nur durch das Streicheln, Umarmen und Küssen ihrer männlichen Mit-Fans verarbeiten können? Oder sind es doch die Fußballer selbst, die sich in ihren Petting-Exzessen nach dem Treffer gehemmt fühlen würden, wenn sie wüssten, wer da mitmischt?

Und wie sieht es eigentlich auf den unteren Ebenen aus? Wenn man sich einmal von den Fußball-Tempeln in Schalke oder München weg bewegt und sich in den Amateurligen umsieht, wo es keine Kameras gibt und auch keine öffentliche Aufmerksamkeit. Da, wo Spiele auch mal abgebrochen werden, weil man (z.B.) Juden hasst. Ist man da bereit, einen schwulen Mann einfach als Fußballer zu sehen oder doch nur als Zielscheibe? Es gibt Fußball-Funktionäre, die sich sicher sind, dass ein Coming-Out (wenn schon) nur bei den Profis möglich ist, weil diese im Focus stehen. Was interessant ist, weil ja von den „richtigen Fans“ gerne die Kommerzialisierung im Profibereich kritisiert wird, während der Amateurbereich noch unverdorben, ehrlich und authentisch ist. Anscheinend ist Kommerzialisierung aber gleich Zivilisierung. Wenn das so ist, haben Investoren wie Dietmar Hopp mehr gegen die Homophobie im Fußball getan als irgendwer sonst. Womöglich ist das auch einer der Gründe, weswegen ihm so viel Verachtung entgegenschlägt.

Alles etwas geheimnisvoll mit „dem Fußball“, der noch nicht so weit ist. Zumal viele Fans sich dagegen wehren, dass sie das Problem für schwule Sportler sind (es sei denn, es sind Fans der Amateure?). Auch die Profi-Fußballer selbst wehren sich gegen den Vorwurf, homophob zu sein. Dass es der DFB und die Vereine nicht sind, ist ja ohnehin schon geklärt. Irgendwer ist hier doch nicht ganz ehrlich. Raus damit: Wer hat Angst vorm schwulen Fußballmann?

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Schinken zu Tofuwurst!

7. August 2013 Autor: Gideon Böss

Eines der ganz großen Rätsel ist, warum die Grünen sich für cool halten. Was ist das für eine Definition von cool, die da genutzt wird? Grundsätzlich gilt nämlich, dass Bevormundung und Umerziehung nicht die beiden coolsten Tugenden sind. Hinter der Fassade des lockeren und entspannten Verbündeten von Mutter Natur in Deutschlands Parlamenten ist es doch eine recht autoritäre Truppe. Selbstredend will sie darum ihre wichtigsten Überzeugungen nicht in einer gesellschaftlichen Debatte geprüft sehen, sondern von oben den Leuten aufdrücken. Zu deren Besten, versteht sich.

Aktuell beweisen die coolen Grünen wieder, aus welchem Holz des gefällten Freundes Baum sie geschnitzt sind. Essen ist viel zu wichtig, als dass man es den Menschen überlassen kann. Darum soll es Vegetarier-Tage in der Mensa geben. Alle sollen an diesen Tagen nur fleischlos satt werden dürfen. Renate Künast, der das Versprechen zur freiwilligen Spaßentsagung ins Gesicht gemeißelt ist, macht sich dafür stark. Von Wahlfreiheit hält man eben nichts, wenn es um höhere Ziele geht und so sollen erwachsene Menschen gefälligst dazu erzogen werden, weniger Schnitzel und mehr Salat zu essen.

Dieses Verständnis von Politik als Möglichkeit, Menschen ein Leben lang zu erziehen, ist wirklich nicht cool. So ein Gesellschaftsbild hat man jedenfalls nicht, wenn man Individualität und Selbstbestimmung schätzt.

Und während die Grünen sich im Wahlkampf als Alternative zu Merkel positionieren, sind sie doch die viel konsequentere „Alternativlos“-Partei. Egal ob es um Ernährung, Energieerzeugung oder die Frauenquote geht, nirgendwo zeigt sich bei den Grünen ein Interesse daran, eine Debatte über diese Themen zu führen. Sie sollen einfach vorgeschrieben werden, weil sie alternativlos richtig sind. Punkt. Dabei wäre ja zumindest die Frage berechtigt, warum es eigentlich neben der Frauenquote nicht auch eine für das dritte Geschlecht geben soll, schließlich sind die Grünen besonders gender-sensibel und treiben damit die Quasimodosierung der Sprache unbekümmert und mit gutem Gewissen voran (Holocaustleuger_innen).

Dass sie so bleiben, wie sie sind, ist auch garantiert. Schließlich hat der Grünen-Nachwuchs schon gefordert, dass die 1. Klasse im Zug abgeschafft gehört. Das würde nicht mehr in unsere Zeit passen. Das stimmt! Was auch nicht mehr passt, sind Loge oder Parkett im Kino, Tageskarte oder Zeitkarte im Schwimmbad und Prepaid oder Vertrag beim Smartphone. Aber über die Einzelheiten kann man sich ja in aller Ruhe am zwangsvegetarischen Tag in der Mensa austauschen. Coole Partei.

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ARD-Dokumentation: Plattenbau 1962

31. Juli 2013 Autor: Gideon Böss

In der ARD lief vor einigen Jahren die Dokumentation „Schwarzwaldhaus 1902“, in der die Zuschauer  mitverfolgen konnten, wie sich die Teilnehmer durch ein Leben ohne Auto, Telefon, Heizung, fließendes Wasser und Spülmaschinen quälten. Nicht einmal ein Monarchist wird sich diese guten alten Zeiten zurückwünschen.

Daran musste ich heute denken, als ich das Mauermuseum in Berlin besuchte. Neben einem kleinen Teil der Befestigungsanlage, die übrig geblieben ist, gab es dort auch eine lange Liste mit Namen zu lesen. Alles Menschen, die dafür umgebracht wurden, dass sie das sozialistisch-pazifistische Großprojekt DDR verlassen wollten. Eine Diktatur, die die eigene Bevölkerung als Geisel hielt und vertreten wurde durch die SED, deren Nachfolgepartei sich immer wieder umbenennt und aktuell unter DIE LINKE auftritt. Es passt zum moralischen Nullpunkt, den diese Partei darstellt, dass sie sich nicht schämt, als Anwalt der ehemaligen DDR-Bürger aufzutreten und empört zu rufen „Es war doch nicht alles schlimm damals“.

Es ist schon erstaunlich, dass in Debatten über die DDR vor allem die Sorge vorherrscht, dass doch bitte die Biografien der ehemaligen Bewohner dieses zu einem Staat verklärten Gefängnisses respektieren werden müssten. Was für eine Art von Respekt damit genau gemeint ist, wird nicht klar und kann es auch nicht. Denn es geht um etwas anderes, nämlich um die Forderung, dass man gefälligst die Verbrechen dieses Staates nicht an die große Glocke hängen soll. Und dass sie von der Matroschka-Partei DIE LINKE (am Ende landet man doch wieder bei der SED) am lautesten vertreten wird, ist nur konsequent. Warum sollte sie die Menschen, denen sie früher die Freiheit raubte, heute weniger zynisch behandeln?

Und diese Masche funktioniert erstaunlich gut, weswegen die DDR vor allem mit Trabis, Gurken und mehr Solidarität zwischen den Menschen (wofür sicherlich spricht, dass das Spitzel-Netz wesentlich dichter war als in der Sowjetunion oder dem Dritten Reich) verbunden wird und nicht mit Freiheitsberaubung, Mord und der Ausschaltung elementarster Menschenrechte. Und an dieser Stelle kommt die ARD ins Spiel.

Warum nicht einmal eine Dokumentation über das Leben in der DDR? Man könnte unter anderem der Frage nachgehen, was eigentlich mit Leuten passierte, die etwas gegen die Partei sagten, wie in diesem sozialeren Deutschland mit Behinderten und Heimkindern umgegangen wurde und auf welche Leute der Asozialenparagraph angewandt wurde.

Nach „Schwarzwaldhaus 1902“ nun „Plattenbau 1962“. Das wäre doch mal was, ARD!

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Dubai und deutsche Sightseeing-Gefühle

22. Juli 2013 Autor: Gideon Böss

Eine Frau wird vergewaltigt, erstattet bei der Polizei Anzeige und landet daraufhin selbst im Gefängnis, weil unehelicher Sex eine Straftat ist. Mehr als diesen Satz braucht es nicht, um zu wissen, was für ein abstoßender Ort Dubai ist.

Interessant ist, dass die Deutschen eigentlich sehr empfindliche Kunden sind. Sie wollen wissen, ob ihr Frühstücksei von einer glücklichen Henne stammte, ob die Arbeiter in Bangladesch einen ordentlichen Lohn in der Textilfabrik erhalten und aus welchen Quellen ihr Strom kommt.

Nur beim Thema Urlaub sehen sie die Sache nicht so eng. Es ist schon erstaunlich, dass jedes Jahr Zehntausende Deutsche in Länder fliegen, in denen die Menschenrechte nicht geachtet werden, die Diskriminierung von Minderheiten Staatsräson ist und die persönlichen Freiheiten massiv beschränkt werden. Man steigt in Frankfurt ins Flugzeug und beim Aussteigen hat die eigene Ehefrau plötzlich einen Großteil ihrer Rechte eingebüßt. Und dennoch finden es Herr und Frau Müller in Ordnung, z.B. nach Dubai zu reisen.

Man kauft nicht im Discounter um die Ecke ein, weil dort angeblich die Mitarbeiter von den Vorgesetzten ausspioniert werden, aber man stützt mit seinem Geld autoritäre Regime, die für Frauenverachtung, Homophobie und Antisemitismus stehen. LIDL geht gar nicht, Dubai aber schon.

Überhaupt wird der deutsche Blick auf weltweite Konflikte weniger von humanitären Katastrophen bestimmt, sondern davon, was für Auswirkungen das Ganze auf potenzielle Urlaubsreisen hat. Wenn z.B. in Mali (das ist irgendwo in Afrika) furchtbare Gemetzel stattfinden, ist das nicht wirklich interessant. Eine Katastrophe wird es erst, wenn bekannt wird, dass dabei auch ein Unesco-Weltkulturerbe zerstört wurde. Menschen in Stücke reißen, zu vergewaltigen und zu vertreiben, ist die eine Sache, eine ganz andere ist es, alte Bauwerke in die Luft zu sprengen. Die hätte man vielleicht irgendwann gerne mal im Urlaub besucht, ein Foto vor ihnen gemacht, es den Freunden gezeigt. Und das geht jetzt alles nicht mehr, weil diese Kulturbanausen keine Rücksicht auf deutsche Sightseeing-Gefühle genommen haben.

Darum wird auch dieser Fall in Dubai keine Auswirkungen auf das Urlaubs-Verhalten der Deutschen haben. Selbst der kritischste Mensch braucht schließlich einmal etwas Auszeit, um zu entspannen, und um dann nach seiner Rückkehr braungebrannt und gut erholt keine Produkte von Nestlé  zu kaufen, weil der Konzern angeblich zur Abholzung des Regenwaldes beiträgt. Man will sich ja nicht mitschuldig machen!

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Mit Snowden und Putin für mehr Datenschutz

14. Juli 2013 Autor: Gideon Böss

Ich kenne Eltern, die stolz darauf sind, ihre kleinen Kinder ausschließlich deswegen mit Smartphones auszustatten, weil sie diese dann via GPS im Auge behalten können, während der Nachwuchs im Kindergarten oder in der Schule ist. Ob das moralisch korrekt ist, ist die eine Frage, ob das notwendig ist, die andere. Interessant fand ich aber vor allem, dass auch diese Eltern empört darüber waren, was Snowden aufdeckte und dabei so taten, als hätten sie bislang nicht geahnt, dass Menschen überhaupt zu so etwas wie Überwachung fähig sind.

Ich teile zwar nicht die schulterzuckende „Ist doch egal“-Haltung, die viele Kritiker des Ex-Geheimdienstlers für seine Enthüllungen übrig haben, halte aber die Begeisterung der Snowden-Unterstützer für völlig überzogen. Was hat er geleistet? Er soll ein Held sein, weil er sich für die Meinungsfreiheit, für das Recht auf Privatsphäre und gegen uferlose Überwachungsexzesse des Staates einsetzte? Und wie hat er das gemacht? Indem er mit einer Schatzkammer voller brisanten Daten zuerst China und dann Russland bereiste, ehe er gerne in ein Flugzeug Richtung Venezuela gestiegen wäre. China, Russland, Venezuela, seit wann sind das die Staaten, an die man sich wendet, wenn es einem um die Stärkung von Freiheitsrechten geht?

Snowden-Fans erwidern darauf: Ja, wo hätte er sonst hingehen sollen, er wäre doch sofort in die USA abgeschoben worden. Was wollen sie damit sagen? Dass es immer noch besser ist, sensible Daten in die Hand autoritärer Staaten zu geben, als gar nichts zu tun? Man kann jedenfalls nicht mit Putin zusammen für Bürgerrechte und Datenschutz kämpfen, das ist ein Widerspruch in sich.

Aber das wichtigste Argument seiner Unterstützer lautet, dass diese Abhör-Infrastruktur zwar noch keinem Unschuldigen direkt geschadet hat (dass sie übrigens mehrere Terroranschläge verhinderte, ignoriert man), aber sie wäre ein furchtbares Werkzeug, wenn sie den falschen Mächten in die Hände fällt. Wobei dann schnell Begriffe wie DDR oder Drittes Reich fallen. Dieses Argument stimmt. Und genau deswegen ist Snowden auch kein Held, sondern ein bestenfalls von grenzenlosem Narzissmus getriebener Einfaltspinsel, der den „falschen Mächten“ gerade diese Werkzeuge in die Hand legt. Das einzige Problem nämlich, das China und Russland mit den Möglichkeiten der NSA haben, ist, dass sie bislang nicht über die gleichen Möglichkeiten verfügen. Aber das wird sich ändern, auch dank dem Entwicklungshelfer Snowden.

Doch das stört seine deutschen Fans nicht, die ihn nicht nur auf T-Shirts tragen und Straßen nach ihm benennen wollen, sondern auch Vergleiche ziehen mit Widerstandskämpfern im Dritten Reich und sogar mit Jesus. Nicht schlecht für einen, der (u.a.) all die persönlichen Daten, die der US-Geheimdienst über Deutsche sammelte, an Putin übergeben kann. Danke dafür, Snowden, du Jesus 2.0!  Auch im Namen aller Eltern, die den Amerikanern Stasi-Methoden vorwerfen, während sie selbst ihr engstes familiäres Umfeld ausspionieren.

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Religiöse Gefühle und Modelleisenbahnen

8. Juli 2013 Autor: Gideon Böss

Religiöse Gefühle spielen ja wieder eine recht große Rolle. Ganz besonders ihre Verletzungsanfälligkeit. Vor einigen Tagen zerstörte eine Studentin Teile einer Ausstellung an der Universität in Duisburg. Ihr gefiel nicht, dass auf einem Bild das Wort Allah stand. Und weil sie ihre religiösen Gefühle als Muslima verletzt sah, zerriss sie das betreffende Plakat. Wie reagierte die Uni auf diese Sachbeschädigung und Attacke auf die Kunstfreiheit? So: ”Bevor man die Plakate wieder zeigt, sollen Islamwissenschaftler prüfen, ob sie religiöse Gefühle verletzen.”

Warum eigentlich? Was hat das eine mit dem anderen zu tun? Selbst wenn sie religiöse Gefühle verletzen, ist das kein Problem. Niemand hat ein Recht darauf, dass seine Gefühle nicht verletzt werden. Und wenn man findet, es geht zu weit, kann man immer noch diskutieren, streiten oder klagen. “Das Leben des Brian” verletzte in den letzten Jahrzehnten die Gefühle von Millionen Gläubigen, na und? Auch Kondome und Pille, der Christopher Street Day und Pornos, alleinerziehende Mütter und sexuelle Selbstbestimmung verletzen religiöse Gefühle. Spricht das jetzt wirklich für die Religionen, wenn sie sich von diesen Dingen und Entwicklungen gekränkt fühlen?

Weshalb müssen religiöse Gefühle überhaupt besonders geschützt werden? Steht die ganze Gott-Sache auf so dünnem Eis oder warum ist da keine Selbstsicherheit? Katholische und evangelische Kirche werden in Deutschland vom Staat sehr unterstützt. Bis dahin, dass an bestimmten Tagen (z.B. Karfreitag) das Leben aller Menschen in diesem Land per Gesetz eingeschränkt wird, nur weil die immer kleiner werdende Gruppe gläubiger Christen irgendein Fest feiert. Der totalitäre Kern, der Religionen innewohnt, erträgt den Gedanken offenbar nicht, dass anderen Menschen diese Feier völlig gleichgültig ist. Wenn es irgendwie möglich ist, zwingt man ihnen trotzdem die eigenen Überzeugungen auf. Und wenn man sie schon nicht zur Teilhabe verpflichten kann, sollen sie wenigsten durch dieses Ereignis eingeschränkt werden.

Was wäre denn, wenn sich an Charles Darwins Geburtstag alle Menschen in diesem Land mit der Evolutionslehre beschäftigten müssten? Und wenn sie das schon nicht machen, unter Androhung von Strafe (u.a.) keine Gotteshäuser besuchen dürften? Niemand wäre damit einverstanden, vor allem nicht die christlichen Kirchen, die lautstark über die Verletzung religiöser Gefühle klagen würden.

Mich kümmert es nicht, ob jemand an Gott glaubt. Es kümmert mich auch nicht, ob jemand eine Modelleisenbahn in seinem Keller stehen hat. Es ist mir schlicht egal, in beiden Fällen. Der Unterschied zwischen dem Typ mit der Eisenbahn und dem Typ mit dem Buch Gottes ist aber, dass dem Eisenbahner seine Eisenbahn genug ist, dem Religiösen aber nicht sein Gott. Er muss einen damit nerven und wenn man es ihm erlaubt, zwingt er einem seinen Lebensstil so gut es geht auf. Das ist ein Problem. Und das lässt sich nicht durch eine besondere Rücksicht auf religiöse Gefühle lösen. Sie haben es nicht verdient, schützenswerter zu sein als andere Gefühle. Warum auch?

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Das Manifest der unbequemen Worte!

1. Juli 2013 Autor: Gideon Böss

Irgendwann will ich auch mal ein Manifest schreiben. Eines, das alle wichtigen Themen unserer Zeit aufgreift und sehr bedeutsam klingt: „Unbequeme Worte!“, „Stopp!“ oder „Was wir verloren haben!“  Irgendwas in die Richtung. Und dann wird es um Kinder gehen, um schmelzende Gletscher, um Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Frieden. Bis es soweit ist, lerne ich aber noch von denen, die schon weiter sind. Vom Maris Müller-Westernhagen, Hannes Jaenicke, Benno Fürmann und Franz Alt. Solchen Leuten. Die haben Erfahrung im manifesten.

Im Juni brachten unter anderem sie DAS GENERATIONEN MANIFEST heraus (guter Titel!) und machen sich darin Sorgen. Aber zuerst einmal stellten sie klar, dass sie für uns alle sprechen, auch wenn ihnen niemand ein Mandat gab: Wir sind die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes. Wir sind die Politik. Wir sind die Wirtschaft. Wir sind jung und alt, arm und reich, mächtig und ohnmächtig, Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Enkel und Großeltern…Gut, damit wäre das schon einmal geklärt.

Und worüber machen sie sich Sorgen, „unabhängig von der Farbe unserer politischen Überzeugungen“? Vor allem um den menschgemachten Klimawandel, was klar ist, denn bei ihm handelt es sich um die „größte Bedrohung, die wir Menschen jemals erlebt haben“. Die Pest, der Kalte Krieg, Hitler und der Holocaust, all das waren offenbar nur Fingerübungen gegen das, was uns noch bevorsteht. Denn das heimtückische am menschgemachten Klimawandel ist ja gerade, dass er seine Spuren so geschickt verwischen kann. Seit Jahren versuchen die besten Experten ihn eindeutig nachzuweisen. Bislang vergeblich.

Vielleicht kam man ihm aber auch deswegen noch nicht auf die Schliche, weil er „von der Bundesregierung und allen Parteien nicht mit höchster Priorität bekämpft“ wird, womit „das Leben und das Wohlergehen zukünftiger Generationen aufs Spiel“ gesetzt werden.  Merkels Appeasement gegenüber dem menschgemachten Klimawandel ist eine Schande! Darum kennen die Macher des Generationen-Manifestes keine Parteien mehr, sondern nur noch menschgemachte Klimaretter.

Dass die Parteien sich nicht genügend gegen diese größte Bedrohung der Menschheitsgeschichte einsetzen, merkt man auch an der Energiewende, dem „bedeutendsten Projekt unserer Generation“ . Dieses „wird von den politischen Entscheidungsträgern halbherzig und inkonsequent umgesetzt“, weswegen die Verantwortlichen haftbar gemacht werden, „wenn sie die Chancen dieses Zukunftsprojektes aufgrund parteipolitischer Machtspiele fahrlässig gefährden.“ Und solche Generationen-Tribunale sind für ihre Härte bekannt, vor allem, wenn es um alles geht! Darum muss die Bekämpfung des Klimawandels „als Staatsziel in die Verfassung“!

Wenn die Sache mit dem Klima dann in der Verfassung und damit gelöst ist, wird es auch endlich Frieden im Nahen Osten, in Nigeria, Somalia und dem Kongo geben, niemand wird mehr hungern müssen, Diskriminierung und Rassismus gehören in diesen besseren Tagen der Vergangenheit an. Denn die Wurzel allen Übels liegt in dieser menschgemachten Klimageschichte, dieser größten aller Bedrohungen.

Der Marius hat es erkannt. Und seine Freunde. Und vielleicht unterschreiben sie ja irgendwann auch mal mein Manifest. Wahrscheinlich wird es sich um unseren Generationenvertrag mit den Eisbären drehen.

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Oh Boy, diese Kulturförderung

25. Juni 2013 Autor: Gideon Böss

Vor zwei Wochen sah ich „Oh Boy“, der so ziemlich alle Preise gewonnen hat, die die deutsche Filmindustrie hergibt. „Bester Film“, „beste Regie“, „bester Hauptdarsteller“, „bestes Drehbuch“, „beste männliche Hauptrolle“, „beste männliche Nebenrolle“, „beste Filmmusik“. Und noch Dutzende weitere Ehrungen. Der Film war erschütternd langweilig. Er wollte die Verlorenheit in einer Großstadt und zugleich die eines bestimmten Lebensalters darstellen und weil das alles auch irgendwie künstlerisch anspruchsvoll daherkommen sollte, entschied  man sich gegen Farbe und für schwarz-weiß. Schwarz-weiß ist er auch wirklich geworden, aber der Rest hat nicht geklappt. Es reicht eben nicht, Woody Allens Werke auswendig zu lernen (oder beispielsweise in Garden State vorgeführt zu bekommen, wie Verlorenheit und Melancholie auf unterhaltsame Weise präsentiert werden), ein bisschen eigene Originalität, Experimentierfreude und Mut muss man dem schon beimischen. Oder zumindest den Stil gut kopieren können.

Beides gelang nicht. Charakterhüllen murmeln sich durch Berlin und durch lahme Dialoge. Hinter jedem Fenster zur Straße rauscht die S-Bahn vorbei, in der Nacht wird man verprügelt und am Tag belogen, so wie es halt immer ist. Es war der Debütfilm eines Regisseurs, der auf einer deutschen Filmhochschule ausgebildet wurde. Oh Boy ist finanziert über Steuergelder (Filmförderung) und ein Ausbund an Einfalt, Mut- und Risikolosigkeit. Die ebenfalls stark von Steuergeldern abhängige Filmindustrie hat ihn trotzdem mit Preisen überhäuft. Was auch immer für die staatliche Förderung von Filmen spricht, die Qualität der Erzeugnisse kann es nicht sein.

Vermutlich wird sich an diesem Mittelmaß zementierenden System aber auch auf lange Sicht nichts ändern, denn im Vorfeld der Verhandlungen zu einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA wurde durchgesetzt, dass die Kulturförderung in Europa davon ausgenommen bleibt (ebenso wie die Zwangsgebühren-Milliarden für ARDZDF). Frankreichs Präsident und seine Kultur- beziehungsweise Handelsministerin waren dabei federführend. Die Befürworter jubeln, dass damit der Ausverkauf europäischer Kultur verhindert wurde und Kultur ja mehr sei als eine Ware, da sie auch die Identität eines Landes prägt.

Das mag alles stimmen, aber was ist das eigentlich für eine autoritäre Vorstellung von Kultur? Was Kultur ist, die die Identität eines Landes wiederspiegelt, haben demnach irgendwelche Beamten zu entscheiden, die darüber beraten, welcher Antrag auf Kulturförderung abgelehnt und welcher bewilligt wird. Was qualifiziert sie dazu? Ein Staat hat so etwas nicht vorzuschreiben und kann daran nur scheitern. Darum ist die Kulturlandschaft in Deutschland ja auch so ausgetrocknet, so eindimensional und so frei von Innovationen. Also das genaue Gegenteil von dem, was in den USA passiert. Wo in den letzten Jahren TV-Serien wie Sopranos, Mad Men, The Wire produziert wurden, die neue Maßstäbe setzten (erschienen übrigens oft im Bezahlfernsehen, weiter kann man sich von Kulturförderung nicht entfernen).

Und was hat Deutschland da zu bieten? Zu den großen Fernseh-Innovationen gehört, dass bei „Wetten, dass…?“ keine Gummibärchen mehr auf dem Tisch stehen und im Tatort auch mal Neuland-Vokabeln wie „online“ und „E-Mail“ fallen. Ist es das, was man mit dieser ganzen Kulturförderung und den ARDZDF- Zwangsmilliarden erreichen will? Es läuft etwas schief, wenn nicht Kreativität und Ideenreichtum entscheidend sind, sondern das Talent beim Ausfüllen von Anträgen auf Förderung. Oh Boy!

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